„Bei der Gestaltung der Spätantike haben die Mönche Ägyptens eine bleibendere Rolle gespielt als Constantin.“ Mit diesem Zitat Peter Browns 1 verdeutlicht Andreas Merkt, Professor für Historische Theologie, Alte Kirchengeschichte und Patrologie an der Universität Regensburg, bereits auf der ersten Seite seiner Einleitung die immense Wirksamkeit, die er dem christlichen Mönchtum der Frühzeit beimisst. Diesem Stellenwert angemessen ist seine Quellensammlung, die auf 416 Seiten den Zeitabschnitt zwischen den ersten asketischen Ansätzen und dem 6. Jahrhundert dokumentiert. Konzeptionell ist sie am ehesten mit Karl Suso Franks „Frühem Mönchtum im Abendland“ vergleichbar.2 Hier wie dort wird ein Kapitel durch eine kurze Hinführung in einen speziellen Aspekt der Thematik eingeleitet, es schließen sich Originalquellen in Übersetzung an – bei Frank längere Textpassagen eines einzigen Autors, bei Merkt kürzere Fragmente, die das jeweilige Thema aus der Sicht mehrerer Autoren beleuchten.
Der Aufbau des Werkes ist zweigeteilt. In den Kapiteln I-III wird ein chronologischer Überblick bis zu Benedikt von Nursia gegeben. Hierbei geht Merkt in seinem Kapitel „Vorgeschichte und Hintergründe“ (S. 11-42) auch auf asketische Bewegungen in der Umwelt der frühen Christen ein, neben dem paganen Griechen- und Römertum auch im Judentum, dem Buddhismus, der Gnosis und dem Manichäismus. Die Ursprünge des christlichen Mönchtums sieht er aber nicht in diesen Vor- und Parallelformen, sondern in der innergemeindlichen Askese (S. 15). Im Kapitel „Anfänge im Osten“ (S. 43-139) werden die zentralen Gestalten Antonius, Pachomius, Basilius und Simeon Stylites vorgestellt, der dritte Abschnitt „Anfänge im Westen“ (S. 140-211) ist unter anderem Martin von Tours, Augustinus, Benedikt und Gregor dem Großen gewidmet.
Der zweite Teil des Buches ist systematisch gegliedert. Die Kapitel IV-VI haben das äußere Leben der Mönche (so etwa Erscheinungsbild und Tagesablauf), die monastische Spiritualität (die Apophthegmata Patrum, die Institutiones Johannes Cassians und die Vita Benedicti) und das Mönchtum im Kontext (die Haltung des Mönchtums zu verschiedenen theologischen Fragestellungen, aber auch die Mönche als Elemente von Kirche, Staat und Gesellschaft) zum Thema. In diesem Kapitel geht Merkt auch auf weibliche Askese ein („Mönchtum und Emanzipation der Frau“, S. 357ff.); ein Thema, das im chronologischen Teil weitgehend unberücksichtigt bleibt. Abgerundet wird das Werk durch eine Bibliographie mit den relevanten Quelleneditionen und -übersetzungen sowie aktueller Literatur, die jedoch auf Grund der vielfältigen Themen notwendigerweise knapp gehalten ist.
Die Auswahl der Textpassagen erfolgte vor allem unter chronologischen Gesichtspunkten: Die meisten der Quellen entstammen den Jahren bis 450, spätere Zeugnisse wurden nur sporadisch berücksichtigt. Ein weiteres Argument für oder gegen eine Aufnahme war die besondere Relevanz einer Quelle für die Fragen zur Frühzeit des Mönchtums sowie ihre Bedeutung für die spätere Geschichte (S. 8f.). Dass eine solche Auswahl nur einen ersten Eindruck von der Welt des frühen Mönchtums geben und niemals Vollständigkeit oder Repräsentativität beanspruchen kann, ist dem Autor bewusst, auch die Problematik einer Übersetzung von Quellen in eine moderne Sprache wird nicht verschwiegen (S. 8f.). Hervorzuheben ist, dass viele der Texte zum ersten Mal überhaupt ins Deutsche übertragen wurden, dennoch spricht aus Merkts Worten das Bedauern, nicht den originalen Wortlaut zitieren zu können (S. 9).
