R. Mills: The Politics of Football in Yugoslavia

Cover
Titel
The Politics of Football in Yugoslavia. Sport, Nationalism and the State


Autor(en)
Mills, Richard
Reihe
International Library of Twentieth Century History 95
Erschienen
London 2018: I.B. Tauris
Anzahl Seiten
XXVI, 390 S.
Preis
€ 86,39; £ 75.00; $ 125.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Blasius, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Rund ein Vierteljahrhundert nach Jugoslawiens gewaltsamer Zerstörung hat der zweite Platz Kroatiens bei der Fußball-WM 2018 den Blick kürzlich erneut auf diesen Raum gelenkt, in dem der Sport im 20. Jahrhundert überaus populär und gesellschaftlich bedeutend gewesen ist. Dabei war und ist er oft hoch politisiert, wie die Rolle „kosovarischer“ Akteure der Schweiz im Spiel gegen Serbien zeigte. Dazu passend legt Richard Mills (University of East Anglia), ein Hauptprotagonist der wachsenden Forschung zu Fußball und Sport in Jugoslawien, die erste Monographie zum Thema überhaupt vor.1 Von 1919 bis Mitte der 1990er-Jahre spricht er zahlreiche Aspekte des komplexen und von Widersprüchlichkeiten geprägten Themas an, der Fokus liegt aber auf dem nationalen Vereinsfußball in Bezug zu Politik, Nationalismus und Konflikt. So geht es um die vielgestaltigen und ambivalenten (national-)politischen Funktionen des Fußballs zwischen Sozialismus und Nationalismus, wobei das Spiel Staaten und Ideologien „sowohl förderte als auch zu zerstören half“ (S. 1). Dabei zeigt Mills, wie tief es tatsächlich „in die Geschichte Jugoslawiens eingeprägt“ ist (S. 311).

Die Kapitel zum Königreich bis 1941, dem Zweiten Weltkrieg und dem sozialistischen Aufbau bis 1948 verdeutlichen die frühe politische Ambiguität des wachsend populären Fußballs und seine baldige kommunistische Indienstnahme. Der „bürgerliche“ Spitzensport der Zwischenkriegszeit war so vom serbisch-kroatischen Gegensatz geprägt, der Arbeiterfußball oft der KP verbunden. Im Zweiten Weltkrieg instrumentalisierten Besatzer, Kollaborateure und vor allem die Partisanen den Fußball, der früh eine „revolutionäre“ Rolle besaß. Sportliches Symbol ihres Kampfes war das Topteam Hajduk Split. Nach der kommunistischen Machtübernahme sah der Fußball seine „eigene Revolution“ (S. 71), neue Clubs wie Partizan Belgrad, föderale Wettbewerbe und Strukturen halfen beim „mapping der ‚imagined communities‘“ des neuen multinationalen Staates (S. 94). Von Beginn an gab es aber Schattenseiten, so Gewalt auf und abseits des Felds oder eben nationalistische Äußerungen.

Fußball stand „an der Spitze der Diplomatie“ (S. 100) als Jugoslawien seinen blockfreien „Dritten Weg“ betrat, etwa bei der Sommerolympiade 1952 gegen die UdSSR, und hielt jahrzehntelang durch ständige Referenzen „die Revolution lebendig“ (S. 136), so noch bei Titos Tod 1980. In der sportlichen Hochphase bis Mitte der 1960er- und den „langen“ 1970er-Jahren prägte aber auch die im Selbstverwaltungssozialismus durch Dezentralisierung und ökonomische Liberalisierung mögliche „Industrie“ Fußball (S. 2) das Bild mit: Spieler wurden Stars, der illegale Professionalismus war ein offenes Geheimnis, ebenso illegale Finanzierung, Korruption, Manipulation, Gewalt und Nationalismus. Die Partei – in Gestalt einzelner Funktionäre nicht selten selbst involviert – und der Verband griffen immer wieder ein und setzten nach Einführung des Profifußballs Ende der 1960er-Jahre dort die Selbstverwaltung um, was lokale und persönliche Interessen allerdings nur noch stärker begünstigte. Reale Veränderungen zum Besseren gab es kaum.

Vier Kapitel betrachten dann den Staatszerfall samt Vorgeschichte. Nach Tito geriet Jugoslawien vollends in die Krise – ökonomisch und durch Dezentralisierung und wachsende Nationalisierung von Konflikten auch politisch. Fußball verlor derweil durch große Skandale weiter an Ansehen, Reformforderungen verhallten „systemisch“ (S. 167). Auch dem wachsenden Chauvinismus in Serbien und Kroatien war er willkommene Bühne, was zu „Jugoslawiens Unglück“ (S. 185) mit der Geburt organisierter Gruppen junger Fans zusammentraf, die für Atmosphäre sorgten, sich aber ebenso in Hooliganismus und ethnischen Provokationen übten. Im Zug der schrittweisen Eskalation in Staat und Partei wurde beides Normalität, allerdings setzten nicht wenige Akteure – Spieler, Fans und Funktionäre – auch substantielle Gegentrends.

