„Konservative Revolution“ als historisches Problem

„Konservative Revolution“ als historisches Problem – Begriff, Ideen und Netzwerke im 20. Jahrhundert

Organizer(s)
Matthias Schloßberger, Europa-Universität Viadrina; Marcus Payk, Helmut-Schmidt-Universität / Universität der Bundeswehr Hamburg (Europa-Universität Viadrina)
Hosted by
Europa-Universität Viadrina
Venue
Große Scharrnstraße 59
ZIP
15234
Location
Frankfurt an der Oder
Country
Germany
Took place
In Attendance
From - Until
06.06.2024 - 07.06.2024
By
Timo Walz, Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften, Helmut-Schmidt-Universität / Universität der Bundeswehr Hamburg

Das durch Armin Mohler seit den 1950er-Jahren popularisierte Schlagwort der Konservativen Revolution hat eine vielschichtige und inzwischen lange Geschichte. Es verweist auf die verschiedenen rechtsintellektuellen, nationalistischen, vorderhand nicht nationalsozialistischen Strömungen der Weimarer Republik, aber auch auf spätere und abseitig wirkende Intellektuelle und Autoren. Es diente oftmals als Entlastungs- und Abgrenzungsargument, um konservative Positionen zu rehabilitieren. Damit stellt es bis in die Gegenwart einen wichtigen Ausgangs- und Referenzpunkt der Neuen Rechten dar. Welche Ideen, Akteure und Netzwerke mit der Konservativen Revolution verbunden werden, welche Konjunkturen der Begriff in Weimarer Republik, „Drittem Reich“, Bundesrepublik und außerhalb von Deutschland durchlief, fragte eine im Juni an der Europa-Universität Viadrina durchgeführte Tagung aus Sicht von Historiker:innen, aber auch aus literaturwissenschaftlichen, sozialwissenschaftlichen, politikwissenschaftlichen und philosophischen Perspektiven. In einer kurzen Begrüßung skizzierten die beiden Veranstalter MATTHIAS SCHLOßBERGER (Frankfurt an der Oder) und MARCUS PAYK (Hamburg) die Motivation der Veranstaltung, welche eine ideen- und begriffsgeschichtliche Bestandsaufnahme der jüngeren Forschungen in diesem Bereich darstellen sollte.

CLAUDIA KEMPER (Hamburg/Münster) eröffnete das erste Panel zur Konservativen Revolution in der Weimarer Republik. Sie regte an, kultur-, medien- und organisationsgeschichtliche Perspektiven auf die jungkonservative Strömung der Weimarer Republik einzunehmen und die intellektuelle Selbstinszenierung als Konservative Revolutionäre kritisch zu hinterfragen. Was es bedeutete, jungkonservativ zu sein, sei schon früh diskutiert worden. Statt eines konkreten Programms oder eines geschlossenen Gedankengebäudes sei dabei typischerweise eine vergleichsweise ideelle Offenheit, ideologische Ambivalenz und eine vorpolitische Haltung, aber auch wiederkehrende Denkfiguren wie der Antagonismus zwischen aufstrebender Jugendlichkeit und erstarrtem Alter, Ideen einer „Dritten Figur“ oder eine Verklärung „des Ostens“ anzutreffen. Anhand des Publizisten Arthur Moeller van den Bruck zeigte Kemper typische Charakterzüge der jungkonservativen Strömung auf, die als Ausdruck einer „modernen Antimoderne“ (Volker Weiß) verstanden werden könnten.

DETLEV SCHÖTTKER (Berlin) stellte sich in seinem Beitrag gegen gängige Interpretationen der Brüder Ernst und Friedrich Georg Jünger. Ernst Jünger als Vordenker heutiger rechtsnationaler Bewegungen zu interpretieren, werde diesem nicht gerecht. Vielmehr seien für Jüngers Veröffentlichungen die Wahrnehmung der Welt und des Weltwandels zentral. Jüngers Weltkriegsschriften interpretierte Schöttker als dokumentarische Auseinandersetzung mit dem industrialisierten Krieg und als frühe gestalttheoretische Arbeiten. Jünger habe sich nur kurzzeitig und in wenigen Veröffentlichungen zum Frontsoldatentum bekannt, damit aber kaum ein politisches Bekenntnis verbunden. Es greife zu kurz, so Schöttker, die Idee des Frontsoldatentums als nationalistisch zu deuten. Auch Friedrich Georg Jünger, der im Beitrag leider sehr blass blieb, habe zur Politik nur wenig zu sagen gehabt. Zudem sei die Beziehung zwischen den Brüdern, anders als in Teilen der Literatur behauptet, keinesfalls harmonisch verlaufen.

