Wehrmachtsdeserteure. Neue Forschungen zu Entziehungsformen, Solidarität, Verfolgung und (digitaler) Gedächtnisbildung

Wehrmachtsdeserteure. Neue Forschungen zu Entziehungsformen, Solidarität, Verfolgung und (digitaler) Gedächtnisbildung

Veranstalter
Peter Pirker, Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck; Kerstin von Lingen, Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien; Ingrid Böhler, Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck (Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck)
Ausrichter
Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck
Veranstaltungsort
Claudiana, Herzog-Friedrich-Straße 3
Gefördert durch
Philosophisch-Historische Fakultät der Universität Innsbruck; Zukunftsfonds der Republik Österreich; Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien; Arbeitskreis Militärgeschichte e.V.; Stadt Innsbruck
PLZ
6020
Ort
Innsbruck
Land
Austria
Vom - Bis
16.09.2021 - 18.09.2021
Deadline
09.09.2021
Von
Aaron Salzmann, Institut für Zeitgeschichte, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck

Bei der Tagung stellen WissenschaftlerInnen aus Österreich, Deutschland, Norwegen, Schweden und Italien jüngere Forschungen zu den Phänomenen der Wehrdienstentziehung und der Desertion aus den Streitkräften NS-Deutschlands im Zweiten Weltkrieg vor. Die Tagung findet in hybrider Form statt und ist dem Andenken von Prof. Dr. Walter H. Pehle (1941–2021) gewidmet.

Wehrmachtsdeserteure. Neue Forschungen zu Entziehungsformen, Solidarität, Verfolgung und (digitaler) Gedächtnisbildung

Nach den Auseinandersetzungen um die gesetzliche Rehabilitierung von Wehrmachtsdeserteuren und anderen Verfolgten der Militärjustiz in Deutschland und Österreich in den 1990er- und 2000er-Jahren steht nicht mehr der Nachweis des Unrechtscharakters und der Brutalität der deutschen Sonder- und Militärjustiz im Vordergrund, um den Opferstatus der verfolgten Soldaten zu belegen.

Bei der Tagung sollen die Möglichkeiten und Grenzen der Selbstermächtigung von Soldaten und ZivilistInnen gegenüber dem militärischen Gehorsamsanspruch des NS-Staates thematisiert werden. Dabei geht es um einen differenzierteren Blick auf die Praxis der Wehrmachtsgerichte etwa des Ersatzheeres, um die Vermessung von Fluchtrouten und Zufluchtsräumen innerhalb und außerhalb des deutschen Herrschaftsbereiches, um die Beziehungen zwischen entwichenen Soldaten und lokaler Bevölkerung innerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches und in besetzten Gebieten.

In mehrdeutiger Hinsicht lässt sich die Praxis von fluchtwilligen oder fluchtfähigen Soldaten ebenso wie die Praxis der Militärjustiz als Umgang mit oder Neudefinition von Grenzen betrachten: als Überwindung staatlich-territorialer Barrieren etwa zur Schweiz an lokalen Hotspots wie dem Rhein, als Überschreiten der Grenze zwischen dem besetzten Norwegen, dem mit Deutschland bis 1944 verbündeten Finnland und dem neutralen Schweden, als Kreieren von Existenzweisen jenseits der Volks- und Wehrgemeinschaft in der „Wildnis“ der Alpen, als Übergang von maskuliner Kameradschaft zu Hilfsangeboten und der Solidarität von Frauen, als das Eingehen unsicherer Beziehungen zu Widerstandsgruppen und der Gründung solcher, als Übergang zu den alliierten Armeen an den Fronten und umgekehrt als Scharfzeichnung von Grenzen durch Wehrmacht- und Sonderjustiz, deren Verfolgungspraxis allerdings nicht durchgängig und einheitlich war.

Ein weiteres Thema der Tagung ist die Transformation der Erinnerung an Deserteure und Kriegsdienstverweigerer durch die Errichtung von neuen Denkmälern sowie die Weitergabe der Erfahrungen von Fahnenflüchtigen in Familie und Gesellschaft. Schließlich tauchten Deserteure zuletzt auch wieder prominent und massenmedial in der Literatur und im Film auf, etwa in Marco Balzanos Roman „Ich bleibe hier“ (2020, ital. Original „Resto qui“ 2018), in Felix Mitterers Theaterstück „Vomperloch“ (2018), in der zweiteiligen Verfilmung von Siegfried Lenz‘ ursprünglich 1951 verfassten und erst 2016 veröffentlichtem Roman „Der Überläufer“ im Rahmen einer deutsch-polnischen Koproduktion (ARD, 2020) oder im mehrfach ausgezeichneten Dokumentarfilm „How to Disappear“ (R: Total Refusal, Ö 2020), der die Möglichkeiten der Fahnenflucht in Ego-Shooter-Computerspielen erkundet.

Für die Teilnahme vor Ort steht eine begrenzte Anzahl von Plätzen zur Verfügung. Verbindliche Anmeldung bis zum 9. September 2021 per E-Mail an Aaron.Salzmann@uibk.ac.at.

