Die Medienwissenschaft ist ein vergleichsweise junges Fach. Hervorgegangen aus der Literaturwissenschaft und der Film- und Fernsehwissenschaft, hat sie sich vorab an den seit den 1960er-Jahren gegründeten Universitäten etabliert, die sich über die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den medientechnischen und medienästhetischen Grundlagen von Kultur und Gesellschaft gegenüber älteren, von traditionellen geisteswissenschaftlichen Fächern bestimmen Universitäten zu profilieren versuchen: so in Bochum, in Siegen, Paderborn oder an der Bauhaus-Universität Weimar. Die neue Disziplin genießt sichtlich den Zuspruch der Studierenden, die sich von dem Fach ein Studium mit lebensweltlichem Bezug und guten Berufschancen versprechen. Gerade der Erfolg der neuen Disziplin weckt aber auch den Argwohn von Vertretern etablierter, auf die Wahrung ihrer Besitzstände und Diskurshoheiten achtender Disziplinen.
So ist die Medienwissenschaft ein leidenschaftlich umschwärmtes junges Wesen, dem selbst seine Neider und Feinde ein Erwachsenenleben prophezeien, das von schönem Wuchs geprägt sein wird, dem es aber an fester Haltung noch fehlt. Ein Fach also, um es prosaischer zu sagen, das Grundlagentexte gut gebrauchen kann. So entspricht Hartmut Winkler, Professor für Medienwissenschaft in Paderborn, einem Erfordernis der Zeit, wenn er nun im Fischer-Verlag einen 350 Seiten starken Band mit dem Titel „Basiswissen Medien“ vorlegt, der gemäß des Umschlagtextes eine „knappe, anschauliche und zusammenhängende Einführung in die wichtigsten Modelle und Begriffe des jungen Fachs der Medienwissenschaft“ liefern will und sich als „Nachschlagewerk für Schüler und Studenten“ versteht.
Medienwissenschaft definiert sich ja zunächst als Disziplin, die sich mit den medialen Grundlagen von Kultur und Kommunikation befasst, durchaus im Sinne von McLuhans berühmtem Satz „The Medium is the Message“, der nicht zuletzt (neben vielem anderen) besagt, dass die Medien nicht einfach neutrale Kanäle von Kommunikation sind. Soweit eine Fachsystematik schon gediehen ist, versteht sich die Medienwissenschaft entweder als Komposit-Disziplin, die sich nach untersuchten Einzelmedien gliedert, oder sie verwendet einen weiteren Medienbegriff und gliedert sich nach methodischen Zugängen in Unterbereiche, etwa in die Trias Mediengeschichte, Medienästhetik und Medientheorie, wobei stets vorausgesetzt ist, dass im Zentrum die Untersuchung technischer Medien steht.
Winkler nun hält sich in seinem Band an keine der gängigen Fachsystematiken. Vielmehr definiert er sieben Themenfelder, die das Feld medienwissenschaftlicher Fragestellungen im Hinblick auf Problemlagen umreißen, die sich als Kristallisationspunkte der bisherigen Entwicklung des Faches erwiesen haben. „Kommunikation“, „Symbolischer Charakter“, „Technik“, „’Form’ und ‚Inhalt’“, „Medien überwinden Raum und Zeit“, „Zeichen und Code“, und „Medien sind unsichtbar“ lauten die entsprechenden Überschriften der Kapitel, die jeweils dreißig bis sechzig Seiten umfassen. Sie beinhalten kurze Lemmata, die unterschiedliche Facetten in Stichworten abhandeln. Erwartbares wie „Sender-Empfänger-Modell“, „Code“, „Nachrichtentechnik“ oder „Massenmedien“ steht da neben Unerwartetem wie „Scham“ oder „Götterbote“. Selten belegt der Text mehr als eine halbe Seite. Durchaus als Arbeitsbuch fürs Studium gedacht, lässt der Band dem Leser so viel Platz für eigene Notizen und Nachträge. Es handelt sich eine Form des Buches, die gerade weil sie aus dem Rahmen fällt, natürlich auch darauf angelegt ist, den Leser zu einem Nachdenken über die medialen Grundlagen der Kommunikation anzuregen.