In der anschließenden Diskussion wurde der unterschiedlich weit gefasste Politikbegriff thematisiert, der sich in den Beiträgen verdeutlichte. Gangolf Hübinger fragte, ob die Idee der Frontgemeinschaft Jüngers nicht Schnittstellen mit der Idee der NS-Volksgemeinschaft aufweise. Maik Tändler wies darauf hin, dass Jüngers Rezeption, der heute „Säulenheiliger in Schnellroda“ sei, weniger durch seine konkreten politischen Botschaften als mit habituellen und ästhetischen Präferenzen erklärt werden könne. Zudem warf die Diskussion die Frage nach dem Begriff des Konservativen in den Bezeichnungen Konservative Revolution und Jungkonservatismus auf. Claudia Kemper stellte die These auf, dass der Begriff des Konservatismus am Ende des Ersten Weltkrieges unbesetzt sowie zu haben gewesen sei und sich deshalb für neue politische Strömungen angeboten habe.

Das zweite Panel legte einen Schwerpunkt auf die Zeit von 1933 bis 1945. Der Vortrag von ALEXANDER EBNER (Frankfurt am Main) behandelte das Wirtschaftsdenken der Konservativen Revolution. Dieses sei nur randständig erforscht, obwohl es bis heute – etwa auf Teile der AfD – eine anhaltende Wirkung ausübe. Zudem seien die illiberal-antidemokratischen Vorstellungen der Konservativen Revolution nicht verständlich, ohne ihre Haltung gegen Marktwirtschaft sowie Kapitalismus und für eine autoritäre Staatswirtschaft einzubeziehen. Das Wirtschaftsdenken der Konservativen Revolution lasse sich allgemein gesprochen als Unterordnung von Eigentum und Märkten unter das Primat der Politik interpretieren. Insgesamt gebe es jedoch sehr vielfältige Vorstellungen. Den größten Einfluss auf das Wirtschaftsdenken der Konservativen Revolution hätten die Ökonomen Werner Sombart, Othmar Spann und Friedrich von Gottl-Ottlilienfeld ausgeübt. In der unmittelbar anschließenden Diskussion wurde unter anderem erörtert, ob die Zwischenkriegszeit insgesamt durch einen antikapitalistischen Zeitgeist geprägt gewesen und die Konservative Revolution nur dieser Tendenz gefolgt sei. Ebner unterstrich, wie weit verbreitet und lagerübergreifend Vorstellungen einer staatlichen Planung des Wirtschaftslebens und von Mischsystemen aus Plan- sowie Marktwirtschaft gewesen seien.

MATTHIAS SCHLOßBERGER (Frankfurt an der Oder) setzte sich mit der Geschichte des Begriffs der „Konservativen Revolution“ auseinander. In der Forschung werde die Popularisierung des Begriffs meist auf Armin Mohlers Dissertation von 1950 zurückgeführt und damit als spätere sowie undifferenzierte Sammelbezeichnung betrachtet, so beispielsweise in Stefan Breuers „Anatomie der Konservativen Revolution“ von 1993. Schloßberger verwies jedoch anhand großer Quellenkorpora darauf, dass das Schlagwort bereits vor 1945 und insbesondere in den 1930er-Jahren verwendet wurde. Jungkonservative wie Edgar Julius Jung oder Herbert Rauschning versuchten damit, die eigene, nicht nationalsozialistische Haltung zu beschreiben. Die (österreichische) Presse nutzte den Begriff daher beispielsweise für Papens NS-kritische Marburger Rede von 1934. Selbst Hitler und andere NS-Größen hätten den Begriff der Konservativen Revolution punktuell für ihr eigenes Unterfangen genutzt, womöglich um ihn seiner vorherigen Bedeutung zu entleeren. Die historische Forschung sollte, so Schloßberger, den Begriff der Konservativen Revolution daher nicht einfach verwerfen, sondern als Quellenbegriff reflektieren und aufzeigen, wie und wann der Begriff (als Selbstbezeichnung) genutzt wurde. Die anschließende Diskussion plädierte dafür, Schloßbergers Ansatz auszuweiten; auf der anderen Seite wurde eingewandt, dass der Begriff der Konservativen Revolution als Forschungsbegriff ideologisch zu belastet sei.

