Cover
Titel
Winning the Peace. The British in Occupied Germany 1945–1948


Autor(en)
Knowles, Christopher
Erschienen
London 2017: Bloomsbury
Anzahl Seiten
278 S., 11 SW-Abb.
Preis
£ 85.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kerstin Schulte, Bielefeld Graduate School in History and Sociology (BGHS), Universität Bielefeld

Die ersten Jahre der alliierten Besatzung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg sind auch über 70 Jahre nach Kriegsende immer noch vergleichsweise wenig erforscht. Während zur amerikanischen Besatzungszone neuere Studien vorliegen, so etwa jüngst von Susan Carruthers,1 fehlten bislang vergleichbare Arbeiten zur britischen Zone. Seit kurzem ist die Forschung zur alliierten Besatzungsherrschaft aber wieder in Bewegung gekommen.2

Der Londoner Historiker Christopher Knowles leistet insofern einen wichtigen Beitrag zur Neuformulierung und Klärung offener Fragen. Er liefert mit dem Buch, das aus seiner Dissertation hervorgegangen ist, eine akteurszentrierte Interpretation zur Geschichte der Briten im besetzten Deutschland, wie bereits der Untertitel deutlich macht. Mittels eines biografischen Zugriffs, der die Perspektiven von zwölf britischen Offizieren verfolgt, bettet er deren Handeln in den breiteren Kontext der unmittelbaren Nachkriegszeit und der damit verbundenen Herausforderungen ein. Knowles wählt demnach nicht den vielfach erprobten Ansatz, die Besatzung aus rein administrativen Gesichtspunkten zwischen Wiederaufbau, Entnazifizierung und Reeducation zu untersuchen, sondern versucht eigene Wege zu gehen.

Die Studie fokussiert auf den Übergang zwischen Krieg und Frieden; der Autor fragt nach den Zielen der zwölf Briten im besetzten Deutschland sowie danach, warum und wie sich diese im Laufe der Zeit änderten. Dabei will er vor allem erklären, warum sich die im August 1945 beschlossenen idealistischen Programme der „vier Ds“ (Denazifizierung / Entnazifizierung, Demilitarisierung, Demokratisierung und Dezentralisierung) während der Besatzungszeit hin zu einer stärker an den realen Gegebenheiten orientierten Politik wandelten, die in Knowles’ Lesart ihren Ausdruck im positiv gewendeten Gegenmodell der „drei Rs“ fand. Hierunter versteht er „physical and economic Reconstruction, political Renewal and personal Reconciliation“ (S. 1).

Das Buch ist entsprechend gegliedert – jedes der drei Hauptkapitel beschäftigt sich mit einem dieser „drei Rs“. Im ersten Teil widmet sich Knowles der Frage, warum die britische Militärregierung bereits kurz nach Beginn der Besatzung eine Politik des Wiederaufbaus verfolgte und wie sich diese in den beiden darauffolgenden Jahren entwickelte. Im zweiten Teil analysiert er verschiedene von den britischen Besatzern zwischen Mai 1945 und Mai 1948 verfolgte Ansätze für eine politische Erneuerung in ihrer Zone. Zu diesem Zweck untersucht er beispielsweise die Aushandlungsprozesse zwischen britischer Militärverwaltung und deutschen Stellen für eine Neugestaltung des Wahlrechts in der britischen Besatzungszone, wobei er gleichzeitig die Überzeugung britischer Offiziere von der Überlegenheit des eigenen Demokratiemodells herausarbeitet (S. 70). Knowles betont auch, dass die offizielle britische Politik stets darin bestanden habe, gegenüber allen politischen Parteien der Nachkriegszeit neutral zu sein und keine zu favorisieren (S. 90). Insgesamt wertet er den britischen Einfluss zurückhaltend als „limited to creating space for the Germans to make their own decisions“ (S. 92). Die britische Militärregierung habe eher eine kontrollierende und beratende Funktion eingenommen und sich weniger als herrschende „Siegermacht“ verstanden. Im dritten Teil seiner Studie untersucht Knowles die Motivation jüngerer Offiziere für ihren Dienst in Deutschland. Dabei geht er der Frage nach, ob sie die Motive ihrer älteren Vorgesetzten und Kameraden teilten. Außerdem diskutiert er, wie persönliche Beziehungen zwischen britischen Besatzern und Deutschen zur Aussöhnung zwischen ehemaligen Feinden beitrugen.

Das Innovative an Knowles’ Buch ist vor allem sein biografischer Ansatz. Er hat dafür zwölf Personen ausgewählt, die allesamt – so seine Prämisse – als Mitglieder der britischen „governing elite“ (S. 6) Autorität und Macht besaßen und zudem auf den verschiedensten Hierarchie-Ebenen der Militärregierung einflussreich waren. Die Auswahlkriterien der einzelnen Personen sind so bestimmt, dass sie Knowles’ Versuch unterstützen, die „drei Rs“ forschungsparadigmatisch zu etablieren. Deshalb hat er jeweils vier Personen aus den Gruppen hochrangiger Militärs, Diplomaten und junger Offiziere ausgewählt und widmet jeder Gruppe einen Teil des Buches. Methodisch versteht er diesen Zugriff als „following the people“ (S. 5f.). Das ermögliche es, auch subjektive Faktoren stärker als bislang zu untersuchen. Fragen nach dem Einfluss, den vorangegangene Besatzungserfahrungen – etwa im Rheinland nach dem Ersten Weltkrieg oder im British Empire – auf das Handeln der Protagonisten nach dem Zweiten Weltkrieg hatten, könnten so ebenfalls beantwortet werden.

