Das 3. und 2. Jahrhundert v.Chr. gelten bis heute als die ‚klassische Epoche‘ der römischen Republik. Diese Einschätzung basiert vor allem auf der Tatsache, dass sich in dieser Zeit der rasante Aufstieg Roms von einer Mittelmacht zu einer den ganzen Mittelmeerraum beherrschenden Weltmacht vollzog. Die Grundlage für diese beeindruckende Expansion wird in der Regel in der Ausbildung einer auf gesellschaftlichen Konsens ausgerichteten Ordnung gesehen, die dem Gemeinwesen eine innenpolitische Stabilität verlieh, die mit der äußeren Dynamik deutlich kontrastierte. Die aus dieser Interpretation abgeleitete Stabilitätsunterstellung führte dazu, dass der Entwicklung der römischen Innenpolitik der klassischen Epoche – nach den turbulenten Zeiten der Ständekämpfe – nur bedingt Aufmerksamkeit in der Forschung geschenkt wurde. Vor allem fehlt es aber – insbesondere im deutschsprachigen Raum – an einführenden Darstellungen, die diese wichtige Thematik in verständlicher Form aufgreifen und damit gerade bei den Studierenden das weitverbreitete Bild einer statischen Republik revidieren, die erst gegen Ende des 2. Jahrhunderts v.Chr. durch einen jähen Reformschub in eine existentielle Krise stürzte. Mit seinem Buch zur innenpolitischen Situation Roms von der Mitte des 3. Jahrhunderts v.Chr. bis zu den Reformversuchen der Gracchen stößt Boris Dreyer also in eine Lücke vor, deren Schließung äußerst wünschenswert ist. Erschienen ist Dreyers Buch in der Reihe „Geschichte kompakt“ der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Darmstadt; es wendet sich primär an Studierende, die einen einführenden Zugang zu der Thematik suchen.
Schon ein erster Blick in das Inhaltsverzeichnis erweist, dass der Autor keine verengte Darstellung des Kernthemas geben will, sondern die Problematik in einen weiteren Zusammenhang stellen möchte. So beginnt das Buch nach einer kurzen Einführung zu den Quellen mit einem Rückblick auf die innenpolitischen Konflikte des 5. und 4. Jahrhundert v.Chr., die als ‚Ständekämpfe‘ bezeichnet werden (S. 7–13). Danach wird dem Leser ein knapper Überblick zur institutionellen Ordnung der Republik gegeben, wobei der Autor schon durch die Anführungszeichen beim Begriff ‚Verfassung‘ deutlich macht, dass er die rechtliche Ordnung in einem engen Zusammenhang zu dem gesellschaftlichen Abläufe sieht (S. 13–27). Diese bilden unter der Überschrift „Etablierung und Entwicklung der Nobilitätsherrschaft (287–180 v.)“ den Kern der innenpolitischen Rekonstruktion (S. 27–69). Schwerpunkt ist dabei die konfliktträchtige Phase nach dem Ende des Ersten Punischen Krieges (241 v.Chr.) bis zur endgültigen Etablierung Roms als Vormacht im Mittelmeerraum (ca. 180 v.Chr.). In diesem Rahmen wird auf die Gegenkräfte zur zunehmenden Verfestigung der Machtausübung in der Hand weniger aristokratischer Familien hingewiesen und auch die innere Dynamik unterstrichen, die angesichts der geradezu explosionsartigen Expansion im Äußeren in den modernen Darstellungen unterzugehen droht.
Der zweite Hauptteil ist dann den Rückwirkungen der äußeren Dominanz Roms auf die inneren Verhältnisse gewidmet. Nach der Ordnung Italiens im Rahmen des ‚Bundesgenossensystems‘ (S. 90–104) diskutiert Dreyer das grundsätzliche Problem des römischen Imperialismus und dessen interaktiven Bezugs zur Herrschaft der Nobilität (S. 105–120). Unter der Überschrift „Nobilitätsherrschaft und Imperium“ werden die Krisensymptome der republikanischen Ordnung im 2. Jahrhundert v.Chr. und die Reformansätze der Gracchen als Abschluss des Buches erläutert (S. 121–136).
