C. Holmes u.a. (Hrsg.): Political Culture in the Latin West, Byzantium and the Islamic World, c. 700 – c. 1500

Cover
Titel
Political Culture in the Latin West, Byzantium and the Islamic World, c. 700 – c. 1500. A Framework for Comparing Three Spheres


Herausgeber
Holmes, Catherine; Shepard, Jonathan; Van Steenbergen, Jo; Weiler, Björn
Erschienen
Anzahl Seiten
549 S.
Preis
£ 105,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Miriam Salzmann, Historisches Seminar/Abteilung Byzantinistik, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

„Political Culture in the Latin West, Byzantium, and the Islamic World, c. 700 – c. 1500. A Framework for Comparing Three Spheres“ reiht sich in die wachsende Menge der Veröffentlichungen ein, die das Mittelalter aus der Perspektive und mit den Instrumenten der global history betrachten und damit auch den eurozentrischen Blick auf diese sehr europäisch geprägte Epocheneinteilung aufbrechen möchten. Der Band, der gemeinsam von elf ausgewiesenen Spezialisten für islamische und byzantinische Geschichte sowie das westliche Mittelalter geschrieben wurde, hat zum Ziel, insbesondere Historikern, die in einem der drei Felder beheimatet sind, eine Grundlage für komparative Studien an die Hand zu geben. Anhand des konkreten Themas der political culture gibt der Band einen umfassenden und gut strukturierten Einblick in die Entwicklung von Macht- und Elitestrukturen zwischen dem 8. und dem 15. Jahrhundert in der lateinisch-westlichen, byzantinischen und islamischen Welt. Die Autoren ordnen den Band explizit sowohl in die comparative als auch in die connected history ein, betonen jedoch, dass er nur eine Vorarbeit für einen Vergleich leisten könne. Eine weitere Veröffentlichung mit dem Schwerpunkt auf den Verbindungen zwischen den verschiedenen Regionen werde eventuell folgen. (S. 2)

Der Sammelband ist ein Produkt eines losen Verbundes von Historikern, die sich beginnend mit einer Initiative auf dem International Medieval Congress in Leeds 2005 mit den politischen Strukturen in den drei von ihnen sogenannten „Sphären“ auseinandergesetzt haben. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Nach gleich zwei Einleitungen und Grundlagenkapiteln zu den Quellen (Part I) und dem historischen Kontext (Part II) analysieren die Autoren für jede Sphäre sowohl die Normen und Werte von Herrschaft und Eliten (Part III) als auch ihre Praktiken und Organisationsformen (Part IV). Für die Kapitel sind zum Teil mehrere Spezialisten hinzugezogen worden, um die große zeitliche, geographische und kulturelle Spanne abzudecken. Der Band schließt mit Schlussfolgerungen des Byzantinisten Jonathan Shepard.

Die erste Einleitung, „Political Culture in Three Spheres. Introduction“, die von den Herausgebern stammt, führt in die Begrifflichkeit und die zugrundeliegende Struktur des Sammelbandes ein. Dabei wird erläutert, dass die Autoren der einzelnen Kapitel eine Reihe von Grundfragen zur Eliten- und Herrschaftsstruktur ihrer jeweiligen Sphäre an die Hand bekommen haben, die eine grundsätzliche Vergleichbarkeit der verschiedenen Kapitel gewährleisten sollten. Die Methode ist explizit von Nora Berends Forschungen1 zur Christianisierung in Skandinavien, Zentraleuropa und der Rus’ übernommen (S. 4); die Fragen sind für den interessierten Leser gemeinsam mit einer Arbeitsdefinition von political culture in einem Appendix (S. 506–509) aufgelistet. Sie reichen von den in Herrschaft involvierten sozialen Gruppen über die wichtigsten Bestandteile politischer Ideologie bis zum Maß der öffentlichen Organisation von Macht und der Rolle von Gewalt und Friedenserhalt in den jeweiligen politischen Formationen.

Etwas merkwürdig mutet zunächst die Existenz einer zweiten Einführung, „Reflections on Political Culture in Three Spheres“, von Steven Humphreys an. Deren erster Teil bringt eine Definition von political culture (S. 17–18), im zweiten Teil schlägt Humphreys vier Themen vor, an denen sich die strukturellen Gemeinsamkeiten und Unterschiede der byzantinischen, lateinischen und islamischen Welt am besten untersuchen ließen: Religion, die Rolle von Frauen, Besitzverhältnisse und Krieg (S. 19). Humphreysʼ Definition von political culture tritt damit neben die Arbeitsdefinition des Verbundes (S. 507) sowie die kurze Bestimmung des Begriffes in der ersten Einleitung (S. 5). Gemeinsam mit den vier Grundthemen scheint hier dem Band eine zweite, parallele Struktur gegeben zu werden, was erst einmal verwirrt. Bei genauerer Lektüre stellt sich jedoch heraus, dass Humphreysʼ Definition der politischen Kultur eine gelungene Weiterentwicklung der noch etwas unpräziseren Arbeitsdefinition darstellt und den Band somit um eine wichtige Grundlage bereichert. Seine vier Themen ergänzen die abstrakten „Meta-Fragen“, die den Kapiteln zugrunde liegen, auf durchaus angemessene Weise und geben dem Leser Stoff zum Weiterdenken.

