S. Mills: Drama, Oratory and Thucydides in Fifth-Century Athens

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Titel
Drama, Oratory and Thucydides in Fifth-Century Athens Teaching. Teaching Imperial Lessons


Autor(en)
Mills, Sophie
Erschienen
London 2023: Routledge
Anzahl Seiten
211 S.
Preis
£ 36.99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan Anders Willing, Alte Geschichte, Ruhr-Universität Bochum

Mit Ihrer Monographie will sich Sophie Mills mit der „rhetoric of the Athenian empire, Thucydides’ account of the Peloponnesian War and the notable discrepancies between his assessment of Athens and that found in tragedy, funeral orations and public art”1 beschäftigen. Das Werk gliedert sich in sechs Kapitel, in denen Sophie Mills zuerst eine Verortung des Begriffs „empire“ vornimmt, um dann überzugehen zu einer Analyse der attischen Tragödie und Komödie (Kap. 2–4), bevor sie am Schluss (Kap. 5–6) Thukydides‘ Einstellung zu „empire“ untersucht. Das Buch umfasst eine umfangreiche Bibliographie und einen Index; die ebenfalls ausführlichen Fußnoten befinden sich im Anhang der jeweiligen Kapitel.

Die Monographie ordnet sich ein in die Untersuchung des antiken und speziell athenischen ‚Imperialismus‘ und stellt somit ein klassisches Forschungsgebiet der Altertumswissenschaften dar.2 Auch Mills selbst setzte sich bereits mit dem „Athenian empire“ auseinander und darf somit als Expertin auf dem Gebiet gelten.3 Ebenso ordnet sich die Arbeit ein in Tendenzen der aktuellen Thukydidesforschung, sich mit der Rezeption des griechischen Geschichtsschreibers durch moderne Wissenschaftler und Politiker zu beschäftigen4, beziehungsweise zu untersuchen, wie Thukydides gewinnbringend mit der heutigen Zeit in Verbindung gebracht werden kann.5 So versucht auch die Verfasserin, das von Thukydides Geschilderte durch Bezugnahmen auf zeitgenössisches Geschehen zu erhellen und zu kontrastieren. Im Kern ist das Buch eine rigoros geführte Textanalyse zentraler antiker Schriftsteller mit dem Erkenntnisziel, sich anzunähern an eine „psychology of Athenian imperialism“ (S. 3).

Wie bereits erwähnt, geht Sophie Mills im ersten Kapitel der Frage nach, was ein „empire“ sei. Hierbei diskutiert sie die Problematik des Begriffes und eruiert, inwiefern ein solcher Terminus auf das antike Athen anwendbar sei. Auch wenn man dabei Athen selbst im modernen Sinne nicht als „empire“ betrachten könne, sei doch zumindest die Art, wie in athenischen Quellen über den eigenen Machtbereich reflektiert wird, dezidiert „imperial“ (S. 3) gewesen. Thukydides dient in Mills‘ Analyse als Kontrastpunkt und Korrektiv zum ‚Mainstream‘ der athenischen Meinungen, wie sie in Tragödie und Komödie anzutreffen seien.

Im zweiten Kapitel geht Sophie Mills der Frage nach, wie die athenische Tragödie vor allem in Bezug auf die Darstellung des athenischen „Imperiums“ auf das athenische Publikum gewirkt habe. Hierzu untersucht sie Aisychlos‘ ‚Perser‘, welches sie als ein äußerst patriotisches Stück betrachtet (S. 55) und die ‚Eumeniden‘, einem Werk, in welchem Sophie Mills das außergewöhnliche Selbstbewusstsein und die imperiale Gesinnung der athenischen Bürgerschaft zu erkennen glaubt (S. 59). Ebenso analysiert Sophie Mills Sophokles‘ Ödipus, in welchem der imperiale Einflussbereich („imperial reach“) Athens einen Mythos geschaffen habe, welcher der Stadt zum Vorteil gereiche und welcher den athenischen Bürgern ein idealisiertes Bild ihrer eigenen Stadt zurückspiegele (S. 68).

Im dritten Kapitel wird aufgrund der zeitlichen Überschneidungen zwischen dem Peloponnesischen Krieg und den tagespolitischen Anspielungen im Werk des Euripides diesem Dichter eine prominente Stellung eingeräumt. Dabei untersucht Sophie Mills besonders, in welchem Maße sich in dem Werk des Euripides Elemente identifizieren lassen, welche die imperiale Herrschaft der Athener legitimieren. Ein wichtiger Aspekt der Tragödie, insbesondere der des Euripides, sei es laut Sophie Mills, dass in der Tragödie die Zuschauer ihren eigenen durch Krieg verursachten Schmerz projizieren könnten auf andere Kriege, wie den Trojanischen, oder auf Nicht-Athener. Dadurch werde dieser Schmerz gewissermaßen ausgelagert und nicht Teil der athenischen Erfahrung; Stärke und Vorzüglichkeit der Polis Athen würden nicht beeinträchtigt, sodass eine positive Identifikation mit ihr weiterhin möglich sei (S. 82).

