Als 2013 Ben Urwands „The Collaboration. Hollywood’s Pact with Hitler“ in den USA erschien, sorgte das Buch für großes Aufsehen. Urwand attackierte nicht allein die Legende von Hollywood als Hort des Antifaschismus, sondern griff auch einzelne Protagonisten wie Louis B. Mayer von Metro-Goldwyn-Mayer (MGM) als Nazi-Kollaborateure an. Die amerikanischen Feuilletons glühten monatelang in Parteinahmen für und gegen den Autor und seine Thesen. Schlagabtausche zwischen ganz unterschiedlichen Autoritäten wie dem Popkultur- und Gesellschaftskritiker Tom Carson und dem Historiker Richard J. Evans wurden ausgetragen. Die Großnichte von Louis B. Mayer, Alicia Mayer, veröffentlichte im „Jewish Journal“ einen Artikel mit der Überschrift „Why Harvard should withdraw ‚The Collaboration’“. Kurzum: Endlich einmal wieder erzeugte eine historische Studie einen Medienskandal, der zumindest in den USA die Ausmaße der Goldhagen-Debatte annahm.
Im Impressum als „leicht gekürzte Ausgabe“ gekennzeichnet, liegt Urwands Arbeit nun in deutscher Übersetzung vor. Leider sind die Kürzungen an keiner Stelle quantifiziert oder erläutert. Urwand vertritt zwei zentrale Thesen: Die Bosse der wichtigsten Filmstudios in Hollywood hätten sich mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 auf ein mehr oder weniger stillschweigendes Agreement mit den Nazis eingelassen, um Deutschland als wichtigen Absatzmarkt für ihre Filme nicht zu verlieren. Teilweise unter direkter Beeinflussung von Nazi-Funktionären wie dem deutschen Konsul in Los Angeles, Georg Gyssling, hätten sie „dafür Sorge getragen, dass sie in ihren Filmen weder die Nazis angriffen noch die Juden verteidigten“ (S. 232).
Mehr noch: In den Jahren vor der Machtübernahme der Nazis seien Hunderte Filme mit und über Juden produziert worden, nach 1933 „verhielten sie sich, als würden Juden überhaupt nicht existieren“. Als Erklärung nennt Urwand „eine ausgeprägte Ängstlichkeit – das Gefühl, dass es selbst in den USA besser sei, das eigene jüdische Erbe zu verbergen“. Erschreckenderweise, so Urwand, sei diese Leerstelle sogar nach dem Kriegseintritt der USA bestehen geblieben. In den nach Dezember 1941 produzierten hunderten Filmen gegen den Nationalsozialismus finden sich fast keine „Bezugnahmen auf Juden“ (alle vorherigen Zitate S. 232), Versuche von Autoren und Textern, diese herzustellen, seien bewusst eliminiert worden.
Im Zweiten Weltkrieg, so die zweite zentrale These Urwands, habe Hollywood zwar komplementär zur Kriegsmaschinerie der USA die Nazis angegriffen, aber ebenso komplementär zur Politik von Roosevelt (und Churchill) „ohne sich speziell für die Juden einzusetzen“. Die Studiochefs, so Urwand, „gaben die erste Hälfte ihrer Übereinkunft mit Nazideutschland auf, während sie die zweite Hälfte intakt ließen“ (S. 232).
Ein Pakt im Geheimen ist eine Verschwörung. Tatsächlich ging es bei der Zusammenarbeit der Hollywood-Studios mit den Nationalsozialisten eher um eine Vielzahl an, durchaus geheimen, Arrangements und Absprachen, von denen heute nur noch wenige rekonstruierbar sind. Zwar einte alle großen amerikanischen Studios das Interesse, den deutschen Markt, ab 1939 auch die von den Deutschen besetzten Gebiete, so lange wie möglich mit Filmen beliefern zu können. Für eine wirkliche Verschwörung waren die Interessen der Unternehmen und die beteiligten Persönlichkeiten auf beiden Seiten allerdings zu verschieden.
Urwand baut seine These von der Zusammenarbeit (im Englischen findet der Begriff „Collaboration“ Verwendung) der großen Hollywood-Studios mit den Nazis stark auf der Grundannahme auf, dass diese den USA und der Welt hätten zeigen können, was in Deutschland wirklich vor sich ging. Dadurch wäre es ihnen möglich gewesen, den Gang der Geschichte zu verändern. Ob es diesen Willen vor 1941 im Hollywood-Milieu überhaupt irgendwo gab, ist jedoch fraglich. Auch der im Buch prominent beschriebene Drehbuchautor Ben Hecht etwa begann seine Aktivitäten zur Bekanntmachung der massenhaften Ermordung der Juden durch die Nazis erst nach dem Kriegseintritt der USA.
