Zuweilen vermag eine in die Zeitgeschichte getriebene Sonde größere Entwicklungen plausibler zu machen als dies übergreifenden Narrativen gelingt. So stand die Retrospektive der diesjährigen Internationalen Filmfestspiele Berlin unter der Überschrift „Deutschland 1966 – Filmische Perspektiven Ost und West“. Zweifellos stellt dieses Jahr einen Wendepunkt in der deutschen Filmgeschichte dar. Während in der Bundesrepublik der „Neue Deutsche Film“ seinen internationalen Durchbruch feiern konnte und seine künstlerischen Protagonisten – im Nachhinein betrachtet – schon auf die zukünftigen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen der 1968er-Unruhen verwiesen, stand die kulturpolitische Landschaft in der DDR und insbesondere das Filmwesen im Zeichen eines Kahlschlags. Das 11. Plenum des ZK der SED im Dezember 1965 leitete den Abbruch einer wohl entscheidenden Reformphase in der DDR ein. So wurde knapp die Hälfte der DEFA-Jahresproduktion an Spielfilmen verboten, Projekte mussten abgebrochen werden, eine Reihe von kurzen und mittellangen nichtfiktionalen Vorhaben in den Dokumentarfilm- und Trickfilmstudios der DEFA erhielt keine Vorführzulassung bzw. wurde aus dem Verkehr gezogen. Nicht wenige künstlerische Mitarbeiter in den Studios aber auch Funktionäre auf allen Ebenen bis hin zu Ministern wie dem damaligen Kulturminister Hans Bentzien oder dem Politbüromitglied Kurt Turba erfuhren abrupte Brüche und Wendungen in ihren Lebens- und Arbeitsbiografien. Das Anbrechen einer neuen „Eiszeit“, wie es etwa Brigitte Reimann Ende Dezember 1965 in ihrem Tagebuch festhielt, befürchteten nicht wenige Zeitgenossen in der DDR.
Um die Tragweite dieser Filmverbote, aber auch deren ästhetische Nähe zu anderen west- und ostdeutschen Produktionen der Produktionsjahre 1965/66 zu zeigen, wurden auf der Berlinale DEFA-Verbotsfilme zu Vergleichszwecken sowohl in ihren Zensurfassungen bei Abbruch der Arbeiten als auch in den rekonstruierten Verleihfassungen von 1990 vorgeführt, etwa von „Karla“ (Regie: Herrmann Zschoche 1965/90) nach einem Szenarium von Ulrich Plenzdorf und „Jahrgang 45“ (Regie: Jürgen Böttcher, Drehbuch: ders. / Klaus Poche, 1966/90). Es war natürlich auch ein Thema der Babelsberger Filmuniversität mit ihren Wurzeln in der DDR-Mediengeschichte. Bereits im vergangenen Dezember wurden auf einem Symposium („Sturm und Zwang: Politik und DEFA-Filme 1965/66“) im Deutschen Historischen Museum Hintergründe und Aspekte dieses kulturpolitischen Einschnitts in der DDR erörtert. Noch bis Anfang März konnte zudem im Foyer des Filmmuseums in Potsdam eine von Studierenden in Babelsberg erarbeitete Ausstellung („Gestört Verhindert Zensiert. Die verbotenen Filme der DEFA 1965/66“) besichtigt werden.