Ausschreitungen im Stadion von Dinamo Zagreb im Mai 1990 wurden medial zum symbolisch-mythischen Kriegsbeginn verklärt, die Saison 1990/1991 – obschon eine „Farce“ (S. 243) – aber noch gemeinsam beendet. Clubs säuberten sich ideologisch, selbst der Europapokalsieg von Roter Stern Belgrad 1991 erschien als national-serbischer Erfolg. Letzter sportlicher Höhepunkt blieb der überraschende vierte WM-Platz 1990. Bald nutzten neue Staatsprojekte das „homogenisierende“ Potential des Sports (S. 271): Kroatiens Liga startete 1991, in Bosnien-Herzegowina bildeten die Regierung, Serben und Kroaten je eigene Wettbewerbe, ebenso die kroatischen Serben. Parallel zogen extreme Fans in den Krieg. Rest-Jugoslawien wurde 1992 international auch sportlich geächtet.

Fußball wurde so immer wieder auf verschiedene und oft widersprüchliche Weise mit Politik, Nationalismus und Konflikt verbunden. Als „mächtiger, unvorhersehbarer Rohstoff“ (S. 311) begrenzte er aber auch die unilaterale Kontrolle seiner symbolischen Gehalte, wie seine politische Nutzung sowohl durch Herrschende als auch Oppositionelle zeigt. Für das Forschungsfeld bildet Mills’ Werk dabei einen Durchbruch: Als Erster führt er nach jahrelanger Recherche in mehreren Staaten einen Großteil der sehr unübersichtlichen bisherigen Forschung zusammen und stützt sich mit Archivalien aus Serbien und Kroatien, Club- und Verbandsschriften, Memoiren, Presseartikeln, Fotos und Interviews auf eine Vielzahl oft noch unberücksichtigter Quellen. Auch der weiteren Historiographie zu Jugoslawien werden wichtige Anregungen und eine unverzichtbare Basis für einen stärkeren Einbezug des Fußballs in politik-, sozial- und kulturgeschichtlichen Betrachtungen geliefert.

Andererseits bestehen auch gewisse Schwächen: Mills zentriert einen Aspekt, der in der Forschung bereits klar im Mittelpunkt steht, spricht zwar andere wichtige Aspekte an, lässt einige innovative Ansätze, so zur Kultur- und Mediengeschichte aber unberücksichtigt.2 Sehr erfreulich ist, dass er mehrfach sozio-ökonomische Faktoren erwähnt und feststellt, dass der Profifußball symbolisch durchaus „die Fundamente des sozialistischen Projekts gefährdete“ (S. 131). Einer systematischen Analyse bietet sein Forschungsdesign jedoch wenig Raum. Ebenso nennt er den Fußball eine gesellschaftliche „Enklave“ und betont, dieser sei „auf keinen Fall nur ein formbares Propagandamittel“ gewesen (S. 8), während weitergehende theoretische Aussagen oft fehlen, sei es zum Verhältnis von Ideologie und aktiver Bewegungskultur sowie Spitzensport als Massenunterhaltung oder auch zu Fußball und seiner Autonomie gegenüber anderen sozialen Sphären.3

Gleichwohl legt Mills mit „The Politics of Football in Yugoslavia“ eine gut geschriebene und reichhaltige Monographie vor, die einen Meilenstein der Forschung zum Fußball in Jugoslawien bildet, näher mit dem Thema Befassten analytisch zwar oft weniger Innovatives bietet, jedoch – und das ist wichtiger – Mills’ eigene und große Teile der bisherigen Forschung vereint und ein breiteres Publikum dabei auch auf zahlreiche neue Perspektiven weist. Vor allem mit Jugoslawien, Sport oder beidem befassten Historikern ist eine wertvolle Grundlage an die Hand gegeben, die Fakten, Perspektiven und Anregungen ebenso bietet wie Stoff zur Erweiterung, Vertiefung und Neuorientierung.

Anmerkungen:
1 Die lang auf die 1990er-Jahre fokussierte Forschung stellt bis 2014 Stefan Rohdewald, Zugänge zu einer Sozial- und Kulturgeschichte des südosteuropäischen Sports unter besonderer Berücksichtigung Jugoslawiens, in: Anke Hilbrenner u.a. (Hrsg.), Handbuch der Sportgeschichte Osteuropas, https://www.ios-regensburg.de/ios-publikationen/online-publikationen/sportlexikon/inhalt.html (03.09.2019) vor. Die Jugoslawien-Sonderausgabe des International Journal for the History of Sport 34/9 (2017) – die Mills nicht mehr hinzuziehen konnte – zeigt seitherige Erweiterungen.
2 Vgl. etwa Anita Buhin, “Namjeran faul protiv TV”. Utjecaj televizije na razvoj nogometa u socijalističkoj Hrvatskoj, in: Igor Duda u.a. (Hrsg.), Radionica za suvremenu povijest. Istraživanja diplomanata pulskog Sveučilišta 2011–2013, Zagreb 2013, S. 89–107. Auch einige einschlägige Beiträge fehlen, so Dejan Zec / Miloš Paunović, Football’s positive influence on integration in diverse societies: the case study of Yugoslavia, in: Sport & Society 16/2–3 (2015), S. 232–244.
3 Georg Starc, “Sportsmen of Yugoslavia, Unite”. Workers’ Sport between Leisure and Work, in: Breda Luthar / Maruša Pušnik (Hrsg.), Remembering Utopia. The Culture of Everyday Life in Socialist Yugoslavia, Washington, DC 2010, S. 259–288.