Mit dem am 24. Februar 2022 begonnenen Krieg Russlands gegen die Ukraine ist die deutsche Energieversorgung unter starken Druck geraten. Insbesondere beim Gas war die Abhängigkeit von Russland zu diesem Zeitpunkt mit 55 Prozent der Gasimporte sehr hoch. Da absehbar war, dass die russischen Gaslieferungen ausbleiben würden, musste für Ersatz gesorgt werden. Dabei setzen die Bundesregierung und die Unternehmen zunehmend auf Flüssiggas, das ab 2026 unter anderem aus Katar bezogen werden soll. Politiker wie Wirtschaftsminister Robert Habeck (Die Grünen) hofierten daher plötzlich ein Land, das man unter Menschenrechtsgesichtspunkten zuvor regelmäßig an den Pranger gestellt hatte.
In einer ähnlichen Zwangslage befanden sich die Politiker zu Beginn der 1970er-Jahre. In dieser Phase zeichnete sich immer stärker ab, dass die Abhängigkeit von arabischen Öllieferungen die Versorgungssicherheit der Bundesrepublik gefährden könnte. Die Befürchtungen konkretisierten sich dann in der ersten Ölkrise 1973/74, als die arabischen Ölförderländer während des Jom-Kippur-Krieges ein Ölembargo gegen die USA und andere israelfreundliche Länder verhängten. Die Bundesrepublik wurde als neutrales Land eingestuft und sollte monatlich fünf Prozent weniger Öl erhalten.
Ein wichtiger Öllieferant für die Bundesrepublik war an dem Embargo und den weiteren damit verbundenen Maßnahmen nicht beteiligt: der Iran. Das Land unter der Herrschaft von Mohammed Reza Schah Pahlavi profitierte allerdings sehr stark von dem während der Ölkrise deutlich steigenden Ölpreis, der sich innerhalb eines halben Jahres vervierfachte. Dadurch verfügte das Land plötzlich über enorm hohe Einnahmen, die es wieder investieren wollte. Welche Folgen diese Entwicklung für die westdeutsch-iranischen Beziehungen hatte, untersucht Alexander Lurz in seiner an der Berliner Humboldt-Universität entstandenen Dissertation.
Dazu beleuchtet er zunächst in einem einleitenden Kapitel die politischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und dem Iran zwischen 1967 und 1972. Er legt plausibel dar, wie die anfängliche Distanz, mit der man auf die Angebote des Schahs zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit reagierte, einem wachsenden Interesse an dem Land wich. Vor allem nahm man den Iran als wichtigen Öllieferanten wahr, dessen wirtschaftliches Potenzial deutschen Unternehmen vielfältige Möglichkeiten bot. Daraus entwickelte sich die im ersten Hauptteil der Arbeit untersuchte „Technologie für Öl“-Strategie, die Außenminister Walter Scheel Ende September 1973, kurz vor Ausbruch der Ölkrise, in einem Beitrag für die Wochenzeitung „Die Zeit“ prägnant auf den Punkt brachte: „Suche Öl – biete Maschinen“ (S. 95).
Mit dem Beginn der Ölkrise im Oktober 1973 stieg der Iran zu einem zentralen Pfeiler in dieser neuen deutschen Strategie auf. Die Bundesregierung schaltete sich intensiv in den Ausbau der deutsch-iranischen Wirtschaftsbeziehungen ein und förderte aktiv Projekte wie den deutsch-iranischen Bau einer Raffinerie im Iran, deren Produkte dann in die Bundesrepublik exportiert werden sollten. Der Iran war sich jedoch seines neuen Wertes bewusst, so dass der Schah und die Regierungsvertreter den Preis für solche Projekte immer weiter in die Höhe trieben. Zudem versuchten sie die westlichen Länder, deren Vertreter sich in Teheran die Klinke in die Hand gaben, gegeneinander auszuspielen. Letztendlich scheiterten jedoch die meisten geplanten Großprojekte zur Umsetzung der „Technologie für Öl“-Politik, da sie durch die iranischen Forderungen unwirtschaftlich wurden und sich der deutsche Bedarf an Ölimporten nach der Ölkrise wieder entspannte.
Stattdessen verfolgten die Bundesregierung und die deutschen Unternehmen eine neue Strategie, die im Mittelpunkt des zweiten Hauptteils steht. Jetzt ging es darum, die Ölmilliarden, die der Iran plötzlich verdiente, durch den Verkauf von Waffen, Maschinen und anderen Gütern wieder in die Bundesrepublik zurückzuschleusen („Recycling“). Der Iran stieg in dieser Phase für die Bundesrepublik, wie das Auswärtige Amt 1978 resümierte, zum „wichtigsten Wirtschaftspartner in der Dritten Welt“ (S. 430) auf. Dazu trug insbesondere die Lieferung von Rüstungsgütern bei, für welche die Bundesregierung auch ihre Rüstungsexportbestimmungen aufweichte.1
Viele große Projekte und Vereinbarungen wurden dann durch die Revolution im Iran 1978/79 zunichte gemacht. Die neuen Machthaber unter dem Ayatollah Khomeini stoppten die Zusammenarbeit in vielen Bereichen. Die Dimension der ursprünglich geplanten Projekte macht Alexander Lurz mit einem aufschlussreichen Gedankenexperiment deutlich. Wäre die Revolution zehn Jahre später ausgebrochen und wären die vereinbarten Projekte tatsächlich realisiert worden, hätte der Iran über modernste deutsche Rüstungstechnologie verfügt, darunter unter anderem 2000 Leopard 2-Panzer. Zudem wären sechs von der Kraftwerks-Union (KWU) gebaute Kernkraftwerke in Betrieb gewesen, die zusammen mit einer von deutschen Unternehmen errichteten Wiederaufbereitungsanlage das Ausgangsmaterial für den Bau einer Atombombe geliefert hätten. Darüber hinaus hätte es eine große deutsch-iranische Raffinerie gegeben, und der Iran hätte in einem Dreiecksgeschäft Erdgas an die Sowjetunion geliefert, die wiederum diese Menge Gas in die Bundesrepublik exportiert hätte.
Insofern zeigt die Studie von Alexander Lurz eindrücklich auf, wie sehr die Ölkrise und die wirtschaftlichen Schwierigkeiten in der Bundesrepublik der 1970er-Jahre, wie etwa der notleidende Schiffsbau, dazu führten, dass die Bundesregierung und die deutschen Unternehmen den Iran umwarben und wirtschaftliche Projekte in einer Größendimension planten, die für die Bundesrepublik eine starke Abhängigkeit vom Iran bedeutet hätten. Dabei war den Ministerien bzw. Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) durchaus bewusst, dass die iranische Wirtschaft und der iranische Arbeitsmarkt noch nicht die Kapazität hatten, die verschiedenen Technologien aufzunehmen. Trotzdem förderten sie den Verkauf deutscher Produkte, um von den sprudelnden Öldollars zu profitieren.
Die Arbeit ist konsequent aus deutscher Perspektive geschrieben und nimmt vor allem die Sicht des Auswärtigen Amts und des Wirtschaftsministeriums in den Blick. Auf der Basis der Regierungsakten zeichnet der Autor die Verhandlungen in zahlreichen Passagen sehr detailliert nach. Hier hätte man sich eine deutlich straffere Darstellung der Konferenzen und Gespräche gewünscht. Stattdessen hätte der Verfasser seine Befunde stärker in die Forschungslandschaft seines Themas zwischen Außen- und Außenwirtschaftspolitik einordnen können.2 So hebt Alexander Lurz beispielsweise an zahlreichen Stellen die hohe Bedeutung der bundesrepublikanischen Botschafter im Iran für die westdeutsche Iranpolitik hervor. Insbesondere Georg von Lilienfeld, der von 1968 bis 1974 die Bundesrepublik in Teheran repräsentierte, war extrem wohlwollend gegenüber dem Schah-Regime eingestellt. Hier hätte sich eine Einordnung der „Mental Maps“ von Lilienfelds und seiner Nachfolger in die Nah- und Mittelostpolitik des Auswärtigen Amts angeboten.3 Zudem wird nicht ganz deutlich, inwiefern die Rüstungsexportpolitik gegenüber dem Iran in den 1970er-Jahren einen Spezialfall oder einen allgemeinen Trend darstellte. Ähnliche Entwicklungen gab es beispielsweise auch im Falle Saudi-Arabiens, das in den 1970er-Jahren deutlich mehr Rüstungsgüter als zuvor aus der Bundesrepublik erhielt.4 Insofern liefert das Buch wichtige Erkenntnisse über die außenpolitischen und wirtschaftlichen Beziehungen der Bundesrepublik mit dem Iran in den 1970er-Jahren und verdeutlicht damit den Einfluss wirtschaftlicher Abhängigkeiten auf die Formulierung der Außen- und vor allem der Außenwirtschaftspolitik. Die Einordnung in größere Zusammenhänge bleibt allerdings in Teilen der Leserin bzw. dem Leser überlassen.
Anmerkungen:
1 In dem Zusammenhang hätte sich eine Auseinandersetzung mit der These Timothy Mitchells angeboten, dass gerade die Rüstungsgüter für das Recycling so wichtig waren, weil die Märkte der Ölländer aufgrund der relativ niedrigen Bevölkerungszahl und der hohen Armut herkömmliche Güter nicht in dem Maße hätten aufnehmen können, wie sie für das Recycling notwendig gewesen wären. Zudem konnte man unter dem Sicherheitsaspekt stetig neue und modernere Waffen rechtfertigen. Die Rüstungsgüter boten daher das größte Potenzial für das Recycling. Siehe Timothy Mitchell, Carbon Democracy. Political Power in the Age of Oil, London / New York 2011, S. 156.
2 Zwei wichtige Bücher zur Geschichte der deutschen Außenwirtschaftspolitik tauchen bezeichnenderweise nicht auf: Jürgen Bellers / Markus Porsche-Ludwig, Außenwirtschaftspolitik der Bundesrepublik Deutschland 1950–2011: Ein Handbuch zu Vergangenheit und Gegenwart, Münster u.a. 2011; Christian Kleinschmidt / Dieter Ziegler (Hrsg.), Dekolonisierungsgewinner. Deutsche Außenpolitik und Außenwirtschaftsbeziehungen im Zeitalter des Kalten Krieges, Berlin 2018.
3 Erste Hinweise liefert beispielsweise Marc Hanisch, Der Orient der Deutschen. Max von Oppenheim und die Erfindung eines außenpolitischen Raumes (1896–1909), Frankfurt 2021. Der Autor zeichnet auch die Anfänge der „Orient-Politik“ im Auswärtigen Amt der Bundesrepublik nach.
4 Siehe zum Beispiel: Stefanie van de Kerkhof, Rüstungsexporte in Spannungsgebiete – Die Außenwirtschaftsbeziehungen westdeutscher Waffenhersteller zum Nahen Osten, in: Kleinschmidt / Ziegler (Hrsg.), Dekolonisierungsgewinner, S. 103–126.