In ihrem Vorwort „(n)irgendwo dazwischen“ zu dem anlässlich der Berlinale-Retrospektive veröffentlichten Band „Deutschland 1966: Filmische Perspektiven in Ost und West“ der Stiftung Deutsche Kinemathek erläutern die Herausgeber Connie Betz, Julia Pattis und Rainer Rother das Charakteristische der „Janusköpfigkeit“ dieses Jahres 1966: Während junge bundesdeutsche Filmemacher wie Peter Schamoni („Schonzeit für Füchse“, 1966), sein jüngerer Bruder Ulrich („Es“, 1965), Volker Schlöndorff („Der junge Törless“, 1966) und Alexander Kluge („Abschied von gestern“, 1966) mit ihren Teams national und international Preise und Anerkennung erzielten, erlebte die Filmkultur in der DDR eine harte Zäsur; ein Jahr der Gegensätze und bei genauer Betrachtung der besprochenen Filme auch „eines mit vielen Gemeinsamkeiten zwischen Ost und West“ (S. 7). Neben der Aufbruchsstimmung, die beide deutsche Gesellschaften unter unterschiedlichen Bedingungen und ideologischen Voraussetzungen erfasst hatte, war die deutsche Zweistaatlichkeit durch Mauerbau und Blockstabilisierung zementiert worden. Die Herausgeber skizzieren die Aspekte, die Filmemacher, Autoren und andere Künstler bewegten. Ein Aufbruchswille in die Moderne (gegen „Papas Kino“ bzw. die „Ufa-Ästhetik“) rieb sich am Generationskonflikt als „grenzüberschreitendes Thema der Filme dieses Jahres“ (S. 10). Das Lebensgefühl junger „Drifter“ und „Halbstarker“ waren ebenso Thema dieser Filme wie im gesellschaftlichen Alltag Angekommene, die sich gegen erstarrte und autoritäre Strukturen, gegen die Bevormundung durch Ältere oder ein paternalistisches Staatsverständnis wandten. Dem entsprach ihre Widerspiegelung im Frauenbild wie im dokumentarischen Arbeiten (vgl. die Beiträge von Claudia Lenssen, S. 150ff. und Britta Hartmann, S. 136ff.).
Der Balanceakt zwischen „Anpassung und Bewusstwerdung“, so Bert Rebhandl (S. 17ff.), war personell getragen von jungen Absolventen der neugeschaffenen Filmakademien (nur die Filmhochschule der DDR in Potsdam-Babelsberg war schon in den fünfziger-Jahren gegründet worden) bzw. jungen, unverbrauchten Schauspielern (siehe Peter C. Slansky zur Entwicklung der westdeutschen Filmausbildung in Ulm und Westberlin, S. 108ff. und Ilka Brombach zur Filmhochschule Babelsberg, S. 96ff.). Die deutsch-deutschen Filmbeziehungen waren seit dem Mauerbau zunehmend verwaist, so Andreas Kötzing in seinem Beitrag; von den über 400 neuen Filmen in den bundesdeutschen Kinos 1965 kam nur einer aus der DDR („Die Abenteuer des Werner Holt“, Regie: Joachim Kunert, Drehbuch: Dieter Noll), lediglich ein weiterer lief noch in Randprogrammen. Während der Aufbruch im „Neuen Deutschen Film“ in der Bundesrepublik auf ein Minderheitenpublikum der ersten Programmkinos und Filmklubs traf, blieb er in der DDR den Verantwortlichen des staatlichen Filmeinkaufs ideologisch verdächtig und wurde deshalb für die Auswertung weithin blockiert. Die Vertreter des neuen Films ließen sich politisch nicht vereinnahmen und widerstrebten dem in beiden Staaten favorisierten Unterhaltungsgebot mit gängigen Formaten und ihrer ästhetischen Fortschreibung. Auch in späteren Jahren gelangten nur wenige Beispiele auf ostdeutsche Leinwände. Innovatives wie Kritisches in den DEFA-Filmen von 1965/66 „als ostdeutsches Pendant“ (S. 85) verschwand bis 1990 in den Archiven.