Ungewöhnlich ist ferner ein Rating-System, dem Winkler sich und seinen Text unterwirft. In der Fußzeile jeder Seite wird der Beitrag oder das Stichwort jeweils hinsichtlich seiner Relevanz bewertet, wobei zwischen eins und fünf Punkten vergeben werden. Ebenfalls eins bis fünf Punkte gibt es in der zweiten Kategorie, die feststellt, inwiefern Winklers Ausdeutung des jeweiligen Konzepts Fachkonsens darstellt. Ein Verfahren des Typs „Deutschland sucht den superrelevanten, superkonsensuellen medienwissenschaftlichen Fachbegriff“ also, in dem Winkler seine Kollegen Lorenz Engell (Weimar) und Claus Pias (Wien) zu Juroren bestellt hat.
Winkler arbeitet mit wenigen Fußnoten – auf die über 300 Lemmata sind nur deren 79 zu verzeichnen –, und auch die abschließende Arbeitsbibliographie fällt konzentriert aus. Für ein Grundlagenwerk verhält sich der Band zu dem Feld des Wissens, das er darstellen will, so gesehen reichlich diskret. Winklers Absicht ist es allerdings, dem Leser ein systematisches Problembewusstsein zu vermitteln, wobei er ausdrücklich von einem Alltagsverständnis von Medien und medialen Prozessen ausgeht und dann zur Erläuterung des jeweiligen Problems die Lösungsmöglichkeiten skizziert, die in der Disziplin bislang entwickelt wurden. Das ergibt einen Text, der die als Zielgruppen definierten Schüler und Studenten zum Denken verleiten will und sich – durchaus eine Qualität – weniger gut fürs beflissene Auswendiglernen eignet.
Wie sehr sich Winkler dabei unter Mithilfe seiner beiden Relevanz- und Konsens-Juroren um Ausgewogenheit bemüht, wurde schon erwähnt. Allerdings kann er es sich dennoch nicht verkneifen, selbst Stellung zu beziehen. Wer Winklers Werdegang kennt, weiß, dass er sich mit Vertretern des Techno-Hegelianismus der Schule von Friedrich Kittler aufs intensivste angelegt hat. Für nicht Eingeweihte sei resümiert, dass diese die These eines technischen a priori vertritt, das allen kulturellen und sozialen Prozessen vorgängig ist und diese, selbst unbestimmt, durchgängig prägt. Techno-Hegelianismus verdient diese Denkrichtung genannt zu werden, weil sie an die Stelle des Hegelschen Geistes die (Medien)-Technik setzt und eine historische Entwicklung postuliert, die in der Emergenz des Computers ihren Höhepunkt findet, dem Medium, von dem behauptet wird, dass es alle anderen Medien darstellen kann – ein medientechnisches Äquivalent des Hegelschen Weltgeistes, der alle andere Philosophie vor ihm auf den Begriff und zur Darstellung bringt. Dagegen hat Winkler in verschiedenen Schriften den Stellenwert des Sozialen verteidigt und einen umfassenderen analytischen Zugang zu medienkulturellen Phänomenen angemahnt. Genau diese Position vertritt Winkler auch in dem vorliegenden Band, wenn auch, was der Form des Buches geschuldet ist, nur in Nach- und Nebensätzen. Bei allem Anspruch auf nicht-kontroverse Grundlegung bleibt der Text so streitbar.
