80 Jahre „Operation Gomorrha”: Zeiten-Wende(n) in der Erinnerung?

80 Jahre „Operation Gomorrha”: Zeiten-Wende(n) in der Erinnerung?

Organisatoren
Förderkreis Mahnmal St. Nikolai e. V.; Forschungsverbund zur Kulturgeschichte Hamburgs, Universität Hamburg; Landeszentrale für politische Bildung, Hamburg
Förderer
Claussen-Simon-Stiftung (Hamburg); Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur; Hamburgische Wissenschaftliche Stiftung
PLZ
20095
Ort
Hamburg
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
30.06.2023 - 02.07.2023
Von
Johanna Meyer-Lenz, Forschungsverbund zur Kulturgeschichte Hamburgs, Universität Hamburg; Manuel Bolz, Universität Hamburg

Ohne Zweifel nimmt das Tagungsthema Bezug zu dem bekannten Ausspruch von Olaf Scholz in seiner Rede im Bundestag vom 27. Februar 2022, in der er den Beginn des völkerrechtswidrigen Überfalls Russlands auf die Ukraine als „Zeitenwende“ charakterisierte, in der die „Welt danach […] nicht mehr dieselbe [ist] wie davor.“1 Angesichts dieser Einschätzung tritt auch die „Erinnerung“ an den Luftangriff „Operation Gomorrha“ von 1943 in einen neuen erinnerungskulturellen Deutungsraum ein, der von der Wahrnehmung des aktuellen Krieges geprägt ist und neue Denk- und Deutungsräume eröffnet. Insofern fungierte das Tagungsthema „Zeitenwende(n) in der Erinnerung?“ in der Frageform als Suchbewegung, hinsichtlich der Neuverständigung über die bereits eingetretenen wie über die Tragweite der zukünftigen noch nicht zu überblickenden möglichen Transformationen der Erinnerungs- und Gedenkkultur(en).

In seinem grundlegenden Beitrag entfaltete MALTE THIESSEN (Münster) sein mehrdimensionales Deutungskonzept, das Erinnerungs- und Gedenkkulturen als gesellschaftliche, politische und kulturelle (äußerst diverse) Deutungsangebote in Form unterschiedlichster und nicht kongruenter Narrative innerhalb eines umgrenzten öffentlichen Raumes (Stadt/Nation/Europa) definiert, wobei sich die Deutungsnarrative an der jeweiligen Gegenwart als Erinnerungskontext orientieren, der als Filter und Katalysator zugleich fungiert.2 In seiner Darstellung hob er besonders die Neuorientierung in den hamburgischen Erinnerungskulturen von 1993 und 1995 und nach 2000 hervor. Die jeweiligen 50-Jahres-Gedenkfeiern zur „Operation Gomorrha“ und zum Ende des Zweiten Weltkriegs zeigten sehr deutlich einen Einschnitt, der sowohl neue Akteur:innen – bisher aus der städtischen Erinnerung ausgeschlossene rassistisch und politisch Verfolgte des Nationalsozialismus wie Jüdinnen und Juden, Zwangsarbeiter:innen, KZ-Häftlinge, Sinti:ze und Rom:nja – einschloss als auch den Generationenwechsel sichtbar machte. Die Neuinterpretation des Kriegsendes als „Befreiung vom Faschismus“, die Differenzen zwischen der Gruppe der überlebenden Zeitzeug:innen und der sich diversifizierenden politischen und gesellschaftlichen Akteur:innen konturierten den Konflikt um die Deutungshoheit bis nach der Jahrtausendwende.

