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Titel
Völkerschlacht bei Leipzig. Verläufe, Folgen, Bedeutungen 1813–1913–2013


Herausgeber
Rink, Martin; Hofbauer, Martin
Reihe
Beiträge zur Militärgeschichte 77
Erschienen
Anzahl Seiten
VIII, 396 S.
Preis
€ 49,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hans-Ulrich Thamer, Historisches Seminar, Universität Münster

Dass die Militärgeschichte auch in der Bundesrepublik längst aus ihrem Schattendasein getreten ist und als „Militärgeschichte in der Erweiterung“ die Verbindung zu Ansätzen einer modernen Sozial- und Kulturgeschichte der Gewalt gefunden hat, haben nicht zuletzt die verschiedenen wissenschaftlichen Tagungen, Publikationen und Ausstellungen bewiesen, die im Jubiläumsjahr der „Völkerschlacht“ von 1813 eine größere Öffentlichkeit gefunden haben.

Auch das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) hat in der Tradition seines Vorgängerinstituts, des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes, diese Entwicklung vorangetrieben, nicht zuletzt auch durch das Militärhistorische Museum in Dresden, das als museale Präsentation einer Kulturgeschichte der Gewalt längst internationale Anerkennung gewonnen hat und zum Jubiläumsjahr von „Leipzig 1813“ auch eine umfangreiche Sonderausstellung gezeigt hat. Die 54. Internationale Tagung für Militärgeschichte, die das ZMSBw im Oktober 2013 in Leipzig in Kooperation mit den dortigen Stadtgeschichtlichen Museen durchgeführt hat und deren Referate nun in einem Sammelband vorliegen, hat diesen Anspruch überzeugend fortgesetzt. Am „Erinnerungsort Leipzig“ wurden jenseits vergangener nationalmythologischer Versuchungen, die allenfalls noch im monumentalen Völkerschlachtdenkmal am Rande der heutigen Leipziger Innenstadt erkennbar werden, die Wechselbeziehungen zwischen politischen Entscheidungen bzw. militärischen Ereignissen und ihrer zeitgenössischen Wahrnehmung und Deutung bzw. ihrer Erinnerung und historiografischen Aufarbeitung behandelt.

Dass dabei auch der europäische Zusammenhang nicht zu kurz kommen darf, legt allein schon der Begriff „Völkerschlacht“ nahe, auch wenn er in der zeitgenössischen Terminologie eher von der Beobachtung der verschiedenen „Kriegsvölker“, die in den beteiligten Heeren aufeinandertrafen, bestimmt war als von einer nationalen Perspektive – die wurde erst später und vor allem in der deutschen Befreiungsdichtung für die sehr viel widersprüchlicheren realen historischen Vorgänge des Jahres 1813 „erfunden“.