REINHARD MEHRING (Heidelberg) behandelte in seinem Beitrag Thomas Manns Verhältnis zur Konservativen Revolution, insbesondere in der Exilzeit und vor dem Hintergrund der philosophischen Diskussion der Zwischenkriegszeit. Mann könne, so Mehring, als prononciertester Vertreter eines philosophischen Projekts der Konservativen Revolution gelten. Der Vortrag ging besonders auf die Exilzeit Manns ein, in welcher der Schriftsteller den Begriff der „Konservativen Revolution“ verwendete, um damit eine Überwindung des nationalsozialistischen Ungeists zu umschreiben. Unter anderem könnten „Doktor Faustus“ und die Josephsromane als Teil einer derart gefassten Konservativen Revolution verstanden werden. Mann habe in seiner Exilzeit zudem in regem Austausch mit dem neukantianischen Philosophen und aktiven Sozialdemokraten Siegfried Marck gestanden, worin Mehring eine weitere philosophische Variation im Verständnis der Konservativen Revolution erblickte.

Ein zentraler Punkt der Diskussion war die Frage, ob und wie Literatur als Ersatz für den politischen und liberalen Diskurs im Exil genutzt wurde (und werde), insbesondere in Russland und Deutschland. Gegen die wahrgenommene Ausweitung des Begriffs der Konservativen Revolution wurde eingewandt, dass dieser Akteuren aus der (extremen) Rechten vorbehalten bleiben sollte. Es sei zweifelhaft, ob der Begriff der Konservativen Revolution für Thomas Mann passend sei. Daran anschließend plädierte Claudia Kemper für eine stärkere sozialgeschichtliche Einordnung der begriffs- und ideengeschichtlichen Untersuchungen. Überhaupt müsse, so auch Matthias Schloßberger, untersucht werden, in welchem Verhältnis die verschiedenen und vielfältigen Akteure standen, die den Begriff der Konservativen Revolution nutzten. Alexander Ebner betonte, der Begriff des Revolutionärs sei eigentlich irreführend. Die untersuchten Akteure zeichne aus sozialhistorischer Perspektive genau genommen aus, dass sie bestens in den Eliten vernetzt gewesen seien. Allenfalls könne von Putschisten gesprochen werden.

MAIK TÄNDLER (München) eröffnete das dritte Panel mit einem Beitrag über die (frühe) Rezeptionsgeschichte von Armin Mohlers 1950 erschienener Dissertation „Die Konservative Revolution“. Er verband dies mit biographischen Perspektiven auf Mohler in der frühen Bundesrepublik und die Herausbildung der westdeutschen Zeitgeschichtsschreibung. Mohlers Buch sei breit besprochen worden, auch in wichtigen deutschsprachigen Zeitungen und Fachzeitschriften, wobei jede politische Richtung die Schrift als Projektionsfläche für das eigene Selbstverständnis genutzt habe. Laut Tändler habe Mohler in den 1950er-Jahren auf eine akademische Karriere am Institut für Zeitgeschichte hoffen können. Seine Forschungsambitionen scheiterten jedoch – unter anderem an einem negativen Gutachten Gerhard Ritters. Ende der 1950er-Jahre sei aus offenbar politischen Gründen der Bruch mit seinen Unterstützern am Institut erfolgt, zu denen etwa Hans Rothfels und Werner Conze gehörten. Mohler habe stattdessen im publizistischen Bereich reüssiert. Eine zweite Auflage seiner „Konservativen Revolution“ von 1972 sei dann weniger breit und auf konservativer Seite bereits mit einem affirmativen sowie nostalgischen Blick rezensiert worden.