Die Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart schlug der britische Historiker und Experte der Geschichte des Bombenkrieges in Europa im Zweiten Weltkrieg RICHARD OVERY (Exeter) in seiner Keynote. „How to kill a city“ bot die für die Erinnerungskulturen zur „Operation Gomorrha“ notwendige Erdung anhand der Darstellung grundlegender historischen Zusammenhänge über den Bombenkrieg in seinen europäischen Dimensionen.3 Das zentrale Thema Overys nahm die Kontroverse zwischen den strategischen, politischen und wissenschaftlichen für die Planung und Durchführung des Bombenkrieges verantwortlichen Eliten und den oppositionellen und warnenden Stimmen auf seiten der Kirchen und pazifistischer Aktivist:innen in Großbritannien auf. Im Mittelpunkt stand das ethische Dilemma der Befürworter:innen des Bombenkrieges, welche mit dem diffusen Begriff des moral bombing ihr tatsächliches Ziel, die massenhafte Tötung (in der „Operation Gomorrha“ wie bei anderen Luftangriffen) der Industriearbeiter:innenschaft in ihren engen Wohnquartieren, gegenüber der englischen Zivilbevölkerung verschleierten. In dieser Debatte, so Overy, setzten sich die Befürworter:innen des area bombing durch, indem sie die Gegenargumente der zivilen und kirchlichen Pazifist:innen vor dem Hintergrund ihrer diskursiven Verschleierungstaktiken als „intrinsische Absurdität“ abwehrten. Sogar hochrangige Kirchenvertreter:innen, die 1943 ihre Skepsis gegenüber den Flächenbombardements geäußert hatten, darunter der Erzbischof von Canterbury, William Temple, ließen sich wie zahlreiche weitere kirchliche und politische Führungspersönlichkeiten durch die technologische Sprache des moral bombing überzeugen. Overy wies auf die weiteren Folgen dieser Entscheidung für die britischen Militärführung hin, die nach 1945 nahtlos an atomare und damit weitaus furchtbarere Vernichtungsszenarien aus der Luft anschloss. Mit seiner Schlussbemerkung, dass die Spirale der Gewalt und der Massentötung bei zunehmender Brutalisierung der Kriegsführung auch liberale Staaten ergreift, stellte er indirekt den Bezug zur Gegenwart zur Kriegsführung im Ukraine-Krieg her.

Unterschiedliche Sichtweisen auf Transformationsprozesse von Erinnerungskulturen mit Bezug auf den Bombenkrieg thematisierte die „Diskussionsrunde“ zum Tagungsauftakt. Diversität und Multiperspektivität, postmigrantische Gesellschaft, der massive Anspruch der Deutungshoheit der Erinnerungen an den Bombenkrieg seitens rechtsextremer und rechtskonservativer Gruppierungen und die ihnen sich entgegenstellenden Bewegungen und Initiativen aus der Zivilgesellschaft konturierten in Dresden seit 2008 – im Gegensatz zu Hamburg – einen grundsätzlichen Wandel der Erinnerungslandschaft (CLAUDIA JERZAK (Dresden)). Kulturpolitik als Aushandlungsprozess zwischen Akteur:innen der Erinnerungs- und Gedenkkulturen, diesen Aspekt hob CARSTEN BROSDA (Hamburg) hervor, um damit sein Selbstverständnis als Kulturpolitiker in der Rolle eines Moderators zu charakterisieren, der den vielfach kontroversen Aushandlungsprozess in der Öffentlichkeit begleitet und auf eine Regulierung „von oben“ verzichtet, in Fragen kulturpolitischer Entscheidungen auf den Spielraum im politisch-institutionellen Raum verweist. Normativ formulierte ANDREAS KÖRBER (Hamburg) die Aufgaben der Geschichtsdidaktik in einer diversen und heterogenen (post-)migrantischen Gesellschaft: sich darauf zu konzentrieren, Multiperspektivität und Vielfalt der Erinnerungs- und Gedenkkulturen als aktuelle neue Herausforderung einer demokratischen und offenen Gesellschaft zu erkennen und ihrer Prozesshaftigkeit Rechnung zu tragen.

Die aktuelle Diskussion um die Erinnerung von Zeitzeug:innen aus der Hamburger Bevölkerung an die „Operation Gomorrha“ hat dank der Ergebnisse zweier langjähriger interdisziplinärer wissenschaftlicher Projekte eine neue Qualität gewonnen.4 Psychiater:innen, Psychoanalytiker:innen, Familienforscher:innen und Historiker:innen führten Oral-History-Interviews mit überlebenden Zeitzeug:innen über traumatisierende Erfahrungen des Feuersturms und die Ausbildung von Resilienz, d.h. der positiven Verarbeitung dieser Erfahrungen, durch. Dieser Ansatz ordnet sich der in den letzten Jahrzehnten zu beobachtenden neueren Tendenz der Kriegsgeschichtsschreibung zu, die sich umfassend neben dem Holocaust weiterem genozidalem Geschehen im Zweiten Weltkrieg zuwendet, ohne hier in eine Konkurrenz von Shoah und Bombenkrieg einzutreten.5

