M. Friedrich, A. Schunka (Hrsg.): Reporting Christian Missions

Titel
Reporting Christian Missions in the Eighteenth Century. Communication, Culture of Knowledge and Regular Publication in a Cross-Confessional Perspective


Herausgeber
Friedrich, Markus; Schunka, Alexander
Reihe
Jabloniana. Quellen und Forschungen zur Europäischen Kultugeschichte 8
Erschienen
Wiesbaden 2017: Harrassowitz Verlag
Anzahl Seiten
196 S.
Preis
€ 49,12
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Dorfner, Historisches Institut, RWTH Aachen

Auf dem europäischen Publizistikmarkt reüssierte im 18. Jahrhundert ein neues Genre: das Missionsjournal. Katholische Orden, anglikanische Missionsgesellschaften, aber auch kleinere pietistische Bewegungen wie die Herrnhuter Brüdergemeine gründeten solche Periodika, um über ihre außereuropäischen Missionsaktivitäten zu berichten. Zugleich boten diese Journale vielfältige ethnographische Informationen und warben bei ihrer Leserschaft um Spenden. Obwohl von der Missionsforschung seit geraumer Zeit als Quellen verwendet, wurde dieses Genre an sich bisher kaum in den Blick genommen.1 Es ist daher überaus erfreulich, dass Markus Friedrich und Alexander Schunka den Missionsjournalen des 18. Jahrhunderts einen Sammelband widmen und dezidiert nach den „editing procedures, […] institutional backgrounds and organizational structures, their (contested) role within the missionary enterprise and, last but not least, the individual authors“ fragen (S. 13). Der Band ging zwar aus einer interdisziplinären Tagung hervor, die bereits 2008 in Frankfurt stattfand, tatsächlich bestehen die angesprochenen Forschungsdesiderate jedoch ein Jahrzehnt später unverändert fort.

Die Anthropologin Iris Gareis widmet sich in ihrem Beitrag, der Keynote-Charakter hat, Missionsberichten des 16. Jahrhunderts aus Lateinamerika und legt dar, welch große Bedeutung diese für die moderne ethnographische Erforschung kolonisierter, z.T. ausgestorbener Völker haben. Indem Gareis zeitgenössische Praktiken der Informationsgewinnung analysiert, wird deutlich, wie sehr Missionare wie Bernardino de Sahagún (um 1500–1590) bemüht waren, valide Informationen zu erhalten. Zugleich warnt Gareis jedoch vor blinden Flecken: Einerseits hätten Missionare besonders das Wissen der indigenen Eliten reproduziert, andererseits habe der hohe Formalisierungsgrad bestimmter Arten von Berichten, beispielsweise der jesuitischen „cartas annuas“, wenig Spielraum für individuelle Ausführungen gelassen.

Der erste große Themenblock mit drei Aufsätzen widmet sich jesuitischen Missionsjournalen. Im Zentrum des Beitrags von Markus Friedrich stehen die „Nouveaux Mémoires de la Compagnie de Jésus dans le Levant“ (1715–1755). Die insgesamt neun Bände enthalten unterschiedliche Textgattungen (Briefe, Reisebeschreibungen, Dissertationen, etc.). Friedrich analysiert kenntnisreich die redaktionellen Praktiken des in Paris lebenden Herausgebers Thomas Charles Fleuriau (1651–1735). Dieser sei – wie auch andere Jesuiten in europäischen Großstädten – „skeptical regarding both the style and the content of the missionaries‘ manuscripts“ (S. 47) gewesen und habe folglich nicht nur stilistisch eingegriffen, sondern aus verschiedenen Manuskripten neue Beiträge kompiliert. Fleuriaus Ziel war es, durch diesen kollaborativen Schreibprozess Beiträge zu schaffen, die den Lesegewohnheiten des heterogenen (groß-)städtischen Publikums entsprachen und zugleich ein ausreichendes Maß an sozialer Schätzung für die Patrone am französischen Hof übermittelten.2 Die Missionare wiederum begrüßten zwar Fleuriaus stilistische Korrekturen, nahmen an seinem „creative editing“ jedoch massiv Anstoß (S. 48).

