Um es gleich vorweg zu sagen: Beide hier zu besprechenden Bücher bieten eine hervorragende Darstellung der englischen Könige Æthelred II. „the Unready“ (978–1016) und Wilhelm „des Eroberers“ (1066–1087), dessen Zeit als Herzog der Normandie ebenfalls gewürdigt wird. Im Folgenden will ich die Werke daraufhin analysieren, wie sich die Autoren dem Genre der Biographie nähern, wie sie also ihre jeweiligen Protagonisten dargestellt haben und wie sie mit den Problemen, die mit dem Schreiben einer Biographie vormoderner Menschen zwangsläufig einhergehen, umgegangen sind.
Bates beginnt sein Buch mit einem Prolog über das Schreiben einer Biographie („Writing a Life of William the Conqueror“). Darin geht er allerdings weniger darauf ein, welche Chancen und Probleme die Biographie eines mittelalterlichen Menschen dem Verfasser bereiten kann, sondern stellt die Forschungsgeschichte dar und grenzt sich insbesondere von der bislang maßgeblichen, wenn auch schon in die Jahre gekommenen biographischen Darstellung von David Douglas ab.1 Seine Behauptung, nur durch das Genre der Biographie könne man verstehen, was Wilhelms Karriere so bemerkenswert gemacht hat (S. 14), untermauert er jedenfalls nicht. Bates ist allerdings bewusst, dass Wilhelm nicht die Triebkraft hinter allen Ereignissen war, sondern ein „agent within processes“ (S. 14).
Die Darstellung ist chronologisch und richtet sich deutlich am Itinerar des Protagonisten aus. Man reist regelrecht mit Wilhelm durch sein Leben, während Ereignisse, an denen er nicht selbst beteiligt war, nur selten und kursorisch abgehandelt werden (etwa die Schlacht von Stamford Bridge oder die Regentschaft der Normandie durch seine Frau Matilda und seinen Sohn Robert). Aufgrund der Überlieferung nehmen die Kapitel rund um die Eroberung Englands mehr Raum ein, Bates behandelt aber auch ausführlich Kindheit, Jugend und frühe Herrschaft Wilhelms in der Normandie. Seine Aussagen beruhen dabei nicht nur auf den ausführlichen erzählenden Quellen, Bates berücksichtigt als Kenner der Urkunden ebenso auch das dokumentarische Schrifttum.2 Er legt dabei eine insgesamt umsichtige Interpretation der Quellen vor, die alle ausführlich gewürdigt und kritisch eingeordnet werden, was den Lesefluss teils allerdings erschwert.
In einem Epilog kommt Bates noch einmal explizit darauf zu sprechen, welche sicheren Aussagen zu Wilhelm getroffen werden können: „So what can we confidently say that we know about William?“ (S. 516). Als Antwort auf diese Frage führt Bates die körperliche Größe und dominante Präsenz, das Durchsetzungsvermögen, die Überzeugungskraft sowie die Sturheit des Eroberers an. Daneben werden seine öffentlich zur Schau gestellte Frömmigkeit und seine teils skrupellos angewandte Gewalt angeführt. Bates befindet sich gelegentlich auf der Grenze zum Psychologisieren, besonders in Bezug auf Wilhelms Kindheit und Jugend, etwa wenn er schreibt, dass der frühe Tod des Vaters Ängste in dem etwa achtjährigen Jungen ausgelöst haben könnten.3 Spekulativ bleiben zum Teil auch Bates’ Versuche, mit Hilfe von vergleichbaren Quellen Analogien herzustellen, um dadurch näher an Wilhelm als Person zu gelangen. So wird seine Kindheit mit der von Hereward „the Wake“, der nach der Eroberung Widerstand gegen Wilhelm leistete, in Verbindung gebracht und das in dessen Lebensbeschreibung gezeichnete Porträt der Fähigkeiten oder Eigenschaften eines Kindes, das als Erwachsener ein großer Krieger geworden sei, als plausibel dargestellt. (S. 44). Auch der Rückschluss von Wilhelms physischer Größe und Stärke als Erwachsener auf seine Kindheit kann nicht überzeugen. Bates führt hier unter Rückgriff auf den zeitgenössischen Chronisten Wilhelm von Poitiers und eine Klostergeschichte aus dem 12. Jahrhundert die Frühreife als Erklärungsmuster an, die jedoch ein üblicher Topos in mittelalterlichen Lebensdarstellungen ist.4 An einer Stelle (S. 268) überlegt er sogar, ob Wilhelm von Poitiers die Gedanken des Eroberers reflektieren könne. Insgesamt lassen sich also einige Charaktereigenschaften Wilhelms ableiten, die allerdings weitgehend dem Ideal eines mittelalterlichen Herrschers entsprechen.
