N. Irvin Painter: The History of White People

Titel
The History of White People.


Autor(en)
Irvin Painter, Nell
Erschienen
New York, London 2010: W.W. Norton & Company
Anzahl Seiten
Preis
€ 20,58
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Silke Hackenesch, Berlin

Nell Irvin Painters 2010 erschienenes Buch „The History of White People“ richtet sich ausdrücklich an eine breite, interessierte Leserschaft und wurde in den USA entsprechend rezipiert. Die New York Times kommentierte treffend, dass schon der Titel eine gelungene Provokation sei, suggeriere er doch zum einen, Weiße seien eine homogene und in sich geschlossene soziale Gruppe, deren Geschichte sich zwischen zwei Buchdeckeln einfangen ließe, und kommentiere zum anderen kritisch-ironisch die auch in der Forschung lange Zeit gängige Auffassung, es gäbe die eine „History of Black People“.1 Andere waren weniger überzeugt. So zeigen die Kommentare von ZuhörerInnen nach einem NPR-Interview mit Painter, wie kritische Debatten um „Weißsein“ nach wie vor ignoriert und tabuisiert werden. Als Painter Gast in Stephen Colberts Satire-Show „The Colbert Report“ war, mündete seine Aussage, er sei als weißer Mann ein „default American“ gar in einem Armdrücken zwischen den beiden.2

Painter, Professorin Emerita der Princeton University, hat ihre Monographie indes treffend betitelt, geht es ihr doch darum, die Geschichte des Konstrukts „Weißsein“ genealogisch aufzuarbeiten. Dies ist kein geringes Unterfangen, und es gerät in Teilen recht vage und oberflächlich, zumal die Autorin bis in die Antike zurück geht und ihre Arbeit mit gegenwärtigen Diskussionen um „racial categories“ des US-Zensusformulars abschließt. Das Buch ist zu verstehen als kritische Intervention in eine Debatte, die vor allem in den USA dazu tendiert, “race talk” eben nicht mit Konstruktionen von „Weißsein“ zu assoziieren: „American history offers up a large bounty of commentary on what it means to be nonwhite, moving easily between alternations in the meaning of race as color, from ‘colored’ to ‘Negro’ to ‘Afro-American’ to ‘black’ to ‘African American,’ always associating the idea of blackness with slavery. But little attention has been paid to history’s equally confused and flexible discourses on the white races and the old, old slave trade from eastern Europe” (S. viv). Bezug nehmend auf die Kritische Weißseinsforschung zeigt Painter anhand der Geschichte von jüdischen MigrantInnen und Einwanderergruppen aus Irland und Italien exemplarisch, wie kontingent und flexibel Konstruktionen von „Rasse“ und „Weißsein“ in der US-amerikanischen Geschichte vom 17. bis zum 20. Jahrhundert waren und bis heute sind.

Painter interessiert sich insbesondere dafür, woher die Bezeichnung „Caucasian“ für Euro-AmerikanerInnen in den USA rührt. Dass sie in der Beantwortung dieser Frage bis in die Antike zurückgeht und Schriften von Hippokrates bis Tacitus diskutiert, ist der Tatsache geschuldet, dass sie gegen die „Rassifizierung der Antike“ im Sinne von „weiß-machen“ schreibt, die es „White-Anglo-Saxon-Protestants“ erlaube, „Rasse“ als etwas Permanentes zu begreifen und ihre „Herkunft“ mehr als zweitausend Jahre zurückzuverfolgen (S. x). In einem weiteren Schritt zeigt Painter, dass Sklaverei nicht notwendigerweise und unmittelbar mit Konstruktionen von „Rasse“ verknüpft sein musste, sondern dass diese Beziehung erst im kolonial-imperialen Zeitalter im westlichen Diskurs etabliert worden ist.

