DHM (Hg.): Kaiser, Führer, Republik CD-ROM

Cover
Titel
Kaiser, Führer, Republik. Politische Postkarten vom Kaiserreich bis zur Besatzungszeit


Herausgeber
Deutsches Historisches Museum
Reihe
Digitale Bibliothek
Erschienen
Anzahl Seiten
1 CD-ROM
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Schwarzkopf, Birkbeck College, School of History, Classics and Archaeology, University of London

Die Herausgeber der hier zu besprechenden CD-ROM haben es sich nach eigenen Worten zur Aufgabe gemacht, die „deutsche Geschichte im Spiegel der Postkarten“ darzustellen. Die 2.421 Postkarten, welche den Sammlungen des Deutschen Historischen Museums und des ehemaligen Museums für Deutsche Geschichte der DDR entstammen, sind chronologisch in vier Abschnitte eingeteilt: Kaiserreich, Weimarer Republik, Drittes Reich und Besatzungszeit. Sie umfassen die Jahre zwischen ca. 1890 und 1949. Die Karten selbst sind verzeichnet mit Titel, Datierung, Herstellungsort, Verleger, Informationen über Grafiker und Fotografen, sowie Informationen über Druckverfahren, Trägermaterial und Maße der Karte. Während die standardisierte Genauigkeit der historisch-archivalischen Angaben beeindruckt, ist die elektronische Auflösung der einzelnen Postkarten zum Teil jedoch höchst uneinheitlich. Während sich bei einigen Karten die Vergrößerung lohnt, um Details im Bild zu recherchieren, scheinen andere Karten mit geringerer dpi-Rate digitalisiert worden zu sein.

Naturgemäß liegt der Schwerpunkt der Sammlung auf der Zeit des Kaiserreiches, da die Jahre um 1900 den historischen Höhepunkt der Postkartenproduktion und ihres Versandes darstellen. Nicht umsonst gelten die drei Jahrzehnte zwischen 1890 und 1918 als das „Goldene Zeitalter“ der Postkarte: Allein innerhalb des Jahres 1900 beförderte die Reichspost fast eine Milliarde Postkarten. Vor der Einführung von reich bebilderten Tageszeitungen, Radio und Fernsehen stellten gerade Postkarten ein aktuelles und billiges, weil schnell herzustellendes und zu verbreitendes Medium dar. In großen Auflagen konnten hochwertige, teils 16-farbige Postkarten-Abbildungen von wichtigen Ereignissen, Katastrophen, amüsanten Begebenheiten und Karikaturen aus der Welt von Politik, Militär, Sport und Reise das Kommunikations- und Bilderbedürfniss der Massen decken. Als preiswertes und schnelles Kommunikationsmedium erfreute sich die Bildpostkarte daher größter Beliebtheit, welche erst durch die ausgiebige Bebilderung von Tageszeitungen und Magazinen gedämpft wurde.1

Die vier Abschnitte sind eingeteilt in Bereiche, innerhalb deren die Postkarten chronologisch nach Motiven geordnet sind. So finden sich als unterste Ordnungskategorie Personen („Kaiser“, „Bismarck“ etc.), Personengruppen (Militärs), Ereignisse, Parteien, Wahlkämpfe, die Front, außenpolitische Themen (z.B. Kolonien), Organisationen, Antisemitismus, Architektur (Denkmäler) und so weiter. Die kaskadenförmige Aufschlüsselung der Bereiche und Abschnitte auf einer Seite des Computer-Bildschirms und die Schnellübersicht der Postkarten-Motive auf der anderen Seite ermöglicht die einfache und unkomplizierte Navigation sowie die Recherche bestimmter Inhalte. Über die Suchfunktion lassen sich bestimmte Personen, Orte oder auch Ereignisse (1. Mai) über die gesamte Zeitspanne hinweg suchen. Auf der anderen Seite ermöglicht die Wiederkehr der Bereichsbezeichnungen innerhalb der einzelnen chronologischen Abschnitte die Recherche komplexerer Themen. So können zum Beispiel mehr als 50 antisemitische Postkarten-Motive aus Kaiserzeit, Weimarer Republik und dem Dritten Reich diachron miteinander verglichen werden, oder die Entwicklung politischer Architektur oder auch die Darstellung der osteuropäischen Nachbarn Deutschlands seit den 1890ern verfolgt werden. Ebenso lassen sich auf diese Weise Themen bearbeiten wie die Veränderung von Menschen-, Körper- und Geschlechterbildern innerhalb der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts.2

Die Klarheit der Prinzipien, nach denen die fast zweieinhalbtausend Bildmotive geordnet sind, macht die CD-ROM daher zu einer wertvollen Quellensammlung für Schullehrer und Historiker, die sich mit der politischen Geschichte Deutschlands beschäftigen. Darüber hinaus jedoch dürften vor allem Medien- und Kommunikationshistoriker von der Zusammenstellung profitieren.3 Der Bildteil wird zudem ergänzt von einem knappen und lesenswerten einführenden Text zur Geschichte der Bildpostkarte von Elisabeth von Hagenow. Leider jedoch ist dieser Text, welcher zudem von einigen Tippfehlern durchsetzt ist, nicht durch einen wissenschaftlichen Anmerkungsapparat ergänzt, was den Gebrauchswert der Einführung etwas mindert.

