C. Kösters u.a. (Hrsg.): Die katholische Kirche im Dritten Reich

Title
Die katholische Kirche im Dritten Reich. Eine Einführung


Editor(s)
Kösters, Christoph; Ruff, Mark Edward
Published
Freiburg im Breisgau 2011: Herder Verlag
Extent
220 S.
Price
€ 19,95
Reviewed for H-Soz-Kult by
Thomas Forstner, Berlin

In ihrem 2011 erschienenen Überblickswerk zur Geschichte der deutschen katholischen Kirche im Nationalsozialismus versammeln die Herausgeber Christoph Kösters und Mark Edward Ruff nach einer von ihnen gemeinsam verfassten Einführung zehn chronologisch-thematisch geordnete Aufsätze verschiedener Autoren. Heinz Hürten beschäftigt sich mit der Kirche während der Phase des Aufstiegs des Nationalsozialismus, Rudolf Morsey mit „Ermächtigungsgesetz und Reichskonkordat 1933“, Dietmar Süß mit „Nationalsozialistische[r] Religionspolitik“, Michael Kißener schreibt zum Thema „Christlicher Widerstand“. Mitherausgeber Kösters liefert Beiträge zu den deutschen katholischen Bischöfen und zum katholischen Kirchenvolk in den Jahren 1933-1945. Mit „Kriegsdeutung und Kriegserfahrung in Deutschland 1939-1945“ beschäftigt sich Wilhelm Damberg, mit Pius XII. und den Juden Thomas Brechenmacher. Bereits nach 1945 verortet sind der von Mark Edward Ruff verfasste Überblick „Katholische Kirche und Entnazifizierung“ und Karl-Joseph Hummels Beitrag „Die Schuldfrage“. Während weiterführende Literatur jeweils am Ende jedes Beitrags angeführt ist, sind die Anmerkungen in einem separaten Teil am Schluss zusammengefasst (ein umgekehrtes Verfahren wäre vielleicht sinnvoller gewesen). Abgeschlossen wird der Band von einem Anhang bestehend aus einem – mit den Aufsätzen nicht in direkter Verbindung stehenden – Bildteil, einer Zeittafel, Karten, einem Autorenverzeichnis und einem Personenregister.

Damit bietet der Band auf seinen etwas über 200 Seiten einen multiperspektivischen Zugang zu verschiedensten Aspekten der Geschichte der deutschen katholischen Kirche in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Zugleich setzt er bei seinen Lesern aber eine gewisse Grundkenntnis der Struktur und Organisation der Kirche, auch der innerkirchlichen Debatten und Wertemuster jener Zeit stillschweigend voraus. Auch die Bedeutung und gesellschaftspolitische Funktion von Glaube, Kirche, Religion in der modernen Gesellschaft an sich, die heutigen studentischen Leserinnen und Lesern – an die eine wissenschaftliche Einführung sich zunächst richten sollte – oft nicht vertraut sind, wird nicht grundsätzlich erörtert. Damit ist der Band im breiten kulturgeschichtlichen Diskurs nur insoweit verankert, als einzelne Autoren diese Fragestellungen einfließen lassen. Der Blick auf das Sub- oder Teilsystem Religion als Ganzes fehlt. Zu bedauern ist etwa auch das Fehlen eines Beitrags über den Klerus (während Bischöfe und Kirchenvolk in je eigenen Beiträgen betrachtet werden).

Andererseits erscheinen manche Beiträge für einen Einführungsband als zu speziell: So hätte man sich anstelle des Aufsatzes zum Verhältnis des Papstes Pius XII. zu den Juden eher einen weitergreifenden und grundsätzlichen Beitrag zum Thema katholische Kirche und Judentum gewünscht, der die verschiedenen Tendenzen der Forschung aufgreift und bündelt.1 Wie es anders gehen kann, zeigt etwa der Beitrag von Wilhelm Damberg über deutsche Kriegsdeutungen und -erfahrungen während des Zweiten Weltkrieges, der auf wenigen Seiten kongenial einen Überblick über die Vorgeschichte und Bedeutung der christlichen Deutung des Krieges liefert.

Die Autoren des Bandes eint, dass sie (mit einer Ausnahme) Mitglieder oder Beschäftigte der bei der Deutschen Bischofskonferenz angesiedelten „Kommission für Zeitgeschichte“ sind. Gleichwohl handelt es sich bei dem vorliegenden Band nicht um eine durchweg unkritische Apologie des Verhaltens von Kirchenführern und Kirchenvolk im Nationalsozialismus. Die Beiträge sind von durchaus unterschiedlichem Zuschnitt. Zu den Beiträgen, die kirchenpolitische Entwicklungen auch in ihren kritischen Aspekten betrachten, gehört derjenige des Mitherausgebers Mark Edward Ruff. Er beleuchtet ausgehend von ihrem Selbstverständnis als „Siegerin in Trümmern“ (Köhler/van Melis) die oppositionelle Haltung der Kirche gegen den Entnazifizierungsprozess und arbeitet systematisch deren Ursachen heraus: Neben einer grundsätzlichen patriotischen Gesinnung vieler Kirchenfunktionäre und der – seinerzeit nicht nur in Kirchenkreisen gängigen – Deutung der Mehrzahl der Täter als Verführte und Mitläufer, über die allzu unbillige und harte Strafen verhängt worden seien, sahen viele Bischöfe und Priester auch politische und weltanschauliche „Gefahren“ (S. 148), sollten doch gerade die vielfach durch den Nationalsozialismus kompromittierten konservativ orientierten Teile der Bevölkerung durch die Entnazifizierungsmaßnahmen politisch ausgeschaltet werden. Eine Oberherrschaft der politischen Linken, gar der Kommunisten, galt den Kirchen als Schreckgespenst, welches es mit Rücksicht auf die eigenen Interessen zu verhindern galt. Der aufziehende Kalte Krieg begünstigte diese Tendenz. „Der Weg für die Rehabilitierung vieler ehemaliger Nazis wurde damit geebnet.“ (S. 152)