Diese „blinden Flecken“ waren natürlich eng verknüpft mit den politischen Rahmenbedingungen des Kalten Krieges. In seinem Beitrag zum „schlimmen Jahr“ 1966 für die DDR-Filmkunst verweist Ralf Schenk darauf, dass der kulturpolitische Einschnitt wohl nicht zufällig mit dem Exodus von Kinobesuchern „ins häusliche Wohnzimmer“ zum wachsenden Fernsehkonsum zusammenlief, somit auch der personelle filmkünstlerische Aderlass auf den ersten Blick zunächst kaum Spuren hinterließ (S. 37ff.). Doch macht er auch deutlich, wie viele „verlorene Filme“ 1965/66 dadurch zu beklagen sind, etwa angestrebte Kooperationen der DEFA mit der VR Polen und der ČSSR, Arbeitsvorhaben mit namhaften, international renommierten Autoren und Künstlern wie die Verfilmung von Jorge Semprúns „Die große Reise“ oder eine weitere Zusammenarbeit mit dem in der DDR als Theaterregisseur aktiven Hanuš Burger, dem Urheber des Aufklärungsfilms „Todesmühlen“ (1945) über die NS-Konzentrationslager. Nicht wenige Projekte mit DDR-Schriftstellern als Drehbuchautoren versandeten in dieser kulturpolitischen Eiszeit; nur einzelne sollten später doch realisiert werden können wie „Jakob der Lügner“ von Jurek Becker unter der Regie des ebenfalls vom Verdikt betroffenen Frank Beyer, der dann 1976 als einziger Film aus der DDR überhaupt mit einer OSCAR-Nominierung geadelt wurde.
Obwohl in den einzelnen Kurzbeiträgen oft nur Facetten gestreift werden, bleibt die Zusammenschau der verschiedenen Aspekte reizvoll und verweist auf Lücken in der deutschen Mediengeschichte: So fehlt etwa ein fundierter Gesamtblick auf die Geschichte der Filmakademien und -hochschulen und ihrer Traditionsbildung oder eine Gesamtschau auf Tendenzen des experimentellen Films in Deutschland (siehe Claus Löser über „das andere Kino“, S. 179ff.). Kötzing sieht Forschungsbedarf darin, die feinen Netzwerke und Nischenereignisse zu rekonstruieren, die trotzdem zwischen Ost und West gesponnen waren; er zeigt etwa, wie Heinz Klunker kenntnisreich 1966 im „SBZ-Archiv“ über das 11. Plenum und seine Auswirkungen berichten konnte oder dass im August eine Veranstaltung mit den Filmen der anwesenden Westberliner Regisseure Peter und Ulrich Schamoni im Ostberliner Künstlerklub „Möwe“ ermöglicht wurde (S. 93). Zu fragen wäre etwa nach den Langzeitwirkungen solcher Begegnungen, einer Rekonstruktion grenzübergreifender Diskursansätze über die Filmmoderne. So konnte Peter Schamoni 1983 für „Frühlingssinfonie“ über die Romanze von Clara und Robert Schumann an Originalschauplätzen in der DDR drehen.
Im Januar 2016 wurde im Filmmuseum Potsdam die Publikation „Verbotene Utopie. Die SED, die DEFA und das 11. Plenum“ präsentiert, herausgegeben von Andreas Kötzing und Ralf Schenk, erschienen in der Schriftenreihe der DEFA-Stiftung. Der Band besticht durch seine Beiträge und seine konzeptionelle Anlage und weist in Vielem über den Gegenstand hinaus. Er erinnert, so Ralf Schenk im Vorwort, an eine späte Gerechtigkeit für Filme, die erst 1990 als bisher unbekannte „Nouvelle Vague“-Variante begriffen wurden. Dabei bleibt die von Günter Agde bereits 1991 aufgelegte und im Jahr 2000 erheblich erweiterte Dokumenten- und Studiensammlung weiterhin gültig und besitzt Quellencharakter für die Kultur- und Gesellschaftsgeschichte auch der Wendezeit, da die meisten Beiträge im Sommer 1990 auf einem Symposium der Akademie der Künste der noch existierenden DDR gehalten wurden.1
In einem ausführlichen und detaillierten Beitrag ordnet Mitherausgeber Kötzing die Zäsur 1965/66 in die lange Reihe kulturpolitischer Friktionen und Einschnitte ein und legt vergleichende Untersuchungen nahe. Auch betont er dabei vor allem die regionale Perspektive (S. 16f.), etwa, dass in SED-Bezirken wie Leipzig „gezielt Berichte an die Parteiführung lanciert oder in Auftrag gegeben wurden“, um die auf dem 11. Plenum beschworenen „Gefahren“ zu belegen (S. 143ff.). Andererseits sind gerade die Auswirkungen des „Auswertungsfeldzugs“ nach dem Plenum auf diesen Parteiebenen und in den gesellschaftlichen Massenorganisationen und die jeweiligen Konfliktfelder bisher wenig in den Blick genommen worden. Auch die bereits mehrfach diskutierte Frage, „inwieweit die dogmatische Gruppierung innerhalb der SED ‚auf eigene Faust agierte‘“ oder nach Abstimmungsprozessen mit der sowjetischen Führungsmacht, bleibt noch näher zu ergründen. Dies betrifft etwa die kaum beachtete Delegationsreise hochrangiger SED-Funktionäre wie Kurt Hager, Hannes Hörnig und Hanna Wolf nach Moskau kurz vor Beginn des Plenums.