Während man in der Tragödie auf ein idealisiertes Bild von Athen träfe, sei die Polis bei Aristophanes, mit welchem sich Sophie Mills im vierten Kapitel beschäftigt, hauptsächlich Ziel von Spott. Trotz aller Kritik an der Polis sei es aber dennoch möglich, auch hier, zumindest stellenweise, das „confident, idealized Athens“ (S. 108) zu finden, welches sich verberge hinter der offensichtlichen Kritik. Sophie Mills kommt schließlich zu dem Schluss, dass Aristophanes in seinen Komödien das Recht Athens zur Herrschaft über Griechenland nie ernsthaft in Frage stelle. Vielmehr zeige die Auswertung der athenischen Tragödie wie Komödie „a people confident in their position in Greece“ (S. 130).

Das letzte Drittel des Buches widmet sich ab dem fünften Kapitel schließlich Thukydides, der in Sophie Mills‘ Argumentation einen Kontrast darstellt zu den vorher besprochenen Autoren. Der in der Forschung bereits ausführlich behandelten Frage zu Thukydides‘ Methoden wird hier erneut Raum gegeben und unter anderem der logoi-erga-Satz (vgl. Thuk. 1,22) abermalig einer philologischen Untersuchung unterzogen. Sophie Mills arbeitet heraus, dass Thukydides zwar ähnliche Meinungen zum ‚empire‘ vertrete wie in den bereits untersuchten Tragödien, jedoch ohne den „strong moral and panegyric overlay“ (S. 141). Gerade Perikles‘ Gefallenenrede und der Melierdialog werden dabei interpretiert als gekennzeichnet von einer imperialistischen Mentalität.

Im letzten Kapitel untersucht die Autorin, wie Thukydides in ausgewählten Reden die athenische Macht darstellt, und arbeitet beispielsweise heraus, dass die thukydideische Darstellung von athenischer Macht die traditionellen athenischen Rechtfertigungen für Machtausübung untergrübe (S. 151). Eine abschließende Synthese, in der sowohl die Analyseergebnisse dieses letzten Kapitels einmal zusammengefasst als auch mit dem zuvor Erarbeiteten deutlich kontrastiert werden, fehlt leider.

Die Monographie ist ambitioniert in ihrem Anspruch, mit einem relativ geringen Umfang (211 Seiten) mindestens fünf große Autoren zu behandeln. Lobenswert hervor sticht die Unterfütterung der klar verortbaren Texte aus dem fünften Jahrhundert durch solche, deren Authentizität oder Datierung umstrittener ist, wie zum Beispiel die Gefallenenreden der attischen Redner des 4. Jahrhunderts. Auch die beinahe überwältigende Fülle der rezipierten Sekundärliteratur unterstreicht den hohen wissenschaftlichen Anspruch des Werks.

In dem Buch kommt wenig überraschend Thukydides eine besondere Stellung zu. Obwohl keine explizite normative Wertung vorgenommen wird, entsteht doch der nicht unproblematische Eindruck, dass Thukydides der qualitativ hochwertigere Schriftsteller gewesen sei, da er das Thema Imperialismus scheinbar nuancierter als seine Zeitgenossen zu bearbeiten vermochte. Auch hinsichtlich des teilweisen literarisch verspielten Arbeitens mit Zitaten moderner Autoren und Politiker (bereits auf der ersten Seite trifft man auf Zitate von George W. Bush, Lord Curzon und Edward Said), die besonders in der ersten Hälfte des Buches „eingestreut“ werden, mag es dem Leser überlassen bleiben, ob er darin bevorzugt kreative Anregungen oder mangelnde Stringenz erkennen möchte. Bei der Diskussion eines so „modernen“ Konzepts wie Imperialismus auch auf moderne Diskurse zu rekurrieren und die antiken Konzepte gewissermaßen durch die modernen zu erhellen, scheint aber angebracht und valide. Das Werk läuft bisweilen Gefahr, etwas ins Unübersichtliche abzugleiten und sich in Detailbeobachtungen zu verstricken; dieser Eindruck wird dadurch unterstrichen, dass, wie oben bereits angemerkt, eine klare Zusammenfassung der Analyseergebnisse und Kernaussagen fehlt, was schließlich das größte Defizit des Buches bleibt. Dennoch sei jedem, der sich mit dem athenischen ‚Imperialismus‘ des fünften Jahrhunderts beschäftigen will, die Lektüre dieses kenntnisreich geschriebenen Buches empfohlen.

Anmerkungen:
1 Innerer Klappentext, keine Seitenangabe verfügbar.
2 Beginnend mit Jacqueline de Romilly, Thucydide et l'impérialisme athènien. La pensée de l'historien et la genèse de l'œuvre, Paris 1947; aktueller z. B. Polly Low, The Athenian Empire, Edinburgh 2008; Edith Foster, Thucydides, Pericles, and Periclean Imperialism, Cambridge 2010.
3 Sophie Mills, Theseus, Tragedy and the Athenian Empire, Oxford 1998.
4 Benjamin Earley, The Thucydidean Turn. (Re)Interpreting Thucydides’ Political Thought Before, During and After the Great War, London 2020.
5 Luca Iori / Ivan Matijašić (Hrsg.), Thucydides in the ‘Age of Extremes’ and Beyond. Academia and Politics, Newcastle upon Tyne 2022.