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Titel
Georg Forster. Zwischen Freiheit und Naturgewalt


Autor(en)
Goldstein, Jürgen
Erschienen
Berlin 2015: Matthes & Seitz
Anzahl Seiten
301 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Greif, Institut für Germanistik, Universität Kassel

Wer sich von Berufs wegen mit Georg Forsters Leben und Werk beschäftigt, dem ringt Jürgen Goldsteins aktuelle Forster-Biographie Anerkennung ab: Zum einen, weil es dem Philosophiehistoriker auf profunde und sprachlich elegante Weise gelingt, Forsters interkulturellen, wissenschaftlichen und politischen Horizont im Kontext namhafter Kultur- und Naturtheoretiker (Rousseau, Kant, die Brüder Humboldt u.a.) des ausgehenden 18. Jahrhunderts zu reflektieren; zum anderen, weil sich Goldsteins Darstellung nicht in biographischen Nebensächlichkeiten verliert, sondern sie die Bedeutung von Forsters Freiheitsbegriff im politischen Diskurs der Aufklärung ins Zentrum stellt.

Zum souveränen Umgang mit Lebensdaten und einer breiten Fachliteratur trägt der konsequent umgesetzte Anspruch bei, Forster in seiner menschlichen Ambivalenz vorzustellen, ihn also weder zum tragischen Helden einer weltbewegenden Epoche zu verklären noch den Eindruck entstehen zu lassen, als zerfalle das Leben des Weltumseglers und „hochtalentierten Taugenichts“ in „lose Scherben“ (S. 9). Dafür, so heißt es zutreffend, habe Forster zu viel „Anteil an der Begründung einer politischen Moderne“ (S. 9). Darüber hinaus geht Jürgen Goldstein auf zweihundertvierzig Textseiten der Frage nach, was den Naturforscher und Mainzer Jakobiner dazu bewogen haben könnte, die Pariser Ereignisse des Jahres 1789 als ‚natürliche Revolution‘ wahrzunehmen: „Er beschrieb Revolutionen in der Natur, etwa Vulkanausbrüche oder Überschwemmungen, und er redete von Revolutionen als notwendigen Umwälzungen der gesellschaftlichen Zustände. Beides stand für ihn nicht unverbunden nebeneinander.“ (S. 8) Diese erste Schlussfolgerung liest sich vor allem deshalb plausibel, weil sie alle Forster-Exegesen, die entweder den Forscher oder den Revolutionär fokussieren, als einseitig ausweist.

Um die fünf Hauptkapitel seiner Biographie miteinander zu verknüpfen, widmet sich Goldstein gleich einleitend diesem schwierigen Naturbegriff. Denn ähnlich wie bei Denis Diderot oder Saul Ascher sah Forster in der Natur eine Garantin für das Recht auf politischen Widerstand. Wird sie im gleichen Atemzug freilich als undurchschaubare Macht benannt, der jeder Revolutionär untersteht, relativieren sich alle kollektiven und individuellen Eingriffe in den Lauf der Geschichte. Aber auch die Begeisterung, mit der in Forsters „Reise um die Welt“ die tahitische Südsee-Republik vom europäischen Despotismus abgegrenzt wird, erscheint unter solchen Auspizien in einem anderen Licht. Ein Denken nämlich, das Freiheit abhängig von Naturgewalten sieht (vgl. S. 12f.), schafft für Forsters zeitgenössische Leser möglicherweise keine Anreize, um sich mit der eigenen politischen Unterdrückung auseinanderzusetzen. Welche Berechtigung sollten ethische Ziele wie die Völkerverständigung haben, solange nach Forster eine unbezwingbare Willkür über Sinn und Erfolg solcher Bemühungen entscheiden soll? Warum sich Goldstein in Kapitel IV dazu entschließt, solche Fragen mit dem Hinweis auf Forsters Schicksalsbegriff zu beantworten, wird noch zu diskutieren sein.

Im ersten Kapitel, das den Jahren 1754 bis 1772 gewidmet ist, wird Forster als „Anti-Systematiker“ (S. 25) vorgestellt, der unter der Obhut seines Vaters Reinhold bereits im Alter von zehn Jahren an einer Expedition zu den deutschen Kolonien an der Wolga teilnimmt und später philosophische Einflüsse vonseiten der schottischen Philosophie (David Hume, Adam Smith u.a.) erhält. Folgt man Goldstein, begreift sich der junge Forster seither als der „unbefangene Zuschauer“, der angesichts einer „überbordenden Natur“ jeder „ruhigstellenden Leistung“ eines wissenschaftlichen „Begriffssystems“ misstraut (S. 25). Mit der Weiterentwicklung dieses empiriegeleiteten Beobachtungsinteresses und dessen Folgen für Forsters literarisches Schreibverfahren setzt Kapitel II ein, das der berühmten Weltreise gewidmet ist und neben den Strapazen damaliger Schiffsexpeditionen insbesondere den Kontakt zu den Tahitiern in den Mittelpunkt rückt. Im Abgleich mit den Zivilisationsmodellen der Aufklärung und zeitgenössischen Wissensdefiziten etwa hinsichtlich des Kannibalismus arbeitet Goldstein zwei markante Erkenntnisinteressen heraus, die den „Kulturrelativismus“ der „Reise um die Welt“ grundieren (S. 84): Einerseits lerne Forster mit den neuseeländischen Maori oder mit den Feuerländern schwer zu verstehende Kulturen kennen, die Rousseaus Topos des edlen Wilden in Frage stellen (vgl. S. 76f.); andererseits widerlege er die von westlichen Kultur- und Rassetheoretikern proklamierte „Dominanz europäischen Denkens“ (S. 84). In Übereinstimmung mit der neuesten Forschung liest Goldstein den epochemachenden Reisebericht als „Erzählung“ (S. 93), die sich nicht an chronologisch geordneten Fakten orientiert, sondern die Brutalität europäischer Entdecker geißelt. Er unterstreicht damit nochmals, wie vorsichtig mit der vermeintlichen Authentizität zahlreicher Schilderungen des Fremden umzugehen ist.

