Cover
Titel
Hieros kai asylos. Territoriale Asylie im Hellenismus in ihrem historischen Kontext


Autor(en)
Knäpper, Katharina
Reihe
Historia-Einzelschriften 250
Erschienen
Stuttgart 2018: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
348 S.
Preis
€ 64,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Philip Egetenmeier, Fachbereich Geschichte, Universität Hamburg

Katharina Knäpper möchte im vorliegenden Buch, eine überarbeitete Fassung ihrer im Jahr 2013 eingereichten Dissertation, eine umfassende Untersuchung des Phänomens der territorialen Asylie, also der formalen Anerkennung eines Territoriums als hieros kai asylos durch andere politische Akteure (Könige, Poleis, Bünde und Rom) bieten. Dabei geht Knäpper der Kernfrage nach, „wie und zu welchem Zweck die Poleis und Tempel um Asylie ersuchten und warum andere Städte, Bünde und Herrscher auf diese Gesuche eingingen“ (S. 13). Hierfür analysiert die Autorin sämtliche Quellen aus dem Zeitraum von etwa 250 v.Chr. bis 120 n.Chr., wobei der Schwerpunkt klar im 3. und 2. vorchristlichen Jahrhundert liegt. Als wirklich aussagekräftig erweisen sich fast ausschließlich Inschriften, insbesondere städtische Dekrete und Briefe von Machthabern. Der Ergiebigkeit des Materials ist auch der geographische Rahmen der Arbeit geschuldet: Grundsätzlich wurde die ganze griechische Welt einbezogen, aber der Schwerpunkt liegt aufgrund der Verteilung der Belege auf den ägäischen Inseln und Westkleinasien.

Die bisherige Forschung (S. 14f. und 75–78) war vor allem von der Frage geprägt, ob mit den Asylieverleihungen primär „religiöse“ oder „politische“ Ziele verfolgt wurden. Der Problematik einer strikt dichotomen Unterscheidung ist sich die Autorin bewusst und plädiert für einen reflektierteren Umgang mit modernen Begriffen wie „Staat“, „Politik“ oder „Religion“, da sonst „jede Aussage […] zwangsläufig in schwammigem sowie undefinierbarem Grau enden“ (S. 19) müsste. Geprägt wurde die Forschung zu den Asylieverleihungen vor allem durch die umfangreiche Studie von Rigsby, der diese in erster Linie als „a religious gesture, increasing the honor of the god“ deutet.1 Diese Interpretation stieß in den folgenden Jahren von verschiedener Seite auf Widerspruch. Knäpper will nun mit ihrer eigenen Studie versuchen, durch eine umfassende Analyse des Materials Entwicklungen und Begriffswandlungen aufzuzeigen, die zu den teilweise sehr gegensätzlichen Ergebnissen in der älteren Forschung führten. Methodisch (S. 18–21) greift sie auf Pierre Bourdieus Habitus-Feld-Konzept zurück, um die antiken Dokumente auf religiöse und politische Felder zu untersuchen.

Das Buch besteht im Wesentlichen aus zwei Teilen, die von einer Einleitung und einem Schluss umrahmt werden. Am Ende folgen ein Anhang mit neueren Inschriften samt Übersetzung, Tabellen zu den Gesandtschaften und der Veröffentlichung der Dekrete sowie die Bibliographie und Indizes (Personen, Götter, Geographisches, Sachen und Begriffe). Im ersten Teil (Kapitel 2) werden zentrale Phänomene (Hikesie, persönliche Asylie und die Neutralität sakraler Räume) vorgestellt und voneinander geschieden, die meist unter Oberbegriffe wie „antikes Asyl“ oder „Asylrecht“ subsummiert werden (zur Forschungsgeschichte vgl. S. 22–26). Knäpper kommt in der begriffsgeschichtlichen Analyse der im Griechischen mit a-syl- gebildeten Begriffe zu dem Ergebnis, dass diese inhaltlich verschieden sind zu lateinisch asylum, welches für ein Heiligtum steht, „das gemäß griechischer Sitte einen gegenüber anderen Heiligtümern, die diese Bezeichnung nicht tragen, herausgehobenen Status der Unverletzlichkeit zu eigen hat, und zwar sowohl aus religiösen als auch aus rechtlichen Gründen“ (S. 31). Danach geht die Autorin auf das Sylan-Recht und dessen Eindämmung von der Frühzeit bis in den Hellenismus ein, bevor sie von diesen generellen staatlichen Regelungen zur persönlichen Asylie als Ehrung für verdiente Individuen kommt. Spätestens seit klassischer Zeit habe sich die Vorstellung durchgesetzt, die Unverletzlichkeit von Heiligtümern mit negiertem Sylan zu denken. Knäpper zeigt, dass weder Sylan-Verbote noch persönliche Asylie der sakralen Sphäre entstammten. Darauf stellt Knäpper die Entwicklung der Hikesie („Schutzflehen“) dar, die zum Schutz Fliehender vor dem Zugriff ihrer Verfolger diente. Sie zeigt auch auf, wie im Laufe der Zeit immer stärker versucht wurde, ihren Allgemeingültigkeitsanspruch einzudämmen bzw. sie durch Kunstgriffe zu umgehen. Ausführliche Analyse erfährt dabei die Lex Sacra von Kyrene (S. 56–62). In hellenistischer Zeit wurden Knäpper zufolge einige Heiligtümer zu „regelrechten Hikesiezentren“ (S. 74) ausgebaut, um die Schutzflehenden auf bestimmte Orte zu konzentrieren. Die Römer nahmen diese Zentralisierung auf bestimmte Heiligtümer wahr, worauf es zur Verschmelzung der Begriffe Asylie und Hikesie im lateinischen Terminus asylum kam und eine Übertragung dieser Vorstellung auf die territoriale Asylie stattfand.

