K. Görich u.a. (Hrsg.): Friedrich Barbarossa

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Titel
Friedrich Barbarossa in den Nationalgeschichten Deutschlands und Ostmitteleuropas (19.–20 JH.).


Herausgeber
Görich, Knut; Wihoda, Martin
Erschienen
Köln 2017: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
343 S.
Preis
€ 60,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Bastian Schlüter, Institut für Deutsche und Niederländische Philologie, Freie Universität Berlin

Die Tatsache, dass es inzwischen an über 30 Orten in ganz Europa sogenannte „Stauferstelen“ gibt, die seit dem Jahr 2000 auf private Initiative geschichtsinteressierter Bürger hin an markanten und weniger markanten Orten staufischen Wirkens errichtet wurden, macht eines deutlich: Die Geschichte der Staufer als Erinnerungsort oder Mythos in nationalen wie europäischen Kontexten ist noch keinesfalls an ihr Ende gekommen. Dass allerdings auch die zunächst sattsam bekannt erscheinende Inkubationszeit dieser Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert durchaus immer wieder der Revision bedarf, markiert den Ausgangspunkt des vorzustellenden Sammelbandes. Er dokumentiert eine Tagung in Brno/Brünn vom Herbst 2015, die im Kern der Erinnerungsgeschichte Friedrich Barbarossas gewidmet war, deren Beiträge darüber hinaus jedoch auch die ganze Epoche des Kaisers, zum Teil das ganze Mittelalter, in den Blick nehmen. Der tschechische Tagungsort steht für die geographische Rahmung des Projektes: Sie ist eine europäische, hier auf Deutschland und Ostmitteleuropa bezogene. Dabei hält sich der Sammelband, der Titel zeigt es an, mit vorschnellen „europäischen Erinnerungskulturen“ allerdings dezent zurück, er bleibt einstweilen einer jeweils nationalgeschichtlichen Betrachtungsweise verpflichtet. Denn vor einem allzu großen europäischen Erinnerungspathos warnt sogleich der erste Beitrag des Sammelbandes, in dem sich der Neuzeithistoriker Christoph Cornelißen aus der Perspektive der Forschung zu den jüngeren Erinnerungsdebatten skeptisch gegenüber solchen (politisch ja durchaus verständlichen) Europäisierungen äußert und so auch der Mediävistik empfiehlt, die nationalgeschichtliche Perspektive produktiv weiterzuentwickeln und wohlfeile erinnerungspolitische Vereinnahmungen kritisch zu betrachten.

Es folgen drei Beiträge, die zunächst den breiteren öffentlichen Geschichtskulturen gewidmet sind. Eduard Mühle kann anhand der zehn zwischen 1891 und 2001 veröffentlichten Auflagen des „Gebhardt“ und anderer Historiographie herausarbeiten, wie lange in der deutschsprachigen Mittelalterforschung ein Bild von der polnischen Geschichte vorherrschend blieb, das den Traditionen der deutschen „Ostforschung“ verpflichtetet war und sich zum Teil bis in die 1970er-Jahre hielt. Andrzej Pleszczyński untersucht die polnische Presse auf Spuren der deutschen bzw. preußischen Barbarossa-Verherrlichung zur Zeit der Einweihung des Kyffhäuserdenkmals im Jahr 1896. Das Desinteresse war groß, so lassen sich seine Beobachtungen zusammenfassen; überhaupt stand man in Polen dem historischen Kaiser wie seinem im 19. Jahrhundert in die Triumphgeschichte der Hohenzollern einmontierten Wiedergänger recht unbeteiligt gegenüber. Dem Bild des Mittelalters in österreichischen und tschechischen Lehrbüchern und damit den böhmischen, mährischen und schlesischen Geschichtskulturen widmet Jiří Němec eine differenzierte Studie, die herausstellt, wie sich schon in den angesetzten Epochengrenzen Unterschiede finden lassen: In den deutschsprachigen Texten beginnt das Mittelalter häufig mit dem Kollektivphänomen einer „germanischen“ Völkerwanderung im 4. Jahrhundert, in den tschechischen hingegen mit dem fest umgrenzten politischen Datum des Jahres 476, dem Ende Westroms. Überhaupt ging es den tschechischen Darstellungen vielfach um die Betonung einer eigenen, patriotisch nutzbaren Nationalgeschichte – in der Friedrich I. sehr viel kritischer bewertet wurde als in der deutschsprachigen Historiographie, die den Staufer als gerechten Herrscher auswies.