Die inhaltlichen Kapitel gehen dementsprechend sowohl auf die Grundfragen des Projektes als auch auf Humphreysʼ vier Themen ein; der grundsätzliche Aufbau orientiert sich jedoch an den Arbeitsfragen. Diese leisten eine gute Arbeit, ermöglichen sie es dem Leser doch, insbesondere die ihm weniger bekannten Sphären in ihren grundlegenden Charakteristika schnell und vor allem strukturell zu erfassen. Die meisten Kapitel setzen diese Perspektive trotz der vielen Details zu Ereignissen, Gruppen und Personen, die es aufzunehmen gilt, geradezu vorbildlich um.

Die Kapitel im Teil I "Sources" zeigen auf gelungene Weise sowohl die verschiedenen Arten von Texten und anderen Quellen auf, die Aufschluss über Eliten in den jeweiligen Sphären geben, als auch ihre strukturelle Verbindung zu den Gegebenheiten und sozialen Akteuren, die in den Sphären vorherrschten. Dabei stellt Shepard unter anderem die These auf, dass die ungleich dichtere Quellenüberlieferung der lateinischen Welt im Vergleich zu Byzanz und den islamischen Reichen nicht nur dem historischen Zufall geschuldet sei, sondern auch dem weniger formalisierten Rechtssystem und der stärkeren Zersplitterung der Macht im Westen, die unter anderem dazu führten, dass Eliten Besitzrechte durchschnittlich öfter beurkunden ließen als in Byzanz und der islamischen Welt (S. 31–33). Gleichzeitig zeigen die Kapitel zu Byzanz und der islamischen Welt jedoch, wie viele Dokumente hier verloren gegangen sind, und werfen so die Frage auf, ob es im Westen tatsächlich so viel mehr administrative Urkunden gegeben hat.

Die Teile II, III und IV analysieren detailliert und gleichzeitig kompakt genug die grundlegenden Strukturen und Entwicklungen der westlich-lateinischen, byzantinischen und islamischen Welt in Bezug auf historischen Kontext, Normen und Praktiken der Herrschaft und Elitenbildung. Dabei werden Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede zwischen den Sphären deutlich. Auffallend sind zum Beispiel die Verbindungen zwischen Byzanz und der islamischen Welt im Herrscherideal, das sich auf die göttliche Sanktionierung des Herrschers, seine Sieghaftigkeit und Frömmigkeit, aber auch seine Fähigkeit, Frieden und Sicherheit zu stiften, gründet (z.B. S. 293–294, 333). Gleichzeitig werden die Aushandlungsprozesse zwischen verschiedenen Elitengruppen deutlich, die in allen drei Sphären zu verschiedenen, sich überlappenden, aber auch konkurrierenden Strukturen führen und einen Spannungsbogen zwischen militärischen (im islamischen Fall oft [halb]nomadischen) und bürokratischen, zwischen zentralen und provinziellen, geistlichen und weltlichen Eliten herstellen, die um Einfluss ringen (S. 198–203, 240–248, 367–389, 413–438, 456–486). Besonders betont wird immer wieder die „Andersartigkeit“ des lateinischen Westens im Vergleich zu den beiden anderen Sphären, dessen Zersplitterung zu anderen Herrschaftsformen und -strukturen sowie anderen Aushandlungsprozessen führe als in Byzanz und der islamischen Welt (S. 134, 367). Dabei spielt unter anderem die Identitätsfindung der verschiedenen Gemeinschaften im lateinischen Christentum eine große Rolle (S. 268–270). Diese strukturellen Informationen und der wiederholte Verweis auf die Querverbindungen zwischen den drei Sphären bieten dem Leser die Möglichkeit, seine eigenen Rückschlüsse zu ziehen. Erste Vergleiche macht aber auch Jonathan Shepard in seinem Schlusskapitel, wobei er das Augenmerk auf die von Humphreys genannten vier Punkte Religion, Frauen, Besitz und Krieg legt.

Alles in allem kann man den Herausgebern des Bandes zu einer gelungenen Grundlagenarbeit gratulieren, die ihr Ziel erreicht: Historikern des sogenannten Mittelalters ein Instrument an die Hand zu geben, das es ihnen ermöglicht, einen Zugang zu komparativen Perspektiven zwischen Byzanz, der islamischen Welt und dem lateinischen Christentum zu finden.

Anmerkung:
1 Nora Berend (Hrsg.), Christianization and the Rise of Christian Monarchy. Scandinavia, Central Europe and Rus’, c. 900–1200, Cambridge 2007.

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