A.Zachäus: Chancen und Grenzen wirtschaftlicher Entwicklung

Titel
Chancen und Grenzen wirtschaftlicher Entwicklung im Prozess der Globalisierung. Die Kupfermontanregionen Coquimbo (Chile) und Mansfeld (Preußen/Deutschland) im Vergleich 1830–1900


Autor(en)
Zachäus, Alf
Erschienen
Frankfurt am Main 2012: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
389 S.
Preis
€ 62,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Arne Hordt, Sonderforschungsbereich 923 „Bedrohte Ordnungen“, Eberhard Karls Universität Tübingen

Die am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz entstandene Dissertation von Alf Zachäus stellt einen lobenswerten Versuch dar, globale Geschichte lokal und auf Quellenbasis zu schreiben. Zachäus vergleicht über den Zeitraum von 1830 bis 1900 die Chancen zu wirtschaftlicher Entwicklung in den Kupferabbauregionen von Mansfeld, im heutigen Bundesland Sachsen-Anhalt, und Coquimbo, im Norden Chiles. Sein Erkenntnisinteresse besteht darin, die Ursachen für die unterschiedliche Entwicklung von zwei Regionen mit dem gleichen industriellen Leitsektor und daher gleicher Industriestruktur herauszufinden. Einleitend bezieht er sich dabei vor allem auf die Arbeiten von Sidney Pollard und Toni Pierenkemper zur Rolle von regionalen Leitsektoren in der industriellen Revolution. Daneben werden ältere und neuere Theorien über Entwicklung- und Unterentwicklung, wie die von Rostow und Gerschenkron, und globalen Kapitalismus, wie die Weltsystemtheorie von Immanuel Wallerstein, herangezogen. Welcher der zahlreichen genannten Ansätze verfolgt und was genau damit bezweckt werden soll, bleibt leider schon hier etwas unklar.

Nach der Einleitung ist Zachäus Werk in fünf gleichwertige Großkapitel unterteilt. Im ersten dieser Kapitel legt Zachäus einen historisch-theoretischen Rahmen für seine Untersuchung fest. Dies tut er, indem er recht ausführlich die historischen Entwicklungen in Chile und der nördlichen Region Coquimbo, sowie in „Preußen-Deutschland“ und Mansfeld im Laufe des 19. Jahrhunderts beschreibt. Nach einer kurzen Schilderung der „geologischen Bedingungen in Coquimbo und Mansfeld“, kommt Zachäus schließlich dazu, den „theoretischen Rahmen“ seiner Untersuchung darzustellen. Dazu referiert er über wirtschaftliche Entwicklungstheorien seit Adam Smith und Karl Marx bis hin zur lateinamerikanischen Dependencia-Theorie. Zachäus spitzt seine theoretischen Ausführungen auf die Fragestellung zu, ob die wirtschaftliche Entwicklung der Montanregionen Mansfeld und Coquimbo im Untersuchungszeitraum vorherbestimmt gewesen sei oder es vielmehr offene Entwicklungspotentiale gegeben habe.

Auf diese Grundlegung folgt ein Großkapitel über die Kupferindustrie in Coquimbo und Mansfeld von 1830 bis 1852. Hier werden zahlreiche Faktoren der industriellen Entwicklung vom Transport über die Ausbildung der Bergwerksingenieure bis hin zu den Produktionszahlen einzelner Betriebe aufgeführt. Daran schließt sich ein weiteres chronologisches Kapitel über die Kupferindustrie in den beiden Untersuchungsregionen in der Zeit von 1853 bis 1900 an. Obwohl anders und etwas verwirrend gegliedert, werden im Wesentlichen dieselben Faktoren regionaler Entwicklung untersucht wie bereits für die Zeit von 1832 bis 1852. Zwischen den beiden chronologischen Kapiteln ist ein Kapitel über den Außenhandel einiger europäischer Länder und der USA mit Kupfer eingeschoben. Auf den Abschluss des chronologischen Durchgangs folgt recht unvermittelt eine Schlussbetrachtung. Hier kommt Zachäus zu den folgenden Ergebnissen: 1. Die natürlichen Rahmenbedingungen hätten in den zwei Untersuchungsregionen Mansfeld und Coquimbo zur Ausprägung jeweils spezifischer Institutionen geführt. 2. Es habe bis 1890 keine einseitige Abhängigkeit der chilenischen Kupfermontanindustrie von ausländischem Kapital, Infrastruktur oder Bergbauexpertise gegeben. 3. Die Bergbauunternehmer in Chile unterschieden sich von denen in Mansfeld dadurch, dass erstere den Habitus von Großgrundbesitzern gepflegt hätten, während im seit 1815 preußischen Mansfeld der Typus des verbeamteten Direktors vorgeherrscht habe. 4. Die chilenischen Bergarbeiter hätten spätestens seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine „Klasse für sich“ dargestellt, während die Mansfelder Bergleute bis ins frühe 20. Jahrhundert ein ständisches Bewusstsein beibehalten hätten.

Stärke entfaltet Zachäus Buch vor allem in den Teilen, in denen der Autor Lebensläufe und Quellen miteinander verknüpft und zu einer dichten Beschreibung der montanindustriellen Umwälzung des chilenischen Nordens zusammenführt. Zachäus beweist passagenweise großes erzählerisches Talent. Seine biographische Skizze über den Gründer der Bergwerkschule von Coquimbo, Ignatz Domeyko, ist spannend zu lesen. Hier erzählt der Autor klar und verständlich eine vergleichende Globalgeschichte und legt Zusammenhänge offen, die sonst unbeachtet bleiben.