Den Bogen von der öffentlichen Geschichtskultur in engere fachgeschichtliche Zusammenhänge schlägt Knut Görich am Beginn des zweiten Sammelband-Abschnitts, der den deutschen Verhältnissen gewidmet ist. In komprimierter wie luzider Darstellung überblickt er die Vorgeschichte des Barbarossa-Mythos, ohne deren Ingredienzien der Staufer im 19. Jahrhundert nicht als nationaler Erlöserkaiser hätte erfunden werden können – eine Konstruktion, die in den zeitgenössischen Debatten um die Italienpolitik immer ambivalenter werden musste und am Ende nur noch um den Preis der Enthistorisierung aufrecht zu erhalten war. Bis weit ins 20. Jahrhundert blieb das Kaiserbild untergründig wirksam und war ursächlich für die lange Fixierung der deutschen Mittelalterforschung auf den (National-)Staat als Telos historischer Entwicklung verantwortlich. Was Görich im Blick auf die sich verändernden Barbarossa-Bewertungen umreißt, kann Christoph Dartmann in der spezifischen Perspektive auf die historiographische Einordnung der Italienpolitik des Kaisers noch differenzierter herausstellen. Vier Phasen lassen sich abstrahieren: Die bürgerlich-liberale Kritik am transalpinen Engagement im Vormärz; der wirkmächtige Sybel-Ficker-Streit ab 1859 und der sich herausbildende borussische Neoghibellinismus; der triumphale Barbablanca-Barbarossa-Kult nach der Reichsgründung, dessen Geschichtsferne die zuvor häufig auf den Plan getretenen „politischen Professoren“ abstinent werden (und sich innerfachlich professionalisieren) lässt; zuletzt ein folkloristisch-populäres Kaiserimaginarium um 1900, in dem der Italienstreit keine große Rolle mehr spielt. Eine solche spezifisch perspektivierte Revision der Positionen des 19. Jahrhunderts unternimmt auch Jochen Johrendt. Ihn beschäftigt die Frage, wie das Verhältnis der „Universalgewalten“ Kaiser und Papst zueinander seine Darstellung in der Geschichtsschreibung findet. Kann auch hier die breite Quellengrundlage der untersuchten historiographischen Texte überzeugen, so irritiert es doch, dass Johrendt die Positionen des 19. Jahrhunderts immer wieder mit denjenigen der heutigen Forschung abgleicht. Der Ertrag solcher Gegenüberstellungen kann sich nicht erschließen. Grundlegend bereits Erforschtes, dennoch aber einer fokussierten Neusichtung zu Erschließendes nimmt sich zudem Jan Keupp vor, der Friedrich Barbarossa, die Fürsten und das Reich in der historiographischen Rezeption des 19. Jahrhunderts untersucht. Sehr eingängig sind die Begriffe, auf die er die unterschiedlichen Narrative über den Kaiser bringt: Als „Strukturverweigerer“ (S. 209) erscheint er in der vormärzlichen Historiographie, als „Strukturversager“ (S. 217) bei Sybel und den Borussen, als „Strukturbezwinger“ (S. 220) bei Giesebrecht und Droysen.

