Museum Folkwang (Hrsg.): Anschläge von "Drüben". DDR-Plakate 1949–1990

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Titel
Anschläge von "Drüben". DDR-Plakate 1949–1990


Herausgeber
Museum Folkwang
Erschienen
Göttingen 2015: Steidl Verlag
Anzahl Seiten
144 S., 163 farbige Abb.
Preis
€ 20,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Florentine Nadolni, Werkbundarchiv – Museum der Dinge, Berlin

Die Publikation „Anschläge von ‚Drüben‘. DDR-Plakate 1949–1990“ erschien Anfang 2015 anlässlich der gleichnamigen Ausstellung des Deutschen Plakat Museums, die vom 6. Februar bis 19. April 2015 im Museum Folkwang in Essen gezeigt wurde. Die Ausstellung und der begleitende Katalog entstanden in einer Zusammenarbeit des Deutschen Plakat Museums mit der Stiftung Plakat Ost; sie basieren auf einer Konzeption von René Grohnert, dem Leiter des Deutschen Plakat Museums, und Sylke Wunderlich, Treuhänderin der Stiftung Plakat Ost.

Der Katalog umfasst 144 Seiten, wobei mit 116 Seiten der größte Teil des Buches auf Abbildungen der ausgestellten Plakate entfällt. Dieser Bildteil gliedert sich in drei thematische Abschnitte: Plakate für den Bereich Politik und Gesellschaft, Plakate für Produkte und Dienstleistungen sowie Plakate für Kunst und Kultur. Jeder Abschnitt wird eingeleitet durch einen Kurztext von Grohnert, der die Plakatgestaltung vier historischen Phasen der DDR zuordnet. Damit wird dem Leser und Betrachter sowohl eine inhaltliche als auch eine chronologische Orientierung mitgegeben.

Dem gesamten Bildteil vorangesetzt ist ein Text von Wunderlich, der einen Überblick zu den inhaltlichen Bereichen der Plakatgestaltung gibt sowie kurze Informationen liefert zu Akteuren und Ausbildungsstätten, zu Traditionslinien, politischem Einfluss und zum Stellenwert des Plakats in der DDR. Die Autorin benennt einleitend Plakatkünstler/innen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wie Lucian Bernhard, Käthe Kollwitz oder John Heartfield sowie Schweizer Plakate als Basis und Vorbilder für die Plakatgestaltung in der DDR (S. 8; etwas störend wirkt, dass sämtliche Vornamen in dem Text nur abgekürzt genannt sind). Durch diese Tradition wurde die erste Generation von Gebrauchsgrafiker/innen der DDR um Werner Funkat, Werner Klemke und Klaus Wittkugel geprägt. Deren Entwürfe wiederum dominierten die Plakatflächen der jungen DDR. Als Professoren in Berlin, Leipzig, Halle und Dresden schulten sie nachfolgende Gestalter/innen. Besonders die erste Generation war in den frühen 1950er-Jahren konfrontiert mit politischer Einflussnahme, etwa im Kontext der „Formalismusdebatte“. Wunderlich führt dazu ein Zitat von Hans Lauter aus der „Täglichen Rundschau“ vom 25. März 1951 an, demzufolge eine sachliche, rationell-funktionale Gestaltung als formalistisch bezeichnet wurde, die mit dem „klassischen Kulturerbe“ breche und damit die „Kriegspolitik des amerikanischen Imperialismus“ unterstütze (S. 9).

Im Folgenden geht Wunderlich auf die inhaltlichen Bereiche der Plakatgestaltung ein, die sich in kondensierter Form im Bildteil der Publikation wiederfinden. Beleuchtet werden zunächst agitatorische und propagandistische Plakate, die in der Phase des Wiederaufbaus, für Parteien oder anlässlich von politischen Festtagen und Jubiläen entstanden sind, wobei sich in den 1950er-Jahren der Kalte Krieg deutlich in den Motiven widerspiegelte (S. 9f.). Zwei Beispiele für Letzteres sind die im Bildteil des Katalogs gezeigten Plakate: „Wer Adenauer wählt[,] wählt den Atomkrieg“ von Klaus Wittkugel (S. 26) und „Weg mit der Sonnenfinsternis am Rhein!“ von John Heartfield (S. 27), beide aus dem Jahr 1957. Unter der Bezeichnung „Soziale Plakate“ verweist die Autorin dann auf Plakate zur Verkehrs- und Gesundheitserziehung (S. 10). Anschauliches Beispiel dafür ist Sonja Wunderlichs Plakat zum Blutspenden aus dem Jahr 1981 (S. 40). Des Weiteren werden gesellschaftliche Großereignisse als Plakatmotive benannt (S. 10f.). Abbildungen dazu liefern etwa Ronald Paris mit seiner Darstellung zu den Weltfestspielen der Jugend 1973 (S. 34) und Albrecht von Bodecker zur 750-Jahr-Feier von Berlin 1987 (Plakat von 1986, S. 48). Politische, soziale und gesellschaftliche Plakate werden im Bildteil des Katalogs unter dem Titel „Politik und Gesellschaft“ zusammengefasst.

