Die Architektur des Ekletizismus und des Jugendstils, die Ende des 19. Jahrhunderts in Iberoamerika rezipiert und umgesetzt wurde, war begleitet von einer Debatte um die Repräsentation des politischen Gemeinwesens. Mit der Industrialisierung und der wachsenden Bedeutung der Städte wurden die Architekt:innen zu gesellschaftlichen und politischen Akteuren der Zivilgesellschaft, die über die Debatte zur Architektur auf die Vorstellung des sozialen Gemeinwesens einwirkten. In Lateinamerika und der iberischen Halbinsel wurden die Innovationen der Architektur von intensiven Diskussionen und vielzähligen Veröffentlichungen begleitet, in der die architektonische Repräsentation der eigenen Nation eine wichtige Rolle spielte. Bis um 1940 fand diese Repräsentation über die Gestaltung der Ornamentik statt, dann nahm die Rezeption der architektonischen Moderne und ihrer neuen Formsprache zu. Die Ornamentik, gerade im Jugendstil, greift Darstellungen von Flora und Fauna auf. Inwiefern spielte die Darstellung der nationalen Flora und Fauna in der Architektur Lateinamerikas im 20 Jahrhunderts eine Rolle? Wurden dabei ausschließlich ästhetische Bezüge zu Entwicklungen in Europa hergestellt oder ging es darum, die eigene Biodiversität zu entdecken und mit ihrer Einbeziehung in die architektonische Ausgestaltung der Gebäude ein eigenes nationales „Selbst“ zu konstituieren? Die Idee der „vegetalisierten Geschichte“ entwickelte der französische Kunsthistoriker Gilles Sauron und legte in seinem Buch über die Ara Pacis Augustae die Bezüge von Ornamentik und Ausdruck des Staatswesens dar (Gilles Sauron: L´histoire végétalisée. Ornement et politique à Rome. Paris 2000). Inwiefern lassen sich hier Bezüge und Parallelen zu Iberoamerika im 20. Jahrhundert ziehen?
Auch in der Kunst Iberoamerikas setzte Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Naturalismus eine neue Auseinandersetzung mit der eigenen, nationalen Flora und Fauna ein, die sich über verschiedene Kunststile bis in die 1960er-Jahre nachverfolgen lässt und unter anderem die Landschaftsgestaltung der öffentlichen Parks in Lateinamerika beeinflusste. Auch in der Bildenden Kunst war die Wahrnehmung der eigenen Biodiversität ein Ausdruck dafür, das politische und soziale Gemeinwesen neu zu überdenken und zu diskutieren.
Es sind Ethnolog:innen, Architekt:innen, Historiker:innen, Kunsthistoriker:innen und Vertreter:innen anderer Fachbereich eingeladen, über dieses Thema nachzudenken und Vorschläge zur inhaltlichen Ausgestaltung des Workshops interdisziplinär und methodologisch divers vorzutragen. Die Vorträge sollten ungefähr 20 bis 30 min dauern und werden im Anschluss kurz diskutiert.