Wie „Weißsein“ konzeptualisiert wurde, und wie In- und Exklusion in diese sozialpolitische Kategorie verhandelt und determiniert worden sind, untersucht Painter in den folgenden zahlreichen und kurz gehaltenen Kapiteln. Dabei fördert sie ein transatlantisches Netzwerk von „Rasse“-Theoretikern aus Deutschland, England, Frankreich und den USA zutage, das die changierenden Diskurse um „Weißsein“ prägte und wesentlich beeinflusste. Durch die Auswertung von Schriften dieser Akteure und durch die Analyse historischer Prozesse wie „Einwanderungswellen“ sowie der institutionellen Verankerung rassistischer Ideologien in der Anthropologie an US-Universitäten, zeichnet Painter die „enlargements of whiteness“ nach. In diesem Sinne kann ihr Buch auch als Wissensgeschichte der „race science“ gelesen werden, denn es zeigt einmal mehr, wie politisch instrumentalisiert, subjektiv und kontingent sogenannte objektive Wissenschaft ist.

Die für die Definition von „Weißsein“ so zentrale Verzahnung mit Idealvorstellungen von Schönheit geht nach Painter auf den Archäologen und Kunsthistoriker Johann Joachim Winckelmann zurück (S. 60), der von Goethe verehrt wurde und dessen Ideen im ausgehenden 18. Jahrhundert von Johann Friedrich Blumenbach übernommen worden sind. Blumenbach machte Schönheit zu einem Charakteristikum seiner fünf „rassischen Kategorien“ und benannte Kaukasier (er verehrte geradezu den Schädel einer kaukasischen Sklavin) als am schönsten und somit weißesten. Die Bezeichnungen Kaukasier und Georgier wurden in diesem Zusammenhang synonym verwendet, und da es in den USA bereits einen Staat Georgia gab, setzte sich „Caucasian“ als „rassische“ Bezeichnung durch, so mutmaßt die Autorin (S. 84).

Im frühen 19. Jahrhundert war es dann vor allem die Schriftstellerin Madame de Staël, die Werke deutscher Denker übersetzte und auch selbst durch ihre Publikation „De l’Allemagne“ die Rezeption deutscher „Rasse“-Diskurse in Frankreich und den USA beförderte (S. 91). Der Zeitpunkt war günstig, wurde in den USA, vor allem im Zuge des Nativismus, doch heftig debattiert, wer „truly American“ sei. Thomas Jefferson hielt beharrlich am „Saxon myth“ fest, „a story of American descent from Saxon by way of England“ (S. 111), und Alexis de Toqueville vertrat die Auffassung, dass Nordstaatler „echte Amerikaner“ seien, nicht aber die Bevölkerung des Südens, die durch die Institution der Sklaverei korrumpiert sei (S. 125).

An Dringlichkeit gewann diese Debatte durch die vermehrte Einwanderung aus Europa in den 1830er- und 1840er-Jahren. Anhand der Diskriminierung, Ausgrenzung und Kriminalisierung von Katholiken und Iren analysiert Painter überzeugend die enge Verschränkung von Religion, Klasse und „Rasse“ in der Auffassung darüber, wer (noch nicht) als „weiß“ galt (S. 134). Wortführer des anti-irischen Diskurses waren beispielsweise Thomas Nast und Ralph Waldo Emerson in den USA und Thomas Carlyle in England (S. 139f., 203f.) Laut Painter war es Emersons immense Popularität und sein Werk „English Traits“, die dazu beitrugen, den „Saxon myth“ sowie die Verachtung für irische ImmigrantInnen endgültig in den intellektuellen Mainstream zu überführen: „Tutored in German race theory reaching back to Winckelmann and Goethe, each [Emerson und Carlyle] had become his country’s national voice, eloquently equating Americans with Britons and Britons with Saxons. The Anglo-Saxon myth of racial superiority now permeated concepts of race in the United States and virtually throughout the English-speaking world. To be ‚American‘ was to be ‚Saxon‘” (S. 164).

Das Ende des Bürgerkrieges läutete nach Painter die “second enlargement of American whiteness” ein. Tausende Immigranten hatten auf beiden Seiten im Krieg gekämpft und forderten nun volle Inklusion in die US-amerikanische Gesellschaft ein. Ihren neugewonnenen Status als „Weiße“ verfestigten und nutzten viele Iren indes, um gegen chinesische und andere asiatische ImmigrantInnen und African Americans zu agitieren (S. 204). Nun waren es die neuen Einwanderer aus Süd- und Osteuropa, Slawen, Italiener und jüdische MigrantInnen, die als nicht-weiß und somit als soziales Problem konstruiert wurden (S. 293).

