H. Bungert: Festkultur und Gedächtnis

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Titel
Festkultur und Gedächtnis. Die Konstruktion einer deutschamerikanischen Ethnizität 1848–1914


Autor(en)
Bungert, Heike
Reihe
Studien zur Historischen Migrationsforschung 32
Erschienen
Paderborn 2016: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
637 S.
Preis
€ 69,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan Logemann, Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Georg-August-Universität Göttingen

In den USA des 19. Jahrhunderts waren „die Deutschen“ weithin bekannt für ihre Feste. Noch um 1900 veranstalten deutschamerikanische Organisationen in vielen amerikanischen Städten öffentliche Feste für (Zehn-)Tausende von Besuchern mit Turn- und Sängerwettbewerben oder volksfesthaften Vergnügungen. Das selbstbewusste Auftreten dieser Einwanderergruppen stieß dabei nicht auf ungeteilte Begeisterung in der amerikanischen Bevölkerung. Immer wieder protestierten Sabbatisten gegen Störungen der Sonntagsruhe, Temperenzler monierten den Alkoholkonsum der Deutschen, und Nativisten fürchteten die Bedrohung einer protestantisch-angelsächsischen Leitkultur. In der jüngst erschienenen und schon 2004 als Habilitationsschrift eingereichten Studie von Heike Bungert geht es somit um auch heute aktuelle Fragen von Migration und Integration, wenn sie sich der Festkultur der Deutschamerikaner vor dem Ersten Weltkrieg widmet. Ausgelassene Feste und symbolische Feiern, so die These der Arbeit, dienten dieser Gruppe zur Konstruktion einer gemeinsamen ethnischen Identität und beförderten – allen Anfeindungen zum Trotz – auch ihre gesellschaftliche Akzeptanz in den USA.

„Festkultur und Gedächtnis“ bietet eine umfassende Untersuchung hunderter Feste und Feiern mit geographischen Schwerpunkten auf den Städten New York, Milwaukee, San Antonio und San Francisco. Dabei beschränkt sich die Studie auf öffentliche Veranstaltungen und blendet Feste im privaten Rahmen ebenso aus wie religiöse Feierlichkeiten. Sie erweitert die umfangreiche Forschung zu deutschamerikanischen Communities und deren kollektiver Identitätsbildung indem sie die Rolle von Festveranstaltungen vom Rande ins Zentrum einer systematischen Analyse rückt. Dabei knüpft die Arbeit an ein seit den 1990er-Jahren erstarktes Interesse an Festkultur in der Nationalismusforschung ebenso an wie an einen breiteren „performative turn“ in der Geschichtswissenschaft. Die Bedeutung von Feiern für die performative Konstruktion nationaler Identität wurde jüngst schon am Beispiel von Schillerfeiern in deutschen und nordamerikanischen Städten herausgearbeitet.1 Auch in den USA werden öffentlichen Feierlichkeiten seit geraumer Zeit im Sinne einer Kulturgeschichte des Politischen untersucht. Sie werden dabei als Arenen eines gesellschaftlichen Wettbewerbs um soziale Anerkennung verstanden und als Teil einer konflikthaften Aushandlung nationaler Identität.2 Heike Bungert zeigt nun, dass Deutschamerikaner prominenter und deutlich länger als häufig angenommen an diesem Prozess in den Vereinigten Staaten teilhatten.