Die „Entmythologisierung“ traditioneller Deutungen und nationaler Meistererzählungen, die sich vor allem im deutschen Kulturraum für „Leipzig 1813“ herausgebildet und fortgeschrieben hatten, stellt die Leitfrage der unterschiedlichen Beiträge des Sammelbandes zur Militär- und Politikgeschichte sowie zur historischen Wahrnehmungs- und Erinnerungsgeschichte dar und kann als eigentlicher Erkenntnisgewinn der einzelnen in ihrem Ansatz und in ihrer Qualität unterschiedlichen Referate gelten. Darum haben sich auch die Herausgeber in ihrer umfassenden Einleitung um eine systematische Zusammenfassung bemüht und vor allem die europäische Dimension der Völkerschlacht und die regional bzw. kulturell sehr unterschiedlichen „Handlungs- und Erfahrungsspielräume“ (S. 7) angesprochen. Daneben greifen sie das Bemühen einiger Referate um eine Differenzierung der historischen Einordnung der Ereignisse vom Oktober 1813 auf und hinterfragen die traditionellen scharfen Zäsursetzungen, die mit der Herrschaft Napoleons, seiner Verfassungspolitik und Kriegführung sowie ihrer Wirkung auf den mitteleuropäischen Raum einen deutlichen Epocheneinschnitt behaupteten. Das hatte in den 1980er-Jahren Thomas Nipperdey mit Blick auf die deutschen Reformstaaten des frühen 19. Jahrhunderts prägnant und stilbildend mit dem Diktum „Am Anfang war Napoleon“ formuliert. Hingegen betonen neuere Forschungen, die sich auch in den Beiträgen des vorliegenden Bandes spiegeln, die gleitenden Übergänge und Kontinuitäten etwa in der Heeresverfassung wie in den Militärreformen, aber auch in der sozialen Rekrutierung der militärischen Eliten und den Formen der Gewalt bzw. der Kriegführung. Das vielschichtige Nebeneinander von „alt und neu“ (S. 10), das die Herausgeber darin mit guten Gründen entdecken, gilt auch für die in der Mythenbildung behaupteten nationalen Homogenitäten bzw. Identitäten der beteiligten Staaten und die sich aus den gewaltigen Dimensionen der Völkerschlacht ergebenden nationalen Erinnerungen, die alles andere als einheitlich waren.

Das betont vor allem Dieter Langewiesche in seinem einleitenden Beitrag „Imperium – Nation – Volkskrieg. »1813« in der europäischen Geschichte“, in dem er die vertrauten nationalen Geschichtsbilder aufbricht. Seine Bilanz betont die langen Übergänge in den Motiven und Formen des Krieges: „Imperialkriege – nicht Nationalkriege; Abwehr eines französisch dominierten Kontinentaleuropas – nicht Wille zum Nationalstaat; Widerstand gegen fremde Herrschaft – nicht Wille zur Nation“ (S. 42). Erst im idealisierenden und ideologiestiftenden Rückblick wurde daraus im 19. Jahrhundert der „Anfang von etwas Neuem“. Ähnlich versucht Walter Demel in seinem Überblick über die „Reformstaaten um 1800“ das seit einigen Jahrzehnten in der Forschung zur „Sattelzeit“ bestimmende und sicherlich auch zutreffende Bild vom Rheinbund als einem Beispiel für eine Reform von oben durch den Hinweis auf den zwiespältigen Charakter des napoleonisch dominierten Rheinbundes zu ergänzen und diesen neben den Reformleistungen im Schatten Napoleons als eine „Art Kriegsmaschinerie“ zu beschreiben und damit dessen Ambivalenz hervorzuheben. Auch die Gründe dafür, dass Menschen in die antinapoleonischen Kriege zogen, waren, wie Ewald Frie am Beispiel der Brüder Alexander und Ludwig von der Marwitz belegt, keineswegs nur vom Gedanken der nationalen (Selbst-)Befreiung bestimmt; sie folgten vielmehr auch einem ständischen Eigensinn eines preußischen Adelsgeschlechts, dem das „Volk“ wenig bedeutete.