Levi Roach stellt Æthelreds Leben ebenfalls chronologisch dar und begründet diese Vorgehensweise mit Brüchen, Entwicklungen und Veränderungen, die eine thematische Gliederung nicht abbilden könne. Ihm gelingt es dabei besser als Bates, die komplexen Zusammenhänge lebendig zu schildern und auch die Leserinnen und Leser, die sich mit dem Thema nicht auskennen und an die sich beide Bände ebenfalls richten, anzusprechen, indem er Fachbegriffe anschaulich erklärt. Roach konzentriert sich weniger stark auf Æthelred selbst, nimmt also gelegentlich auch allgemeinere Entwicklungen über die Person des Königs hinaus in den Blick. Gleichwohl formuliert er den Anspruch, Aspekte von Æthelreds Persönlichkeit zu rekonstruieren mit dem Ziel, ihn zu verstehen, ohne ihn vorschnell zu beurteilen, wie das in der älteren Forschung aufgrund des negativen Bilds, das in den erzählenden Quellen vom König gezeichnet wird, oft geschehen ist.5 Dafür bedient er sich einiger bemerkenswerter Quellen, allen voran mehrerer Urkunden aus den 990er-Jahren, in denen Æthelred einige seiner früheren Maßnahmen zurücknimmt und dabei sein Bedauern für diese Taten ausdrückt, die er auf seine Jugend und seine (teils in den Urkunden namentlich genannten) schlechten Berater zurückführt. Roach, der ähnlich wie Bates sehr gut mit dem Urkundenmaterial vertraut ist, hält es für sehr wahrscheinlich, dass Æthelred selbst an der Entstehung und Formulierung dieser Dokumente beteiligt war. Er verweist darauf, dass auch bei den ostfränkischen Königen Otto III. und Heinrich II. bei einigen Urkunden ein Eigendiktat der Herrscher angenommen wird, ohne das konkret für Æthelred geltend zu machen. Roach schließt aus den Aussagen der Urkunden: „Æthelred was deeply troubled by recent events and desperate to find a way to make amends“ (S. 152).
Noch einen Schritt weiter geht Roach bei einer Buße, die Æthelred 998 durchgeführt haben soll. Der Autor schildert diese Szene sehr eindrücklich und anschaulich auf mehr als zwei Seiten, bevor er verdeutlicht, dass es sich streng genommen um eine Fiktion handele, da es zu dieser Bußhandlung des Königs keine ausführlichen Quellen gibt. Stattdessen bedient sich Roach hier eines Bußordos, anhand dessen er den Ablauf darstellt. Diese imaginative Geschichtsschreibung rechtfertigt Roach damit, dass eine solche Rekonstruktion näher an den Kern von Æthelreds Politik der 990er-Jahre führe als jede nüchterne quellenkritische Analyse (S. 135). Ob das zutrifft, sei dahingestellt, in jedem Fall ist die Darstellung sehr lebendig, wobei sich durch die Offenlegung der Quellen und durch die Verdeutlichung, welche Teile imaginiert sind, der Grad der Fiktionalisierung gut nachvollziehen lässt.
In der Darstellung der späteren Herrschaftszeit tritt die Persönlichkeit Æthelreds weiter in den Hintergrund. Das mag mit der Quellenlage zusammenhängen – neben Urkunden und Erlassen des Königs zieht Roach auch Münzen heran, die aber allesamt keine direkten Aussagen des Königs enthalten. Aus dem sogenannten St. Brice’s Day Massaker (13.11.1002), bei dem Æthelred anordnete, Dänen im Land zu töten, schließt Roach auf Verzweiflung und Paranoia. Insgesamt formuliert er seine Interpretationen aber vorsichtiger als Bates, so etwa in der Situation kurz nach Æthelreds Rückkehr aus seinem Exil in der Normandie und seiner erneuten Anerkennung als König, als sein ältester Sohn Æthelstan starb. Roach vermutet hier, dass Æthelred besorgt („troubled“) war, kann aber letztlich nicht sagen, wie Æthelred reagierte (S. 300f.).
Während man also Bates’ Wilhelm folgen und aus seinen Taten einige Charakterzüge ableiten kann, die allerdings nicht über das mittelalterliche Herrscherideal hinausgehen, versucht Roach seinem Æthelred zumindest punktuell eine Stimme zu geben und die mageren Quellen auch durch ungewöhnliche Methoden anschaulicher sprechen zu lassen. Beide Autoren haben sich ihren Protagonisten so weit genähert, wie es die Quellen zulassen. Beide haben dabei eine gründliche und umsichtige Darstellung vorgelegt, an der zukünftig niemand vorbeikommen wird, der sich mit dem jeweiligen König beschäftigen will.
Anmerkungen:
1 David C. Douglas, William the Conqueror. The Norman Impact on England, London 1964 (dt.: Wilhelm der Eroberer. Der normannische Angriff auf England, übers. von Erwin Ortmann, Stuttgart 1966). In seinem Aufsatz The Conqueror’s Earliest Historians and the Writing of his Biography, in: David Bates / Julia Crick / Sarah Hamilton (Hrsg.), Writing Medieval Biography, 750–1250. Essays in Honour of Frank Barlow, Woodbridge 2006, S. 129–142, geht Bates auf Wilhelms mittelalterliche Biographen und die Probleme widersprüchlicher Quellenaussagen ein.
2 Bates hat Wilhelms Urkunden ediert: David Bates (Hrsg.), Regesta regum anglo-normannorum. The acta of William I (1066–1087), Oxford 1998.
3 Bates, William, S. 47f.: „In particular, the loss of his father at around the age of eight […] could well have been important. So too may have been his father’s early political insecurity with the suspicions that he had murdered his brother, which could have caused great anxiety in the young child.“ Bates gibt allerdings auch zu bedenken (S. 48): „But it is every bit as important not to pathologize the impact of the events of William’s childhood“. Vgl. auch S. 520: „To fit William’s life and early development into any simple framework of child and adolescent psychology is impossible. We can – and should – speculate and try to assess what might have been the prime factors, but we should not be dogmatic.“
4 Vgl. zu diesem „puer-senex-Topos“ Teresa C. Carp, Puer senex in Roman and Medieval thought, in: Latomus 39 (1980), S. 736–739. Wilhelm von Poitiers stützte seine Darstellung stark auf klassische Autoren und wird diesen Topos mit Sicherheit gekannt haben.
5 Roach, Æthelred, S. 8: „[…] this book is written in the belief that we can reconstruct aspects of Æthelred’s personality.“ S. 4: „The aim is, therefore, to understand Æthelred rather than to judge him […].“