P. Bormann u.a.: Der Bank- und Börsenplatz Essen

Cover
Titel
Der Bank- und Börsenplatz Essen. Von den Anfängen bis zur Gegenwart


Autor(en)
Bormann, Patrick; Scholtyseck, Joachim
Erschienen
München 2018: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
576 S., 120 Abb.
Preis
€ 39,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Korinna Schönhärl, Historisches Seminar, Goethe-Universität Frankfurt

1865: Essener Börse eröffnet (S. 64)! 1921: Essener Bankiers ermöglichen Kauf der Sammlung Folkwang (S. 141)! 1969: Howard Carpendale gibt Autogramme in der Sparkasse Essen (S. 416)! 1977: RAF überfällt National-Bank in Rüttenscheid (S. 422)!

Die Essener Bankgeschichte ist bewegt. Das vorliegende Werk zeichnet auf einer breiten Basis bisher kaum genutzter Quellenbestände die Geschichte des Bank- und Börsenplatzes von seinen Anfängen in den 1810er-Jahren, als Essen eine ländliche Kleinstadt mit ca. 3.500 Einwohnern war, bis in die Gegenwart nach, und reiht sich somit in die Untersuchungen anderer Finanzplätze in Deutschland und international ein, die in den letzten Jahren entstanden sind.1 Methodischer Ausgangspunkt ist eine Definition des Begriffs „Bankplatz“, der weniger „im geografischen Sinn, sondern eher im übertragenen“ zu verstehen sei (S. 17). Hier hätte man sich eine klarere Begriffsdefinition und -operationalisierung gewünscht, geht es im Folgenden doch gerade um die Konzentration des Bankgewerbes auf engstem Essener Raum, wobei die Nähe zum Kunden von großer Bedeutung war und ist.

Die Studie ist chronologisch aufgebaut. Anfangs, d.h. seit der Gründung des Bankhauses T.C. Sprenger im Jahr 1814, war das Bankgewerbe im Handel verwurzelt; im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden dann die Montan- und Schwerindustrie als Kunden immer wichtiger, die sich die nötigen Investitionsmittel anfangs von außerhalb des Ruhrgebiets beschaffen musste, bevor innerhalb der Stadt, teilweise von den Industriellen initiiert, entsprechende Institute gegründet wurden. Zunächst waren dies vor allem Privatbanken wie die 1841 ins Leben gerufene Simon Hirschland Bank. Im gleichen Jahr wurde aber auch die erste Essener Sparkasse gegründet, zu der sich später zahlreiche Genossenschaftsbanken gesellten. 1855/1865 eröffnete in Essen dann eine eigene Börse, die sich auf den Handel mit Bergwerksbeteiligungen spezialisierte und bis in die 1930er-Jahre bestand.

Seit der Reichsgründung und verstärkt nach der Jahrhundertwende versuchten auch die Berliner Großbanken im Ruhrgebiet Fuß zu fassen. Die Essener Banklandschaft verbreiterte und differenzierte sich zunehmend. Diese Entwicklung verfolgen Bormann und Scholtyseck durch die Weimarer Republik, die Zeit des Nationalsozialismus mit ihren zahlreichen Bank-Arisierungen, die junge Bundesrepublik mit Konzentration der Banken, Strukturwandel, neuen Werbetechniken und Digitalisierung bis zum wiedervereinigten Deutschland und der Subprime-Krise der 2000er-Jahre. Die Auswirkungen der technischen und globalwirtschaftlichen Veränderungen vor Ort in Essen stehen dabei jeweils im Zentrum des Interesses, ebenso wie die Lage und Architektur der Bankgebäude. Für jeden größeren Zeitblock (Anfänge 1800-1870, Deutsches Kaiserreich, Inflationszeit, Weimarer Republik, Weltwirtschaftskrise, „Drittes Reich“, seit 1945) werden die unterschiedlichen Typen von Banken der Reihe nach abgearbeitet. Im abschließenden „Ausblick“ kommt auch Thomas Lange, der Initiator des Werkes und Vorstandsvorsitzender der das Forschungsprojekt finanzierenden National-Bank AG, mit seinem Lob der „regional tätige[n], mittelständisch geprägte[n] und vor allem nicht systemrelevante[n] Institute“ (S. 450) zu Wort.

Die Essener Wirtschaft ist mehr als Krupp: Der/die Essener/in erfährt viel Wissenswertes über prägende Persönlichkeiten der Stadtgeschichte: über Simon Hirschland als Gründer jener ersten bedeutenden Privatbank, die in den 1930er-Jahren arisiert wurde, und an den seit den 1970ern der Essener Hirschland-Platz erinnert (S. 41-46, 308); über den risikobereiten Unternehmer Friedrich Grillo als Mitbegründer der Essener Credit-Anstalt und Stifter des Grillo-Theaters (S. 71ff., 140); über Otto Huyssen, Angehörigen einer Unternehmerfamilie, deren Namen in einem Krankenhaus und einer Allee weiterlebt (S. 75f.). Neben diesen für die Essener Identität wichtigen Bankiers werden aber auch zahlreiche kleinere Bankhäuser vorgestellt, die nur einige Jahre oder Jahrzehnte bestanden, und auch die Bewegungen des Filialnetzes der Banken, das sich stark veränderte, wird nachgezeichnet. Bormann und Scholtyseck kommen zu dem Ergebnis, dass der Finanzplatz Essen zwar nicht von nationaler, aber doch von die lokale Ebene überschreitender regionaler Bedeutung war.

Die sorgfältige und quellengesättigte Arbeitsweise macht das Buch zu einem wichtigen Nachschlagewerk für den Forscher und den interessierten Laien. Um dieser Funktion willen ist es allerdings schade, dass nicht alle genannten Persönlichkeiten auch ins Register aufgenommen wurden. Die durchgehende Lektüre wird durch den manchmal fast lexikalischen, um Vollständigkeit mehr als um ein kohärentes Narrativ bemühten Charakter erschwert und erfordert Durchhaltevermögen, auch wenn der Text durch originelles und interessantes Bildmaterial aufgelockert wird. Als roten Faden hätte man noch stärker die andauernde Suche potentieller Investoren nach neuen Marktnischen des Finanzmarktes herausarbeiten können, deren Vergehen nach einiger Zeit dann auch das Verschwinden bestimmter Institute zur Folge hatte – wenn nicht Missmanagement oder die Politik die Ursache von Liquidationen waren. Es bleibt zu hoffen, dass die Essener Stadthistoriker/innen genug Lesegeduld aufbringen, um die Stadt künftig stärker auch als Finanzstandort beschreiben zu können. Ob dies allerdings ausschließlich in der Form einer stark von der „neoliberalen“ Perspektive dominierten Erfolgsgeschichte sinnvoll ist („Strukturwandel des Bankgewerbes und Finanzmarktkrisen haben den Bankplatz Essen also offenbar nur weiter gestärkt.“, S. 452), sollte angesichts von skandalträchtigen Krisen wie derjenigen der WestLB seit 2007 (S. 350, 434) in Frage gestellt werden.

Anmerkung:
1 Youssef Cassis, Metropolen des Kapitals: Die Geschichte der internationalen Finanzzentren 1780 – 2005, Hamburg 2007; Christoph Maria Merki (Hrsg.), Europas Finanzzentren: Geschichte und Bedeutung im 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main 2005, als zwei Beispiele unter vielen.

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