Dies ist ein heterogener Band mit vier Beiträgen, hervorgegangen aus dem Projekt „Die Staatliche Kunstkommission der DDR“, das der Forschungsverbund SED-Staat der Freien Universität Berlin von 1999 bis 2001 verfolgte, teilgefördert durch die DFG und mit Eigenmitteln zum Abschluss gebracht. Mehr als die Hälfte des Bandes macht die erstmalige, sehr detaillierte und institutionengeschichtliche Analyse von Dagmar Buchbinder aus: „Die Staatliche Kommission für Kunstangelegenheiten (1951-1953) – eine Kulturbehörde ‚neuen Typus‘“. Ihr folgt Daniel Zur Weihen mit einem überarbeiteten Text, der bereits vor zehn Jahren erschienen ist: „Die Staatliche Kommission für Kunstangelegenheiten und die Komposition zeitgenössischer Musik“.1 Der dritte Beitrag ist ein eher pamphletartiger Essay von Jochen Staadt: „‚Arbeit mit Brecht‘ – ‚dass wir uns auf dem Standpunkt der Gesellschaft stellen‘. Brecht, Weigel und die Staatliche Kommission für Kunstangelegenheiten“. Und zu guter Letzt gibt Horst Laude einen allgemeinen Überblick über die Kulturpolitik der SED in den Jahren 1950/1951 unter dem Titel „Eine neue Kunst für den neuen Staat“. Die Reihenfolge der Beiträge ist nicht chronologisch, sondern offensichtlich thematisch bestimmt. Dem unkundigen Leser, der sich zum ersten Mal mit der Kulturpolitik in der frühen DDR beschäftigt, sei darum empfohlen, mit dem letzten Beitrag als Einführung zu beginnen. Der kundige Leser wird sich vor allem dem ersten, analytischen Text widmen.
Dagmar Buchbinder untersucht die Vorgeschichte, die Gründung, die Wirkungen und das Ende der Staatlichen Kunstkommission. Sie hat hierfür umfangreiches und neues Quellenmaterial erschlossen und gibt zuerst einen Abriss der verschiedenen kulturpolitischen Institutionen in der SBZ/DDR zwischen 1945 und 1953 und geht auf die Kulturverordnungen der DWK bzw. der DDR von 1949 und 1950 ein. Zum zweiten schildert sie die Planungen der SED-Führung für die Kunstkommission, deren gesetzliche Verankerung am 12. Juli 1951, die feierliche Berufung, Organisationsstruktur und personelle Zusammensetzung sowie die strukturellen und personellen Veränderungen nach der 2. Parteikonferenz im Juli 1952. In einem Exkurs wird als großes Vorbild das Staatliche Komitee für Kunstangelegenheiten beim Ministerrat der UdSSR behandelt. Zum dritten stellt Dagmar Buchbinder die Aufgaben (Arbeitspläne und Arbeitsprogramme) sowie die Arbeitsweise der Kunstkommission vor. Dabei geht sie schwerpunktmäßig auf die Instrukteurstätigkeit zur Überprüfung der Länder und Kreise im Zuge der Verwaltungsreform von 1952, auf die beiden Theaterkonferenzen 1953 „Planaufgabe Stanislawski statt Brecht“ und auf die Vorbereitung der III. Deutschen Kunstausstellung in Dresden 1953 „Planaufgabe ‚Durchbruch zum Realismus‘“ ein. Viertens beschreibt sie die Kunstkommission als „Auslaufmodell“ nach dem 17. Juni 1953, die Auswirkungen des „neuen Kurses“ und den Streit zwischen den Künstlern (Akademie der Künste und Kulturbund) und den Funktionären um die Zukunft der Kunstkommission, der schließlich fünftens in die Auflösung der Kommission und die Gründung eines Ministeriums für Kultur mündet. In dieser quellengesättigten Analyse, reich an Informationen, Personen und Dokumenten, gibt Dagmar Buchbinder einen aufschlussreichen Einblick in die Struktur und Arbeit einer bürokratisch-stalinistischen Kunstbehörde, die den Anspruch hatte, das kulturelle Leben in der DDR zu lenken und zu kontrollieren. Mit der Kontrolle scheint es funktioniert zu haben, mit der Anleitung weniger. Denn „die Parteitreue des Mitarbeiterstamms der Staatlichen Kunstkommission [stand] in der Regel in einem umgekehrten Verhältnis zu ihrer fachlichen Kompetenz“ (S. 117). Das Ergebnis war eine Lähmung der künstlerischen Kräfte in der DDR. Kein Wunder, dass die Intellektuellen rebellierten. Eine abschließende Wertung der kurzfristigen Tätigkeit der Kunstkommission gibt Dagmar Buchbinder nicht. Sie stellt vielmehr die politische und personelle Kontinuität zwischen Kunstkommission und Kulturministerium heraus. Die Ernennung des bekannten Schriftstellers und patriotischen Kommunisten Johannes R. Becher zum Minister für Kultur wäre somit in erster Linie „taktischen Überlegungen geschuldet“ (S. 275) gewesen. Eine „Langzeitwirkung“ der Kunstkommission „vor allem in der sozialistischen Formierung des kulturellen Lebens, die unter Leitung und Aufsicht der Kunstkommission erzwungen wurde“ (S. 30) zu postulieren, bleibt aber begrifflich wie historisch ungenau und unbewiesen, changiert zwischen politischen Gleichschaltungsanspruch und formaler künstlerischer Vielfalt.
