I. Kozmanová u.a. (Hrsg.): Dynastischer Nachwuchs

Cover
Titel
Dynastischer Nachwuchs als Hoffnungsträger und Argument in der Frühen Neuzeit.


Herausgeber
Kozmanová, Irena; van der Steen, Jasper
Reihe
Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin
Erschienen
Anzahl Seiten
VIII, 232 S.
Preis
€ 49,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Standhartinger, Institut für die Erforschung der Habsburgermonarchie und des Balkanraumes, Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW)

Der von Irena Kozmanová und Jasper van der Steen herausgegebene Sammelband trägt die Ergebnisse eines von Irena Kozmanová organisierten Workshops1 zusammen, der im Oktober 2019 im Rahmen des Netzwerks HiKo_21 der Historischen Kommission zu Berlin abgehalten wurde. Der Band untersucht die Rolle von frühneuzeitlichen Fürstenkindern im dynastischen Herrschaftsgefüge und erweitert die bisherigen Ergebnisse historiografischer Untersuchungen um neue Perspektiven. So stehen nicht ausschließlich jene Kinder im Fokus, die später selbst nominell die Herrschaft übernahmen. Vielmehr geht es den Herausgeber:innen darum, der Wahrnehmung der Zeitgenossen Rechnung zu tragen, aus deren Sicht Prinzessinnen und Prinzen qua Geburt zu – einer wie auch immer gearteten Form von – Herrschaft vorherbestimmt waren (S. 4–5). Damit in Zusammenhang steht durchaus überzeugend die Überlegung, von „Nachwuchs“ anstatt von „Kindern“ zu sprechen. Auf diesem Weg können auch bereits erwachsene Söhne und Töchter in die Untersuchung miteingebunden werden, die in ihrer Rolle als potentielle Nachfolger:innen mitunter politische und dynastische Eigeninitiative entwickelten. Im Mittelpunkt des Bandes steht deshalb die Analyse der Handlungsspielräume und der Teilhabe von dynastischem Nachwuchs an „der Herrschaft, der Herrschaftskommunikation oder Machtverhandlungen innerhalb der Dynastie“ (S. 6). Das Werk leistet damit einen wichtigen Beitrag zum Aufbrechen von narrativen Mustern, auf deren Grundlage dynastische Geschichte in erster Linie aus dem Blickwinkel der Primogenitur erzählt und all jenen Dynastiemitgliedern, die nicht selbst auf dem fürstlichen Thron Platz nahmen, eine untergeordnete Rolle zugedacht wird.

Die neun Beiträge wurden – mit Ausnahme von Jill Beplers Eröffnungsbeitrag, der dem einleitenden Kapitel angehört – auf drei Sektionen aufgeteilt, die mit den Schlagworten „Kommunikationsanlass“, „Vorbild“ und „Variable der dynastischen Kultur“ überschrieben sind.

Die erste Sektion behandelt thematisch breit gefasst verschiedene Anlässe zur Kommunikation über dynastischen Nachwuchs. Jonas Bechtold eröffnet sie mit einem Aufsatz über Karl Emil von Brandenburg (1655–1674) und dessen Hofmeister Otto von Schwerin (1616–1679). Schwerin dokumentierte den Lern- und Entwicklungsfortschritt des Prinzen in einem zweibändigen Diarium, das einen Zeitraum von etwa zehn Jahren abdeckt. Bechtold erkennt darin zwei Argumentationsstränge: Das Diarium lässt sich einmal als „amtsbezogene Rechtfertigungsschrift“ und einmal als „statusbezogene ,Kapitalanlage‘“ seines Urhebers verstehen (S. 52). Was mit letzterer genau gemeint ist, wird zwar nicht näher erläutert. Sehr überzeugend hält Bechtold aber fest, dass das Schreiben über den Prinzen „für den Erzieher zugleich ein Berichten über die eigene Mitwirkung an der Fürstwerdung des Nachfolgers“ war (S. 54). Inwiefern Schwerin davon tatsächlich profitierte, bleibt aber spekulativ, da Karl Emil schon im Alter von neunzehn Jahren verstarb und seinem Vater nicht auf dem fürstlichen Thron folgte.