Es lag weder in der Konzeption des Werkes Forschungskontroversen aufzugreifen3 noch entsprach es der Absicht des Herausgebers Detailprobleme in größter Ausführlichkeit zu diskutieren, weshalb die einzelnen Aspekte nur kurz angerissen werden. Eindeutig im Mittelpunkt stehen die Quellen, die weitgehend für sich selbst sprechen sollen. Als Beispiel möchte ich Merkts Abhandlung über Antonius den Großen4 herausgreifen (S. 43ff.). Nach einer kurzen Besprechung der Vita Antonii des Athanasius als zentraler Quelle thematisiert Merkt zunächst den Rückzug in die Wüste (eremos) als Verlassen des bisherigen Lebens. Sehr deutlich wird hervorgehoben, dass „Wüste“ in der monastischen Literatur nicht in erster Linie ein geologischer Terminus ist, sondern symbolisch „zum Inbegriff einer Gegenwelt, einer Alternative zum Leben in den Städten und Dorfgemeinschaften“ wurde (S. 45). Als eines der wichtigsten Elemente der Antoniusvita wird sodann der Kampf des Protagonisten gegen den Teufel und seine Dämonen besprochen und als innerer Kampf des Heiligen interpretiert. Die Idee des Mönchtums als ein Ersatz für das Martyrium, das zuvor in der Sicht des Christentums das alleinige Kriterium für die Heiligkeit eines Menschen dargestellt hatte, wird im Kontext der Antonius-Vita nur kurz angesprochen (S. 47, S. 58), kommt aber in einem späteren Kapitel erneut zur Sprache (S. 272, S. 281). Nach weiteren Detailfragen im Zusammenhang mit der Vita (Wunder des Antonius, Respekt gegenüber der Hierarchie und Kampf gegen häretische Strömungen oder die Bildung des Antonius) erörtert Merkt die sieben angeblichen Briefe des Einsiedlers und knüpft daran die Frage nach dem „historischen“ Antonius.5 In einem letzten Kapitel geht Merkt auf die Wirkung der Vita ein, die für die nachfolgende monastische Literatur von kaum zu überschätzendem Einfluss war.6
Schmerzlich vermisst werden Indices. Weder ein alphabetischer Index noch – bei der Vielzahl der im Wortlaut zitierten Quellen noch wichtiger – ein Stellenindex werden dem Leser an die Hand gegeben, was das Auffinden einer bestimmten Quelle mitunter zu einem schwierigen Unterfangen macht. Auch unterbleibt oft die Datierung der Quellenstellen, was gerade für den weniger mit der Thematik vertrauten Leser nützlich gewesen wäre. Doch trüben diese kleinen Schwächen nur unwesentlich das überwiegend positive Bild des Bandes, der dem Leser durch die sinnvoll zusammengestellten Texte einen guten Einblick in jene „Sonderwelt jenseits der Gesellschaft“ (S. 8) gibt, als welche sich das frühe Mönchtum darstellt.
Anmerkungen:
1 Peter Brown, Die letzten Heiden. Eine kleine Geschichte der Spätantike, Berlin 1986, S. 114.
2 Karl Suso Frank, Frühes Mönchtum im Abendland, 2 Bde., Zürich 1975.
3 Vereinzelt geschieht es dennoch, etwa S. 46 in der Ablehnung der Meinung von Eric R. Dodds, Heiden und Christen in einem Zeitalter der Angst. Aspekte religiöser Erfahrung von Mark Aurel bis Konstantin, Frankfurt am Main 1985.
4 Antonius behandelte Merkt bereits 2004 in einem Aufsatz: Antonius der Einsiedler. Mythos Mönchtum, in: Andreas Hartmann / Michael Neumann (Hrsg.), Mythen Europas. Schlüsselfiguren der Imagination. Antike, Regensburg 2004, S. 185-205.
5 Eine Ergänzung der knappen Ausführungen Merkts zu dieser Problematik stellt die neueste Bearbeitung des Themas durch Dmitrij F. Bumazhnov, The Evil Angels in the Vita and the Letters of St. Antony the Great. Some Observations concerning the Problem of the Authenticity of the Letters, in: Zeitschrift für Antikes Christentum 11 (2007), S. 500–516, dar.
6 Die Bedeutung der Figur Antonius wird besonders deutlich durch eine von Hieronymus konstruierte „Sukzession“ (vgl. dazu Albrecht Dihle, Das Gewand des Einsiedlers Antonius, in: Jahrbuch für Antike und Christentum 22, 1979, S. 22-29): Vom Eremit Paulus von Theben wird kurz vor seinem Tod ein Kleidungsstücke (eine Tunika) an Antonius weitergegeben (Hier. v. Paul. 13), Antonius selbst übergibt ebenfalls ein Kleidungsstück, diesmal einen Mantel aus Tierfell, an seinen Schüler Hilarion von Gaza (Hier. v. Hil. 3/4). Durch dieses bereits im Alten Testament bekannte Motiv der Weitergabe eines Gewandes (am bekanntesten in der Weitergabe von Elias Mantel an Elisa, 1 Reg. 19,19) symbolisiert Hieronymus die Vererbung einer besonderen Rolle als Vorbild und Lehrer der Mitbrüder. Bezugspunkt der gesamten Traditionskette ist nicht zufällig Antonius, der zur Zeit des Hieronymus allgemein als erster Exponent des Mönchtums gesehen wurde. In der Figur des Paulus sucht Hieronymus ihn zu übertreffen, Hilarion wird als direkter Nachfolger des großen Einsiedlers aus Ägypten gezeigt.