Dabei darf nicht unterschätzt werden, dass bereits seit der späten Chruschtschow-Phase aus der KPdSU deutliche Zeichen gegen vorgebliche ideologische Abweichler in künstlerischen Kreisen gesetzt wurden2 und die Zahl der Eingriffe in der Kunst- und Kulturszene der DDR vor dem Plenum bereits beachtlich war. Schließlich ist der Einflusszuwachs des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in Folge des Plenums unverkennbar. Weitere Untersuchungen in diese Richtung wären in jedem Fall aufschlussreich.
Die versammelten Beiträge zur Entstehungs- und Zensurgeschichte nebst Filmdaten und Produktionschronik der betroffenen Filmprojekte wie auch ihre sehr unterschiedliche Überlieferung (siehe den Beitrag von Regine Sylvester, S. 147ff.) unterstreichen den Charakter des Bandes als Nachschlagewerk. Bei der Lektüre der Quellen und Materialien offenbart sich das vielfältige Räderwerk der Beaufsichtigungspraxis, einschließlich der Rettungsbemühungen der wenigen den inkriminierten Filmprojekten gewogenen Personen im Partei- und Staatsapparat wie in den Leitungsgremien der DEFA. Beiträge zum Dokumentarfilm von Kurt Tetzlaff „Es genügt nicht 18 zu sein“ und zu seiner zensierten Version („Guten Tag – Das sind wir“, beide 1966) von Chris Wahl (S. 407ff.) und zum Trickfilm (Volker Petzold, S. 375ff.) verweisen auf die Reichweite des Plenumverdikts bei der DEFA.
Unter den Stellungnahmen der Hauptverwaltung Film aus der Abteilung Kultur des Zentralkomitees (ZK) der SED oder aus den Parteiorganisationen des Studios im Dokumententeil ist in mehrfacher Hinsicht diejenige von Annelie und Andrew Thorndike zur Lage in den DEFA-Studios und in der Filmhochschule Babelsberg bemerkenswert, die umgehend vor dem Plenum den Teilnehmern zugänglich gemacht wurde (S. 443ff.). Als Vertreter eines strikt propagandistischen/hagiografischen Filmschaffens verfügte das Ehepaar über enge Verbindungen zur SED-Spitze. Ihre Analyse, eine Mischung aus nüchterner wie ideologiefester Ist-Beschreibung des Filmbetriebs und diffamierenden Bemerkungen über DEFA-Mitarbeiter/innen und Genossen, diente als Munition auf dem Plenum.