Im Pariser Collège Louis-le-Grand entstanden die 34 Bände der von Adrien Paschoud untersuchten „Lettres édifiantes et curieuses“ (1702–1776). Anders als die „Nouveaux Mémoires“ präsentieren sie die Missionsaktivitäten des Ordens in globaler Perspektive. Paschoud betont mit Blick auf den Journaltitel treffend, dass die unterschiedlichen erbaulich-topischen Texte (darunter nicht nur Briefe) über den Arbeitseifer der Missionare und die zahlreichen Konversionen dazu dienten, die Leser zum Lobpreis Gottes zu bewegen und die katholische Lehre zu verteidigen. Zugleich boten die „Lettres“ der europäischen Gelehrtenrepublik umfangreiches ethnographisches Material und Naturbeschreibungen. Eine klare Dichotomie – Exempla für die gewöhnlichen Leser, „scientific data“ für die Gelehrten – relativiert Paschoud zu Recht. Pointierter äußerte sich dazu freilich unlängst Girolamo Imbruglia: „The proof of God required for the edification arose out of curiosity. It was an ‘apologétique populaire de l´admiration’, deriving from the description of new natural worlds that were being depicted“.3

Galaxis B. Gonzáles und Ulrike Strasser beleuchten die erste deutschsprachige Missionszeitschrift, den von Joseph Stöcklein SJ gegründeten „Neuen Welt-Bott“ (1726–1761). Sie betonen treffend, der „Welt-Bott“ sei in katholischen wie protestantischen Regionen des Alten Reiches gelesen worden und habe dazu beigetragen, dass die koloniale Ordnung auch im Reich zu einem gesellschaftlichen Paradigma wurde. Die weitreichende These der Autorinnen zum „German Community-Building“ (S. 88–92) überzeugt hingegen nicht: Sie behaupten, den deutschen Leser/innen sei durch die Lektüre „a world populated by Germans who were both missionaries and also global representatives of German culture and language“ begegnet (S. 88). Bei zahlreichen Briefen im „Welt-Bott“ firmieren jedoch nicht-deutsche, d.h. französische, italienische oder osteuropäische Jesuiten als Autoren (z.B. Joachim Bouvet, Jean-Baptiste Du Halde, Abraham Le Royer etc.), deren Namen deutlich sichtbar abgedruckt sind.4 Besonders die große Zahl französischer Beiträger verwundert nicht, hatte Stöcklein doch – wie die Autorinnen selbst betonen – Briefe aus den „Lettres édifiantes et curieuses“ übernommen und übersetzt (S. 75). Stöcklein präsentierte seiner Leserschaft mitnichten „German heroes“ (S. 89), sondern jesuitische Helden unterschiedlichster Herkunft, weshalb der postulierte Beitrag des „Welt-Bott“ zur zeitgenössischen Debatte „what it meant to be German“ (S. 90) für den Rezensenten nicht ersichtlich ist.

Der zweite Themenblock fokussiert auf die anglikanische Missionspublizistik des 18. Jahrhunderts. Alexander Pyrges widmet sich der 1698 gegründeten „Society for Promoting Christian Knowledge“ (SPCK) und betont, wie umfangreich deren Publikationsaktivitäten gewesen seien. Neben dem „reporting“ der SPCK geht es auch weitläufig um deren Maßnahmen zur Unterstützung der Salzburger Protestanten oder der Kolonie Ebenezer (S. 108f.). Spannende Befunde, etwa dass die Londoner Redakteure „incoming material, stored data, and accessible information“ benutzten, um eigene Beiträge zu schaffen, werden indes nur en passant erwähnt (S. 102).

Jeremy Gregory analysiert die seit 1702 im Kreis der „Anglican Society for the Propagation of the Gospel in Foreign Parts“ (SPG) gehaltenen und anschließend publizierten Predigten. Diese hätten von Anfang an vor allem dazu gedient, (finanzielle) Unterstützung für die Mission zu generieren. In den folgenden Jahrzehnten habe die SPG eine „culture of transparancy“ (S. 123) etabliert, indem sie umfangreiche Nachweise über Finanzwesen und Verbreitung der Missionare publizierte. Die Missionare wiederum wurden von der SPG angehalten, halbjährlich Berichte zu verfassen, deren Inhalte partiell und in modifizierter Form in die Predigten einflossen.

Der dritte Themenblock zu pietistischen Missionsjournalen und -berichten umfasst ebenfalls zwei Beiträge. Heike Liebau untersucht Inhalt und Verbreitung der „Halleschen Berichte“ (1710–1760) bzw. der „Neuen Halleschen Berichte“ (1760–1848) und präsentiert anschaulich deren Spezifika: Die Beiträge wurden nicht nur von den (zumeist hochgebildeten) Hallenser Missionaren, sondern auch von indischen Pastoren und Missionshelfer/innen verfasst. Mit Blick auf die enthaltenen Textgattungen konstatiert sie, dass Auszüge aus Diarien und Tageregistern, sei es von Einzelpersonen, Gruppen oder Missionsstationen, den größten Raum einnehmen. Deutlich wird, dass dies im Zusammenhang mit dem hohen Stellenwert zu sehen ist, den Pietisten dem Tagebuch als Mittel zur Selbstbeobachtung und -erziehung beimaßen.5

Am signifikantesten unterscheiden sich die „Gemeinnachrichten“ der Herrnhuter Brüdergemeine von der Missionspublizistik katholischer bzw. anglikanischer Provenienz. Gisela Mettele zeigt, dass die „Gemeinnachrichten“ als Abschriften von 1747 bis 1817 ausschließlich im direkten Umfeld der Brüdergemeine zirkulierten und keinesfalls in die Hände von Kritikern fallen sollten, die es Mitte des 18. Jahrhunderts in großer Zahl gab.6 Anschließend analysiert die Autorin anschaulich die Zirkulationswege sowie die Praktiken des Verlesens und betont, die „Gemeinnachrichten“ hätten dazu gedient, „to ensure the group‘s uniform development“ (S. 151). Da die vielfältigen Missionsaktivitäten in der Atlantischen Welt sehr kostenintensiv waren, kam die Brüdergemeine letztlich jedoch nicht umhin, 1790 mit den „Periodical Accounts“ ein Missionsjournal zu etablieren, das auf ein breiteres Publikum und dessen Spendenbereitschaft zielte.

Der Sammelband wird abgerundet durch Alexander Schunka, der in seinem Aufsatz herausarbeitet, dass auch protestantische Periodika wie die „Unschuldige[n] Nachrichten“ oder die „Acta Historico-Ecclesiastica“ in signifikantem Umfang Missionsaktivitäten thematisierten. Schunkas Hypothese, wonach beide Seiten – die Herausgeber sowie die Missionsgesellschaften – von den Beiträgen profitierten, leuchtet ein. Während Herausgeber die zeitgenössische „fascination with exotic places and people“ bedienen konnten, waren die Beiträge überaus geeignet, Unterstützer und Kapital für die Missionsgesellschaften zu erzeugen (S. 180).

Der gelungene Sammelband führt anschaulich die zahlreichen Gemeinsamkeiten der europäischen Missionsjournale des 18. Jahrhunderts – angefangen bei den Funktionen bis hin zu den narrativen Strategien – vor Augen. Die bedeutendste Gemeinsamkeit ist zweifelsohne, dass die in den Journalen publizierten Texte oftmals in einem kollaborativen Schreibprozess entstanden sind. Der Einfluss der in den europäischen Haupt- und Residenzstädten lebenden Herausgeber, die Manuskripte grundlegend redigierten bzw. aus verschiedenen Manuskripten eigenmächtig neue Texte kompilierten, kann nur schwerlich unterschätzt werden. Entsprechend wird die Missions- sowie die Wissensgeschichte in Zukunft nicht umhinkönnen, die Frage der Autorschaft bei gedruckten Missionsberichten grundlegend zu problematisieren.

Anmerkungen:
1 Eine der wenigen Ausnahmen ist der Aufsatz von Anne-Charlott Trepp, „Daher entsteht so viel naturhistorisches Unheil“. Wissens- und Kulturtransfer zwischen Indien und Europa: Die Halleschen Missionsberichte, in: Andreas Beck / Nicola Kaminski (Hrsg.), Literatur der Frühen Neuzeit und ihre kulturellen Kontexte, Frankfurt am Main 2012, S. 229–255.
2 Die Kommunikationsforschung betont seit geraumer Zeit, dass Briefeschreiben in der Frühen Neuzeit häufig ein „collaborative process“ gewesen sei. Vgl. James Daybell, The Material Letter in England. Manuscript Letters and the Culture and Practices of Letter-Writing, 1512–1635, Basingstoke 2012, S. 73–84.
3 Girolamo Imbruglia, The Jesuit Missions of Paraguay and a Cultural History of Utopia (1568–1789), Leiden 2017, S. 117.
4 Siehe exemplarisch Neuer Welt-Bott, Teil 6, Augsburg/Graz 1726, S. 6–21; sowie Neuer Welt-Bott, Teil 13, Augsburg/Graz 1729, S. 1–47.
5 Zu den Tagebuchpraktiken von John Wesley siehe John P. Heitzenrater, John Wesley und der frühe Methodismus, Göttingen 2007, S. 74–77.
6 Zur Fremdwahrnehmung der Herrnhuter Brüdergemeine siehe demnächst Thomas Dorfner, Von „bösen Sektieren“ zu „fleißigen Fabrikanten“. Zum Wahrnehmungswandel der Herrnhuter Brüdergemeine im Kontext kameralistischer Peuplierungspolitk (ca. 1750-1800), in: Zeitschrift für Historische Forschung 45/2 (2018).