Auch die zeitgenössischen Erfahrungen der „Völker“ des Alten Reiches in dem vermeintlichen „Volkskrieg“ waren alles andere als einheitlich und auch nicht vom Willen zur nationalen Selbstbestimmung bestimmt. Dazu waren die politischen und sozio-ökonomischen Voraussetzungen in den verschiedenen Staaten viel zu unterschiedlich. Was für viele Zeitgenossen überwog, war die Erfahrung jahrelanger unerträglicher materieller und physischer Belastungen durch die Kriege Napoleons. Dann war es beinahe nebensächlich, von welcher Seiter diese Belastungen stammten. Sie waren auf jeden Fall, vor allem im Süden und Südwesten des Reiches, gravierender als alle Lobpreisungen von Heldentum und Ehre. Auch die Beiträge zu klassischen Fragen der Militärgeschichte ergeben ein vielfältiges und widersprüchliches Bild. Nicht nur dass der Sieg der Alliierten in diesem Koalitionskrieg vor allem der „erdrückenden personellen und materiellen Überlegenheit“ und weniger der „Umsetzung operativer Ziele“ (S. 139) zu verdanken war, auch die Organisations- und Einsatzprinzipien der einzelnen Heere, die untereinander wenig Kommunikationsmöglichkeiten besaßen und nur bedingt von einem gemeinsamen Oberkommando geführt wurden, zeigten, wie Martin Rink darstellt, ein für das Ancien Régime charakteristisches Nebeneinander von regulären, geordneten Gefechten im Zentrum der Schlacht und von irregulären Konflikten in den Randzonen. Die „heterogenen (para)militärischen Kräfte“ (S. 147) passten ebenso wenig in das Bild von nationalen Verbänden im Befreiungskampf wie die Tatsache der gemischt-nationalen Verbände auf beiden Seiten der Schlacht. Nicht nur das Offizierskorps der Armeen kam aus aller Herren Länder und war polyglott, auch die Soldaten der napoleonischen wie der alliierten Armeen kamen von überall her. Am vermeintlichen Anfang der nationalen Armeen, wie sie in den nationalen Meistererzählungen des 19. Jahrhunderts verherrlicht wurden, standen also gemischte Truppen aus „Ausländerverbänden“ und „Legionen“; aber nur die „Freiwilligen“ taugten zur nationalen Ruhmeserzählung.

Auch die napoleonischen Armeen, die Napoleon nach dem desaströsen und verlustreichen Russlandfeldzug noch einmal in einer großen Kraft- und Gewaltanstrengung durch seine rigide Konskriptionspolitik mobilisieren konnte, waren zunehmend aus Kontinentaltruppen zusammengesetzt. Obwohl der charismatische Feldherr und Kaiser nicht länger eine Armee der Franzosen befehligte, zeichneten sich seine immer jüngeren Armeen durch eine gute Ausbildung und effiziente Stabsführung, auch durch eine überlegene Artillerie aus. Aber was nicht mehr schnell genug restituierbar war, waren die Pferde und damit eine kampferprobte Kavallerie sowie eine Logistik, die auch über lange Distanzen und als Voraussetzung für die Eilmärsche quer durch Europa wirkungsvoll funktionierte. Die napoleonischen Kriege wurden zunehmend aus den eroberten Ländern versorgt, was die Begeisterung für den Heroen nicht wachsen ließ und auch Auswirkungen auf die Kriegführung hatte.

Leider ist der einschlägige und kenntnisreiche Beitrag von Alan Forrest der einzige, der sich mit den napoleonischen Armeen und ihrer Sozial- und Wirtschaftsgeschichte wie ihrer militärischen Strategie und Führung beschäftigt. Der Schwerpunkt der Beiträge liegt auf der deutschen Geschichte, während die europäische Dimension, wie die Herausgeber einräumen, bei der Auswahl der Referate zu kurz kommt. Auch der Aspekt der Schlachtgeschichte als Kultur- und Alltagsgeschichte hätte eine Untersuchung verdient, zumal in der neueren Napoleonforschung dieser Aspekt inzwischen eine gewisse Rolle spielt und dazu beitragen kann, das Bild des großen Korsen und seiner Kriege in seiner Widersprüchlichkeit weiter zu vertiefen. Auch die Schlachtfelder bei Leipzig boten einen erschreckenden Beleg für die Kehrseite der vielzitierten napoleonischen Überraschungsstrategien und Bewegungskriege und damit auch für die Ambivalenzen der Moderne.

Dass sich die Publikation durch sorgfältig erstelltes und ausgewähltes Karten- und Abbildungsmaterial auszeichnet, versteht sich bei Publikationen des ZMSBw fast von selbst und macht den Tagungsband trotz der genannten Erweiterungswünsche zu einem der wichtigsten wissenschaftlichen Beiträge zum Jubiläumsjahr von „Leipzig 1813“.

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