Das Programm, das der Autor für seine Einführung in die römische Innenpolitik gewählt hat, ist ehrgeizig: Er skizziert nicht nur die Ursprünge der gesellschaftlichen Konstellation, die weit vor seinem Kernzeitraum liegen, sondern führt die Darstellung bis 121 v.Chr. fort und integriert damit die komplexe Problematik der gracchischen Reformen in das Buch. Darüber hinaus ist er bemüht, den außenpolitischen Konfliktherden einen angemessenen Platz einzuräumen. Auf diese Weise erhält der Leser einen breiten Einblick in die entscheidenden Themenfelder der sozio-politischen Entwicklung der römischen Republik. Durch die Betonung der Konfliktintensität, die auch die innere Situation Roms in der scheinbar so stabilen Republik des 3. und beginnenden 2. Jahrhunderts v.Chr. kennzeichnet, hilft er beim Leser den Eindruck zu überwinden, die Eskalation der Konflikte um die Reformen der Gracchen sei ein erratischer Einbruch des Streites in eine über lange Zeit harmonische Ordnung – ein Ansatz, der in nicht wenigen Einführungen dominierte und das Verständnis für die sogenannte Krise der Republik ab 133 v.Chr. oft erschwerte. Dass jetzt auch für ein breiteres Publikum eine epochenübergreifende Rekonstruktion der römischen Innenpolitik vorliegt, ist daher sehr zu begrüßen.
Die ehrgeizige thematische Ausrichtung des Buches bildet angesichts des beschränkten Platzumfanges, den der Autor in diesem Einführungswerk zur Verfügung hat, allerdings auch ein Problem. Selbstverständlich können die komplexen Konstellationen der römischen Innenpolitik in einem derartigen Überblick kaum vertiefend beleuchtet werden. An einigen Stellen hätte jedoch eine stärkere Konzentration auf die Kernthematik mehr Platz für ausführlichere Erläuterungen der unterschiedlichen Interessenlage ermöglicht. Gerade für den Leser, der noch nicht intensiv mit der Materie vertraut ist, wäre dies mit Sicherheit hilfreich gewesen.
Diese kritischen Einwände sollen aber die Tatsache nicht verdecken, dass Dreyer mit seiner Einführung eine entscheidende Thematik der Alten Geschichte aufgegriffen hat und für sie einen guten Überblick gibt. Es bleibt zu hoffen, dass dieses Buch dazu beiträgt, dass wieder mehr Studierende sich dieser spannenden und bis heute noch in vieler Hinsicht diskussionswürdigen Problematik zuwenden. Damit wäre viel erreicht.
Dem gleichen Zeitraum, wenn auch aus der Perspektive einer spezialisierten Untersuchung, widmet sich das Buch von Karoline Resch „Die Freiheit des Feldherrn“, das die überarbeitete Fassung ihrer Grazer Dissertation darstellt. Der Autorin geht es darum, die Handlungsfreiräume der militärischen Oberbefehlshaber in der Zeit vom Ausbruch des Zweiten Punischen Krieges bis zu den Gracchen näher zu fassen. Nach einleitenden Bemerkungen zum Untersuchungsgegenstand (S. 1–10) skizziert Resch ‚Spannungsfelder‘, wie beispielsweise Ehrgeiz und Konkurrenz, die ihrer Meinung nach das Handeln der römischen Aristokratie in dieser Epoche kennzeichneten. Die Kerndarstellung zerfällt dann in zwei Hauptabschnitte. In einem ersten großen Kapitel (S. 41–130) werden die Mittel beschrieben, die vor allem dem Senat zur Verfügung standen, um die fern vom Zentrum agierenden Kommandeure zu disziplinieren und sie in die gemeinsame Willensbildung der Oberschicht einzubinden. In diesem Kontext werden im Einzelnen durchaus erwartbare Themenkomplexe abgehandelt, so etwa die Beschränkung des territorialen Umfangs eines Kampfauftrages, Inspektionsgesandtschaften während des Feldzuges und die Drohung mit der Verweigerung eines Triumphzuges.
Nach dieser thematischen Negativfolie für die Entfaltungsmöglichkeiten des einzelnen Feldherrn stößt die Autorin dann auf die Kernaspekte der Fragestellung vor (S. 133–315). Allerdings leitet sie auch den Abschnitt zu den Freiheiten mit einer Darlegung normensetzender Erwartungshaltungen der Gesellschaft gegenüber ihren militärischen Führern ein, also mit der einengenden Rahmung (S. 136–156). Die Perspektiven für Handlungsspielräume werden anschließend nach zwei Kategorien behandelt: Einerseits geht es um die Option, wie grausam oder gebunden der Feldherr sich nach Siegen gegenüber den unterlegenen Gegnern zeigen konnte (S. 157–195). Zum anderen wird die Handlungsfreiheit gegenüber einer relevanten Öffentlichkeit untersucht (197–303), sei es im militärischen Mikrokosmos gegenüber führenden Offizieren, sei es gegenüber einer breiteren Öffentlichkeit im Kampfgebiet bzw. der öffentlichen Meinung in Rom oder in der Auseinandersetzung mit den eigenen Soldaten.
