Die 2000-Jahrfeier der Schlacht im Teutoburger Wald hat eine wahre Flut von Veröffentlichungen hervorgerufen, die, wie die vorliegende Schrift zeigt, noch zu keinem Ende gelangt ist.1 Das Thema wird von Boris Dreyer in sechs Kapiteln behandelt. In dem ersten geht es um Zusammenhänge und Aktionsorte der Hauptpersonen, wobei Arminius, Varus und Marbod im Mittelpunkt stehen (S. 10–25).
Das mit Abstand längste, zweite Kapitel erörtert die „Stätten der Varusniederlage“ (S. 26–62). Darin werden alle relevanten literarischen Quellen zu der Schlacht im Jahre 9 n.Chr. und zum Besuch des Schlachtfeldes durch Germanicus im Jahre 15 n.Chr., vor allem aus den Werken von Velleius Paterculus, Tacitus und Cassius Dio, in Übersetzung präsentiert und umsichtig interpretiert. Die konkrete Lokalisierung des Geschehens lässt sich jedoch anhand der Schriftquellen alleine nicht lösen, wie die seit langem geführte Diskussion mit zahlreichen Theorien gezeigt hat. Dieser Meinungsstreit ist seit nunmehr fast 30 Jahren durch die spektakulären Ausgrabungen von Kalkriese im Osnabrücker Land auf eine qualitativ neue Stufe gehoben worden. Die inzwischen etwa 5000 dort geborgenen Einzelfunde weisen eindeutig auf eine große militärische Auseinandersetzung zwischen Römern und Germanen hin. Dreyer spricht sich klar für Kalkriese als eine der Örtlichkeiten für den Untergang der Varusarmee aus. Er wendet sich gegen die Versuche, den archäologischen Befund mit der von Tacitus ausführlich geschilderten Schlacht von den „Langen Brücken“ zwischen dem Heer des Arminius und der Vier-Legionen-Armee des Aulus Caecina im Herbst des Jahres 15 in Einklang zu bringen (S. 49–62). Allerdings wäre eine überzeugendere Beweisführung gegen die durchaus beachtenswerten Argumente der Verfechter der Caecina-These erforderlich gewesen, um diese zu entkräften.2
Das dritte Kapitel widmet sich den „Stätten römischer Herrschaft“ (S. 63–80). Mit der Vorstellung der Militärlager an Rhein, Lippe, Main und Werra sowie der Zivilsiedlung Waldgirmes an der Lahn wird die Ereignisgeschichte zwischen Caesar und Varus knapp und quellennah behandelt. „Stätten der Germanicusfeldzüge“ heißt das folgende Kapitel über die Kämpfe in den Jahren 14 bis 16, zu denen es jedoch keine gesicherten Örtlichkeiten gab, da sich auch die Schlachten von Idistaviso und am Angrivarierwall nicht exakt lokalisieren lassen (S. 81–95).
