Dass „Diplomatiegeschichte“ weit mehr beinhaltet als die berühmt-berüchtigten „Haupt- und Staatsaktionen“ (was immer genau damit gemeint sein mag), dürfte mittlerweile allgemein anerkannt sein. Mit „Diplomatie“ werden nicht mehr nur genuin außenpolitischen Entscheidungsprozessen gewidmete Forschungen verbunden, auch die neue Kulturgeschichte hat Diplomatie für ihre Fragestellungen entdeckt. Im vorliegenden, aus einer Tagung an der Universität Bonn hervorgegangenen Band, wird, wie Arno Strohmeyer in seiner sehr ausführlichen Einleitung darlegt, die europäische Diplomatie des 16. und 17. Jahrhunderts mit einen zentralen Anliegen der Kulturgeschichte „konfrontiert“, der „Differenzerfahrung“ oder „Fremdwahrnehmung“ des Menschen. Die eher allgemeine Definition von „Fremd“/„Fremdheit“ als einer „Beziehung, das Ergebnis einer Unterscheidung des Eigenen von Anderen“, ergänzen die Herausgeber, um ein aussagekräftiges Instrument der Forschung zu erhalten, durch Anregungen aus dem Bereich der „historisch-anthropologischen“ Forschung zur frühneuzeitlichen Reiseliteratur (S. 8). Zwangsläufig ist „Wahrnehmung“ der zweite methodisch-theoretische Begriff, den es vorab zu klären gilt: „Fremdheit“ wird begründet durch „Wahrnehmung“, letztere verstanden „als aktive[r] und bewusste[r] Prozess [...] menschlicher Wissensdeutung“ (S. 9). Ziel des Bandes sei es daher, so die Herausgeber, „den Themenkomplex ‚Fremdwahrnehmungen’ durch die Einbeziehung der Vorstellungswelten und Erfahrungshorizonte diplomatischer Akteure zu vervollständigen.“ Man will Diplomatiegeschichte durch die „bislang vernachlässigte anthropologische Dimension erweitern“, um „frühneuzeitlichen außenpolitischen Institutionen und Strukturen durch anthropologische Deutungen besser gerecht zu werden“ (S. 11).
Diese Frage am Beispiel der Diplomatie zu untersuchen drängt sich geradezu auf, denn die Begegnung mit dem „Anderen“ zählte für den Gesandten zum Alltag. Doch im Gegensatz zum Reisebericht, in dem die Fremdheitserfahrung im Mittelpunkt stehen kann, geben genuin „diplomatische“ Quellen, das heißt die Depeschen, Denkschriften, Relationen der Gesandten und ihrer Auftraggeber, wenig Auskunft über die Wahrnehmung des Fremden. Diese Texte stellen spätestens seit dem 15. Jahrhundert eine eigene Gattung dar, deren Inhalt immer formalisierter wurde, je „professioneller“ die Administration der Außenpolitik des entsendenden Akteurs wurde. Fremdwahrnehmungen lassen sich zwar auch in ihnen immer finden, doch diese entpuppen sich bei genauerem Hinsehen oftmals als Stereotype und Klischees, wie A. Tischer beispielsweise am Beispiel der französischen Diplomaten auf dem Westfälischen Friedenskongress zeigt (S. 267ff.). Die Wahrnehmung des Anderen, der Gesprächspartner des Diplomaten, wird bestimmt durch einen Filter von Vorurteilen, von politischen Einschätzungen, Freund-Feind Bildern etc.
Dass im 16. und frühen 17. Jahrhundert die konfessionelle Zugehörigkeit ein wichtiges Differenzmerkmal darstellte, verdeutlichen die Herausgeber am Beispiel des Nuntius Atilio Amalteo, der Deutschland durch die „Brille“ der tridentinisch erneuerten, zentralisierten „Papstkirche“ betrachtete (S. 87), des Weiteren am Beispiel der spanischen Gesandten am Hofe Ferdinands I. (S. 161f.) und schließlich erneut am Beispiel der französischen Gesandten in Münster, deren Skepsis gegenüber den niederländischen Alliierten nicht zuletzt konfessionell begründet war (S. 282). Über die persönliche Fremderfahrung der Gesandten erfährt man in deren Relationen und Korrespondenzen jedoch wenig (vgl. auch das Resümee Strohmeyers, S. 19ff.). Einblicke erlauben allenfalls private Briefwechsel oder Aufzeichnungen, deren Überlieferung jedoch weit zufälliger ist als die der zentral archivierten diplomatischen Papiere.