ULRICH LAMPARTER (Hamburg) hob als zentrales Ergebnis des ersten umfassenden wissenschaftlichen Projektes zur Erhebung und Auswertung von Zeitzeug:inneninterviews die nicht unbeträchtliche Traumatisierung der Interviewpartner:innen, zur Zeit des Feuersturms in Hamburg lebende Kinder, Männer und Frauen, hervor. Die Übertragung der durch den Feuersturm ausgelösten Ängste ließen sich teils bis in die zweite und dritte Generation der im Projekt untersuchten Familien verfolgen. Aufschlussreich war der Ko-Vortrag von DOROTHEE WIERLING (Hamburg/Berlin), die in einer sachlichen Abwägung der Kooperation der beteiligten Disziplinen aus Geistes- und Naturwissenschaften die unterschiedlichen Methodiken und Fächerkulturen hervorhob, welche sowohl die Ergebnissicherung als auch ihre Interpretation betrafen. So lag ein gewichtiger Schwerpunkt der Historiker:innen und ihrer Arbeit mit Oral History statt auf den innerpsychischen Prozessen der Erzähler:innen auf der Analyse der jeweils umfassenden lebensbiografischen Erzählung, um das Erlebnis des Feuersturms und die Ausbildung von Resilienz im Kontext der gesamten Lebenserfahrung einzuordnen. Hier zeigte sich, dass z.B. für männliche Überlebende des Feuersturms die Erfahrungen von Kriegsgewalt in Fronteinsätzen nach dem Juli 1943 als traumatisierender empfunden wurden als der Feuersturm selbst. Ebenso betonte Wierling die Bedeutung der tiefgreifenden gesellschaftlichen und politischen Transformationen der Nachkriegszeit und der ersten Jahrzehnte der Bundesrepublik für die Ausbildung von Resilienz. Dazu zählte sie das positiv erinnerte Narrativ von „Wiederaufbau“, „Gelassenheit“ und „Entspannung“ in einer Atmosphäre des Verdrängens der Verbrechen des Nationalsozialismus, die es auch den Täter:innen des NS ermöglichte, sich problemlos in die neue Republik des Wirtschaftswunders und des Konsumrausches zu integrieren.

Kriegskindheit, ein Thema, das erst nach 2000 „entdeckt“ wurde, stellte BARBARA STAMBOLIS (Münster) als Teil einer Erinnerungskulturgeschichte vor, die von verschiedenen thematisch und zeitlich sich überlagernden Diskursen geprägt ist. Die Darstellung – schwerpunktmäßig auf die Zeit zwischen 1940 bis 1955 fokussiert – folgte einem Masternarrativ, das exemplarisch einen Entwicklungsprozess von Kriegskindheit strukturierte, an dessen Beginn die Traumatisierung durch die seelisch nicht zu verarbeitenden Kriegsereignisse stand. Im Unterschied zu Lamparter u.a. legte Stambolis einen allgemeineren Traumabegriff ohne strenge Taxonomie zugrunde. Im Übrigen schloss sie sich dem dreistufigen Modell des Narrativs von Kriegskindheit an, das bereits seit den 1940er-Jahren vorherrschend war. Die ersten beiden Stufen, das (auslösende) Katastrophen- und nachfolgende Trostnarrativ, liegen bereits den breit rezipierten Fotoerzählungen „Europe’s Children 1939 to 1943“ von Thérèse Bonney zugrunde, die Kinder in verschiedenen europäischen Ländern im Krieg fotografiert hat, ebenso der Studie von Dorothy Macardle.6 In der dritten abschließenden Stufe werden die zahlreichen internationalen Hilfsangebote, darunter besonders aus der Schweiz, benannt, welche den Kriegskindern den Übergang in eine positive Zukunft vermitteln.

