Das spätmittelalterliche Papsttum war nicht auf Mobilität ausgelegt. Die Apostelgräber und der immense Behördenapparat banden die Kurie eigentlich dauerhaft an die Stadt Rom. Dennoch waren die Päpste des 15. Jahrhunderts teilweise sehr mobil, allen voran Pius II., aber auch Martin V. und Eugen IV., weniger hingegen Nikolaus V. und Calixt III. Der damit verbundene organisatorische und logistische Ausnahmezustand wird für die genannten Pontifikate in der vorliegenden Münchener Dissertation von Christopher Kast erstmals systematisch untersucht.
Spektakuläre Thesen und Überraschungen lässt der Untersuchungsgegenstand nicht erwarten. Beeindruckend sind dennoch die detaillierten Einblicke in die Organisation und Abläufe von Reisen bzw. monatelangen Aufenthalten außerhalb Roms. Drei Quellenkreise ergeben drei sich ergänzende Perspektiven: 1) die kurialen Akten, besonders die Rechnungsüberlieferung der apostolischen Kammer; 2) die Überlieferung in den italienischen Kommunen, besonders die auch in kleineren Städten oft abundant erhaltenen Ratsbeschlüsse (Riformanze), und 3) die Korrespondenz der Gesandten, insbesondere aus Mailand und Mantua, die teils als Beobachter, teils als Organisatoren hautnahe Berichte zu den organisatorischen Aspekten der Reisen lieferten. Aufgearbeitet werden zum größten Teil unberührte und (noch) nicht digitalisierte Quellenbestände. Rechercheaufwand und Syntheseleistung sind immens und fördern oft auch über das Thema hinausgehende Materialien zu Tage, die etwa in opulenten Fußnoten zur Vita einzelner Kurialer Platz finden.
Reisen und Aufenthalte außerhalb der römischen Papstresidenz werden hier grundsätzlich eher als jeweils für sich zu betrachtende Ereignisse verstanden und nicht vorrangig als Strukturelement des Papsttums analysiert. Obwohl die Bedeutung der Reisen für die Behauptung päpstlicher Autorität immer wieder erwogen wird, fügt sich die Arbeit nicht in erster Linie in die Verfassungsgeschichte des Papsttums oder Kirchengeschichte ein, sondern leistet Kulturgeschichte. Es geht um den Umgang mit konkreten Herausforderungen der Praxis und langfristige Routinen, um pragmatische Notwendigkeiten und symbolische Gestaltungen. Wichtigste Einzelreisen des Untersuchungszeitraums sind: die Reise Martins V. aus Konstanz nach Rom (1418–1420), die Reisen Nikolaus‘ V. nach Umbrien und in die Marken (1449 und 1450) sowie die lange An- und Abreise Pius‘ II. zum und vom Fürstentag von Mantua (1459/60). Die Darstellung liefert keine chronologische Erzählung, sondern schreitet Einzelaspekte des Reisens systematisch ab, wobei jeweils die verschiedenen Papstreisen vergleichend untersucht werden.
Den Auftakt liefern im erstes Kapitel die politischen Rahmenbedingungen und Ziele der Reisen. Mobilität innerhalb des Kirchenstaats schien zur Behauptung der päpstlichen Autorität notwendig, gleichzeitig brachte die Abwesenheit des Papstes jedoch ein großes Unruhepotential mit sich, auch weil wirtschaftliche Einbrüche drohten. Vor allem mussten die Rahmenbedingungen des Aufenthalts in anderen Städten (Mietpreise, Lebensmittelpreise, Wechselkurse, Zollfreiheit, öffentliche Sicherheit) im Vorfeld möglichst genau ausgehandelt werden, um Konflikte und Versorgungsengpässe zu verhindern. Förmliche Verträge und paritätisch besetzte Kommissionen aus Kurialen und Stadtvertretern waren der Regelfall, insbesondere bei längeren Aufenthalten.
Im zweiten Kapitel werden die organisatorischen Rahmenbedingungen systematisch aufgefächert. Öffentliche Aushänge kündigten die Abreise an. Förmliche Einladungsgesandtschaften mit oratorischem Städtelob im Vorfeld des Besuchs machen die Kriterien für ein angemessenes Reiseziel sichtbar: Ausstattung, Erreichbarkeit, Gutmütigkeit der Bürger, Sicherheit. Es zeichnen sich ähnliche Diskurse wie für die Ortswahl von Konzilien ab1 – eine weitere, bislang unbeachtete Dimension der Parallelität von Kurie und Konzil. Die konkrete Reiseroute und die Daten waren für die Beteiligten oft überraschend, teilweise aufgrund bewusst gestreuter Unsicherheit, teilweise, weil die Reisen von vielen kontingenten Faktoren abhingen (Wetter, Gesundheit des Papstes), die sich der Planbarkeit entzogen.