Zwar gab es um die Jahrhundertwende, vor allem unter dem Einfluss des „Progressive Movement“, zunehmend Kräfte, die auf die Fähigkeit zur Assimilation der Einwanderergruppen verwiesen, doch diese Gedanken wurden überlagert von der Idee des „race suicide“, also der Annahme, dass sich „degenerierte“ (in der Definition der Zeit Familien, die durch “pauperism, licentiousness and gypsying” gekennzeichnet waren, S. 263) arme weiße Familien, vor allem aus dem Süden des Landes, und Einwanderer aus Ost- und Südeuropa zu stark „vermehrten“ und die weiße amerikanische Elite somit demografisch unter Druck setzten. Signifikanterweise waren African Americans in diesem Diskurs größtenteils unsichtbar, weil man annahm, dass sie aufgrund ihrer mangelnden „fitness“ ohnehin ausstürben, wie Painter lakonisch konstatiert (S. 205).

Diese rassistischen Ideologien hatten einen großen Einfluss auf die eugenische Bewegung in den USA, die Praktik der Zwangssterilisierung, die überproportional arme, unverheiratete Frauen aus den Südstaaten betraf (S. 274), diverse „Intelligenztests“ für ImmigrantInnen (S. 282), und Gesetze, die die Einwanderung bestimmter, als politisch „radikal“ klassifizierter Gruppen und Nationalitäten stark einschränkte (S. 295f.).

Mit der Großen Depression und vor allem dem Holocaust, der die grausamen Konsequenzen rassistischen Denkens und Handelns offenbart hatte, verlor der wissenschaftliche Rassismus, der die Überlegenheit einer imaginierten „weißen Rasse“ propagierte, allmählich an Einfluss. Gleichzeitig bewirkte die Nachkriegszeit in den USA aber auch eine dritte „enlargement of whiteness“ und bezog nicht nur ImmigrantInnen und ihre Kinder ein, sondern auch Mexican Americans (S. 359). „Weißsein“ bedeutete nun in noch stärkerem Maße, sich an rassistischer Diskriminierung zu beteiligen.

Painters Analyse endet mit einem Resümee der Black Power-Bewegung, Malcolm Xs Auseinandersetzung mit der „weißen Rasse“, und der These einer vierten „enlargement of whiteness“ angesichts des steigenden Anteils von Asian Americans und Latin Americans an der US-amerikanischen Bevölkerung nach 1965 (S. 384).

„The History of White People“ ist beeindruckend in seiner Fülle und Bandbreite, die es abzudecken versucht. Neben den damit unvermeidlich einhergehenden Generalisierungen, die ein breites Publikum nicht so sehr stören mögen, hätte sich die Rezensentin eine differenziertere Beobachtung der regionalen Unterschiede innerhalb der USA gewünscht. Waren die Diskurse um Immigration in New York dieselben wie in Kalifornien? Wie verhielten sich die verschiedenen Einwandergruppen zu den ebenfalls marginalisierten Native Americans und African Americans? Diese Fragen werden von Painter lediglich stichwortartig adressiert. Auch wirken die einzelnen thematischen Schwerpunkte in den Kapiteln teilweise etwas unsystematisch und eklektisch gewählt. Dennoch bietet ihr lesenswertes Buch einen hervorragenden Überblick über die Dichte und auch Variabilität rassistischer Diskurse um „Weißsein“ in den Vereinigten Staaten.

Anmerkungen:
1 Linda Gordon, „Who’s White?” The New York Times/Sunday Book Review, 28. März 2010, S. 1.
2 „Author examines the ‘History of White People’”, NPR/Talk of the Nation, 10. März 2010 <http://www.npr.org/templates/story/story.php?storyId=124700316> (26.09.201); „All you have to do to change race is have sex”, 18.05.2010 <http://www.huffingtonpost.com/2010/03/18/stephen-colbert-interview_n_504014.html> (26.09.2019).

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