Noch problematischer ist die Bezeichnung des fünften Kapitels „Stätten der römischen Präsenz in Germanien seit Tiberius“ (S. 96–102). Dieser Kaiser hat ja die römischen Truppen auf die Rheinlinie zurückbeordert und auf weitere Eroberungen verzichtet. Erst viel später gab es in Süddeutschland wieder eine „römische Präsenz“ östlich des Rheins bis zum Limes. In diesem Kapitel verlässt der Verfasser den bisherigen Rahmen seiner Arbeit und wendet sich mit einem Zeitsprung der erst seit 2008 bekannten Schlacht am Harzhorn nördlich von Göttingen zu, die in die Jahre 235 oder 236 zu datieren ist, also über 200 Jahre nach der Varusschlacht. Dort fand eine für ein Römerheer, das sich offenbar auf dem Weg von Niedersachsen nach Hessen befand, siegreiche Schlacht gegen Germanen statt. Der zweifellos sensationelle archäologische Fund findet jedoch keine Bestätigung in den literarischen Quellen, wie der Verfasser annimmt. Es handelt sich dabei weder um eine „literarisch gut belegte Offensive zur Eroberung des westelbischen Raumes“, noch gibt es „eindeutige Hinweise in der antiken Literatur“ oder eine ungerechtfertigte Umdeutung durch „moderne Interpretatoren“ (S. 98). Der griechische Historiker Herodian, der allein von dem in die fraglichen Jahre fallenden Germanen-Feldzug des Kaisers Maximinus Thrax berichtet, weiß nur, dass er am Rhein begann und an die mittlere Donau führte. Die Darstellung in der Historia Augusta hängt von Herodian ab und bietet mit ihren vermeintlich genauen Entfernungsangaben Erfindungen und Übertreibungen. Es gibt eben keine „gesicherte Überlieferung“, sondern unterschiedliche Zahlenangaben über die römischen Vorstöße in den Handschriften, die bereits Claudius Salmasius 1620 in einer bisher anerkannten Weise verbessert hat.3 Das Geschehen am Harzhorn war, wie es scheint, eine letzte erfolgreiche Episode für die Römer vor der Aufgabe aller rechtsrheinischen Provinzgebiete um 260.
Um tatsächliche „Stätten der Erinnerung und Glorifizierung“ geht es dann im abschließenden Kapitel, dem ein Anhang folgt (S. 103–114). Darin wird auch das Nachleben des Arminius skizziert. Von einigen Irrtümern im Band seien nur zwei genannt, die sich jeweils an auffälliger Stelle finden: Die Karte 1 auf Seite 8 soll die Lage der Germanenstämme nach den Angaben des Tacitus aus dem 1. Jahrhundert n.Chr. zeigen. Tatsächlich sind diese jedoch mit Angaben aus dem Werk des Ptolemaios aus dem 2. Jahrhundert vermischt, was nur Verwirrung stiften kann. In der Zeitleiste auf Seite 115 wird die Einrichtung der Provinzen Noricum und Raetien auf 15 v.Chr. datiert. In diesem Jahr sind zwar beide Gebiete unter römischen Einfluss gekommen, als Provinzen eingerichtet wurden sie jedoch erst Jahrzehnte später unter Tiberius und Claudius.
Ungeachtet der genannten Monita bietet Dreyer eine übersichtliche und prägnante Darstellung mit einer ausgewogenen Behandlung der historischen wie der archäologischen Quellen.
Anmerkungen:
1 Vgl. Peter Kehne, Neues, Bekanntes und Überflüssiges zur Varusschlacht und zum Kampfplatz Kalkriese, in: Die Kunde, N.F. 59 (2008), S. 229–280; Dieter Timpe, Die „Varusschlacht“ in ihren Kontexten. Eine kritische Nachlese zum Bimillennium 2009, in: Historische Zeitschrift 294 (2012), S. 593–652.
2 Vgl. Reinhard Wolters, Hermeneutik des Hinterhalts: die antiken Berichte zur Varuskatastrophe und der Fundplatz von Kalkriese, in: Klio 85 (2003), S. 131–170, bes. S. 149ff.; Peter Kehne, Lokalisierung der Varusschlacht? Vieles spricht gegen Mommsen – alles gegen Kalkriese, in: Lippische Mitteilungen aus Geschichte und Landeskunde 78 (2009), S. 135–180, bes. S. 160ff.; Timpe, „Varusschlacht“, S. 625–637.
3 Dazu Klaus-Peter Johne, Die Römer an der Elbe. Das Stromgebiet der Elbe im geographischen Weltbild und im politischen Bewusstsein der griechisch-römischen Antike, Berlin 2006, S. 262–264; vgl. Rainer Wiegels, Zu den Heeresformationen Roms an Rhein und oberer Donau in der Zeit des Alexander Severus und des Maximinus Thrax, in: Klio 96 (2014), S. 93–143, bes. S. 95–97 u. S. 135.