Daniel Zur Weihen hat die entsprechenden Seiten seines unten genannten Buches von 1999 überarbeitet, die sich mit der Staatlichen Kunstkommission und deren Einfluss auf die Komposition zeitgenössischer Musik beschäftigten. Er behandelt darin die Arbeitsziele und Arbeitsbereiche der Hauptabteilung Musik der Kunstkommission, die Anleitung des Verbandes Deutscher Komponisten und Musikwissenschaftler, die Kontrolle der Konzertpläne sowie die Ausschreibung von Wettbewerben und das Auftragswesen. Den Lenkungsversuchen der Kunstkommission stellt er die musikalische Praxis gegenüber. Zwar hatte die Kunstkommission eine umfangreiche Verwaltungstätigkeit entwickelt, aber in ihrer „Zielstellung, der vollständigen Lenkung der Musikproduktion und Reproduktion, scheiterte“ sie (S. 348). Denn die Kunstkommission konnte „nur auf entstehende neue Werke reagieren. Eine Einflussnahme auf den Kompositionsprozess, die über Titel und ‚Programme‘ hinausging und stilistische Entscheidungen der Komponisten betraf, konnte nicht erreicht werden […] Bei den etablierten Komponisten […] stieß besonders die an Shdanow orientierte rein funktionale Behandlung, die nicht nur wenig Rücksicht auf die einzelne künstlerische Leistung nahm, sondern im Gegenteil gerade auf die Kontrolle und Lenkung der so genannten ‚Olympier‘ bedacht war, auf Unverständnis“ (S. 350).
Jochen Staadt ist angetreten, die Maßstäbe der Brecht-Gemeinde über das politische Handeln des „Stalinpreisträgers“ zurechtzurücken: „Brecht kündigte dem massenmörderischen Kommunismus bis zu seinem Tode die Gefolgschaft nicht auf. Er verhöhnte die Zweifler, obwohl er in seinen geheimen Kladden den eigenen Zweifeln freien Lauf ließ. Als Beichtvater seiner selbst erteilte er dem eigenen Gewissen die nötige Absolution, öffentlich aber pries er Massenmörder als Menschheitsbeglücker. Den Konflikt in eigener Sache scheute er dennoch nicht. Freilich hütete er sich vor Grenzüberschreitungen gegenüber den Herrschenden […]. Als schlauer Opportunist mit internationalem Renommee konnte Brecht es wagen, sich durch das Gestrüpp der DDR-Bürokratie zu schlagen, denn es galt nicht nur, eine Theateridee zu verwirklichen […]. Er hoffte darauf, mit Hilfe des Theaters sein Bild von der Welt in die erwartete neue Gesellschaft inkorporieren zu können. Dem Publikum würden dann die Augen dergestalt aufgehen, dass es im Theater selbst die Wahrheit entdeckt und den schönen Schein zu durchschauen lernt.“ (S. 351/352) Konkret geht es dann um den Konflikt zwischen der Staatlichen Kunstkommission und den Theatermachern Bertolt Brecht und Helene Weigel am Beispiel des Verhältnisses Stanislawski – Brecht. Auch wenn die SED-Funktionäre das traditionelle Illusionstheater favorisierten, sollte nicht unterschlagen werden, dass dieselben die Gründung des Berliner Ensembles beförderten und dessen Finanzierung sicherstellten, einschließlich der knappen, aber notwendigen Devisen für Gastregisseure und -schauspieler aus dem Westen. Politik und Ästhetik waren auch in der frühen DDR kein einfaches Gegensatzpaar, sondern vielfach miteinander verwoben.
Horst Laude liefert einen Abriss der Kulturpolitik der SED, die der Gründung der Staatlichen Kunstkommission voranging. Er analysiert erstens die Weichenstellung des III. Parteitages der SED im Juli 1950, mit dem die SED-Vorgaben im gesamten Kulturbereich durchgesetzt und auch dort zur längerfristigen zentralen staatlichen Planung übergegangen werden sollte. Zweitens wurde mit der Veröffentlichung des Artikels von N. Orlow „Wege und Irrwege der Modernen Kunst“ in der Täglichen Rundschau im Januar 1951, noch dazu von einem Vertreter der sowjetischen Vormacht, „ein regelrechter Rundumschlag gegen beträchtliche Teile der Kunst in der DDR geführt“ (S. 389). Und drittens fanden diese Dogmen der sowjetischen Kulturpolitik und Ästhetik schließlich ihren Niederschlag im Referat von Hans Lauter wie im Beschluss der 5. Tagung des ZK der SED vom März 1951 „Der Kampf gegen den Formalismus in Kunst und Literatur, für eine fortschrittliche deutsche Kultur“. Fazit Horst Laudes: „Die Kulturpolitik der SED vom III. Parteitag der SED bis zur 5. ZK-Tagung lässt sich zusammenfassend als eine Phase des verschärften Drucks zur Durchsetzung der sowjetischen Kunstdoktrin in der DDR beschreiben.“ Die SED-Führung versuchte damit, die Künste in den Dienst der Politik zu stellen. Die Werke der Künstler und Schriftsteller wurden „mit der Elle des Kunstverständnisses von politischen Apparatschiks vermessen und als hemmend, schädlich oder gar feindlich“ abgelehnt (S. 418). Eine weiter gehende Analyse müsste dann darauf eingehen, dass das „Formalismus“- und „Dekadenz“-Verdikt keine allgemeine Kulturpolitik darstellte, sondern insonderheit gegen jene modernen und linken, antifaschistischen und sozialistischen Künstler und Schriftsteller gerichtet war, die sich als Remigranten für die DDR entschieden hatten und in der Hochzeit des Kalten Krieges politisch dazu keine Alternative hatten.
Anmerkung:
1 Vgl. Daniel Zur Weihen, Komponieren in der DDR. Institutionen, Organisationen und die erste Komponistengeneration bis 1961. Analysen, Köln u.a. 1999, S. 124-199.