Im zweiten Teil (Kapitel 3 und 4) werden die einzelnen Zeugnisse zur territorialen Asylie untersucht. Diese trat erstmalig in hellenistischer Zeit auf. Nach einem kurzen Überblick zu Quellenlage und Forschungsstand werden in chronologischer Reihenfolge Ort für Ort die Asyliegesuche (S. 82–172) im 3. und 2. vorchristlichen Jahrhundert besprochen, wobei Kos, Magnesia am Mäander und Teos besonders ausführlich behandelt werden. Die teischen Asyliegesuche datiert Knäpper entgegen der communis opinio in die zweite Hälfte des 3. Jahrhunderts v.Chr. (S. 148–152). Sie kommt zu dem Ergebnis, dass sich die Asyliegesuche als „Vertragsofferten“ und die Anerkennungen als „Vertragszusagen“ betrachten lassen (S. 172): Sie dienten als zwischenstaatliche Kommunikationsmittel und dem Netzwerkaufbau. Besonders gelungen ist das Unterkapitel zu den Begründungen der Asylieverleihungen (S. 173–204): Knäpper arbeitet aus den zuvor analysierten Dokumenten Argumente zur Erlangung der Asylie heraus und erklärt deren Verbreitung mit dem Konzept der „wandernden Urkunden“.2 Zu diesen „kanonischen Argumenten“ zählt Knäpper „Freundschaft und Verwandtschaft“, „Wohlwollen und Loyalität“, „Diplomatie oder gemeinsame Geschichte“, „Festspiele und Orakel“ sowie „Ruhm und Ehre“.3 Neben diese treten noch situationsgebundene Argumente (Epiphanie einer Gottheit oder aktuelle Diplomatie). Dabei zeigt Knäpper, wie durch diese Argumentationsweise Vertrauenswürdigkeit generiert werden sollte und die asyliesuchende Polis sich als einen Bürgerverband idealen Verhaltens darstellte. Anschließend wechselt die Autorin zur Perspektive der Asylieverleiher und untersucht die von diesen angeführten Begründungen (S. 205–242). Zumeist wurden die Argumente der Asyliesuchenden aufgegriffen, aber es traten auch durchaus neue hinzu. Während sich Poleis auf Augenhöhe begegneten, waren die Antworten Roms und der hellenistischen Herrscher von einem deutlichen Statusgefälle geprägt. Wenig zielführend erscheint allerdings in Anbetracht der wenigen Belege die Untergliederung der hellenistischen Herrscher in Dynastien bzw. der Versuch, „Gepflogenheiten der Dynastie“ (S. 223) ableiten zu wollen.

Das Kapitel zur territorialen Asylie im 1. Jahrhundert v.Chr. und in der frühen Kaiserzeit (S. 249–269) fällt aufgrund der dünneren Beleglage deutlich kürzer aus. Zunächst bespricht Knäpper wieder die einzelnen epigraphischen und literarischen Belege in geographisch-chronologischer Reihenfolge und zieht anschließend ihre Schlussfolgerungen: Mit der stärkeren Hinwendung zu Rom ging eine Neuinterpretation der Begriffe hin zum römischen asylum einher. Oft griff man argumentativ auf einen bereits früher verliehenen Asyliestatus zurück. Während das Ersuchen um territoriale Asylie in hellenistischer Zeit primär der Unsicherheit im Ägäisraum geschuldet war, ging es in römischer Zeit vor allem um eine finanzielle Privilegierung des Heiligtums. Den Endpunkt der territorialen Asylie sieht Knäpper in der Asylreform des Tiberius (Tac. ann. 3,60).

Die vorliegende Untersuchung besticht durch klare Argumentationsweise, terminologische Sauberkeit und detaillierte Diskussionen, die aber nie das Gesamtbild aus den Augen verlieren. Zu monieren wären lediglich die doch relativ regelmäßig anzutreffenden Tippfehler. Vielleicht hätte man auch die Diskussion der Belege in den Anhang verlagern können. Insgesamt hat Knäpper aber eine fundierte sowie quellen- und forschungsorientierte Studie zum Phänomen der territorialen Asylie vorgelegt, die auch von Forschern jenseits dieser Thematik mit Gewinn gelesen werden wird.

Anmerkungen:
1 Kent J. Rigsby, Asylia. Territorial Inviolability in the Hellenistic World, Berkeley 1996, S. 14.
2 Angelos Chaniotis, Empfängerformular und Urkundenfälschung. Bemerkungen zum Urkundendossier von Magnesia am Mäander, in: Raif G. Khoury (Hrsg.), Urkunden und Urkundenformulare im Klassischen Altertum und in den orientalischen Kulturen, Heidelberg 1999, S. 51–69.
3 Zum Gebrauch von (fiktiver) Verwandtschaft im zwischenstaatlichen Verkehr wäre neben der von Knäpper besprochenen Literatur noch wünschenswert gewesen: Andrew Erskine, O Brother Where art thou? Tales of Kinship and Diplomacy, in: Daniel Ogden (Hrsg.), The Hellenistic World. New Perspectives, London 2002, S. 97–115.