Die Beiträge sind auf fünf Themenblöcke verteilt: Wolfgang Reinhard („Historische Anthropologie frühneuzeitlicher Diplomatie: Ein Versuch über Nuntiaturberichte 1592-1622“), Stefan Samerski („A. Amalteo als Nuntius in Köln [1606-1610]“) und Bettina Scheerbaum bilden das erste Kapitel „Nuntiaturen und Römische Kurie“, wobei Scheerbaums Beitrag („Der einheimische Gesandte und sein fremder Auftraggeber: Das Beispiel der bayerischen Gesandtschaft in Rom im 17. und 18. Jahrhundert“) einen Sonderfall thematisiert. Denn nicht der Diplomat befand sich in der Fremde, vielmehr war es der Auftraggeber, der Kurfürst von Bayern, der vor Ort (in Rom), einen Einheimischen mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragte. Grenzen waren also zwischen Auftraggebern und Diplomaten zu überwinden.
Im zweiten Kapitel „Habsburgische Diplomatie und Reichstag“ informieren Christina Lutter über Venedig und Habsburg zur Zeit Maximilians I., Christopher F. Laferl über spanische Gesandte am Hofe Karls V. und Ferdinands I. und Josef Leeb über Diplomaten auf dem Augsburger Reichstag von 1582. In einem Band über die Diplomatie im 17. Jahrhundert kann eine Sektion über den Westfälischen Friedenskongress nicht fehlen, hier steuern Guido Braun, Michael Rohrschneider und Anuschka Tischer, alle ehemalige Mitarbeiter an der Edition der Friedensakten (Acta Pacis Westphalicae), quellennahe Beiträge über „Fremdsprachen als Fremderfahrung“ (Braun), sowie über Fremdwahrnehmungen der spanischen (Rohrschneider) und der französischen Gesandten (Tischer) bei.
Dominierte im 16. Jahrhundert die italienische und spanische Diplomatie, so ging im 17. Jahrhundert die Führungsrolle hinsichtlich Effizienz und Erfolg an Frankreich über. Friedrich Beiderbeck („Feindbilder französischer Gesandtschaften ins römisch-deutsche Reich um 1600“) untersucht Feindbilder französischer Diplomaten im Alten Reich zur Zeit Heinrichs IV. und ihren Einfluss auf Entscheidungsprozesse. Thomas Lau präsentiert eine Synthese über das Wirken französischer Diplomaten in Solothurn („Fremdwahrnehmung und Kulturtransfer – der Ambassadorenhof in Solothurn“). Das letzte Kapitel über „Christen und Muslime“ enthält zwei Beiträge: über die Begegnung Europas mit dem Osmanischen Reich (Ernst Dieter Petrisch: „Fremderfahrungen kaiserlicher Diplomaten im Osmanischen Reich [1500-1648]“) sowie über die osmanische Diplomatie des frühen 18. Jahrhunderts (Suraya Faroqhi: „Der osmanische Blick nach Osten: Dürrî Ahmed Efendi über den Zerfall des Safawidenreichs 1720-1721“). Im Gegensatz zu Europa können wir zur Erforschung der osmanischen Diplomatie der Frühen Neuzeit nicht auf eine seit dem 15. Jahrhundert kontinuierlich gewachsene und in den Archiven der Staatskanzleien gesammelte Überlieferung zurückgreifen. Regelmäßige Berichterstattung in Form schriftlicher Berichte, eine der zentralen Aufgaben des europäischen Diplomaten, gab es im Osmanischen Reich nicht. Nur vereinzelt sind Berichte überliefert, wie der des Dürrî Ahmend Efendi über eine Mission in den Iran. Seine Darstellung der politischen Zustände am persischen Hofe lässt eine weitgehend identische Methode der politischen Analyse sowohl im Osmanischen Reich als auch in Europa erahnen. Im Mittelpunkt der Relation stehen Fragen nach der Macht des Staates, nach seinen Ressourcen, nach seiner Verfassung, ergänzt durch Porträts von Herrschern, von Ministern und der Hofgesellschaft. Eine nach denselben Kategorien strukturierte Relation hätte auch ein europäischer Diplomat verfassen können.
Alle Beiträge zeichnen sich durch ihre Quellennähe aus und vermeiden überlange theoretische Reflexionen (und Spekulationen). Wolfgang Reinhards Warnung – „manchmal ist eine Pfeife wirklich nur eine Pfeife, d.h. ein Gerät der Rauchkultur und kein Symbol“ (S. 53) – haben alle Autoren beherzigt. Den Leser erwartet ein höchst informativer und detailreicher Einblick in die Diplomatie des 16. und 17. Jahrhunderts.