Irena Kozmanovás Beitrag handelt von Strategien der Delegitimierung von politischen Konkurrenten, in denen der fürstliche Nachwuchs, insbesondere dessen (vermeintlich) bedrohtes Wohl, argumentativ instrumentalisiert wurde. Zwei Fallbeispiele aus dem kurzen Leben eines weiteren Sohnes des brandenburgischen Kurfürsten, Wilhelm Heinrich (1648–1649), stehen dabei im Mittelpunkt. Das erste Beispiel bezieht sich auf ein anonymes niederländisches Pamphlet, das dem brandenburgischen Oberkammerherrn Konrad von Burgsdorff (1595–1652) unangemessenen Umgang mit materiellen Ressourcen auf Kosten der Fürstenfamilie vorwarf und ihn als Fehlbesetzung darzustellen versuchte. Emotional verstärkt wurde dieses Argument mit dem Verweis auf die besonders schutzbedürftigen Familienmitglieder, die Kurfürstin Luise Henriette (1627–1667) und Wilhelm Heinrich, die von der Maßlosigkeit Burgsdorffs am stärksten betroffen seien. Das zweite Beispiel handelt von einem Streitfall zwischen dem Kurfürsten Friedrich Wilhelm (1620–1688) selbst und der im Herzogtum Kleve gelegenen Stadt Wesel, die dem Kurfürsten die Bewilligung der von ihm verlangten Steuern verweigerte. Dadurch verzögerte sich die Rückreise der Familie von Kleve nach Berlin. Friedrich Wilhelm argumentierte in einem Schreiben an die Stadt, dass diese Verzögerung insbesondere zu Lasten des Wohls seines Sohnes ging, da sich das Wetter zunehmend verschlechterte und die Reise deshalb gefahrvoller wurde. Das Wohl des Kindes wurde so in den politischen Streit über Steuerbewilligungen geschickt als Argument eingeflochten. Besonders fruchtbar für die Fragestellung des Bandes ist die aus den Beispielen gewonnene Erkenntnis, dass sich unabhängig vom tatsächlichen Sachverhalt schon die Anschuldigung, dem gebührenden Schutz des Fürstenkindes nicht ausreichend Rechnung zu tragen, auf die Betroffenen delegitimierend auswirkte. Die materielle und leibliche Sicherheit der fürstlichen Nachkommen konnte so als besonders emotionalisierendes Argument genutzt werden.

Die zweite Sektion („Vorbild“) nimmt auf Normen und Erwartungen gegenüber dynastischem Nachwuchs Bezug. Im Zentrum stehen hier Situationen, die auch den Untertanen aus ihrem eigenen Leben bekannt waren, wie Geburt eigener Kinder, deren Erziehung, der Tod der Eltern oder auch Kinderlosigkeit: Vor diesem Hintergrund beleuchtet Cathérine Annette Ludwig-Ockenfels die letzten beiden Generationen der Medici im Großherzogtum Toskana. Die verbliebenen und bereits erwachsenen Kinder des vorletzten Großherzogs, Cosimos III. (1642–1723), hatten keinen eigenen Nachwuchs, wodurch das Haus der Medici unmittelbar vom Aussterben bedroht war. Die Einheit der Dynastie sollte deshalb nach außen hin demonstrativ betont werden, wobei der Tochter Cosimos III., Anna Maria Luisa de’ Medici (1667–1743), eine besondere Rolle zukam. Sie hätte nach dem Wunsch des Vaters nicht nur die Herrschaft übernehmen sollen, falls ihr Bruder Gian Gastone (1671–1737) ohne Nachkommen sterben würde. Bereits davor erhielt sie auch einen eigenen Stuhl im Ratsgremium und empfing den kaiserlichen Sondergesandten in einer Audienz. In den Berichten von dessen Nachfolger im Zusammenhang mit dem Tod ihres Vaters wurde sie als vorbildliche Tochter beschrieben, die ihren Vater am Sterbebett begleitete. Auf diese Weise gelang es den Medici, die Aufmerksamkeit der Diplomaten zumindest temporär von der Kinderlosigkeit auf den Zusammenhalt der Dynastie zu lenken. Leider unbeantwortet bleibt die Frage, ob diese Strategie auch in den Jahren nach dem Tod Cosimos III. erfolgreich war.

Zurück nach Brandenburg-Preußen führt uns Sören Schlueters Beitrag über die Erziehung Friedrich Wilhelms I. (1688–1740) und seinen Informator Jean Philippe de Rebeur (1663–1703). Dieser fertigte, wie schon Otto von Schwerin, eigene Aufzeichnungen über die Erziehung seines Zöglings an, die von einer emotionalen Achterbahnfahrt zeugen. Auf Zornesausbrüche und Gewalttätigkeiten des jungen Prinzen folgten häufig heftige Reue und Gesten der Anhänglichkeit an seinen Lehrer. Rebeurs Sanktionierungspraktiken bei unangemessenem Verhalten kamen dabei ohne physische Gewalt aus: Stattdessen ermahnte er Friedrich Wilhelm, sich das Ideal des ,honnête homme‘ vor Augen zu halten und erinnerte ihn daran, dass ein unwissender Fürst seinen Staat nicht gut regieren könne. Der Entzug von Aufmerksamkeit oder auch geliebter Gegenstände und das Drohen mit dem Oberhofmeister oder gar dem väterlichen Kurfürsten gehörten ebenfalls zu diesem Maßnahmenkatalog. „Vorbild“ wird in dieser Sektion daher gewinnbringend aus zwei unterschiedlichen Perspektiven betrachtet. Einmal geht es um Vorbilder für den dynastischen Nachwuchs (Schlueter), einmal um den dynastischen Nachwuchs als potentielles Vorbild für andere (Ludwig-Ockenfels). Eine Diskussion dieser Wechselwirkung am Ende der Sektion wäre deshalb wünschenswert gewesen.

