Cover
Titel
Fundamentalist U. Keeping the Faith in American Higher Education


Autor(en)
Laats, Adam
Erschienen
Anzahl Seiten
X, 348 S.
Preis
£ 21.99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefanie Coché, Justus-Liebig-Universität Gießen

Für Debatten um das deutsche Hochschulsystem bildet das amerikanische Universitätssystem einen zentralen Referenzpunkt. So wurde zum Beispiel die Exzellenzinitiative auch deshalb lanciert, um international sichtbare „Leuchttürme“ nach dem Vorbild der amerikanischen Spitzenuniversitäten zu schaffen. Dabei gerät leicht aus dem Blick, dass sich die amerikanische Universitätslandschaft gerade durch ihre Vielfalt sowohl hinsichtlich der Qualität als auch in ihrer Ausrichtung auszeichnet. Als amerikanisches Phänomen par excellence darf die große Zahl konservativ-protestantischer Colleges und Universitäten in den USA gelten, denen sich Adam Laats in seiner Studie „Fundamentalist U“ nun erstmals intensiv widmet.1 Zugleich ist Laats damit der erste Wissenschaftler, der sich mit diesem Segment des Hochschulsektors beschäftigt, ohne selbst aus einem neo-evangelikalen Milieu zu stammen.

Adam Laats` eingangs postuliertes Erkenntnisinteresse ist stark kulturgeschichtlich geprägt: Er fragt nach der Bedeutungs- und Erfahrungsebene für die Studierenden, aber auch der Mitarbeiter und der weiteren religiösen community: „Colleges are not only about classroom education or professional preperation. They are a dream, a fantasy sometimes“ (S. 2). Zugleich folgt seine Quellenauswahl jedoch einem institutionengeschichtlichen Zugang, der dem Buch sehr zugutekommt. Laats Studie basiert maßgeblich auf der Auswertung von Archivalien aus sechs Institutionen: Wheaton College in Illinois, Bob Jones University in South Carolina, Biola University in California, Gordon College in Massachusetts, Liberty University in Virginia and Moody Bible Institute in Chicago. Alle Einrichtungen verstehen sich als überdenominal. Das bedeutet, keine der jeweiligen Institutionen fühlt sich einer bestimmten Denomination verpflichtet, etwa Baptisten oder Methodisten. Diese Auswahl überzeugt, da die zahlreichen amerikanischen Denominationen sich nicht einfach größeren ideologischen Strömungen zuordnen lassen, denn der zu Beginn des 20. Jahrhunderts ausgebrochene und über Jahrzehnte anhaltende Streit über die Ausrichtung des Protestantismus tobte lange innerhalb der Denominationen selbst. Will man also konsequent fundamentalistische und neo-evangelikale Einrichtungen anschauen, kann man sich nicht an den Denominationen orientieren. Die Colleges und Universitäten, die hier ins Auge gefasst werden, bilden seit den 1920er-Jahren „a network of interdenominational conservative evangelical colleges and universities that has played an outsized role in culture, religion and politics“ (S. 2).

Das Buch verfolgt drei verschiedene Narrative, die in den neun Kapiteln meist eng miteinander verflochten sind. Erstens wird die Institutionalisierung und der Wandel protestantisch-konservativer Bildungseinrichtungen analysiert. Spätestens mit der Entstehung der modernen research university zwischen 1870 und 1920 wurden auch die letzten der überwiegend religiösen amerikanischen Universitätsgründungen säkularisiert. Vor diesem Hintergrund wollten protestantisch-konservative Familien ihren Kindern ein Collegeumfeld bieten, das sie von aus ihrer Sicht gefährlichen wissenschaftlichen Entwicklungen fernhielt und sie in ihrem Glauben bestärkte. Hierfür boten sich zum einen Wheaton College oder das Moody Bible Institute an, beide bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegründet und einige der wenigen Colleges, die in konservativer Hand blieben. Zum anderen kamen neue Gründungen in Frage, wie das 1927 gegründete Bob Jones College. Bis in die 1940er- und 1950er-Jahre waren viele dieser Bildungseinrichtungen nicht akkreditiert und boten auch oft keine mit anderen Universitäten vergleichbaren Abschlüsse an. Für etwa drei Jahrzehnte bildeten sie daher einen mehr oder weniger separaten Kosmos. Schon nach der Weltwirtschaftskrise begannen die Studierenden allerdings nach akkreditierten Studiengängen und vergleichbaren Abschlüssen zu verlangen, um ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Begünstigt durch das GI Bill erlebten die evangelikalen Colleges nach dem Zweiten Weltkrieg einen Ansturm an Studierenden und der Wunsch nach offizieller Anerkennung der Studienabschlüsse gewann an Virulenz. Die Leitungen versuchten diesem Anliegen nachzukommen: Bible Institutes wurden in Colleges umgewandelt und Colleges, zum Beispiel Bob Jones, in Universitäten. Bob Jones University war die einzige Institution, die sich langfristig entschied, jede Art von Akkreditierung als unvereinbar mit ihren theologischen Grundprinzipien zu verstehen (S. 131–138).2 Die meisten evangelikalen Einrichtungen scheuten keine Mühen, um akkreditiert zu werden. Damit begaben sie sich in ein anhaltendes Spannungsfeld zwischen Sorge um Rechtgläubigkeit auf ihrem Campus und in ihren Curricula sowie dem Druck, sich um den Nachweis von Wissenschaftlichkeit zu bemühen.

