Ausstellungen in KZ-Gedenkstätten werden – außer mit Blick auf ihre didaktischen Konzeptionen – auch immer mehr als Spiegelbild von gesellschaftlichen und politischen Erinnerungsdiskursen über den Holocaust wahrgenommen. In der jeweiligen Ausrichtung der Ausstellung sowie in der Auswahl und Präsentation von Text- und Bildquellen zeigt sich neben dem Stand der jeweiligen Wissensbestände und Forschungstendenzen ebenso ein Wandel „im Gedenken an die Opfer“.1 Der Frage, wie diese einzelnen Faktoren zusammenspielen und welchen Einfluss der gesellschaftspolitische Kontext auf die Gestaltung eines einzelnen Ausstellungselementes hat, widmet sich nun Christian König in seiner Untersuchung. Im Mittelpunkt steht hier erstmals der 1969 fertiggestellte Dokumentarfilm „KZ Dachau“, der als Begleitfilm seit fast 40 Jahren unverändert in die Dauerausstellung der Gedenkstätte Dachau integriert ist.
Ausgehend von der Beobachtung, dass der Film stets mit großem Interesse von den Besuchern der Gedenkstätte registriert wurde und wird, steht neben der Analyse der verwendeten Originalfilm- und Fotoaufnahmen und der narrativen Leitlinie des Films die Frage im Vordergrund „warum der Film so produziert wurde, wie er bis heute zu sehen ist“ (S. 18). Der Fokus liegt auf dem Zeitraum der Entstehung des Begleitfilms und dessen gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen, die die Aussage des Films, die Auswahl des verwendeten Materials und das vermittelte Bild des Konzentrationslagers Dachau geformt haben. Dabei weist König darauf hin, dass für die Anlage seiner Untersuchung die „unter dem Begriff Vergangenheitsbewältigung gesammelten Thesen zu unspezifisch“ seien. Der Film sei „nur vor dem Hintergrund des erinnerungspolitischen Ringens um die Einrichtung, Gestaltung und Verwaltung der KZ-Gedenkstätte Dachau“ zu verstehen (S. 18).
Die Analyse wird durch drei Arbeitsschritte strukturiert. Entlang der Bereiche Entstehungsgeschichte, Filmanalyse und Geschichtsdeutung erschließt König den Film und seine Produktionszeit bzw. Produktionsbedingungen sehr ausführlich und aus verschiedenen Blickrichtungen. Von Beginn an in der Grundgestaltung der Dauerstellung der Gedenkstätte eingeplant, war bei der Eröffnung 1965 schon ein Vorführraum für 250 Personen eingerichtet worden (S. 54), doch begannen die Produktionsarbeiten für den Film erst 1967. Zwei weitere Jahre sollte es dauern, bis er seine konkrete, endgültige Form erhielt. Dass sich der Film innerhalb der gängigen Gestaltungsmittel der 1960er-Jahre orientiert, kann König sehr überzeugend in seinen Ausführungen über „Die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit im deutschen Dokumentarfilm“ (S. 34-38) darlegen. Der Kategorie der Kompilationsfilme angehörend, schließt sich „KZ Dachau“ dem gemeinsamen Stil der zu diesem Zeitpunkt produzierten Filme an und ist stark „auf die Inszenierung von Authentizität und Objektivität ausgerichtet“ (S. 37). Die Kombination der historischen Filmdokumente mit einem Kommentar sollte „für die ganz unterschiedlichen Besucher ohne Vorwissen als eine Art Selbstläufer verständlich sein“ (S. 55). Im Hinblick auf den Entstehungsprozess von „KZ Dachau“ sind die von König anhand des Aktenmaterials ermittelten nachträglichen Änderungen in der Konzeption des Films nach dem Rohschnitt spannend zu verfolgen. Zugunsten eines nachträglich angefertigten historisierenden Vorspanns, der eine „Einbettung des Konzentrationslagers Dachau in die allgemeine Geschichte der NS-Zeit“ (S. 58) vornimmt, wurde ein zuvor vorgesehenes Interview mit einem Überlebenden des Konzentrationslagers Dachau herausgenommen. König spricht an dieser Stelle von einer deutlichen Verschiebung des Charakters des Films und führt im Teil der Filmanalyse kurz aus, dass der Film durch den Vorspann „zu einer verständlichen Darstellung des Lagers“ führen sollte (S. 64) und sich durch diese Entscheidung deutlich an Vorläuferproduktionen wie Erwin Leisers „Mein Kampf“ (1959) orientiert.