Ausgehend von der Zeit seiner Kasseler Professur und jener akademischen Isolation, in die sich Forster seit seinem Ruf an die Universität Wilna gedrängt sah, rückt Goldstein in Kapitel III verschiedene Abhandlungen in den Mittelpunkt, mit denen sich Forster gegen Aporien im Naturbegriff der Aufklärung zu wenden versuchte und gleichzeitig seine Vorstellungen eines aufgeklärten Idealstaats umriss. Geht es um Forsters Auseinandersetzung mit Kant, legt Goldstein einleitend dar, dass der „Rassenbegriff“ des späten 18. Jahrhunderts als wissenschaftliches Analogon zu Linnés „binäre[r] Nomenklatur für die Pflanzen- und Tierwelt“ (S. 117) eingeführt wurde. Anschließend heißt es über den peinlichen Ausgang dieses akademischen Disputs, erst spät habe Forster eingesehen, wie nahe seine Maxime, „Humanität erfordert gewahrte Vielfalt“, Kants Ausführungen zur monogenetischen Menschheitsgeschichte steht (S. 129).

Nachdem Goldstein den Essay „Cook, der Entdecker“ als „Dokument der unmittelbaren Vorgeschichte der Französischen Revolution“ (S. 132) vorgestellt hat, setzt er sich in Kapitel IV seiner Untersuchung mit Forsters Anstellung an der Universität Mainz und den Vorzeichen des Jahres 1789 auseinander. So anschaulich nun die „Ansichten vom Niederrhein“ als „politische[…] Aufklärungsschrift“ (S. 155) gewürdigt werden, so wenig überzeugt die These, Forster habe die Revolution lediglich als eine Art Laune der Natur verstanden. Um diese Einschätzung zu untermauern, schaltet der Biograph ein kluges Unterkapitel zu Goethe und Forster ein. Doch der vorbereitende Hinweis, Forsters „Preisungen der Vernunft“ in seinen um 1789 veröffentlichen Arbeiten seien bloß „intellektuelles Blendwerk“ (S. 150), liest sich so wenig originell wie die Schlussfolgerung, Forsters Denken bleibe „stets ein wenig zu unbestimmt, um es mit letzter Eindeutigkeit festlegen zu können“ (S. 173). Nun charakterisiert es den ästhetischen Surplus literarisch konzipierter Werke, zu denen auch die „Ansichten vom Niederrhein“ gehören, sich nicht letztgültig erschließen zu lassen, sondern komplexe Deutungsangebote zu eröffnen. Gerade aber die „Ansichten“ und politisch zentrale Aufsätze wie „Über die Beziehung der Staatskunst auf das Glück der Menschheit“ bestätigen sehr viel eindringlicher, als Goldstein es wahrhaben will, wie sich Forster unter dem Eindruck der Französischen Revolution vom „Triumph der Vernunft“ und der ‚Machbarkeit‘ von Geschichte überzeugen ließ (S. 150). Diese vermeintlich inkonsequente Wiederannäherung an die Aufklärung als „Opportunismus“ (ebd.) abzutun, opfert Forsters politisches, pädagogisches und literarisches Engagement als Jakobiner einem fast dämonisch anmutenden Irrationalismus.

Im abschließenden fünften Kapitel widmet sich Goldstein den letzten Monaten, die Forster in Paris verbrachte, der gescheiterten Ehe mit der späteren Schriftstellerin Therese Huber sowie den „Parisischen Umrissen“. Zur Sprache kommen dabei humanitäre Zweifel, die Forster angesichts des Terreurs beschleichen. Berichtet wird ferner von der allseitigen Ächtung, die Forster aus zeitgenössischen Intellektuellenkreisen entgegenschlug. Auf zwei Seiten referiert Goldstein dann noch die „Missachtung“ eines Revolutionärs, der in den politischen Theorien des 20. Jahrhunderts kaum mehr Erwähnung findet (S. 235).

Mit diesem kursorischen Ausblick auf Forsters Wirkungsgeschichte endet eine Biographie, die über weite Strecken erfrischend unverstellt das Leben und Schaffen eines Mannes resümiert, der tatsächlich „kaum Konstanten“ sein eigen nennen konnte (S. 237). Dass einige Aspekte seines umtriebigen Lebens – z.B. die Auseinandersetzung mit den Künsten, die Beschäftigung mit Herder oder die Freundschaft mit Friedrich Heinrich Jacobi – in vorliegender Biographie kaum Erwähnung finden, schmälert deren Gehalt weniger als das Unterfangen, Forsters Konflikte mit der Vernunftphilosophie höher zu veranschlagen, als es nach Faktenlage geboten scheint.