Die Diskussion behandelte unter anderem die Frage, ob mit der Polarität von Mohler und Kurt Sontheimer, dessen Schrift „Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik“ (1962) sich gleichsam als Gegenentwurf lesen lasse, eine Liberalisierungsgeschichte der Bundesrepublik erzählt werden könne. Mohler habe anfangs mehr Zuspruch gefunden, doch Sontheimer habe sich in den 1960er-Jahren mit seiner Deutung durchgesetzt. Zudem wurde diskutiert, wie das Konzept der Generation für die Rezeption der „Konservativen Revolution“ fruchtbar gemacht werden könne. Für die Frage nach Mohlers Wirken in der Carl-Friedrich-von-Siemens-Stiftung verwies Tändler auf ein aktuelles Forschungsvorhaben zur Stiftungsgeschichte, das er am Institut für Zeitgeschichte bearbeiten werde.

ALEŠ URVÁLEK (Brünn) sprach über das wechselhafte Verhältnis Armin Mohlers zum „Merkur“ unter den Herausgebern Joachim Moras und Hans Paeschke. Beide hätten Mohler zunächst offen gegenübergestanden. Dessen frühe Veröffentlichungen im Merkur zeigten seine intimen Kenntnisse der französischen Politik und insbesondere der französischen Rechten. Ab der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre wäre jedoch Mohlers Distanz zum Merkur gewachsen. Zum endgültigen Bruch sei es gekommen, nachdem der Merkur 1970 Jürgen Habermas für ein „gehässiges Elaborat“ (Mohler) gegen Arnold Gehlen Platz geboten habe. Mohler war der Ansicht, im „alten“ Merkur hätte es keinen Raum für solche Artikel gegeben. Eine derartige Differenzierung zwischen einem alten, aufrichtig-nonkonformen und einem neueren, opportunistischen Merkur zog Urválek jedoch in Zweifel. In der anschließenden Diskussion wurde unter anderem erörtert, ob Paeschke nicht recht behalten habe und sich in seinem Verhalten ein Gespür für den Zeitgeist zeige, der sich zunehmend gegen Mohler gewendet habe.

Das letzte Panel behandelte internationale Einflüsse und Wechselbeziehungen mit vergleichbaren Ideenbewegungen in anderen Ländern. ANNETTE WERBERGER (Frankfurt an der Oder) sprach über die Rezeption der Konservativen Revolution und verwandter Vorstellungen in Russland. Sie zeigte, dass der russische Nationalismus stark vom deutschen Idealismus und der deutschen Romantik beeinflusst worden sei, ohne dass es aber eine vorlaufende Aufklärung gegeben habe. Der in Russland vorherrschende Nationalismus sei imperialistisch geprägt. Werberger erläuterte, dass sich die heutige Rezeption der Konservativen Revolution in Russland unter anderem in einer regen Übersetzungstätigkeit niederschlage, die vor allem in den 2000er-Jahren bemerkbar wurde. Mohlers Buch „Die Konservative Revolution“ erschien 2017 auf Russisch. Als wichtigen Multiplikator einschlägiger Ideen und Schlagwörter in Russland benannte Werberger den rechtsnationalistischen Ideologen Alexander Dugin. Heute kursierten viele Zitate von Autoren der Konservativen Revolution in einschlägigen Telegram-Kanälen. Die anschließende Diskussion fragte unter anderem, ob auch in der Gegenrichtung Einflüsse ausgemacht werden könnten und ob die Neue Rechte in Deutschland die Vorgänge in Russland als Bestätigung ihrer eigenen Positionen wahrnehme.

MIRIAM FINKELDEY (Berlin/Hamburg) sprach zur Rezeption der Konservativen Revolution in Italien und hier besonders im Werk von Julius Evola. Nachdem dieser von einem italienischen Gericht 1951 als Vordenker einer rechtsextremen Terrororganisation angeklagt worden sei, habe er sich in seiner Verteidigung vom Faschismus abgegrenzt, indem er sich unter apologetischer Berufung auf Mohlers Buch zu einem „Konservativen Revolutionär“ stilisierte. Auch später habe sich Evola bemüht, den von Mohler geprägten Begriff der „Konservativen Revolution“ und die von ihm damit verbundenen Konzepte für seine eigenen Ideen der „Tradition“ zu nutzen. Obwohl Mohlers Buch in der breiteren Öffentlichkeit Italiens längere Zeit kaum bekannt war, habe es sich durch Evolas Rezeption zu einem wichtigen Referenzpunkt innerhalb der italienischen Rechten entwickelt. Die anschließende Diskussion beschäftigte sich unter anderem damit, wie und warum Evola sich auf Mohler bezogen habe. Finkeldey betonte, dass einerseits strategische Gründe von Bedeutung waren, um sich vom Faschismus und Nationalsozialismus abzugrenzen. Andererseits habe sich Evola inhaltlich mit den Akteuren und Ideen der Konservativen Revolution identifizieren können. Zwar hätten sich dabei Widersprüche zu einzelnen Vorstellungen gezeigt, doch sei für die gesamte Konservative Revolution ohnehin kaum von einer kohärenten Ideologie zu sprechen.