Leider ist sowohl der Text- als auch der Argumentationsfluss des Buches durchgehend zu assoziativ und durch Sprünge sowie abrupte Wendungen gekennzeichnet. Verschiedene Situationsbeschreibungen aus Hollywood, Episoden aus NS-Deutschland und ausführliche Filmbeschreibungen wechseln einander ab, argumentativ oft wenig miteinander verzahnt. Überhaupt springt die Studie völlig unbekümmert in medias res, ohne die Situation im Kaiserreich und in der Weimarer Republik zu erwähnen und ohne andere Forschungen gründlich einzuordnen, die bereits viele Fakten zur Zusammenarbeit von Hollywood und NS-Deutschland zusammengetragen haben.1 Bewusst oder unbewusst wird auf diese Weise auch die größte inhaltliche Schwachstelle des Buches kaschiert: Die Zusammenarbeit zwischen Hollywood und staatlichen deutschen Autoritäten war viel älter als das „Dritte Reich“ und sie war keineswegs eine Einbahnstraße, sondern ein Geben und Nehmen. Gerade die Kontinuität ist bemerkenswert, doch Urwand versucht sie auszublenden: 1933 gab es keinen Bruch oder eine vollständige Neuausrichtung der Filmpolitik. Bereits eine Personalie macht dies deutlich. Nicht nur blieb der oberste Zensor der Weimarer Republik Dr. Ernst Seeger, seit 1924 Leiter der Ober-Filmprüfstelle in Berlin, im Amt, vielmehr setzte er seine Karriere in Goebbels’ Propagandaministerium fort. Der im Buch ausführlich beschriebene Umgang mit dem Film „Im Westen nichts Neues“ 1932 gehört zur Geschichte der Weimarer Republik ebenso wie die „Kontingentverordnung“ von 1932 mit ihrem Paragraphen 15, durch den Filme in Deutschland verboten und Studios sanktioniert werden konnten, die „Bildstreifen in der Welt weiter vertrieben, die eine dem deutschen Ansehen abträgliche Tendenz oder Wirkung haben“ (S. 57).
Deutschland war damit aber auf keinem juristischen oder kulturpolitischen Sonderweg. Nur oberflächlich verweist Urwand darauf, dass die meisten Staaten auf der Welt damals ähnlich rigide Einfuhrregelungen für ausländische Filme besaßen, sowohl aus ökonomischen Gründen, um die eigene Filmindustrie zu schützen, als auch zur Abwehr von moralisch, religiös oder nationalpolitisch unerwünschten Filmszenen. Weshalb Urwand gerade „Im Westen nichts Neues“ und die deutsche Kontingentverordnung von 1932 zum Fundament seiner Thesenbildung macht, muss sein Geheimnis bleiben. Ärgerlich ist auch, dass viele Belege nicht vollständig sind: Wo sich der zitierte Nachlass des Medienmoguls William R. Hearst befindet, erfährt der Leser nicht.
Trotz aller Schwächen liefert Urwand einige spannende Erkenntnisse. „Die“ Nazis steckten nicht einfach „Hollywood“ in die Tasche. Immer wieder zeigten sich NS-typische Kabale um die Zulassung einzelner Filme wie bei „Männer um eine Frau“ („The Prizefighter and the Lady“, 1934) um den amerikanischen Boxer Max Baer, der im Juni 1933 Max Schmeling besiegt hatte und seither auf seiner Sporthose einen Davidstern trug. Um die Gegenläufigkeiten der NS-Polykratie zu nutzen, beschäftigte etwa MGM in Deutschland einen Neffen des Reichsaußenministers Konstantin von Neurath, der in Krisenfällen die Unterstützung des Auswärtigen Amtes gegen das Propagandaministerium zu gewinnen versuchte. Aufschlussreich sind auch die ökonomischen Arrangements, die es den Hollywood-Studios ermöglichten, ihre in Deutschland eingefahrenen Gewinne trotz Abflussverboten in Fremdwährungen durch Drittgeschäfte zu realisieren, unter anderem durch die Produktion und den Vertrieb von Wochenschauen / Newsreels aus Deutschland.2
Im Hinblick auf die Filmproduktion bis 1941 kann Urwand mehrfach den langen Arm Berlins in Hollywood rekonstruieren. So wurde in dem Film „Life of Emile Zola“ (1937) jeder Hinweis auf Juden herausgeschnitten (bis auf eine eingeblendete Papiernotiz). Bei der Verhinderung der Verfilmung von Sinclair Lewis’ „It can’t happen here“ lief der „man on the spot“ der Nazis in Los Angeles Konsul Georg Gyssling zu Höchstformen auf. So unbekannt, wie Urwand es schildert, waren Gyssling und sein Einfluss auf die amerikanischen Filmstudios aber nicht. Bereits 1994 beschrieb der Filmkritiker Michael Althen seine Rolle im Magazin „Focus“.3
Durch die Zusammenschau auf von den Nazis verhinderte, umgestaltete oder unterstützte Hollywood-Filme kann Urwand seine beiden nicht völlig neuen Kernthesen erhärten. Nur muss die Zusammenarbeit von Hollywood und Nationalsozialismus im gesamtgesellschaftlichen Kontext der USA betrachtet werden. Auch die tägliche amerikanische Presseberichterstattung über das „Dritte Reich“ – Urwand verweist hier unter anderem auf die einschlägige Studie von Laurel Leff – entsprach selbst nach dem Kriegseintritt 1941 dem Muster: die Nazis angreifen, der Judenverfolgung jedoch möglichst wenig Beachtung schenken.
Anmerkungen:
1 Insbesondere Markus Spieker, Hollywood unterm Hakenkreuz. Der amerikanische Spielfilm im Dritten Reich, Trier 1999; Thomas Doherty, Hollywood and Hitler. 1933–1939, New York 2013.
2 Zum Austausch von Wochenschauen / Newsreels während des Zweiten Weltkrieges: Norman Domeier, Geheime Fotos. Die Kooperation von Associated Press und NS-Regime (1942–1945), in: Zeithistorische Forschungen / Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 14 (2017), H. 2, URL: http://www.zeithistorische-forschungen.de/2-2017/id=5484 (18.11.2017), Druckausgabe: S. 199–230, hier S. 213.
3 Michael Althen, Hitlers Leinwandschergen. Das Dritte Reich und Hollywood: Die Geschichte einer widersprüchlichen Beziehung, in: Focus-Magazin Nr. 16 (1994); http://www.focus.de/kultur/medien/filmgeschichte-hitlers-leinwandschergen_aid_145868.html (18.11.2017).