Alle Informationen zu Livestream und Chat-Tool: https://www.uibk.ac.at/events/info/2021/tagung-wehrmachtsdeserteure.html

Programm

Donnerstag, 16. September 2021

Begrüßung und Einleitung
17:00 Univ.-Prof. Dr. Dirk Rupnow (Dekan der Philosophisch-Historischen Fakultät, Universität Innsbruck)
SSc Dr. Ingrid Böhler (Leiterin des Instituts für Zeitgeschichte, Universität Innsbruck)
Univ.-Prof. Dr. Kerstin von Lingen (Institut für Zeitgeschichte, Universität Wien; Vorstandsmitglied im Arbeitskreis Militärgeschichte)

Panel 1 Desertieren im alpinen Raum
17:30 – 19:00
Chair: Ingrid Böhler
Peter Pirker (Universität Innsbruck)
Fahnenflucht in den Alpen
Aaron Salzmann (Universität Innsbruck)
Fahnenfluchten im Spiegel der Akten des Sondergerichts Feldkirch
Martha Verdorfer (Bozen/Bolzano)
Desertieren in der mehrsprachigen Grenzregion Südtirol
Edith Hessenberger (Ötztal Museen)
Was blieb von den Deserteuren in der lokalen Erinnerung?

19:30 Abendessen (Restaurant)

Freitag, 17. September 2021

Panel 2 Soldaten vor Gerichten der Wehrmacht, der Waffen-SS und SS
09:00 – 10:30 Chair: Peter Pirker
Lars Skowronski (Gedenkstätte Roter Ochse Halle)
Deserteure vor dem Reichskriegsgericht
Claudia Bade (Hamburg)
Urteilspraxis an Gerichten des Ersatzheeres in Hamburg
Christopher Theel (Dresden)
„Meine Ehre heißt Treue“? Die Behandlung von Fahnenfluchtfällen in der SS- und Polizeigerichtsbarkeit

Panel 3 Handlungsspielräume zwischen Front und Heimat
11:00 – 12:30 Chair: Nikolaus Hagen
Richard Germann (Universität Wien)
Zwischen Gehorsam und Selbstermächtigung im Feld: Grenzen und Möglichkeiten im Spiegel von Militärakten „ostmärkischer“ Divisionen
Maria Fritsche (Norwegian University of Science and Technology Trondheim)
Wehrmachtsdeserteure und die norwegische Zivilbevölkerung: neue Forschungen
Magnus Koch (Helmut-Schmidt-Stiftung Hamburg)
Deserteure in der Stadtgesellschaft Hamburg

12:30 – 14:00 Mittagspause
Panel 4 Grenzgänge – Perspektiven der Flucht
14:00–15:30 Chair: Martha Verdorfer
Michael Kasper (Montafon Museen)
Grenzgänger und Schleuser in die Schweiz
Lars Hansson (Universität Gøteborg)
Escape to Sweden
Brigitte Entner (Universität Klagenfurt/Slowenisches wissenschaftliches Institut)
Slowenische Soldaten – Organisierte Flucht innerhalb der Reichsgrenzen?

Panel 5 Italien und Jugoslawien als Schauplatz
16:00 – 17:45 Chair: Eva Pfanzelter
Francesco Corniani (Universität zu Köln)
Deserteure der Wehrmacht in Italien (1943–1945): Identität, Zahlen, Motive, Reaktionen
Sabina Ferhadbegović (Universität Jena)
Desertionen von einheimischen SS- und volksdeutschen Soldaten zu den jugoslawischen Partisanen
Kerstin von Lingen (Universität Wien)
Kosaken und Kaukasier zwischen Kollaboration und Desertion
Johannes Kramer (Universität Wien/Landesarchiv Südtirol)
Südtiroler in der Wehrmacht und Fahnenflucht. Eine Einordnung

Samstag, 18. September 2021

Panel 6 Nachkriegshandeln – Erinnerung und Integration
09:00 – 10:30 Chair: Kerstin von Lingen
Carlo Gentile (Universität zu Köln)
Dem Verbrechen entfliehen. Aussagen junger Wehrmachts- und SS-Deserteure in Kriegsverbrecherprozessen der Nachkriegszeit
Elisabeth Kohlhaas/Robert Parzer (Dokumentations- und Informationszentrum Torgau)
Fritz Schmenkel – Nachgeschichte eines Deserteurs in der DDR
Maria Pohn-Lauggas (Universität Göttingen)
Deserteure im Familiengedächtnis

Panel 7 Erinnerungskulturen
11:00 – 12:30 Chair: Magnus Koch
Marco Dräger (Universität Göttingen)
Deserteursdenkmäler in Deutschland
Elena Messner (Universität Klagenfurt)
Deserteure in Literatur und Film: Jüngere Beispiele
Künstlerkollektiv Total Refusal
How to Disappear: Fahnenflucht im digitalen Raum von Ego-Shooter-Spielen

Schlussdiskussion

13:00 Ende

Kontakt

Aaron.Salzmann@uibk.ac.at

https://www.uibk.ac.at/events/info/2021/tagung-wehrmachtsdeserteure.html
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