Immobilien sind außerordentlich heterogene und hochgradig lokalisierte Güter. Umso erstaunlicher ist es, dass sie seit den 1970er Jahren zunehmend den Charakter von „quasi-financial assets“ angenommen haben. In der sozialwissenschaftlichen Forschung wird diese Entwicklung zumeist unter dem Rubrum der „Finanzialisierung“ diskutiert. Die globale Expansion deregulierter Finanzmärkte seit den 1970er Jahren habe, so die einschlägige Literatur, das ältere System einer separierten und streng regulierten Immobilienfinanzierung aufgebrochen und diese stattdessen in den allgemeinen Finanzierungskreislauf integriert. Dort seien Immobilien wegen ihrer großen Bedeutung als „collateral“ zu einer der wichtigsten Formen der Wertaufbewahrung und –steigerung avanciert. Der daraus resultierende, enorme Anstiegs des in Hypotheken gebundenen Kapitals habe erhebliche, nicht zuletzt in der Finanzkrise von 2007/08 sichtbar gewordene Konsequenzen für das Bankensystem und die gesamtwirtschaftliche Entwicklung gehabt.
Der geplante Workshop nimmt diese Hypothese zum Ausgangpunkt, um in historisch-praxeologischer Perspektive nach der Genese, den Bedingungen, den lokalen Varianten und den Grenzen der Verbindung zwischen Immobilienmärkten und Finanzmärkten im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts zu fragen. Das vom Bielefelder Sonderforschungsbereich 1288 etablierte Paradigma der „Vergleichspraktiken“ bietet eine fruchtbare Forschungsperspektive auf dieses Problem (mehr dazu unter: https://www.uni-bielefeld.de/sfb/sfb1288/). Im Zentrum des SFB-Teilprojektes, das den Workshop organisiert, steht das Problem der Immobilienbewertung, das eine Schlüsselstellung in der Beziehung zwischen Immobilien und Investoren einnimmt. Daran schließt sich die – am deutschen und britischen Beispiel genauer verfolgte – Frage an, inwiefern die Umbrüche im Verhältnis zwischen Finanzmärkten und Immobilienmärkten seit den 1970er Jahren mit der Veränderung von Vergleichs- bzw. Bewertungspraktiken einhergegangen sind; welche Akteure hinter diesen Veränderungen standen und welche Rückwirkungen der Wandel der Bewertungspraktiken auf die Finanz- und Immobilienbranche hatte.
Der Workshop soll die Gelegenheit bieten, diese Forschungen zu diskutieren und sie in den breiteren Kontext einer praxeologisch gewendeten Geschichte des Verhältnisses von Finanzmärkten und Immobilienmärkten zu stellen. Zentral ist dabei die Frage, durch welche Akteure, Praktiken und Wissensbestände die Verflechtungen zwischen den beiden Teilmärkten konstituiert wurden; welche Chancen sie aus zeitgenössischer Sicht eröffneten und welche Risiken sie bargen; wer ihre Befürworter und ihre Gegner waren; unter welchen Bedingungen sie voranschritten oder scheiterten; und welche politischen, ökonomischen, gesellschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen für sie von Bedeutung waren.
Willkommen sind deshalb Beiträge, die die Verbindungen zwischen Immobilienmärkten und Finanzmärkten in historischer Perspektive anhand von Investoren, Unternehmen, Berufsverbänden, Institutionen, Finanzierungs¬mechanismen, sozialwissenschaftlicher Beobachtung, staatlicher Regulierung und Deregulierung sowie anhand anderer, ähnlich gelagerte Themenfelder und Akteursgruppen analysieren. Makroökonomisch oder strukturgeschichtlich angelegte Betrachtungen kommen für den Workshop ebenfalls in Betracht, wenn sie dazu geeignet sind, einen allgemeinen Rahmen für das Schwerpunktthema zu skizzieren. Der geographische Horizont umfasst primär den europäisch-transatlantischen Raum. Der Workshop ist aber offen für inhaltlich und methodisch einschlägige Beiträge aus anderen Weltregionen.
Interessierte werden gebeten, bis zum 30. März ein Abstract von bis zu 500 Worten und einen kurzen Lebenslauf (bis zu 300 Worte) an die Organisatoren zu senden. Eine Rückmeldung erfolgt bis zum 30. April. Reise- und Übernachtungskosten werden den Teilnehmerinnen und Teilnehmern erstattet.