Die Diskussion des Vortrags galt Teilaspekten des Erklärungsmodells. Diese bezogen sich auf die impliziten Annahmen der Nachkriegserziehung und deren Folgen für die Resilienz der Kinder. So wurde z.B. kritisch auf die historische Forschung über die aus der NS-Zeit übernommenen Erziehungsmuster und Formen der strengen Disziplinierung von Kindern und Jugendlichen in der Nachkriegszeit hingewiesen. Diese prägte sowohl die elterliche Erziehung als auch das Schul- und Erholungsheimwesen, wie der aktuellen zunehmenden kritischen Auseinandersetzung ehemaliger Ferienkinder mit ihren Erholungsheimaufenthalten (z.B. Langeoog) zu entnehmen ist. Anzumerken ist auch, dass die Erklärungskraft der sogenannten vaterlosen Familie in ihrer traumatisierenden Wirkung auf die Kriegskinder angesichts der begründeten Skepsis gegenüber diesem „normativ stark aufgeladene[n] Konstrukt“7 von Vaterschaft und Kernfamilie in der aktuellen Familienforschung in Frage zu stellen ist.

Als ein Ergebnis der Transformation von Erinnerungskulturen können multidirektionale und multimodale Formen des Gedenkens und der Geschichtsvermittlung in der Gegenwart gesehen werden, die nebeneinander existieren, insbesondere vor dem Hintergrund der Diversifizierung von Gesellschaften (Stichwort postmigrantische Gesellschaften), Digitalisierung in Form von Social Media sowie einer zunehmenden Zusammenarbeit von Wissenschaft, Politik, Kunst und Kultur. Die Veränderungen schaffen verschiedene Zugänglichkeiten sowie Erinnerungsangebote und wirken einer Geschichtsvergessenheit entgegen.

Für eine vielschichtige Erinnerungskultur sind nach SYLVIA NECKER (Minden) sinnliche Zugänge zur Ereignis- und Erfahrungsgeschichte des Luftangriffs zu berücksichtigen. Diese lässt sich beispielsweise über historische Tonaufnahmen rekonstruieren. Neben Fragen nach der Quellenüberlieferung und dem Quellenwert sind es die technischen Verfahren und das Medium selbst, welches eine historisch-kulturwissenschaftliche Perspektive auf die Tonaufnahmen und auf das in ihnen enthaltene Wissen lenken. Necker führte aus, dass auditive Quellen Erinnerungen prägen können, da der Einsatz von Klangquellen emotionalisiert wirkt. Ferner werden historische Tonaufnahmen für die Inszenierung von Gewalt und Krieg genutzt, zum Beispiel auf Social Media oder in der Populärkultur. Hier schließen Fragen der Forschungsethik und des Forschungsdatenmanagements an sowie danach, ob Kriegskontexte retrospektiv erfahrbar gemacht werden können, sollen und dürfen.

Ein weiterer Zugang zu historischen Akteur:innen und Erfahrungswelten kann visuelles Wissen darstellen. MYRIAM ISABELL RICHTER (Hamburg) und GUIDO THÜRNAGEL (Hamburg) betonten den Quellenwert von Aufklärungsfotografien der Alliierten, hier am Beispiel von Luftaufnahmen von Hamburg und Umgebung, und ihre Rolle in der systematischen Kampfmittelerkundung. Ausschlaggebend für die Interpretation der historischen Fotografien ist das in ihnen eingeschriebene visuelle Wissen (Bildinformationen der Aerofotografie, Übersichten über Architekturen des Krieges und Munitionslager) sowie die Medialisierungs-, Übersetzungs- und Kartierungsprozesse von den urbanen Räumen als eine spezifische Kriegstechnik. Die beiden Historiker:innen verweisen in diesem Zuge auch auf den Stellenwert dieser Fotografien für die Bewertung von Grundstücken und demnach die Rolle des Datenschutzes für wirtschaftliche Zwecke.

Als ein weiteres Beispiel für die visuelle Übersetzung von Wissen können Fotografien und Fotobücher über die Ostfront, ihre Kontexte (Produktion, Distribution, Komposition und Rezeption) und ihre Inszenierungsstrategien spielen, wie sie von ULRICH PREHN (Berlin) vorgestellt wurden. Sie stellen spezifische Formen des halböffentlichen bzw. institutionen-öffentlichen Sehens dar, die Bilderwelten, Bildpolitiken und Blickregime von Zuschauenden in Kriegskontexten (re)produzieren und dadurch z.B. Held:innengeschichten festigten. Die Fotografien sind, so Prehn, politisch beeinflusst. Ein Fokus lag auf Quellen von Luftangriffen auf Warschau im Jahr 1939 sowie auf Hamburg und Aschaffenburg in den Jahren 1943/44 und ihrer Deutung als wirkmächtige und wirklichkeitskreierende Text-Bild-Arrangements. Darüber hinaus ist es das Medium „Kunst“ in Form von Installationen, medialen Arrangements und Performances, so MICHAEL BATZ (Hamburg), das für Erinnerungskulturen und eine Geschichtsvermittlung emotionalisierend wirken und spezifische Zugänge zu Geschichte bieten kann.