Der Band schließt mit vier Beiträgen zu den Bewertungen staufischer Politik in Ostmitteleuropa, wie sie in den Historiographien dieses geographischen Raumes ihren Niederschlag gefunden haben. In einer mehr als fünfzigseitigen Studie entfaltet Jürgen Dendorfer, welche narrativen Konstruktionen sich in der deutschsprachigen Forschung des 19. und 20. Jahrhunderts über das lehnrechtliche Verhältnis zwischen Böhmen und dem Reich finden; dabei rückt vor allem der Begründer der böhmische Nationalgeschichtsschreibung, František Palacký, ins Zentrum. Dendorfer zeigt, wie dieser aus nationalpolitischen Gründen zu einer großen Differenziertheit in der Quellenauswertung gezwungen war, um den konkurrierenden deutschböhmischen Narrationen eine Erzählung entgegensetzen zu können, die die lehnrechtliche Bindung Böhmens nicht als Selbstverständlichkeit auswies. Auf nämlichem Terrain bewegt sich Martin Wihoda, der die Genese, Vor- und Wirkungsgeschichte von Palackýs zum Teil bis heute fortgeschriebener Interpretation ausführlich untersucht und dabei auch die topisch-dramaturgischen Elemente dieses Geschichtserzählens beleuchtet, in welchem er „Züge einer antiken Tragödie“ (S. 289) ausmacht. Während die staufische Epoche im tschechischen Kontext schon allein wegen der großen Unterschiede zwischen nationaler und deutschböhmischer Historiographie immer kontrovers bewertet wurde, lässt sich für die polnische Perspektive konstatieren, was bereits Andrzej Pleszczyński für die polnische Geschichtskultur und ihr Desinteresse am preußischen Rotbart festgestellt hatte: In Polen war wenig Anlass zur Kontoverse gegeben. Zbigniew Dalewski zeigt auf, dass die Geschichtsschreibung recht einmütig den Kriegszug Friedrichs I. nach Polen und die Ereignisse von Krzyszkowo des Jahres 1157 als Demütigung Bolesławs IV. Kraushaar interpretierte. Da im Fokus der Betrachtung um den Niedergang der Piasten allerdings die Streitigkeiten der Dynastie standen, entzündeten sich am Kaiser keine Deutungskonflikte. Dies bestätigt Marcin R. Pauk, dessen Betrachtungen zur polnischen Historiographie überdies bis in die Zeit um 2000 fortgeführt werden und so auch die Jahre nach dem politischen Umbruch bis an die Gegenwart heran beleuchten.

Was man mit Blick auf den Sammelband als Ganzen durchaus als Kritik formulieren könnte, das ist am Ende doch seine Stärke: Weniger auf die Breite der öffentlichen, populären, in den unterschiedlichsten Medien dargebotenen Erinnerungskulturen zielt der größere Teil der Beiträge, sondern auf die schriftliche Historiographie im engeren Fokus. Als fachgeschichtlich im besten Sinne lassen sich so viele der Beiträge lesen, und hier bieten die Verfasser fast ausnahmslos überaus kenntnisreiche, dichte Beschreibungen der historiographischen Texte, ihrer Kontexte und Genesen, ihrer Quellenarbeit und ihrer Narrative. Davon profitieren in einer deutschsprachigen Publikation die Beiträge zur deutschen Historiographie, die mit vielen Bekannten (Raumer, Sybel, Ficker, Giesebrecht, Droysen und anderen) aufwarten, diesen „Klassikern“ aber vermittels der benannten thematisch spezifizierten Fragestellungen Neues und neu Umrissenes abgewinnen können. Es profitieren davon in einem deutschsprachigen Sammelband, der sich dergestalt an ein des Polnischen oder Tschechischen nicht mächtiges Publikum wendet, in besonderem Maße aber auch die Beiträge zu den ostmitteleuropäischen Geschichtskulturen. Sie bieten weite Einblicke in die untersuchten nationalgeschichtlich gebundenen Historiographien und ihre kulturellen Kontexte, ohne dass allerdings in diesen Aufsätzen bereits auf eine den (west-)deutschen Verhältnissen vergleichbare, inzwischen lange Tradition und einschlägige Begrifflichkeit der kritischen Durchleuchtung historistischer Geschichtsbildproduktion zurückgegriffen werden könnte. In diesem Sinne bieten sie zumal für die mit den engeren nationalgeschichtlichen Diskursen Ostmitteleuropas nicht vertrauten Leser Grundlagenforschung an. Der europäische Mythos, der Friedrich Barbarossa zweifellos ist, gewinnt so in den Facetten seiner nationalgeschichtlichen Einbindungen die klarsten Konturen.

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