Mit den Tonbandmitschnitten zentraler Redebeiträge dieses tribunalartigen ZK-Plenums auf der beigefügten Audio-CD, liegt eine wichtige Ergänzung in der Überlieferung vor, zumal die schriftprotokollierten Beiträge die Reden wichtiger Protagonisten nicht vollständig wiedergeben.3 Dies betrifft etwa die Redebeiträge von Erich Honecker, der als Sicherheits- und Kaderchef eine zentrale Rolle spielte, oder von Christa Wolf als einziger widersprechender wie warnender Stimme. Ihnen lässt sich die Schärfe während dieses Tribunals unmittelbar entnehmen. Hilfreich sind die Anmerkungen im Glossar zu den in den Mitschnitten erwähnten Fakten und Ereignissen mit Timecode (S. 517ff.).
Die Edition „Verboten. 10 Filme der DEFA“ versammelt zehn der zwölf durch das 11. Plenum betroffene Spielfilmtitel, neu und hochwertig abgetastet, wobei fünf erstmals einem breiten Interessenskreis zugänglich gemacht werden: „Wenn du groß bist, lieber Adam“, „Hände hoch oder ich schieße“, „Der verlorene Engel“, „Berlin um die Ecke“ und „Der Frühling braucht Zeit“. Bemerkenswert ist die Qualität der künstlerisch-kritischen Kommentare zu den Filmen, die auch über die Systemgrenze hinaus als Beiträge zur deutschen Gesellschaftsgeschichte dienen können.
Leider konnte in der vorliegenden DEFA-Sammlung für die überlieferten Fragmente von „Fräulein Schmetterling“ (Re: Kurt Barthel 1965/66) keine geeignete Präsentationsform gefunden werden. Nachdem der Rohfilm mit den anderen Verbotsfilmen im Frühjahr 1990 gesichtet worden war, verschwand die einzige überlieferte Kopie auf bisher ungeklärte Weise. 2002 begann die DEFA-Stiftung mit dem Bundesarchiv an einer vorführbaren Rekonstruktion anhand des im Archiv überlieferten Rohfilmmaterials und der Negative. Um den Quellencharakter durch eine Nachbearbeitung nicht zu beschädigen wie auch aus Kostengründen, entschloss man sich zu einer Montagedokumentation des abgedrehten Materials mit Untertitelung fehlender oder unverständlicher Dialoge. Die Drehbuchautoren Christa und Gerhard Wolf und Regisseur Barthel hatten den Plan für die Rekonstruktionsfassung gebilligt, allerdings mit der Auflage, dass sie nur mit einer Einführung zu wissenschaftlichen Zwecken vorgeführt werden dürfe. Die Uraufführung erfolgte im Juni 2005 im Berliner Szene-Kino „Blow up“, im Januar dieses Jahres wurde sie im Filmmuseum Potsdam erneut vorgeführt. Es bleibt zu hoffen, dass die DEFA-Stiftung einen Weg findet, sie einem interessierten Publikum doch noch zugänglich zu machen.
Kaum noch Hoffnung hingegen besteht bei dem rüde abgebrochenen Diplomfilm und gleichsam gescheiterten Spielfilmdebüt „Ritter des Regens“ der Absolventen der Hochschule für Film und Fernsehen Potsdam Dieter Roth und Egon Schlegel. Nach derzeitigem Stand der Recherchen sind sämtliche Filmmaterialien (Rohschnittmaterial und Standfotos) kassiert und „aller Voraussicht nach vernichtet worden“ (siehe den Beitrag von Ursula von Keitz, in: Kötzing / Schenk, S. 243); er war bereits zu achtzig Prozent abgedreht. Wenigstens kann die Drehbuchfassung im DEFA-Jahrbuch 2001 nachgelesen werden.4
Die Stiftung hat ihre Möglichkeiten genutzt und aussagekräftiges Bonusmaterial auf den Film-DVDs veröffentlicht, wie die Interviews mit den mittlerweile betagten Regisseuren Günter Stahnke („Der Frühling braucht Zeit“) oder Egon Günther („Wenn du groß bist, lieber Adam“). So schildert der damals junge Hauptdarsteller Peter Reusse („Peter Naumann“) im beigefügten Interview auf der DVD „Denk bloß nicht, ich heule“ (Re: Frank Vogel) noch lange anhaltende Vorbehalte gegen ihn bei Theaterverpflichtungen, während er wie andere Beteiligte nie etwas über die Verbotsgründe erfahren hatte. Er beschreibt, wie er nach fünfundzwanzig Jahren mit seinem Sohn, dieser nur wenig jünger als er damals, den Film auf der Berlinale 1990 sehen konnte. Dem Verbotsfilm „Der verlorene Engel“ (Re: Ralf Kirsten) über die Verbannung der Ernst Barlach-Plastik aus dem Dom zu Güstrow durch Nazischergen, ist auf der DVD ein Kurzfeature von „camera DDR“ über das Barlachmuseum in Güstrow aus dem Jahr 1987 beigefügt. Es spiegelt die langen Schatten der Zensur: Der bereits 1971 in der DDR zugelassene und uraufgeführte Film durfte in dem Beitrag nicht einmal Erwähnung finden.