Diese Gratwanderung zeigt Laats, zweitens, besonders eindrücklich am Umgang mit dem heiklen Thema Evolutionstheorie. Kapitel 9 schildert dies exemplarisch an der Entlassung des evangelikalen Biologen Russel Mixter in Wheaton zu Beginn der 1960er-Jahre. Mixter hatte in den 1940er- und 1950er-Jahren mit Wissen der Universitätsleitung die Auffassung vertreten, „that true evangelical thinking must include room for mainstream scientific ideas about the evolutionary ways in which species developed“ (S. 247). Er war ein prominenter Vertreter der „progressive creation“ und lehrte, dass zwar jede neue Spezies durch direkte göttliche Intervention ins Leben gerufen werde, anschließend jedoch der natürlichen Selektion unterliege. Nachdem Mixter 1959 einen in diesem Tenor verfassten Tagungsband herausgegeben hatte, zweifelten Vertreter des fundamentalistischen Lagers Wheatons Rechtgläubigkeit an. Dies war ein herber Schlag für Wheaton. Da sich Wheaton als „new-evangelical“ und somit als versöhnlicher gegenüber dem amerikanischen Mainstream verstand, musste er gerade deswegen ständig auf der Hut sein, nicht als zu liberal zu gelten. Das College entzog Mixter seine Unterstützung und setzte damit auch dem Versuch ein Ende, säkulare Wissensbestände mit der christlichen Schöpfungsgeschichte zu vereinen. Maßgeblich für diese Entscheidung waren Grabenkämpfe innerhalb des konservativ-protestantischen Milieus. Das Zurückrudern Wheatons als flagship-Institution der „new evangelicals“ führte allerdings nicht zu neuer Einheit im fundamentalistisch-evangelikaklen Collegesektor – im Gegenteil nahmen die fundamentalistischen Abgrenzungsversuche unter Federführung der Bob Jones University in den 1970er-Jahren weiter zu (Kap. 5). Somit markierte Wheatons Entscheidung eine weitere Abkehr auch der Evangelikalen vom wissenschaftlichen Mainstream.

Ebenfalls um die Mitte des 20. Jahrhunderts veränderte sich, und dies ist der dritte Erzählstrang, auch die Collegeerfahrung der Studierenden. Der Collegebesuch blieb für Jugendliche aus evangelikalen Kreisen, insbesondere für junge Frauen, im gesamten 20. Jahrhundert eine attraktive Möglichkeit, einen passenden Heiratskandidaten zu finden. Wie „frei“ diese Suche verlief änderte sich in zweierlei Hinsicht. Zum einen beschreibt Laats, dass die ohnehin strengen Datingregeln in den 1940er-Jahren noch einmal deutlich verschärft wurden (Kap. 4). Leider bietet er keine Erklärung, warum die Colleges gerade zu dieser Zeit versuchten, den Umgang zwischen Männern und Frauen – Homosexualität wurden gar nicht thematisiert, aber „relentlessily persecuted“ (S. 118) – noch akribischer zu regeln. In den 1960er- und 1970er-Jahren entwickelte sich dieser stark reglementierte Umgang dann wenig verblüffend zu einem attraktiven Gegenpol zu den Freiheiten, die Studierende an den mainstream Universitäten einforderten: „In many ways, the evangelical sixties were far more `evangelical` than they were `sixties`.“ (S. 191).

Zum anderen stellt Laats in seiner Analyse fest, dass das Netzwerk fundamentalistischer und evangelikaler Colleges ein kompliziertes Verhältnis zum Rassismus hatte. Ältere evangelikale Colleges konnten meist auf eine anti-rassistische Tradition zurückblicken, die durchaus prägend war: So erlaubte zum Beispiel das Moody Bible Institute bis in die 1940er-Jahre „interracial dating“. Trotzdem entwickelten sich einige fundamentalistische Einrichtungen mit der Bob Jones University an der Spitze zu einem Bollwerk der segregation (Kap. 8). Aber auch hier arbeitet Laats die anhaltenden konfligierenden Momente am Beispiel des zwiegespaltenen Umgangs des fundamentalistisch-evangelikalen Collegenetzwerks mit dem „Christian day school movement“ der 1970er-Jahre heraus. Das „Christian day school movement“, ein Verbund notorisch rassistischer Einrichtungen, die sich der desegregation an Amerikas Schulen entgegensetzen, fand, dass die Lehrerausbildung an evangelikalen Hochschulen zu sehr auf den säkularen öffentlichen Schulsektor ausgerichtet war. Zwar wollten einige Colleges das „Christian day school movement“ unterstützen, aber keinesfalls zu dem Preis, ihre mühsam erkämpfte Akkreditierung als Ausbildungsstätten für öffentliche Schulen aufzugeben.

