G. Botsch: Die extreme Rechte in der Bundesrepublik Deutschland

Cover
Titel
Die extreme Rechte in der Bundesrepublik Deutschland. 1949 bis heute


Autor(en)
Botsch, Gideon
Reihe
Geschichte kompakt
Erschienen
Anzahl Seiten
VII, 151 S.
Preis
€ 14,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Lausberg, Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS)

Gideon Botsch stellt sich mit seinem Überblickswerk über die Geschichte der extremen Rechten in der Bundesrepublik Deutschland bis zur Gegenwart der schwierigen Aufgabe, ein komplexes und heterogenes Themenfeld in Kurzform zusammenfassend darzustellen. Das in der Reihe „Geschichte kompakt“ erschienene Buch will „komplexe Inhalte konzipiert und gut lesbar“ darstellen und Lehrenden, Studierenden und geschichtlich interessierten Personen als Arbeitsgrundlage dienen (S. VII).

Botschs Werk ist als Fortschreibung der Überblicksdarstellungen von Richard Stöss, Peter Dudek und Heinz-Gerd Jaschke sowie von Reinhard Opitz1 aus den 1980er-Jahren auf die Gegenwart zu verstehen. Die Begrenzung auf die Bundesrepublik Deutschland inklusive Westberlin bedeutet, dass die Entwicklungen in der DDR nur am Rande thematisiert werden. Die zeitgeschichtliche Erforschung der extremen Rechten in der Bundesrepublik steht für den Autor trotz einer Fülle an wissenschaftlichen Untersuchungen noch am Anfang: „Es liegen monographische Einzelstudien […] vor, doch verfügen wir, trotz der Fülle von jeweils aktuell gehaltenen Arbeiten, kaum über neuere Gesamtdarstellungen der Entstehung und Entwicklung des Lagers.“ (S. 1)

Botsch bezeichnet die extremen Rechten als „nationale Opposition“, die randständig und weitestgehend einflusslos bis in die Gegenwart blieb. Im Hinblick auf die NS-Zeit gab es immer Bedenken einer neuerlichen Überwindung der demokratischen Ordnung durch die extreme Rechte. Die Gefahr von rechts trug laut Botsch zu einer Festigung der Demokratie im postfaschistischen Deutschland bei: „Es waren vor allem die Auseinandersetzungen mit den antidemokratischen Bewegungen, an denen die bundesdeutsche Demokratie gewachsen ist und Wurzeln in der zuvor wenig demokratischen deutschen Gesellschaft schlagen konnte.“ (S. 1)

Seine Analyse beginnt Botsch mit der Darstellung der Ursprünge der extremen Rechten von der Reichsgründung 1871 bis zum Ende des Nationalsozialismus, an die die extreme Rechte in der Nachkriegszeit ideologisch und personell anknüpfte. Problematisch ist seine Einteilung der Entwicklungsphasen der extremen Rechten. Er unterscheidet zwischen drei Phasen von jeweils zwanzig Jahren (1949–1969, 1970–1989, 1990–2009), die nochmals in zwei Etappen entsprechend den Jahrzehnten eingeteilt wird. Begründet wird dies folgendermaßen: „Im Allgemeinen nehmen wir die Entwicklung der Bundesrepublik so wahr, dass wir die einzelnen Jahrzehnte als relativ scharf geschiedene Etappen dieser Geschichte ansehen. Die Fünfziger-, Sechziger-, Siebziger-, Achtziger- und Neunzigerjahre stehen jeweils als Begriffe für sich selbst und erzeugen unmittelbar eine Reihe von Assoziationen und Bildern, die jedem Jahrzehnt seine eigene Signatur verleihen. Die Entwicklung der extremen Rechten lässt sich von der Folie der Geschichte der Bundesrepublik recht gut mit dem Wechsel der Jahrzehnte in Deckung bringen.“ (S. 6)

Die Schwäche dieses Ansatzes liegt darin, dass Erfolge auf der elektoralen oder organisatorischen Ebene dabei unberücksichtigt bleiben. Unter diesem Blickwinkel wäre eine Einteilung in folgende Phasen zu diskutieren: 1. 1949 bis zum Verbot der SRP 1952, 2. Neustrukturierung und Erfolglosigkeit (1953–1964), 3. Gründung der NPD und Wahlerfolge (1964–1970), 4. Gründung der DVU und der Niedergang der NPD (1971–1983), 5. Die Republikaner (1983–1989) sowie 6. Gesamtdeutsche Phase (1990 bis heute).

Botsch stützt sich in seiner Darstellung auf drei Schwerpunkte. Der erste behandelt die politischen Akteure, das heißt Parteien, Aktionsgruppen und politischen Organisationen. Ein zweiter Schwerpunkt liegt auf der Entwicklung von Jugendorganisationen, die für die Entwicklung und Struktur der extremen Rechten von zentraler Bedeutung sind. Einen dritten Schwerpunkt stellen die Kulturorganisationen (Bildungswerke, Verlags- und Medienunternehmen sowie Zeitschriftenprojekte) dar. Durch diese Vorgehensweise gelingt dem Autor eine fast lückenlose fundierte Übersicht über Grundlagen und Entwicklungen der extremen Rechten in der Bundesrepublik, die den neuesten Stand der Forschung widerspiegelt.

Zu ergänzen wäre eine Analyse der Folgen der Entnazifizierung für den Aufbau extrem rechter Strukturen und der Themenkomplex Internet und Blogs: Die in weiten Teilen verfehlte Entnazifizierungspolitik begünstigte das Wiederaufleben der extremen Rechten. Zahlreiche nationalsozialistische Täter wurden nicht bestraft und wirkten bei der Neugründung rechter Strukturen in der Bundesrepublik mit. Das Internet als Medium der Verbreitung extrem rechter Propaganda wird immer wichtiger; neonazistische Blogs wie Altermedia oder der islamfeindliche Blog Politically Incorrect (PI) sind wichtige Bestandteile extrem rechter Strukturen.

Eine weitere Anmerkung sei erlaubt: Botschs Befund, dass es „der extremen Rechten nicht einmal gelang, das große Potential der 1945 Depravierten, der ‚Heimatvertriebenen und Entrechteten‘, Veteranen des Zweiten Weltkrieges, Angehörigen der Waffen-SS und ehemaligen NS-Mitglieder dauerhaft an sich zu binden“ (S. 4), ist nur teilweise zutreffend. Die „Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS e.V.“ (HIAG) war eine Sammlungsbewegung von ehemaligen überzeugten Nationalsozialisten und Waffen-SS-Veteranen, die in der extremen Rechten im postfaschistischen Deutschland aufgrund ihrer Interaktion mit gesellschaftlichen Interessengruppen und ranghohen Politikern und ihrer Schlüsselstellung innerhalb der militärischen Traditionsverbände eine zentrale Stellung einnahm.

Insgesamt gesehen liegt eine gelungene, knappe Gesamtdarstellung vor, die sich, ergänzt durch eine weiterführende Auswahlbibliographie im Anhang, als Standardwerk für eine Einführung in das Forschungsfeld der extremen Rechten in der Bundesrepublik durchsetzen wird.

Anmerkung:
1 Richard Stöss, Parteien-Handbuch. Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland seit 1945, 4 Bände, Opladen 1986; ders., Die extreme Rechte in der Bundesrepublik. Entwicklung, Ursachen, Gegenmaßnahmen, Opladen 1989; Peter Dudek / Heinz-Gerd Jaschke, Entstehung und Entwicklung des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland, 2 Bde. Opladen 1984; Reinhard Opitz, Faschismus und Neofaschismus, 2 Bde., Köln 1988.

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