Die Quellenbasis, auf der Knowles’ Buch aufbaut, ist breit: Neben Memoiren, veröffentlichten und unveröffentlichten Autobiografien, administrativen Dokumenten und zeitgenössischen Publikationen bedient er sich auch der Methode der Oral History. Dafür hat er knapp 20 aufgezeichnete Interviews des Imperial War Museums in London ausgewertet sowie zwei eigene Interviews geführt. Beide Zeitzeugen gehörten zur Gruppe der „jungen Offiziere“. Den individuellen, persönlichen Erfahrungshintergrund, den alle untersuchten zwölf Personen mit nach Deutschland brachten, bezeichnet Knowles als „mental baggage“ der britischen Besatzer. Er bezieht sich damit auf den familiären Hintergrund, die Bildung, den sozialen Status, vorangegangene Tätigkeiten, Netzwerke aus Freunden und Kollegen sowie die religiöse, moralische und politische Einstellung der Einzelnen. Nur mithilfe seines biografischen Ansatzes sei es möglich, alle diese Faktoren in die Analyse der britischen Besatzungszeit in Deutschland einzubeziehen.

Nicht ganz unproblematisch ist Knowles’ vergleichsweise undifferenzierte Auseinandersetzung mit dem Generationenbegriff, den er erst relativ spät im dritten Teil als zentrale Analysekategorie einführt (S. 128). Zwar beschreibt der Autor selbst, dass individuelle Faktoren wie der persönliche Hintergrund, Bildung, politische Einstellungen und spezielle Fähigkeiten einen größeren Einfluss gehabt hätten als die Zugehörigkeit zu einer Generation, doch argumentiert er kurz darauf, dass der Vergleich zwischen einer „jüngeren Generation“ und einer „älteren Generation“ leitender Offiziere Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen diesen Gruppen aufdecken könne. Die Art des Vergleichs und seiner Anordnung wird dabei ebensowenig reflektiert wie das voraussetzungsreiche Konzept der „Generation“.

Aufs Ganze gesehen handelt es sich bei Christopher Knowles’ Studie um ein kenntnisreiches und sehr gut geschriebenes Buch, das die Forschung auch im Detail voranbringt, ohne sich in Einzelheiten zu verlieren. Knowles legt überzeugend dar, dass jene Personen, die weiter unten in der Militärhierarchie standen, mitunter auf eigene Initiative handeln konnten, selbst wenn dies gegen offizielle politische Vorgaben der Militärregierung verstieß. Am Beispiel der Gründung des Magazins „Diese Woche“, aus welchem Anfang 1947 „Der Spiegel“ hervorging, wird dies besonders deutlich. Der Autor präsentiert seine Ergebnisse auf Grundlage exzellenter Quellenkenntnisse und unter Berücksichtigung der relevanten Sekundärliteratur. Inwiefern sich die Einzelergebnisse zu den von ihm ausgewählten Personen jedoch verallgemeinern lassen, bleibt am Ende leider offen. Auch stellt sich die Frage, ob Knowles seinen Akteuren mitunter nicht zu viel Bedeutung beimisst, da persönliche Erfahrungen Einzelner in jedem Kontext handlungsleitend sein können und nicht immer klar wird, was spezifisch der Besatzungssituation geschuldet war. Frühere Erfahrungen im British Empire und im Ersten Weltkrieg determinierten jedenfalls nicht notwendigerweise späteres Handeln; der Zusammenhang vorangegangener Kriegs- und Kolonialerfahrungen mit Entscheidungsmustern im besetzten Deutschland kann nicht unterstellt, sondern müsste erst näher dargelegt werden. Manche Kontinuitätsthesen dürften daher zum Widerspruch herausfordern. In jedem Fall aber ist „Winning the Peace“ eine sehr lesenswerte Studie, die einen guten Überblick zu den Strukturen, Hintergründen und Entwicklungen der frühen britischen Besatzungszeit bietet und als Ausgangspunkt für weitere Forschungen dienen kann.3

Anmerkungen:
1 Susan L. Carruthers, The Good Occupation. American Soldiers and the Hazards of Peace, Cambridge 2016.
2 Siehe etwa den Bericht von Lena Eggers zur Londoner Tagung „The Allied Occupation of Germany Revisited: New Research on the Western Zones of Occupation, 1945–49“, in: H-Soz-Kult, 25.11.2016, URL: http://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-6838 (03.08.2017). Knowles hatte diese Tagung mitorganisiert.
3 Regionalgeschichtlich vertieft und in einer längerfristigen historischen Perspektive fortgeführt wird dies momentan im Forschungs- und Ausstellungsprojekt „Briten in Westfalen. Begegnungen – Beziehungen – Geschichte 1945–2020“; siehe https://paderborner-konversion.de/briten-in-westfalen (03.08.2017).