Insgesamt erscheint die starke Einbeziehung institutionengeschichtlicher und wissenschaftsgeschichtlicher Perspektiven nach der Lektüre der Einleitung überraschend, entpuppt sich aber dennoch als äußerst fruchtbar. Laats übertrifft seinen eingangs formulierten kulturwissenschaftlichen Anspruch, indem er nicht nur die Resistenz, sondern auch das Wachstum des fundamentalistischen Hochschulsektors sowie seinen spezifischen Umgang mit säkularer Wissenschaftlichkeit herausarbeitet. Auf diese Weise gelingt es ihm, das etablierte Narrativ eines politischen Comebacks der Evangelikalen in den 1980er-Jahren zu hinterfragen: „At institutions of higher education, certainly, fundamentalists and evangelicals had never retreated from political involvement“ (S. 242). Die Analyse der evangelikalen Collegelandschaft zeigt zugleich, dass wegweisende Verschiebungen innerhalb des fundamentalistisch-evangelikalen Feldes bereits in der Mitte des 20. Jahrhunderts stattfanden. Zwar ist das angespannte Verhältnis zwischen Fundamentalisten und Evangelikalen in dieser Zeit gut erforscht.3 Laats Buch führt jedoch zu der verblüffenden Erkenntnis, dass die anhaltenden Querelen nicht nur zu einer größeren Kluft zwischen Fundamentalisten und Evangelikalen führten. Vielmehr zwangen sie in einigen Aspekten auch den eigentlich mainstream-affineren evangelikalen Flügel zu einem Rückzug auf konservativere Positionen – wie im bereits geschilderten Falle der evangelikalen Anpassung an fundamentalistische Auffassungen zur Evolutionstheorie. Damit wird erstmals beleuchtet, welche Konsequenzen die Spaltungen innerhalb des protestantisch-konservativen Milieus für die Neuverortung der Evangelikalen hatten: Sie setzte dem evangelikalen Flirt mit wissenschaftlichem Mainstreampositionen enge Grenzen.

Indem Laats die Spannungen im fundamentalistisch-evangelikalen Collegesektor analysiert, leistet er somit zugleich einen innovativen Beitrag, um die Verhärtung der Fronten zwischen amerikanischem „Mainstream“ und protestantisch-konservativen Kreisen tiefgreifender zu erklären. Darüber hinaus regt die Lektüre des Buchs auch zu weiteren Fragen an: In „Fundamentalist U“ wird das Interesse an offizieller Akkreditierung und wissenschaftlicher Anerkennung ebenso herausgearbeitet wie die essentielle Bedeutung der Wahrung fundamentalistischer Grundprämissen. Angesichts dessen stellt sich für zahlreiche Fächer die Frage, wie die Curricula diesen Widerspruch eigentlich vereinten und was das nicht nur für das christliche Selbstverständnis, sondern vor allem für das Verständnis von Wissenschaft und Gesellschaft ihrer zahlreichen Studierenden bedeutete.

Anmerkungen:
1 Die zahlreichen in den letzten Jahren erschienen Überblickswerke und Einzelstudien zur US-amerikanischen Universitätslandschaft blenden konservativ-christliche Colleges im 20. Jahrhundert aus, siehe u.a.: James Axtell, Wisdom’s Workshop. The Rise of the Modern University, Princeton 2016; Roger L. Geiger, The History of American Higher Education. Learning and Culture from the Founding to World War II, Princeton 2014, John W. Boyer, The University of Chicago. A History, Chicago 2015. Lediglich George Marsden hat bereits 1987 eine Institutionengeschichte des Fuller Theological Seminary aus inner-evangelikaler Perspektive vorgelegt und Bethany Moreton`s einschlägige Studie behandelt auch business Studiengänge an evangelikalen Einrichtungen: George Marsden, Reforming Fundamentalism. Fuller Seminary and the New Evangelicalism, Grands Rapids 1987; Bethany Moreton, To Serve God and Walmart. The Making of Christian Free Enterprise, Cambridge 2010.
2 Mit dem Beginn des 21. Jahrhunderts gab jedoch auch die BJO ihren Widerstand gegen Akkreditierung auf.
3 U.a.: Jon R. Stone, On the Boundaries of American Evangelicalism. The Postwar Evangelical Coalition, Basingstoke 1997.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch