Mit dem vorliegenden Buch geht ein Neustart der „Studien zur Geschichte von Technik, Arbeit und Umwelt“ einher, die 1996 von Günter Bayerl begründet worden waren. Als 42. Band dieser Reihe, nun unter der Herausgeberschaft von Marcus Popplow und Torsten Meyer, vereinigt das Werk 39 Aufsätze von Kurt Möser anlässlich dessen Pensionierung am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Verfasst wurden die Beiträge zu verschiedensten Themen im Schnittpunkt von Mobilitäts- und Technikgeschichte zwischen 1996 und 2019 (sechs davon auf Englisch). Die Aufsatzsammlung unterstreicht Mösers herausragende Rolle als innovativer Historiker, der seiner Zeit oft voraus war, gerade weil er vielfach gegen den Mainstream schrieb. Entstanden ist eine in jeder Hinsicht gewichtige Publikation, der die vorliegende Rezension sicher nicht in allen Aspekten gerecht werden kann. Stattdessen greife ich mit einer durchaus subjektiven Perspektive einige wichtige Themen heraus, die zugleich auf das größere Ganze verweisen.
Um zunächst die Gliederung des Bandes durch die Herausgeber vorzustellen: Der erste von fünf Teilen enthält unter dem Titel „Mobilität und Krieg“ vier Aufsätze zur Kriegsführung vor dem Zweiten Weltkrieg mit einem Schwerpunkt bei der aufkommenden Luftfahrt. Der Titel des zweiten Teils „Übergreifendes zum 20. Jahrhundert“ versucht vier sehr unterschiedliche Texte zu so verschiedenen Themen wie der Elektromobilität und der Technik des Fahrenlernens unter einen Hut zu bringen. Die nächsten beiden Teile zeigen Mösers Schwerpunkt bei der Automobilität des 20. Jahrhunderts: elf Aufsätze zur „Automobilität bis in die 1930er Jahre“ und dreizehn zur „Automobilität seit der Massenmotorisierung“. Der fünfte und letzte Teil umfasst sieben Artikel, die von der Klammer „Design und Museum“ zusammengehalten werden; Möser hat seine besondere Sicht auf Mobilitätsfragen ja in weiten Teilen im Rahmen seiner Tätigkeit als Kurator für Straßenverkehr am Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim (dem heutigen Technoseum) entwickelt.
Ein zentraler Debattenbeitrag Mösers ist zweifellos sein luzider Blick auf die Zeit zwischen 1880 und dem Ersten Weltkrieg, für die er eine eigentliche „Mobilitätsrevolution“ postuliert. Damit hat er schon früh einen Zeitraum sichtbar gemacht, der lange etwas im Dunkeln der Mobilitätsgeschichte geblieben war – zwischen der raschen Verbreitung der Eisenbahn um die Mitte des 19. Jahrhunderts und der in den USA der Zwischenkriegszeit (und in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg) einsetzenden Massenmotorisierung. Mösers zentrale Publikation dazu ist selbstverständlich seine Habilitationsschrift1; die Aufsatzsammlung zeigt, quasi als Werkstattbericht, wie sich Möser die mobilitätshistorische Bedeutung dieser Epoche aus verschiedenen Perspektiven erarbeitet hat. Das Verbindende der sehr unterschiedlichen technischen und kulturellen Entwicklungen fasst er im Begriff „individueller Mobilitätsmaschinen“ zusammen, welcher in Abgrenzung von den „kollektiven“ Verkehrsmitteln Eisenbahn und Straßenbahn so heterogene Formen wie die Mobilität auf dem Fahrrad, verschiedenste Fluggeräte oder auch Boote umfasst. Technisch vereint diese Artefakte vor allem der Leichtbau. Mit den neuen Mobilitätsmaschinen entstand zugleich – so Mösers zentrale These – ein neuer technischer Stil, eine neue Art des Konstruierens und Fertigens, weg von der Ästhetik schwerfälliger Dampflokomotiven hin zu einem grazileren Erscheinungsbild. Möser geht dabei immer weit über eine bloße Erfindungsgeschichte hinaus und hat schon früh einen umfassenderen kulturgeschichtlichen Ansatz entwickelt. Zusammen mit anderen Autoren wie Christoph Maria Merki hat er damit die Perspektiven der Verkehrsgeschichte erweitert und ihr wichtige Impulse gegeben, indem er beispielsweise die langfristige Wirkung der großen Publikumsresonanz von anfänglich eher den Eliten vorbehaltenen Mobilitätsmaschinen für deren spätere Diffusion hervorgehoben hat.
Im Kontext der Zeit um 1900 hat sich Möser auch intensiv mit der Elektromobilität auseinandergesetzt. Bezüglich der Durchsetzung des Benziners gegenüber dem Elektroauto kommt er im Wesentlichen zu denselben Ergebnissen wie andere parallel zu ihm und teilweise vor ihm. Innovativ ist aber auch hier die Weitung der Perspektive, wenn er etwa auf die frühe Elektrifizierung von Luftschiffen und Unterseebooten eingeht, die er zu Recht als „emphatisch modern“ einstuft (S. 135; eine auch an etlichen anderen Stellen verwendete Formulierung). Hier zeichnet sich schon ab, dass der Elektromotor gegenüber dem Verbrennungsmotor derart offensichtliche technische Vorteile aufweist, dass diese langfristig auch im Bereich des Autos durchsetzungsfähig werden dürften. Diesbezüglich zeigt sich Möser allerdings noch 2011 skeptisch gegenüber der Elektrifizierung des Autos und „wenig geneigt“, sich der „wieder einmal manifestierenden Zukunftshoffnung prognostisch anzuschließen“ (S. 146). Das Elektroauto scheint sich nun aber trotzdem durchzusetzen – auch Historiker sind eben nicht immer die besten Prognostiker. Häme ist indes fehl am Platz, denn erstens lag Möser mit dieser Prognose damals durchaus im Mainstream der historischen Community, und zweitens ist es sowieso interessanter, nach den Ursachen von Fehlprognosen zu forschen, als darüber zu spotten. In Mösers Fall bezieht sich die Fehleinschätzung hauptsächlich auf die elektrischen Speicher, bei denen tatsächlich über Jahrzehnte keine großen Fortschritte erzielt wurden, bis dann im Zuge der Klimapolitik ein „Technology Forcing“, eine nachfragegetriebene und erhebliche Weiterentwicklung plötzlich doch möglich wurde. Hier zeigen sich Parallelen zur Einführung des Katalysators mit bleifreiem Benzin in der Zeit nach 1970. In beiden Fällen wurde der Großteil der Automobilindustrie – ganz besonders der deutschen – von der Entwicklung überrascht, hat sich dann aber doch sehr rasch als anpassungsfähig erwiesen. Das ist immerhin eine Erkenntnis, welche für die Bewältigung des Klimawandels ein (kleines) bisschen optimistisch stimmen mag.
Der Blick des Historikers auf die Zukunft ist auch Thema des letzten Aufsatzes im beeindruckenden Sammelband: „Transport-, Verkehrs- oder Mobilitätsgeschichte? Neue Paradigmen der Technik- und Industriekultur“ (Erstveröffentlichung 2014). Die Re-Lektüre dieses Debattenbeitrags aus heutiger Sicht ist wiederum reizvoll, nach fast zehn Jahren und vielen Debatten um Disruptionen der Mobilität im Zusammenhang mit der allgemeinen Digitalisierung. Möser geht das Thema aus verschiedensten Perspektiven an, hier seien nur zwei Aspekte genannt. Richtigerweise betont er die herausragende Bedeutung von literarischen und biographischen Kontexten für eine Mobilitätsgeschichte, die ernsthaft über eine trendig aufgepeppte Verkehrsgeschichte hinausgreifen will. Und leider nach wie vor aktuell ist sein Befund: „Weitgehend defizitär […] ist noch die Verortung von Mobilität in biographischen Kontexten, in Lebenszusammenhängen und konkreten Nutzungsformen von Individuen und kleinen sozialen Einheiten.“ (S. 601) Ebenfalls sehr bedenkenswert erscheint mir sein Plädoyer für eine „Re-Evaluierung“ der materiellen Kultur der Mobilität gerade auch in kulturgeschichtlich orientierten Studien: „ Durch eine ‚Erdung‘ der sozialkonstruktivistischen Ansätze durch Rückbindung an die konkreten Technologien und technischen Gegenstände ergäben sich neue Chancen, und auch neue Perspektiven auf alte Gegenstände.“ (S. 605)
Die Fülle der Beiträge in Kurt Mösers Werk ist mit diesen wenigen Ausführungen nur ungenügend abgebildet – je nach persönlichem Interesse wird sich das Lesepublikum auch ganz anderen Schwerpunkten des Sammelbandes zuwenden. Eine übergreifende Stärke der Aufsätze ist die durchgängig sehr quellengesättigte Argumentation; Möser erweist sich als breit gebildeter und origineller Denker. Zum Lesevergnügen trägt sicher auch bei, dass zwischen den Zeilen oft ein schelmisches Augenzwinkern des Verfassers aufzublitzen scheint. Und am Beginn jedes Aufsatzes steht ein geschickt gewähltes Bildmotiv, eine Art historisches Denkbild zum jeweiligen Thema (wobei man nähere Angaben dazu leider am Ende des Bandes nachschlagen muss). Der Einordnung von Marcus Popplow und Torsten Meyer im Vorwort kann man insgesamt nur zustimmen: „Wer heute kurzfristig einschneidende Verhaltensänderungen und neue Wertsetzungen im Bereich der Mobilität erreichen möchte, wird nicht darum herumkommen, sich mit diesen langen historischen Linien auseinanderzusetzen. Dafür bieten Mösers Texte einen hervorragenden Ausgangspunkt.“
Anmerkung:
1 Kurt Möser, Fahren und Fliegen in Frieden und Krieg. Kulturen individueller Mobilitätsmaschinen 1880–1930, Heidelberg 2009.