Die zentralen Akteure ihrer Studie sind die zahlreichen Vereine, die das deutschamerikanische Gesellschaftsleben im neunzehnten Jahrhundert prägten. Turnvereine und Sängerbünde sowie etwas später auch Schützen- und Kriegervereine veranstalteten unzählige Feiern auf lokaler und auf überregionaler Ebene. Hinzu kamen Feiern zu Ehren prominenter Persönlichkeiten oder zu Jahrestagen ebenso wie Karnevalsfeiern und populäre, zunächst stark regional geprägte, Volksfeste. Bungert kontextualisiert diese Veranstaltungen kenntnisreich in der deutschen wie auch in der amerikanischen Geschichte. Die chronologisch aufgebauten Großkapitel skizzieren eine Periodisierung, die mit dem Entstehen der Vereine und mit bürgerlichen Feiern zu Ehren deutscher Dichter und Komponisten in den 1840er-Jahren einsetzte. Die 1870er- und 1880er-Jahre stellten in vieler Hinsicht den Höhepunkt deutschamerikanischer Festkultur dar, als steigende Einwandererzahlen aus Deutschland zu einem Anwachsen von Vereinen und Feierlichkeiten führten. Die Jahrzehnte vor dem Ersten Weltkrieg waren hingegen durch zunehmende Nationalismen und soziale Differenzen innerhalb der deutschamerikanischen Community geprägt. Über mehr als 500 Seiten zeichnet das Buch ein facettenreiches Bild, das die Lebenswelt (besonders bürgerlicher) Deutschamerikaner sehr lebhaft rekonstruiert.

Als analytischer Rahmen dient der Studie das Konzept des kulturellen Gedächtnisses. Feste und Feiern werden dabei als zentrale Orte der Sinnstiftung von Gemeinschaftlichkeit in Form von Legitimations- und Alltagsgedächtnissen interpretiert. Jenseits dieser allgemeinen Einsicht bleibt der Erkenntniswert wiederholter Verweise auf den Gedächtnisbegriff in unterschiedlichen Festzusammenhängen jedoch oft unklar und das Konzept überzeugt vor allem dann wenig, wenn ein bewusstes Arbeiten am kulturellen Gedächtnis der Zeitgenossen suggeriert wird. Sicherlich war das gemeinsame Erinnern ein wichtiger und gewollter Teil von Feiern, doch wird die Betonung dieses Aspekts der oft spontanen Form performativer Identitätskonstruktion nicht ganz gerecht. Mehr als durch ihren gedächtnistheoretischen Zugriff besticht die Arbeit daher durch ihren minutiösen Blick auf historische Praktiken und deren reichhaltige Medialisierung in zeitgenössischen Berichten und Illustrationen.

Die Konflikthaftigkeit ethnischer Identitätskonstruktionen wird in der Studie immer wieder angesprochen, auch wenn sie die Darstellung nicht systematisch strukturiert. So beschreibt Heike Bungert politische Differenzen zwischen progressiven Turnern und konservativen Eliten über eine zunehmend aggressive Nationalisierung öffentlicher Veranstaltungen und verweist auf die Feste von Arbeitervereinen als eine Art „Gegengedächtnis“. Religiöse Spannungen finden hingegen nur am Rande Beachtung obgleich katholische Einwanderer, die mehr als ein Drittel der Deutschamerikaner ausmachten, sowohl in Deutschland als auch in den USA aus hegemonialen Nationalitätskonstruktionen ausgegrenzt blieben. Auf die Beteiligung der mittlerweile gut erforschten deutsch-jüdischen Gemeinden in amerikanischen Städten wird ebenfalls nur sehr punktuell verwiesen.3 Auch hier wäre eine systematische Thematisierung wünschenswert gewesen, bei der ein wenigstens kursorischer Blick auf die Rolle religiöser Feste geholfen hätte. Ähnliches gilt für die Beteiligung von Frauen und Frauenvereinen bei deutschamerikanischen Festen. Diese wird zwar explizit angesprochen, aber die von der Forschung geforderten Differenzierung von Ethnizitätskonstruktionen nach Geschlecht kann die Arbeit allein deshalb nicht ganz einlösen, da private Feiern im häuslichen Rahmen eben nicht berücksichtigt werden konnten.4 Dafür räumt die Studie explizit mit dem Mythos der Deutschamerikaner als „gute Republikaner“ auf. Bei allem Respekt für die Bemühungen gerade der sogenannten Forty-Eighters im Kampf gegen die Sklaverei wird auch auf Rassismen in der deutschamerikanischen Festkultur hingewiesen und auf das allgegenwärtige Bemühen, sich in das „weiße“ Amerika einzuschreiben.