Andere Beiträge im vorliegenden Band sind von dem unverkennbaren Bemühen inspiriert, kein kritisches Wort über das Verhalten von Katholiken und Kirchenführern zu verlieren. Dies ist vor allem dann bedenklich, wenn Urteile mit einer einseitigen Apodiktik vorgetragen werden, die jeden Widerspruch und Zweifel – die doch gerade die Forschung beleben – von vornherein ausschließen. So ist es etwa für Heinz Hürten in seinem Beitrag zum Aufstieg des Nationalsozialismus völlig unzweifelhaft, dass die Kirchen den Nationalsozialismus von Beginn an ablehnten und „dass es zwischen Hitler und der katholischen Kirche nichts anderes gab als offene Abneigung“ (S. 27). Auch wenn die katholischen Bischöfe in einer Anweisung an die Seelsorger in Bezug auf glaubensfeindliche Vereinigungen die Nationalsozialisten nicht nennen, besteht für Hürten „kein Zweifel“ (S. 27), dass die darin ausgesprochene Verurteilung auch sie betraf. Doch hat nicht nur Hürten selbst keinen Zweifel, nach seiner Ansicht konnte es auch „für einen Katholiken, der seiner Kirche zugetan war […] keinen Zweifel geben, dass von den Nationalsozialisten nichts zu erwarten war“ (S. 29). Warum eigentlich? Festgefügte Meinungen dieser Art überraschen umso mehr, als sie von der Forschung mittlerweile mit guten Argumenten in Frage gestellt wurden.2 Auch wenn man die Argumente dieser Forscher nicht teilen muss, so kann man doch in einer Einführung, die sich ja an Studierende richtet, erwarten, dass zumindest auf den entsprechenden Forschungsdiskurs verwiesen wird.

In eine ähnliche, allerdings noch viel schärfere Richtung zielt der Text von Karl-Josef Hummel zur „Schuldfrage“. Der Autor versteigt sich zu der provozierend anmutenden Behauptung, „hätte es im Deutschen Reich nur Katholiken gegeben, wäre es wohl nie zu einer nationalsozialistischen Machtübernahme gekommen“ (S. 159). Waren Katholiken also durchweg die besseren Menschen bzw. die besseren Deutschen? Eine solche These ist wohl eher dem Bereich der kontrafaktischen Geschichtsschreibung oder spekulativen Geschichtstheologie zuzuordnen und lässt zudem vollkommen außer Acht, dass der Nationalsozialismus in Bayern – und zwar in Oberbayern, mithin einem urkatholischen Kernland – seine Wurzeln hat. Hummel sieht in seinem Aufsatz eine Art antikatholische Weltverschwörung am Werk, die „ohne geschichtswissenschaftliche Erkenntnisse angemessen zu berücksichtigen“ (S. 155) der Kirche „wie dem klassischen Sündenbock“ (ebd.) Verantwortung für Entwicklungen und Taten zurechne, mit denen sie „nachweislich nichts zu tun“ habe. Es ist bedauerlich, dass der insgesamt doch ausgewogen erscheinende Band mit einem derart einseitigen Beitrag abschließt.

Welches Resümee ist zu ziehen? Das vorliegende Werk versammelt sattsam Bekanntes, neben einigen interessanten und neuen Aspekten. Dies muss für „eine Einführung“ in ein Thema, von der man keine bahnbrechenden Neuerungen, sondern einen souveränen Überblick über den aktuellen Forschungsstand und die zentralen Debatten und Forschungskontroversen erwartet, keineswegs ein Nachteil sein. Aus Lesersicht wäre dann jedoch eine umfassendere und ausgewogenere Diskussion der verschiedenen Tendenzen der Forschung wünschenswert. Eine mit dem Thema nicht speziell vertraute Leserschaft der „Einführung“ kann zumindest bei einigen Beiträgen den Eindruck gewinnen, das Thema „Katholische Kirche im Dritten Reich“ sei im Wesentlichen zu Ende diskutiert und alle Fragen der Forschung seien geklärt. Doch davon kann mitnichten die Rede sein.

Anmerkungen:
1 Dass ein „kritischer“ Autor wie Olaf Blaschke, dessen Dissertation zu Katholizismus und Antisemitismus im Deutschen Kaiserreich weitreichende Forschungsdebatten eröffnete – wie immer man zu seinen Thesen stehen mag –, mit keiner Fußnote erwähnt wird, erscheint paradigmatisch für das bescheidene Maß an diskursiver Offenheit, das dem zu rezensierenden Werk generell zu attestieren ist.
2 Vgl. v.a. Derek Hastings, Catholicism and the Roots of Nazism: Religious Identity and National Socialism, Oxford 2010. Auch an anderer Stelle ignoriert Hürten die aktuelle Forschung, etwa wenn er die – keinesfalls unerhebliche – nationalsozialistische Infizierung katholischer Universitätstheologie marginalisiert (S. 33). Vgl. hierzu etwa Dominik Burkard / Wolfgang Weiß (Hrsg.), Katholische Theologie im Nationalsozialismus, Bd. 1: Institutionen und Strukturen, 1. Teilband, Würzburg 2007.

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