Sicher ist die Zäsur von 1965/66 auch zuvor bereits eingehend untersucht und rekonstruiert worden, neuerdings etwa in Form der eher subjektiven Darstellung von Gunnar Decker über das Jahr 1965 und den „kurzen Sommer der DDR“.5 Doch die besprochenen Publikationen liefern dazu interessantes, medial komplexes Material. Gerade die recht unterschiedlichen Beiträge im Begleitband zur Berlinale bieten Ansätze für weitere Detailforschung insbesondere für gesamtdeutsch verflochtene Studien und eröffnen Möglichkeiten zur Vertiefung der Gesamtbetrachtung. Dabei bietet auch die mediale Präsentationsform des „Utopie“-Bandes der DEFA-Stiftung wertvolle Anregungen, wenn auch manches, wie in den Anmerkungen zu den Redemitschnitten des 11. Plenums im Glossar, allzu detailliert anmuten mag. Bei der Filmsammlung der DEFA-Stiftung scheinen dem Rezensenten die wichtige subjektive Zeitzeugenschaft in den Interviews nicht genügend gewürdigt zu sein, weil sie hinter dem vermittelten Nimbus des „Bonus-Materials“ auf den Film-DVDs etwas verschwinden. So bleiben die Erzählhaltungen etwa des greisen Kurt Maetzig („Das Kaninchen bin ich“) ebenso wie die Bemerkungen von Hermann Zschoche („Karla“) gleichermaßen beeindruckend wie hinterfragbar. Auch die fehlenden Filmbeiträge in der Sammlung hätten wenigstens in Form der erhaltenen Fragmente (den Textüberlieferungen bei „Ritter des Regens“ bzw. der Montagedokumentation zu „Fräulein Schmetterling“) dokumentiert werden sollen, um die Edition abzurunden. Auch die übrigen von dem kulturpolitischen Einschnitt betroffenen Produktionen aus den DEFA-Studios sollten sicherlich ihren Platz in einer wünschenswerten zukünftigen Gesamtedition finden.
Anmerkungen:
1 Günter Agde (Hrsg.), Kahlschlag. Das 11. Plenum des ZK der SED 1965. Studien und Dokumente, Berlin 1991 / überarb. und erg. Aufl. 2000.
2 Siehe etwa den Beitrag von Elke Scherstjanoi, in: Kahlschlag, S. 37ff.
3 Das Bundesarchiv hat die Digitalisierung aller Mitschnitte von ZK-Tagungen mittlerweile abgeschlossen.
4 DEFA-Stiftung (Hrsg.), apropos: Film 2001. Das Jahrbuch der DEFA-Stiftung, Berlin 2001, S. 43–86; siehe auch das protokollierte Gespräch mit Dieter Roth und Egon Schlegel; ebd., S. 40ff.
5 Gunnar Decker, 1965. Der kurze Sommer der DDR, München 2015. Vgl. die Rezension von Günter Agde, in: H-Soz-u-Kult, 20.10.2015 http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-24563 (16.09.2016).