Schon die Überschriften lassen den Leser dabei etwas ratlos zurück: So betitelt die Autorin die Kommunikation mit seinem näheren Führungsumfeld als „Der Feldherr und die Anderen“; die Thematik „Der Feldherr und die Öffentlichkeit“ wird auf die politisch-zivile Öffentlichkeit beschränkt, während das letzte Kapitel in diesem Kontext schlicht „Der Feldherr und die Soldaten“ überschrieben ist. Sind die politische Öffentlichkeit und die Soldaten keine relevanten ‚Anderen‘ für den Feldherrn? Stellen die Soldaten angesichts des engen Zusammenlebens im Feld keine besondere ‚Öffentlichkeit‘ für den Kommandanten dar? Wie kommt die Autorin dazu, die zivile Öffentlichkeit zwischen die Untersuchungen zur militärischen Führung und zum Verhältnis des Feldherrn zu den Soldaten einzuschieben? Hier wird das Bild einer militärischen Elite deutlich, deren Mitglieder sich primär durch die Maßstäbe einer kollektiven Adelsethik leiten lassen, die die Autorin in ihren einleitenden Bemerkungen selbst skizziert hat. Diese Adligen hätten sich höchstens gegenüber den eigenen Standesgenossen und dann noch der politischen Öffentlichkeit verantwortlich gefühlt. Gegenüber den Soldaten habe es eher technische Aspekte der Disziplinierung, Besoldung und Belohnung gegeben. So wird das Militär primär zu einer Verlängerung der gesellschaftlichen Konstellation und tritt nicht in ein Spannungsverhältnis zu ihr.
Die Ergebnisse des Buches jenseits der Schilderung einer Vielzahl von Einzelsituationen zusammenzufassen, fällt nicht leicht. Worin bestand nun ‚die Freiheit des Feldherrn‘ in der römischen Republik? War es die Wahl des persönlichen Standortes im Schlachtgeschehen oder die Formen der geduldeten Plünderung? Das Buch kommt leider nicht über einen Details aufzählenden Charakter hinaus. Eine tiefergreifende Verortung der Einzelphänomene in einen größeren Kontext des Spannungsfeldes zwischen republikanischer Ordnung und individueller Selbstentfaltung der aristokratischen Persönlichkeiten erfolgt kaum.
Schon die ersten Sätze des Buches lassen den Leser weitgehend ratlos zurück: „In einem System, in welchem nicht der Agierende selbst Ursprung aller Normen ist, ist die Freiheit desselben mehr oder minder beschränkt. Er bewegt sich im Rahmen der gesellschaftlichen Vorgaben, sowohl im zivilen wie auch im militärischen Bereich. Der römische Feldherr konnte dabei im Vergleich mit seinen modernen Nachfolgern relativ frei agieren.“ (S. 1) In welchem System ist der Agierende Ursprung aller Normen? Ist es überhaupt möglich, dass ein einzelner zum Ausgangspunkt aller normierenden Prozesse in einer Gesellschaft wird, und wäre dieser Grenzfall dann die Keimzelle für die Entfaltung wirklicher Freiheit? Hier zeigt sich die Kernproblematik des vorliegenden Buches: Zentrale Kategorien, von denen die Darstellung ausgeht, werden kaum oder nur schwach definitorisch konturiert. Ein Kapitel zu dem zentralen Aspekt der Freiheit in der römischen Gesellschaft sucht man vergebens. So bezieht sich die Autorin intensiv auf die rechtlichen Kategorien, die Jochen Bleicken in seinem Werk zur ‚Lex publica‘ entwickelt hat1, während die Überlegungen desselben Autors zu der ungeheuren Schwierigkeit, den römischen Freiheitsbegriff zu fassen, nur am Rande erwähnt werden.2 Auch die angedeutete Perspektive zu einem epochenübergreifenden Vergleich, der mit Sicherheit sinnvoll gewesen wäre, um die strukturellen Unabdingbarkeiten der vormodernen Kriegsführung von den römischen Besonderheiten zu trennen, wird später nicht mehr aufgenommen.
So lässt sich resümierend sagen, dass das Buch zuverlässig über Einzelfälle informiert und damit eine nicht zu unterschätzende Materialsammlung für weitere Forschungen bietet. Die definitorische Eingrenzung der ‚Freiheit des Feldherrn‘ in der römischen Republik als ein wichtiger Faktor imperialer Entfaltung und gesellschaftlicher Dynamik bleibt aber weiterhin ein wissenschaftliches Desiderat.
Anmerkungen:
1 Jochen Bleicken, Lex Publica. Gesetz und Recht in der Römischen Republik, Berlin 1975.
2 Jochen Bleicken, Staatliche Ordnung und Freiheit in der römischen Republik, Kallmünz 1972.