Die Wissensvermittlung von Geschichte und die historische Einordnung des Luftangriffs betrifft aber nicht nur auditives, visuelles, medialisiertes oder materialisiertes Wissen, sondern hat auch eine kognitive Dimension und eine pädagogische Funktion: So spielt nach JONATHAN SHARP (London) der Luftangriff in der nationalen Militärausbildung englischer Soldat:innen eine Rolle. Die Soldat:innen erlernen Wissen über (historische) Kriegstaktiken durch eigene Recherchen von Aspekten des Luftangriffs, den Besuch von Museen, Friedhöfen und anderen Gedenkorten sowie Rundgänge mit Zeitzeug:innen in London und Hamburg. Die Diskussion verdeutlichte, dass es sicherlich eine interessante Herausforderung für die britische Erinnerungskultur ist, die Langlebigkeit der tradierten nationalen Einstellungsmuster zum Bombenkrieg zu thematisieren.

Die Abschlussdiskutant:innen (ANDREAS KÖRBER, THORSTEN LOGGE, OLIVER VON WROCHEM, NELE MAYA FAHNENBRUCK, JOHANNA MEYER-LENZ) waren sich einig, dass es multiple Formen der Geschichtsvermittlung (Schule, Museum, Universität, Stadtrundgänge, künstlerisch-aktivistische Formen und digitale Infrastrukturen) braucht. Neben den aufbereiteten und kuratierten Medieninhalten der Geschichtsvermittlung sind es Variablen wie die Zielgruppe und die entsprechenden Formate und Gedenkelemente, welche die erinnerungspolitische Vermittlungsarbeit beeinflussen. Das Mahnmal St. Nikolai kann zum Beispiel in Hamburg als Orientierungspunkt und Begegnungsraum für die vielfältige Hamburger Stadtgesellschaft sowie für das internationale Publikum fungieren. Thematisiert werden sollten weiterhin Fragen nach den individuellen und kollektiven Erinnerungsformen in Europa sowie nach der Unversöhnlichkeit, um dichotome Opfer-Täter-Erzählungen nicht zu reproduzieren. Damit verfolgt das Mahnmal auch einen Bildungsauftrag über die von dem Luftangriff betroffenen Stadtteile hinaus, das Verhältnis zu anderen Orten in Hamburg sowie über Formen vergangenheitsbezogener Identifikationserzählung und des Geschichtemachens in Gegenwart und Zukunft. Außerdem problematisierten die Teilnehmenden Begrifflichkeiten wie Versöhnung, Trauma oder Identität und plädierten für einen „Mut zum Streit“ über Deutungshoheiten, Geschichtsquellen und Kommunikationsformen von Geschichte.

Konferenzübersicht

Offizielle Eröffnung der Tagung

Begrüßung
Martin Vetter, Erster Vorsitzender Förderkreis Mahnmal St. Nikolai e.V.
Grußwort
Carsten Brosda, Senator für Kultur und Medien (Hamburg)

Abendvortrag / Keynote
Richard Overy (Exeter): How to Kill a City: The Evolution of British Discourses on Bombing, 1930s to 1945
(Vortrag in englischer Sprache mit deutscher Übersetzung)

Podiumsgespräch
Moderation: Sylvia Necker (Minden)

Carsten Brosda, Senator für Kultur und Medien (Hamburg)
Richard Overy (Exeter)
Malte Thießen (Münster / Oldenburg)
Andreas Körber (Hamburg)
Claudia Jerzak (Dresden)

Panel I: „Operation Gomorrha“: Kulturelle Verarbeitungen des Geschehens. 1.Teil

Andreas Körber (Hamburg): Begrüßung

Isabel Richter (Hamburg) / Guido Thürnagel (Hamburg): Von blinden Flecken und bombigen Bilderwelten in Stereo. Überlegungen und Lesetechniken zur visuellen Luftkrieg-Überlieferung