Wiederholt verweist „Festkultur und Gedächtnis“ auf die Bedeutung von Konsumpraktiken in der Konstruktion deutschamerikanischer Identität und verdeutlicht dabei, dass Freizeitgestaltung jenseits der Arbeit auch im 19. Jahrhundert schon identitätsstiftend wirkte. Neben Tanzvergnügungen oder dem Verzehr regionaler Spezialitäten war besonders der Alkoholkonsum konstitutiv für ein deutschamerikanisches Selbstverständnis. Von Brauern und Gastwirten bis hin zu werbenden Kaufleuten und Fabrikanten spielten Feste zudem für die große Zahl deutschamerikanischer Immigrant Entrepreneurs eine herausragende Rolle.5 Um 1900 wurden neue kommerzielle Elemente wie Vaudeville und Nickelodeons immer wichtiger für die Festkultur, oft auf Kosten der traditionellen Rolle der Vereine. Da zugleich die englische Sprache an Dominanz gewann, schwächte dies die gemeinschaftliche Bindekraft der Festveranstaltungen, machte sie aber für nachwachsende Generationen von Deutschamerikanern und eine breitere US-amerikanische Öffentlichkeit zugänglicher.

In dieser genauen Vermessung des komplexen Wechselspiels von Adaption und konstruierter Differenz liegt die große Stärke von Heike Bungerts Arbeit. Die Feste der Migranten dienten einerseits der Rückbindung an die deutsche Heimat und der Identifikation mit einem wachsenden deutschen Nationalbewusstsein. Zugleich standen sie jedoch auch im Zeichen einer Verortung innerhalb der amerikanischen Gesellschaft und drückten dabei republikanischen Stolz und Anspruch auf politische Teilhabe in den USA aus. Schließlich feierten sich die Deutschamerikaner auch selbst, als Gemeinschaft mit eigener Geschichte und Tradition. Wie bei anderen Einwanderergruppen auch war dieses Neben- und Miteinander verschiedener Zuschreibungen (wenigstens bis zum Ersten Weltkrieg) charakteristisch für deutschamerikanische Identität. Viele Deutschamerikaner gefielen sich in der Rolle der Kulturvermittler und betonten ihre Funktion bei wechselseitigen transatlantischen Transfers. Bungert unterstreicht die transnationale Dimension der Feiern, ihren Einfluss auf die U.S.-Kultur genauso wie ihre Rückwirkung auf Deutschland. So zeigt diese Geschichte deutschamerikanischer Festkultur weniger einen Gegensatz von Assimilation und ethnischem Separatismus, sondern schärft unseren Blick für die Bedeutung kultureller Dynamiken und – ähnlich Studien zu ethnischer Küche – für hybride Neuschöpfungen. Vergnügungen wie die „Katzenjammer Castles“ der Jahrhundertwende oder kulinarische Genüsse wie „bayerisches Clam Chowder“ waren kreative Ausprägungen einer deutschamerikanischen Ethnizität, die in dieser Studie Eingang in unser historisches Speichergedächtnis finden.

Anmerkungen:
1 Thorsten Logge, Zur medialen Konstruktion des Nationalen. Die Schillerfeiern 1859 in Europa und Nordamerika, Göttingen 2014.
2 David Waldstreicher, In the Midst of Perpetual Fetes: The Making of American Nationalism, 1776–1820, Chapel Hill (NC) 1997.
3 Tobias Brinkmann, Von der Gemeinde zur "Community". Jüdische Einwanderer in Chicago, 1840–1900, Osnabrück 2002.
4 Anke Ortlepp, "Auf denn, ihr Schwestern!" Deutschamerikanische Frauenvereine in Milwaukee, Wisconsin, 1844–1914, Stuttgart 2004.
5 Siehe Hartmut Berghoff / Uwe Spiekermann (Hrsg.), Immigrant Entrepreneurship. The German-American Experience Since 1700, Washington, DC 2016, sowie: http://www.immigrantentrepreneurship.org (22.01.2018).