Darüber hinaus führt Sylke Wunderlich Plakate für Waren und Werbung an. Bis zur starken Einschränkung der diesbezüglichen Budgets in den 1970er-Jahren entstanden in der DDR zahlreiche Werbeplakate für das Inland. Generell sollte sich die Werbung in der DDR von kapitalistischer Werbung abgrenzen und auf Information setzen (S. 11). Der entsprechende Bildteil mit der Überschrift „Produkte und Dienstleistungen“ nimmt mit 24 Plakatabbildungen den geringsten Raum der Publikation ein. Als ein wichtiger Werbeplakatgestalter wird Fritz Springefeld vorgestellt, dessen Plakat „Alles für den Winterurlaub gibt es im Konsum“ (1956, S. 61) auch auf dem Katalogeinband zu sehen ist. Mit dem von Margarete und Walter Schulze entworfenen Plakat zur Leipziger Messe (ebenfalls 1956, S. 64) zeigt der Katalog einen Klassiker der Wirtschaftswerbung.

Schließlich beleuchtet Wunderlich Plakate für den kulturellen Bereich – Theater, Film, Ausstellung und Veranstaltung –, die den größten Teil der Plakatierungen in der DDR ausmachten. Vor allem auf diesem Gebiet entwickelte sich eine qualitativ hochwertige, künstlerische Gestaltung (S. 11f.). Langjährige Kooperationen zwischen Intendant/innen und Grafiker/innen bewirkten geschlossene Erscheinungsbilder der Kulturhäuser. Mit der Einsetzung einer künstlerischen Leitung beim zentralen Filmverleih Progress stieg die Qualität des Filmplakats (S. 12). In dessen Gestaltung flossen sowohl internationale Trends aus Kunst und Werbung ein als auch Ideen aus tschechischen und polnischen Plakaten (ebd.).

Den im Vergleich längsten inhaltlichen Ausführungen zum Kulturplakat entspricht der mit „Kunst und Kultur“ benannte Bildteil des Katalogs: Er ist mit 79 Abbildungen der umfangreichste. Gezeigt werden Plakate aus allen Phasen der DDR – angefangen von Arbeiten Werner Klemkes und Arno Mohrs für das Deutsche Theater über Axel Bertrams und Klaus Vonderwerths Gestaltungen für den Progress-Filmverleih bis zu Arbeiten von Karl-Heinz Drescher, Bernd Frank oder Volker Pfüller für verschiedene Bühnen der DDR.

Sowohl die Ausführungen Wunderlichs als auch die zahlreichen Abbildungen (in der wie immer hervorragenden Druckqualität des Steidl-Verlags) veranschaulichen eindrucksvoll die Breite, Vielfalt und Originalität an Themen, Stilen und Techniken sowie die Vielzahl der Akteure in der DDR-Plakatgestaltung. Der Katalog ist für verschiedene Lesergruppen verständlich; er bietet einen guten Überblick und Einstieg in das Thema Plakatgestaltung in der DDR. Wüsste man nicht, dass alle Beispiele aus dem ostdeutschen Kontext stammen, könnte man bei etlichen Motiven auch eine westliche Provenienz vermuten. Eine gesamtdeutsche Zusammenstellung von Plakatkunst würde neben manchen Unterschieden sicher viele Gemeinsamkeiten und Wechselbezüge zutage fördern. Interessant sind darüber hinaus einige Beispiele aus der Umbruchsituation 1989/90, etwa Manfred Butzmanns Wahlplakat „Let’s go – together!“ für „Bündnis 90 – Die Grünen“ (1990, S. 52) oder Matthias Gubigs Plakat „Wir sind das Volk“ (1989, ebd.).

Vertiefende Literatur zur Plakatgestaltung in der DDR ist seit 1990 nur in einem begrenzten Umfang erschienen. Zu nennen ist an dieser Stelle der etwas umfangreichere, mit ähnlicher Struktur, ähnlichen Inhalten und Informationen ausgestattete und ebenfalls von Sylke Wunderlich verfasste Katalog „überklebt – Plakate aus der DDR“ aus dem Jahr 2007, der anlässlich der gleichnamigen Ausstellung in Schwerin erschienen ist. Weitere Publikationen zu diesem Feld widmen sich ausschließlich einem speziellen inhaltlichen Bereich – etwa Katharina Klotz’ kunstgeschichtliche Dissertation „Das politische Plakat der SBZ/DDR 1945–1963. Zur politischen Ikonographie der sozialistischen Sichtagitation“ (Aachen 2006) oder David Heathers Buch „DDR Posters. Ostdeutsche Propagandakunst“ (München 2014). Beide Arbeiten basieren auf der Plakatsammlung des ehemaligen Museums für Deutsche Geschichte, des heutigen Deutschen Historischen Museums. Eine Publikation zu Künstlerplakaten der DDR (1967–1990) haben die Kunstsammlungen Chemnitz 2009 herausgebracht; zudem ist mit Unterstützung des Mitteldeutschen Rundfunks 2005 eine Publikation zu Zirkusplakaten in der DDR erschienen.

Am hier vorgestellten Katalog zu kritisieren wäre die vor jeden Bildteil gesetzte knappe historische Zuordnung (S. 14f., S. 54f., S. 74f.). Für den historisch weniger geschulten Leser erschließen sich erst ganz am Ende die vier zeitlichen Phasen, die René Grohnert zur Betrachtung der Plakatentwicklung in der DDR nutzt. Erst in der zeitlich sortierten Liste der Plakate (S. 142) werden die im Buch verwendeten Zeitspannen 1945–1948, 1949–1961, 1962–1970, 1971–1990 mit Schlagworten charakterisiert. Der Anspruch, neben die inhaltliche Struktur des Kataloges auch eine chronologische zu setzen, wird mit dieser späten Kennzeichnung der Phasen nicht eingelöst. In visueller Hinsicht bietet der erfreulich preisgünstige Band dagegen viele interessante Einblicke, die in weiterer Forschung zu vertiefen und stärker zu kontextualisieren wären.