JOHANNES STEIZINGER (Hamilton) sprach über die Konservative Revolution in der französischen Nouvelle Droite und stellte hierzu besonders ihren Vordenker Alain de Benoist in den Mittelpunkt. Dieser habe Mohlers Buch zur Konservativen Revolution schon früh als außergewöhnliche Inspiration wahrgenommen. Steizinger zeigte, wie sich seit den 1960er-Jahren rege Kontakte und intellektueller Austausch zwischen den deutschen und französischen Neuen Rechten entwickelten und wie Mohler sowie de Benoist vielfältig – etwa als Autoren und Herausgeber – dazu beitrugen. Ihre Tätigkeiten und ihr immer wieder hergestellter Bezug auf die Konservative Revolution seien für die Herausbildung inter- und transnationaler neurechter Netzwerke wesentlich gewesen. Steizinger stellte gleichwohl die eigenständigen inhaltlichen Positionen der Nouvelle Droite heraus, insbesondere von de Benoist. Dieser habe sich bemüht, eine rechtsintellektuelle Gegenkultur in Frankreich zu entwickeln und sich dabei sowohl vom Nationalsozialismus als auch vom traditionellen Konservatismus abgegrenzt. Einer der in der Diskussion behandelten Punkte waren kulturelle und Glaubensfragen in der Neuen Rechten. Steizinger erläuterte, dass de Benoist Gramscis Überlegungen zur kulturellen Hegemonie aufgegriffen habe, da ihm das Konzept auch für die politische Rechte fruchtbar erschien. Das Verhältnis von Religion und Ideologie, so wurde in der Diskussion weiter herausgestellt, sei in der Neuen Rechten hingegen allgemein diffus: Während sich beispielsweise de Benoist auf einen Paganismus beziehe, würde das Ehepaar Kubitschek erklärtermaßen katholisch auftreten.

Der Beitrag von OLIVIER AGARD (Paris) fragte danach, wie der französische Soziologe Julien Freund und sein Denken in den Diskurs um die Neue Rechte einzuordnen seien. Freund sei in den 1970er-Jahren, als er bereits als etablierter Intellektueller galt, von de Benoist kontaktiert worden und habe anschließend dessen Ideen salonfähig gemacht. Nicht zuletzt deshalb sei Freund wegen einer angeblichen Nähe zur Neuen Rechten umstritten. Agard schlug vor, diese Einschätzung an Freunds Werk – insbesondere an seinem Hauptwerk, „L’Essence du politique“ (1965) – zu prüfen. Er zeigte, dass sich hier zwar Vorstellungen fänden, welche an die Ideen der Neuen Rechten anschlussfähig seien; das beträfe etwa die von Carl Schmitt beeinflusste Polemik gegen den Liberalismus. Dennoch machten solche Elemente nicht den Kern des Werks aus. Freund habe sich als Gaullist verstanden und sei eher in einer konservativen, neu-aristotelischen Richtung zu verorten. Die anschließende Diskussion fragte unter anderem, ob auch Julien Freund dazu beigetragen habe, dass in der deutschsprachigen Neuen Rechten verstärkt französische Autoren wie Georges Sorel rezipiert worden seien. Zudem wurde diskutiert, ob es zwischen philosophischen Denker:innen einerseits und politischen Bewegungen und Parteien andererseits überhaupt zu programmatischen Übereinstimmungen kommen oder nicht selbst in exponierten Fällen nur von einer Anschlussfähigkeit gesprochen werden könne.