Malte Thießen (Münster / Oldenburg): Bomben im Gedächtnis der Stadt: Konflikte und Konjunkturen der Hamburger Erinnerungskultur von 1943 bis 2023

Diskussion (Plenum)

2. Teil

Ulrich Prehn (Berlin): (Bomben-)Krieg als Arbeit und Deutungsarbeit: Deutsche Fotografien aus dem Zweiten Weltkrieg von der „Ostfront“ und der „Heimatfront“

Sylvia Necker (Minden): Heulen, Krachen, Scheppern. Zum Sounddesign der (Bomben)Kriegserinnerungen

Diskussion (Plenum): Moderation: Thorsten Logge (Hamburg)

Panel II: (Formen der) Verarbeitung und Weitergabe individueller Erfahrungen
Moderation und Abschlussbemerkungen: Johanna Meyer-Lenz (Hamburg)

Ulrich Lamparter (Hamburg): „Als die Luft brüllte …“. Forschungen zum „Hamburger Feuersturm“ (2005-2022) als Erfahrungsgeschichte zwischen Multiperspektivität und Interdisziplinarität

Dorothee Wierling (Hamburg / Berlin): Zwischen den Disziplinen

Barbara Stambolis (Münster): Kriegserfahrungen: Lange Schatten des Zweiten Weltkriegs in Lebens- und Familiengeschichten

Diskussion (Plenum)

Panel III: „Gomorrha“ erinnern?! Mediale Aufarbeitung für Geschichtspraxis und Public History in der Diversität der Bildungseinrichtungen (Gedenkort, Museum, Schule, audio-visuelle Medien, im öffentlichen Raum)

Andreas Körber (Hamburg): Einführung

Michael Batz (Hamburg): Erinnerungskulturen als Herausforderung: NULL UHR NEUNZEHN Hamburger Versuche, heute noch über Krieg und Feuersturm zu sprechen

Jonathan Sharp (OTL i.R., London): Gedenken und Erinnern: Vermittlung durch das Medium Film. Rezeptionsperspektive in der Ausbildung britischer Führungsoffiziere

Podium und Abschlussdiskussion

Zur Zukunft von Erinnerungskulturen: wie soll, wie kann eine Stadt erinnern unter veränderten gesellschaftlichen und politischen Bedingungen?

Andreas Körber (Hamburg), Thorsten Logge (Hamburg), Nele Maya Fahnenbruck (Hamburg), Johanna Meyer-Lenz (Hamburg), Oliver von Wrochem (Hamburg)

Anmerkungen:
1 Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hrsg.), Regierungserklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz am 27. Februar 2022, in: Reden zur Zeitenwende, Berlin 2022 (2. Aufl.), S.8.
2 Malte Thiessen, Eingebrannt ins Gedächtnis. Hamburgs Gedenken an Luftkrieg und Kriegsende 1943 bis 2005, Hamburg 2007, S. 21.
3 Jörg Arnold, Rezension zu Richard Overy, Der Bombenkrieg. Europa 1939–1945. Berlin 2014, in: H-Soz-Kult 06.08.2015, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-22414 (15.09.2023).
4 Vgl. Ulrich Lamparter u.a. (Hrsg.), Zeitzeugen des Hamburger Feuersturms 1943 und ihre Familien. Forschungsprojekt zur Weitergabe von Kriegserfahrungen, Hamburg 2013; Ulrich Lamparter u.a. (Hrsg.), Hamburg im Feuersturm. Die Bombenangriffe vom Juli 1943 in der Erinnerung der Überlebenden und im Gedächtnis der Stadt, Hamburg 1923.
5 Vgl. Eric Markusen / David Kopf: The Holocaust and Strategic Bombing. Genocide and Total War in the Twentieth Century, Boulder 1995, S. 10-16.
6 Dorothy Macardle, Children of Europe. A study of the children of liberated countries; their war-time experiences, their reactions, and their needs, with a note on Germany, Gollanez 1949.
7 Gisela Thiele, Rezension vom 26.03.2021 zu: Anne-Christin Schondelmayer u.a. (Hrsg.), Familie und Normalität. Diskurse, Praxen und Aushandlungsprozesse, Opladen 2020, in: https://www.socialnet.de/rezensionen/27845.php (27.08.2023).

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