Die letzte Sektion behandelt den fürstlichen Nachwuchs als „Variable der dynastischen Kultur“ (S. 22). Ulrike Sträßner nimmt eine dynastische Situation in den Blick, in der der Nachwuchs alleine aufgrund seiner großen Zahl zu einem „Problem“ wurde. Seine beträchtliche Kinderschar veranlasste Johann Georg von Brandenburg (1525–1598) im Jahr 1596 zum Verfassen einer Disposition, die die (territoriale) Versorgung seiner Söhne und Töchter festlegte. Sein ältester Sohn und Nachfolger Joachim Friedrich (1546–1608) allerdings hatte seinerseits zahlreiche Kinder und verweigerte dieser väterlichen Setzung seine Zustimmung, um seinen eigenen Nachwuchs besser absichern zu können. Der sich daraus ergebende Konflikt mit seiner Stiefmutter und seinen Geschwistern wurde erst durch das Inkrafttreten des Geraer Hausvertrags im Jahr 1603 gelöst, in dem die Primogenitur endgültig festgelegt und das Kurfürstentum territorial neu definiert wurde. Dieses Beispiel zeigt eindrücklich, dass Kinderreichtum aus Sicht des Regenten zugleich eine erhebliche Belastung der vorhandenen materiellen wie immateriellen Ressourcen bedeuten konnte. Eine stärkere Einbettung in bereits vorhandene Forschungsergebnisse zu diesem Thema fehlt allerdings.

Insgesamt liegt hier ein verdienstvoller Band vor, der den Leser:innen aufschlussreiche Beispiele für die Analyse der Bedeutung von dynastischem Nachwuchs in der Frühen Neuzeit zur Hand gibt. Inwiefern diese Beispiele als Einzelfälle zu betrachten sind oder als repräsentativ für das 17. Jahrhundert gelten können, wird nicht thematisiert. Zu beachten ist außerdem, dass der zeitliche Rahmen das 17. Jahrhundert kaum überschreitet und die räumliche Perspektive auf das Heilige Römische Reich mit einem Schwerpunkt auf Brandenburg-Preußen zugeschnitten ist. Letzteres ist dem Entstehungskontext des Bandes im Rahmen der „Sektion Preußen“ der HiKo_21 geschuldet, hätte aber im Titel Berücksichtigung finden sollen. Zudem hätte dem Band eine stärkere Pointierung der drei Sektionen und ihrer jeweiligen Zielsetzung im einleitenden Kapitel gutgetan. Das macht sich besonders bei der ersten Sektion bemerkbar, die sich auf Kommunikationsanlässe bezieht; unter diesem Schlagwort hätten schließlich auch andere Beiträge firmieren können. Auch ein abschließendes Resümee, das die Ergebnisse des Bandes noch einmal in Beziehung zueinander setzt und einen Ausblick auf zukünftige Forschung gibt, wäre hilfreich gewesen.

Lobend hervorzuheben ist in jedem Fall die große Zahl unterschiedlicher Quellen, die zur Beantwortung der Forschungsfragen herangezogen werden und dadurch die Breite der Thematik in beeindruckender Weise vor Augen führen. Dazu zählen etwa Tagebücher, Funeralzeugnisse und Kirchenbücher, Erbfolgeregelungen, Hausverträge, Gesandtschaftsberichte, Pamphlete und Predigten. Sehr gelungen ist das ausgewogene Verhältnis zwischen jenen Beiträgen, die einzelne Kinder und ihre häufig erst im Werden begriffene dynastische Rolle in den Blick nehmen, und solchen, die die Probleme von Dynastien in ihrer Gesamtheit situativ analysieren. Darüber hinaus gelingt es den Herausgeber:innen und Autor:innen, einige zentrale Anknüpfungspunkte an andere Forschungsgebiete anzudeuten: an die Kindheitsgeschichte, die Geschichte fürstlicher Repräsentation, die Diplomatiegeschichte sowie in Verbindung mit der höfischen Geschichte an die historische Emotionsforschung2. Es wäre daher äußerst wünschenswert, dass der Band als Referenz für zukünftige Vertiefungen in größeren zeitlichen und räumlichen Kontexten genutzt wird.

Anmerkungen:
1 Vgl. den Tagungsbericht von Ellen Franke, Die Lieben Kleinen ... Dynastischer Nachwuchs als Hoffnungsträger und Argument. 7. Nachwuchsworkshop des Nachwuchsnetzwerkes HiKo_21 bei der Historischen Kommission zu Berlin e.V., in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 29 (2019), S. 237–243.
2 Man denke beispielsweise an das Konzept der emotional regimes oder der emotional communities, mit dem emotionale Normen und Erwartungshaltungen sozialer Entitäten, etwa frühneuzeitlicher Fürstenhöfe, und daran geknüpfte Sanktionierungsmechanismen bei deviantem Verhalten beschrieben werden können: Rob Boddice, The History of Emotions, Manchester 2018; ders., A History of Feelings, London 2019; Barbara H. Rosenwein, Generations of Feeling. A History of Emotions, 600–1700, Cambridge 2016.

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