Dass das Thema der Tagung aktuell ist, zeigte neben einem beachtlichen Publikumszuspruch auch das publizistische Interesse an der Veranstaltung. In der „Welt“ wurde angesichts der Rezeption der Konservativen Revolution in Italien, Frankreich und Russland vom „Exportschlager deutscher Ideologie“ gesprochen und die einschlägigen Traditionsbezüge innerhalb der Neuen Rechten wie der AfD in die Formulierung „Konservative Revolution is coming home?“1 gebracht. Tatsächlich können die vielschichtige Rezeption und Umdeutung des Begriffs der Konservativen Revolution sowie seine transnationale Zirkulation in den Netzwerken (pan-)europäischer Nationalisten als ein wesentlicher Befund der Tagung gelten. So diffus der Terminus auch ist, so sehr wohnt ihm eine suggestive Bedeutung und Anziehungskraft inne. Indem die Konferenz auf eine abschließende Definition oder programmatische Engführung des Begriffs verzichtete, konnten seine Verwendung und seine strategischen Potentiale in verschiedenen historischen Kontexten herausgestellt werden, wobei sich besonders die Kombination von begriffsgeschichtlichen Ansätzen mit ideen-, sozial- und netzwerkgeschichtlichen Untersuchungen als fruchtbar erwiesen hat.

Konferenzübersicht:

Marcus Payk (Hamburg) / Matthias Schloßberger (Frankfurt an der Oder): Begrüßung und Einführung in das Thema

Panel 1: Arbeit und politische Agitation mit dem Begriff der „Konservativen Revolution“ in der Weimarer Republik

Claudia Kemper (Hamburg/Münster): Selbstinszenierung und radikale Deutungen im jungkonservativen Netzwerk

Detlev Schöttker (Berlin): Die Brüder Jünger und die Konservative Revolution

Panel 2: Zwischen NS-Regime und Exil: Fortleben einer „Konservativen Revolution“ zwischen 1933/34 und 1945

Alexander Ebner (Frankfurt am Main): Kapitalismus, Sozialismus, und Autokratie. Autoritäres Wirtschaftsdenken der Konservativen Revolution

Matthias Schloßberger (Frankfurt an der Oder): Konservative Revolution im Nationalsozialismus

Reinhard Mehring (Heidelberg): Die „konservative Revolution“ im Emigrationsdiskurs. Thomas Mann und Siegfried Marck

Panel 3: Armin Mohler, seine Dissertation und ihre Folgen

Maik Tändler (München): „Hilfe für die rechte Intelligenz in Deutschland“. Zur Rezeptionsgeschichte von Armin Mohlers „Konservativer Revolution“

Aleš Urválek (Brünn): „Was mich gerade für den MERKUR interessiert, wäre eine Arbeit aus Ihrem Hauptarbeitsgebiet der ‚konservativen Revolution‘“. Einige Bemerkungen zu Armin Mohler als Mitarbeiter der Zeitschrift Merkur

Panel 4: Internationale Einflüsse und Rezeption im Ausland

Annette Werberger (Frankfurt an der Oder): Konservative Revolution in Russland

Miriam Finkeldey (Berlin/Hamburg): Zwischen „Konservativer Revolution“ und „Tradition“. Die italienische Rezeption von Armin Mohler durch Julius Evola

Johannes Steizinger (Hamilton): Going global. Die Konservative Revolution in der Ideologie der Nouvelle Droite

Olivier Agard (Paris): Julien Freund. „Unzufriedener Liberal-Konservativer“ oder französischer Vermittler der „Neuen Rechten“?

Marcus Payk (Hamburg) / Matthias Schloßberger (Frankfurt an der Oder): Resümee und Abschluss der Veranstaltung

Anmerkung:
1 Jakob Hayner, Das Comeback der Konservativen Revolution, in: Welt, 12.06.2024, https://www.welt.de/251968714 (02.10.2024). Siehe als weiteren Veranstaltungsbericht auch Miguel de la Riva, Rechter Grenzverkehr. Mohlers Rezeption, ein Spiel über Familienbande, in: FAZ, 12.06.2024, https://www.faz.net/aktuell/wissen/geist-soziales/konservative-revolution-rechter-grenzverkehr-19779613.html (02.10.2024).

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