Das dritte Kapitel ist der Logistik und Sachkultur gewidmet. Die zentrale Verantwortung lag bei der apostolischen Kammer, dennoch wurden die Transporte dezentral durch die einzelnen Ämter organisiert, die der Kammer dann ihre Spesen in Rechnung stellten. Der Transport erfolgte vor allem auf Maultieren. Notwendig war eine aufwändige Verpackung des Gepäcks mit wachsimprägnierten Tuchen. Sogar die Register der Kanzlei und andere Dokumente mussten mitgeführt werden, damit die Kurie funktionstüchtig blieb. Der logistische Aufwand und das Risiko für die Bände waren extrem, wie der spektakuläre Verlust der Registerbände unter Eugen IV. demonstriert. Eine besondere Herausforderung waren die Versorgung mit Lebensmitteln in der geforderten Qualität und Frische sowie die Versorgung der Pferde.
Im vierten Kapitel werden die festlichen Dekorationen des Stadtraums thematisiert, die besonders den Einzug des Papstes prägten. Analysiert wird dabei nicht so sehr die Symbolsprache des Adventus-Rituals, sondern vielmehr der logistische Aufwand für die drei Kernelemente: Blumen- und Grünpflanzenschmuck, Dekoration mit Tüchern und Tapisserien und die Präsenz von Wappen. Sichtbar wird der stark agonale Charakter der kommunalen Kulturen: Es herrschte ein regelrechter Wettstreit der Städte um die prächtigste Ausgestaltung des Adventus und die Organisation des Aufenthalts, der teilweise auch zu einem Wettkampf einzelner Viertel und Bürger führte, die für bestimmte Abschnitte der Einzugsprozession zuständig waren. Der Aufwand war immens: Blumenschmuck in großen Mengen wurde aus dem Umland herbeigeschafft und Verse rezitierende Kinder in Engelskostümen veranstalteten regelrechte Tableaux vivants. Dennoch blieben pragmatische Erwägungen wie die körperliche Belastbarkeit des Papstes, die Enge der Gassen und die Sicherheit vor zudringlichem Volk oft bestimmend.
Unterkünfte und Infrastruktur stehen schließlich im Zentrum des fünften Kapitels: Auch hier dominiert der Eindruck einer immensen Kraftanstrengung, wenn kuriale Würdenträger standesgemäß untergebracht und kuriale Behörden im Stadtraum funktionstüchtig installiert werden mussten. Dennoch zeigte ein Papstaufenthalt insbesondere in größeren Städten mitunter gewisse Nachhaltigkeitseffekte. Er konnte Initialzündung für urbanistische Planung und Baumaßnahmen sein: Straßen und Brücken wurden ausgebessert, Kanäle erweitert, Häuser renoviert. Der Aufwand konnte sich lohnen.
Ergänzt wird der Band von vier Anhang-Serien: Die nun vorliegenden Itinerare Martins V. und Nikolaus V. lösen wichtige Desiderate ein. Hilfreich sind auch die beigefügten Karten mit Reisewegen, die edierten Basisdokumente zur Reiseorganisation und die aus den Akten extrahierten Quartierlisten der Kardinäle und anderer Kurialer für einzelne Aufenthalte.
Insgesamt leistet Christopher Kast exzellente und verdienstvolle Grundlagenforschung. Wer immer sich künftig in Forschung und Lehre mit der spätmittelalterlichen Kurie beschäftigt, sollte diese Arbeit auf die Lektüreliste setzen.
Anmerkung:
1 Dazu Johannes Helmrath, Locus concilii. Die Ortswahl für Generalkonzilien vom IV. Lateranum bis Trient. Mit einem Votum des Johannes de Segovia, in: Annuarium historiae conciliorum 27/28 (1995/96), S. 593–662; wieder in: Ders., Wege der Konzilsforschung: Studien zur Geschichte des Konzils von Basel (1431–1449) und anderer Konzilien. Ausgewählte Aufsätze 2 (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation 132), Tübingen 2022, S. 617–684.