Das gilt auch für die zentrale Definition von Medien, die Winkler auf Seite 63 liefert: Die Funktion der Medien, so Winkler, sei es, ein symbolisches Probehandeln zu erlauben. Das ist eine Definition, die eine Reihe von durchaus kontroversen Festlegungen beinhaltet (weshalb die Juroren denn auch richtigerweise nur einen Punkt auf der Konsensskala vergeben). Winklers Definition schließt etwa den ganzen Bereich vorsprachlicher Erfahrung aus. „Drogen sind keine Medien“, lautet eine seiner Setzungen: Drogen lösen eine unmittelbare körperliche Erfahrung aus, die nicht als symbolisches Probehandeln gelten kann. Daran muss sich die Frage anschließen, ob etwa die leiblichen Dimensionen der Filmerfahrung auch aus dem Bereich des Medialen auszuschließen wären, da sie nicht durchweg symbolisch, das heißt durch einen semantischen Code vermittelt sind.
Ferner geht Winklers Medienbegriff von einem ontologischen Realismus aus, das heißt davon, dass es außerhalb der Medien eine Realität gibt, die von diesen nicht affiziert wird, in ihnen wohl zur Darstellung kommt, von ihrer Darstellung aber sauber abgetrennt werden kann. Das entspricht durchaus jenem Alltagsverständnis von Medien, auf das Winkler immer wieder explizit abhebt, schließt aber eine ganze Reihe von Phänomenen und durchaus etablierten theoretischen Modellen aus. So hält Winkler selbst unter dem Lemma „steuern und regeln“ ausdrücklich fest, dass nach seiner Mediendefinition „die Steuerung von Realvorgängen aus dem Bereich des Medialen heraus fällt“, eine Position, die von vielen von Winklers Fachkollegen und insbesondere jenen, die sich an den neueren Entwicklungen der Wissenschaftsforschung orientieren, so gewiss nicht geteilt wird. „Reale Konsequenzen symbolischer Handlungen nennt man performativ“ (S. 65) und „Die Pointe der Medien ist, dass sie das Tatsächliche überschreiten“, lautet die zweihändige Lösung, die Winkler für das Problem der Grenzziehung zwischen dem Bereich des Medialen und dem des Nicht-Medialen vorschlägt; dennoch bleibt die Frage unbeantwortet, ob gerade „reale Konsequenzen symbolischer Handlungen“ nicht auch als medial konstituiert verstanden werden sollten. Es kommt denn auch nicht von ungefähr, dass Winkler als Metapher für die Erläuterung der von ihm postulierten Trennung von Medialem und Nicht-Medialem die Theaterbühne anführt, die in der Tat einen sauber abgegrenzten Raum des symbolischen Probehandelns bildet, auf der sich die Dimensionen von „Realität“ und „Medialität“ aber anders darstellen als etwa die Vorgänge in einem Labor, in denen die medialen Komponenten von Versuchsanordnungen die zu untersuchenden Gegenstände des Wissens mitunter überhaupt erst (mit) hervorbringen.1 Das gilt insbesondere für alle Formen der computergestützten Simulation2; einen Eintrag zur Simulation sucht man in Winklers Band indes vergeblich.
Man könnte solches dem Band als problematische Unterlassung auslegen. Man würde Winklers „Basiswissen Medien“ bei allem Anlass zur Widerrede im Einzelnen damit allerdings unrecht tun. So, wie der Band sich versteht, zielt er darauf ab, sein Publikum auf einen Denkweg mitzunehmen, der spätere Vertiefung und Klärung nicht nur nicht ausschließt, sondern notwendigerweise vorsieht. Winklers Band leistet somit zweierlei: Er ist ein Atlas medienwissenschaftlicher Problemlagen und zugleich eine Wittgensteinsche Leiter, ein Werkzeug des Denkens, das ein Weiterdenken erlaubt und mitunter überhaupt erst ermöglicht.
Anmerkungen:
1 Vgl. dazu Hacking, Ian, Representing and Intervening. Introductory Topics in the Philosophy of Science, Cambridge 1983; Rheinberger, Hansjörg, Experimentalsysteme und epistemische Dinge. Eine Geschichte der Proteinsynthese im Reagenzglas, Göttingen 2001.
2 Vgl. dazu Humphreys, Paul, Extending Ourselves. Computational Science, Empiricism and Scientific Method, Oxford 2004.