Die Zeit der Besatzung, also die Jahre zwischen Kriegsende und 1949, ist mit lediglich 120 der fast zweieinhalbtausend Bildpostkarten repräsentiert. Gerade diese kleine Anzahl ganz unterschiedlicher Bildpostkarten aus der sowjetischen und der amerikanischen Besatzungszone Deutschlands jedoch hält manche Überraschung bereit. Vor allem erstaunt die Vielfalt der gestalterischen Einflüsse und die Melange aus künstlerischen und kommerziellen Traditionen, welche die Bildpostkarten vor den Republikgründungen prägt. Sieht man sich die Karten aus Berlin und Frankfurt am Main, aus Sachsen und Hessen an, auf denen zu Wahlen und Feiern gerufen oder zum Gedenken an die Opfer des NS-Regimes gemahnt wird, so wird ein Mosaik aus gestalterischen Einflüssen sichtbar, welche den Bild- und Kommunikationstraditionen der Weimarer Republik, der zeitgenössischen Sowjetunion sowie Amerikas entstammen. Eine Weihnachtspostkarte der „Märkischen Volkssolidarität“ (SBZ) aus dem Jahre 1947 zum Beispiel zeigt Kinderaugen, die einem amerikanischen Jugend-Comic der 1940er-Jahre hätten entspringen können. Auf der anderen Seite finden sich Beispiele wie die Postkarte der „Interessengemeinschaft der Ausgesiedelten Deutschen“, welche im Januar 1948 in Heidelberg unter den Augen der amerikanischen Besatzer zu den „Festspielen des Ostdeutschtums“ ruft. Sowohl in Typografie als auch in der Bildsprache weicht diese Postkarte keinen Millimeter von den Design-Traditionen des Dritten Reiches ab: Die von NS-Plakaten bekannte verkünstelt-runenhafte Type dominiert ein Idealbild deutscher Landschaft komplett mit Fluss und Burg.

Im Spiegel der Bildpostkarten erscheint die unmittelbare Nachkriegszeit erneut als widersprüchlicher und produktiver Tummelplatz der politischen Kommunikation: Moderne Einflüsse aus Werbung und bildender Kunst der USA und der Sowjetunion vermischten sich mit wieder aufgenommenen Traditionen der Weimarer Republik und gestalterischen Atavismen der NS-Zeit. Auch der Einfluss des beginnenden Kalten Krieges ist unverkennbar. Postkartenmotive aus der SBZ, welche an die Grauen der KZ erinnern, sind geprägt von Bildern der Opfer, der Gefolterten und Ermordeten. Die Gruppe der Opfer wird aber zugleich auf die Träger des roten Dreiecks reduziert, welches die hier versammelten Postkarten visuell dominiert. Auf der anderen Seite lässt eine im April 1946 vom amerikanischen International Information Office herausgegebene Karte zum Gedenken an die Befreiung des KZ Dachau die New Yorker Freiheitsstatue aufleuchten, deren Strahlen hinter den Wachtürmen und Stacheldrähten des Lagers Dachau wie die einer Morgensonne aufgehen. Das Kartenmotiv wird zudem von einem Dornenkranz-ähnlichen Ring umgeben, was darauf hin deutet, dass sich die amerikanischen Kommunikateure wohl bewusst waren, es mit einer überwiegend katholischen Zielgruppe zu tun zu haben. Protestanten und Katholiken der sowjetischen Besatzungszone jedoch mussten lernen, sich mit dem Stacheldraht als allgegenwärtigem Ornament der Kommunikation politischer Erinnerung anzufreunden.

Die Herausgeber der Sammlung selbst jedoch scheinen die erstaunliche Vielfalt von teilweise zutiefst widersprüchlichen Einflüssen auf die Entwicklung der visuellen Kommunikation des Politischen in der deutschen Geschichte nicht hoch zu schätzen. So ist der Titel der CD-ROM „Kaiser, Führer, Republik“ (den die Herausgeber selbst als „etwas provokant“ bezeichnen) von vier Bildern auf dem Umschlag unterstützt. In Abfolge werden hier vier Postkarten mit einem Bild des Kaisers, einer Maifeier von 1928, Adolf Hitlers und einer Karte zum hundertjährigen Jubiläum der 1848er Revolution gezeigt. Beide „demokratisch-republikanischen“ Motive ähneln sich so stark, dass sie ohne Zweifel von den Herausgebern bewusst ausgesucht wurden. Auf diese Weise jedoch hinterlässt der Titel der CD-ROM den etwas faden pädagogischen Nachgeschmack, den ansonsten der Besuch einer gut gemeinten Wanderausstellung einer Landeszentrale für Politische Bildung hinterlässt. Anstatt die prinzipielle Offenheit, Uneinheitlichkeit und Widersprüchlichkeit der deutschen Geschichte zu betonen, scheinen die Herausgeber beeinflusst von der Idee, die deutsche Geschichte sei eine lineare, stufenförmige Höherentwicklung hin zum rechten Ziel der Demokratie. In der Tat, so etwas kann provozieren.

Anmerkungen:
1 Die Fülle an Motiven auf politischen Bildpostkarten nahm während des Ersten Weltkrieges noch einmal rasant zu. Hierzu liegt bereits die von Directmedia (Digitale Bibliothek 66) publizierte Spezialsammlung „Der Erste Weltkrieg in deutschen Bildpostkarten“ vor, welche ca. 1.000 Karten enthält.
2 Siehe zu judenfeindlichen Bildpostkarten der wilhelminischen und der Weimarer Zeit auch die Rezension von Elke Kimmel in H-Soz-u-Kult, vom 9. April 2004 (Rezension von http://www.badische-heimat.de/museen/kpm/jd/).
3 Was die Untersuchung des Mediums Postkarte leisten kann, hat bereits beispielhaft gezeigt: Schröter, Erasmus, „Bild der Heimat. Die Echt-Foto-Postkarten aus der DDR“, Berlin 2002 (siehe Rezension von Philipp Springer in H-Soz-u-Kult vom 21. Februar 2003).

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