Leider verheddert Zachäus sich aber immer wieder in dem Bemühen, die zu Beginn angeführten Globalisierungstheorien be- bzw. widerlegen zu wollen. Dieses Vorgehen konterkariert seine Erzählung und es wird nicht klar, wie eine sehr allgemein gehaltene Diskussion von Entwicklungstheorien der 1950er- und 1960er-Jahre einen historischen Mehrwert zu der Untersuchung beisteuern soll. Fraglich bleibt auch, warum die Wahrnehmung des global induzierten Kupferbooms in Chile bzw. der Wiederbelebung des Kupferbergbaus in Mansfeld durch die handelnden Akteure nicht berücksichtigt wird. Dann hätte auch die Vergleichbarkeit, die Zachäus wieder und wieder betont, nicht so sehr in den Mittelpunkt gerückt werden müssen. Anders als der Autor nahelegt, besaßen Mansfeld und Coquimbo eben ganz offensichtlich nicht die gleiche Industriestruktur; die spannende Tatsache ist im Gegenteil, dass beide Regionen, obwohl sie vollkommen ungleich waren, im 19. Jahrhundert in den gleichen Prozess der Globalisierung gerieten. Die Frage hätte sein können, welche Unterschiede dazu führten, dass die gleiche Herausforderung nicht vereinheitlichend wirkte, sondern ganz unterschiedliche Ergebnissen hervorbrachte.

Zachäus Werk weist neben den inhaltlichen Mängeln leider auch schwerwiegende formale Fehler auf. Das sprachliche Niveau der Arbeit ist mangelhaft. Auffällig sind zunächst fehlende Satzzeichen, Wortwiederholungen und sogar Sätze ohne Prädikat. Stilistisch sind zudem unzählige umgangssprachliche Ausdrücke zu monieren, die den Text keineswegs auflockern, sondern vielmehr gedankliche Ungenauigkeit verraten. Häufig bestehen Absätze nur aus einem einzigen Satz. Aber auch umfassendere Absätze im Text führen kaum je einen Gedanken zu Ende.

Vermutlich liegt das nicht zuletzt an den grundlegenden inhaltlichen Problemen der Arbeit. Schon die Fragestellung der Untersuchung und die Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes vermögen nicht zu überzeugen. Wie soll es denn mit den Mitteln des Historikers möglich sein zu entscheiden, ob eine Entwicklung erfolgreich oder nicht erfolgreich abgelaufen ist? Woher soll ein solches Kriterium kommen? Zachäus nimmt es aus veralteten Entwicklungstheorien, die erst mal selber quellenkritisch interpretiert werden müssten. Diese Reflexion findet jedoch nicht statt. Zachäus argumentiert ahistorisch, wenn er eine mangelnde Kapitalisierung des nordchilenischen Kupferbergbaus als „historisches Versäumnis“ (S. 329) moniert. Es müsste stattdessen darum gehen, die Rationalität, welche die chilenischen Investoren antrieb, irgendwann ihre Investitionen in den Kupferbergbau einzustellen, nachzuvollziehen. Das tut Zachäus zwar auch, etwa indem er auf die lukrativeren Möglichkeiten in der Landwirtschaft hinweist. Dennoch zieht er falsche Schlüsse, wenn er der chilenischen Elite deshalb Fehler vorwirft. Es war eben erst mal so, dass dieser Gruppe das Leben als Großgrundbesitzer wirtschaftlich, sozial und kulturell wünschenswerter erschien.

Die Ungenauigkeit der Gedankenführung setzt sich auch in den zwei empirischen Hauptkapiteln fort. Quellen werden zwar ausführlich zitiert, dann aber gar nicht oder nur en passant interpretiert, bisweilen auch völlig unkritisch akzeptiert. So kann man etwa eine Bemerkung des chilenischen Bergwerksunternehmers, Guerilleros und Politikers Vicuña Mackenna über den Kupferbergbau in den 1880er-Jahren nicht einfach als Beleg für die Situation der 1830er-Jahre gelten lassen. Man muss sie vielmehr in den spezifischen Kontext chilenischer Politik nach Mackennas gescheiterter Kandidatur für das Präsidentenamt im Jahr 1875 stellen.

Die Arbeit von Alf Zachäus ist insgesamt nur sehr schwer lesbar, bietet keinen nachvollziehbaren Argumentationszusammenhang und ihre Ergebnisse wirken zweifelhaft. Insbesondere scheint kaum eine Verbindung zwischen der angekündigten Fragestellung und der dann tatsächlich durchgeführten Untersuchung zu bestehen. Darüber hinaus ist die Quellenbasis für den chilenischen Vergleichsfall äußerst dünn. Die in der Schlussbetrachtung vorgetragenen Ergebnisse haben entweder gar keinen oder nur einen äußerst lockeren Zusammenhang mit den eingangs gestellten Fragen. Zachäus zeigt selber, dass schon zu Beginn des Untersuchungszeitraums völlig andere Voraussetzungen herrschten. Warum sollen dann auf einmal die natürlichen Bedingungen für die unterschiedliche Ausprägung der Institutionen verantwortlich gewesen sein? Die Frage nach dem Klassenbewusstsein der Arbeiterschaft oder dem Habitus der Kapitalbesitzer wird nicht einmal gestellt und dennoch beantwortet. Nur die Feststellung, dass es die Industrialisierung des chilenischen Nordens substantiell aus dem Land selber heraus getragen wurde, stellt ein sinnvolles und für Nicht-Experten neues Ergebnis dar. Leider kann Alf Zachäus Dissertation nicht zur Lektüre empfohlen werden.

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