Eine genaue Analyse bezüglich der narrativen Leitlinie und der Zusammensetzung des historischen Film- und Fotomaterials nimmt König in seinem zweiten Arbeitsschritt vor. Die Untersuchung der filmtechnischen Gestaltung von „KZ Dachau“ folgt den drei Teilabschnitten des Films und bezieht neben der Anordnung und Auswahl der einzelnen Materialien auch die Rhetorik des Kommentars mit ein. Zusätzlich umfasst der Anhang ein detailliertes Sequenzprotokoll von „KZ Dachau“, einen Quellennachweis und eine Szenenbeschreibung für das verwendete Filmmaterial des US Army Signal Corps. Innerhalb seiner Überlegungen versucht König die Originalquellen bezüglich ihres Entstehungskontextes und ihres Quellenwertes zu verorten. Aus diesen umfassenden Betrachtungen konstatiert er, dass die Verwendung der durchaus problematischen, weil eine einseitige Perspektive einnehmenden Bilder des SS-Fotografen Bauer aus der Überlegung entstand, „ein visuelles Gegenbild zu den Befreiungsbildern zu schaffen“(S. 75). Bei der Montage des Filmmaterials des US Army Signal Corps wird in diesem sehr gelungenen Abschnitt deutlich gemacht, dass – anders als bei den vorhergehenden Kompilationsfilmen der Alliierten – nicht auf „Schockeffekt“ (S. 86) gesetzt wurde, sondern ein umfassendes Bild der Befreiung aufgezeigt werden sollte.
Dass die Entstehungsgeschichte von „KZ Dachau“ nicht nur vom Wissenstand der 1960er-Jahre, den zu diesem Zeitpunkt dominanten Forschungstendenzen und der Verfügbarkeit von Quellenmaterial geprägt wurde, sondern auch bei der Darstellung der Geschichte des Konzentrationslagers Dachau im Film wiederum verschiedene Interessengruppen maßgeblich beteiligt waren, kann König in seinem letzten Teil der Untersuchung aufzeigen. Viel Raum gibt er hier dem im Film vermittelten „Mythos einer geschlossenen Solidargemeinschaft unter den Häftlingen“ (S. 98) und den aus der vornehmlich anonymen Gruppe der Opfer punktuell herausgehobenen Häftlingsgruppen wie zum Beispiel den Geistlichen. Interessant in der Darstellung der Geschichte sind seine Überlegungen zum Verhältnis der Stadt Dachau zu „ihrem“ Konzentrationslager. König beschreibt die Darstellung der Dachauer Bevölkerung im Film als schwankend zwischen Unwissenheit und einer (angeblich eingenommenen) Helferposition. Das überwiegend positive Bild führt er darauf zurück, dass der Film vor dem „Hintergrund einer nach wie vor vorherrschenden Abwehrhaltung in der deutschen Bevölkerung und besonders der Stadt Dachau“ (S. 123) entstanden sei und damit als Teil eines Aushandlungsprozesses gesehen werden muss.
Die 2009 mit dem Michael-Doeberl-Preis der Gesellschaft der Münchener Landeshistoriker ausgezeichnete Untersuchung ist eine sehr gelungene und sorgfältige Überblicksdarstellung. König bietet hier dem Leser ein gut erarbeitetes Konzept für den Umgang mit einem Ausstellungsbegleitfilm an, der aufgrund seines Produktionsjahres schon selbst zu einem historischen Dokument geworden ist. Durch das Verständnis des Films als Quelle für gesellschaftspolitische Rahmenbedingungen gibt König einen Einblick in die Auseinandersetzungen in der Gestaltung und Positionierung der Gedenkstätte Dachau in den 1960er-Jahren.
Anmerkung:
1 Thomas Lutz, Zwischen Vermittlungsanspruch und emotionaler Wahrnehmung. Die Gestaltung neuer Dauerausstellungen in Gedenkstätten für NS-Opfer in Deutschland und deren Bildungsanspruch, Berlin 2009, S. 11, <http://opus.kobv.de/tuberlin/volltexte/2010/2500/pdf/lutz_thomas_text1.pdf> (12.06.2012).