I. Kacandes u. a. (Hrsg.): Eastern Europe Unmapped

Cover
Titel
Eastern Europe Unmapped. Beyond Borders and Peripheries


Herausgeber
Kacandes, Irene; Komska, Yuliya
Erschienen
New York 2017: Berghahn Books
Anzahl Seiten
300 S.
Preis
$ 130.00 / £ 92.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stephanie Weismann, Institut für Osteuropäische Geschichte, Universität Wien

Der Titel lässt Misstrauen aufkommen – „Eastern Europe Unmapped“? Zum wievielten Male müssen wir das sogenannte östliche Europa eigentlich noch neu mappen, unmappen, remappen, natürlich stets mit dem Versprechen, die Region „beyond borders and peripheries“ zu berücksichtigen? Aber „Osteuropa“ hat einfach alles: Kolonialismus und Sozialismus, Faschismus und Nationalismus sowie Internationalismus. Osteuropa beeindruckt mit seinen hartnäckig wiederkehrenden pro-demokratischen Protesten genauso wie es durch seine tiefwurzelnde Xenophobie abschreckt. Und diese Verhaftung im vielbemühten between zwischen Globalgeschichte und regionalen Herausforderungen macht es eben doch faszinierend, sich gerade mit Osteuropa auseinanderzusetzen.

Osteuropa zwischen lokaler Ausformung und globaler Verflechtung ist auch das Thema des vorliegenden Sammelbandes. In der Einleitung geht Yuliya Komska auf bisherige Überlegungen zum Spektrum von between in Bezug auf Osteuropa ein, um dann einen Überblick über „the long search for alternatives“ (S. 10) zu bringen. Die versammelten Beiträge drehen sich letztendlich um verschiedenste Verhandlungen von territorialer, transnationaler, sprachlicher, ideologischer sowie identitärer betweenness.

In diesem Kontext von between beleuchtet etwa Adam Zachary Newton die fragmentierte Existenz der von vielen Seiten beanspruchten Fresken des Künstlers und Schriftstellers Bruno Schulz zwischen Jerusalem und Drohobycz. Piro Rexhepi wiederum versucht die Balkan-Muslime aus ihrem europäischen Sonderstatus zu holen und präsentiert sie stattdessen als festen Bestandteil der internationalen muslimischen Umma noch in jugoslawischen Zeiten. Miriam Udel widmet sich nicht nur dem Kuriosum eines jüdischen Papst-Motivs in der jiddischen Literatur der 1940er-Jahre, sondern zieht außerdem das Phänomen Lev Nussimbaum heran, um dessen Changieren im between als maßgeblichen modus vivendi aufzuzeigen. Nussimbaum, von georgisch-jüdischer Herkunft, wurde als konvertierter Muslim unter dem Namen Essad Bey zu einem bekannten Orient-Experten der Weimarer Republik, veröffentlichte aber auch unter dem Pseudonym Kurban Said im nationalsozialistischen Deutschland Romane. Mit Nussimbaums permanentem „reinventing“ und „unmapping himself“ als Berliner Café-Mufti jüdischer Herkunft steht er für eine between-Haltung als bewusst gewähltes Lebenskonzept. Die versammelten Fallstudien regen dazu an, diese Ambivalenzen und Hybriditäten, das ständige Entkommen einer eindeutigen Identität nicht als gestörte Identität oder Mangel zu verstehen, sondern temporäre und lokale Identitäten jenseits nationaler, räumlicher, ideologischer und/oder religiöser Festlegungen als „normal“ anzuerkennen. Denn dass das Changieren zwischen sprachlichen und nationalen Projekten sowie Bekenntnissen viel eher die Regel als die Ausnahme war, ist kennzeichnend für diesen Raum. Und diese flexible Handhabung, die Selbstverständlichkeit mit doppelten oder dreifachen Identitäten zu leben oder sich einer imagined community von unterschiedlichen, aber auch sich überschneidenden Identitäten und Ideologien zugehörig zu fühlen, waren eine alltägliche Erscheinung in dieser Region, der etwa Adam Mickiewicz, Ludwik Zamenhof oder die tuteishya entstammen (Chernetsky).

Erscheint die Diskussion von Osteuropas betweenness und seine verschiedensten Randständigkeiten generell zwar überstrapaziert, stellt der Sammelband mit konkreten Fallstudien doch klassische Liminalitäten in Frage: „margins usually constitute in the eye of the beholder, one community’s margins could be another’s centers” (S. 30). In den Beiträgen geht es demnach vor allem um räumliche, sprachliche und identitäre Kontiguitäten und Nicht-Kontiguitäten, um globale wie extraterritoriale Verflechtungen – die aber eben auch nicht ausschließlich für Osteuropa kennzeichnend sind.

Ein „space of belonging“ muss sich weder auf territoriale, noch auf sprachliche oder nationale Verortung beschränken. Katherine Lebow etwa schildert überzeugend am Beispiel der polnischen Exil-Zeitschrift Kultura, wie wenig zielführend eine Einteilung in ost- oder westeuropäisch, wie unbrauchbar territoriale und ideologische Einordnungen und Festlegungen sind. Kultura hat sich letztendlich als exterritoriales Forum etabliert, das eine eigene Sphäre von „belonging“ schuf, die über territoriale und politische Grenzen und Einflusssphären hinausreichte und damit auch kennzeichnend für die Region und ihre weitreichende Vernetzung ist – irgendwo zwischen regional-osteuropäisch und global-polnischsprachiger Diaspora – „It is not Eastern Europe, and it is not global, it is something in-between” (S. 126).

In diesem between ist auch die belarussische Tuteishya-Gruppe zu verorten, die sich ebenfalls als ein “third space” verstand, der aber auf “lokale Identitäten” rekurriert als Gegenpol zu einer national-sprachlichen Verortung, wie Tatsiana Astrouskaya ausführt. Ein besonders schönes Beispiel einer dezidiert mitteleuropäischen Ausformung des vielbeschworenen between manifestiert sich im „Čecháček“, dem kleinen Tschechen. Daniel Pratt widmet sich dem Phänomen des „petty heroism“ in der tschechischen Literatur, das als mitteleuropäische lokale Antwort auf die „Große Geschichte“ bzw. die „großen Helden“ gedeutet wird. Die tschechische Trope vom zweifelhaften kleinen Helden à la Schwejk reflektiert demnach den Gegensatz zwischen der geopolitisch so zentralen Lage Mittel- und Osteuropas und der „unscheinbaren“ Rolle, die seine Bewohner in einem größeren historischen Narrativ spielten.

Gerade hier wäre es interessant, nicht nur osteuropäische Spezifika und/oder ihre transnationalen Verflechtungen aufzuspüren, sondern auch Vergleichsstudien anzuregen, die Osteuropa aus seinem Sonderstatus befreien würden. Denn gerade was das „mapping“ von Osteuropa betrifft, stellt sich die Frage, ob nicht durch das permanente Reflektieren und Dekonstruieren der Forschung der Topos Osteuropa geradezu zementiert wird. Führt nicht der hartnäckige Mythos von „mystery and misery“, zu dem auch die between-Debatte teilweise beiträgt, zu einer gewissen Neo-Orientalisierung des Raums? In diesem Kontext stellen sich die sehr persönlich gehaltenen Beiträge zu „Elective Affinities/Wahlverwandtschaften“ von Ann Cvetkovich und Irene Kacandes als aufschlussreich heraus, weil sie jene emotionalen Topographien ansprechen, mit welchen man bei seiner Beschäftigung mit Osteuropa unweigerlich konfrontiert ist. Mit differenzierter Skepsis gegenüber „roots tourism“ und „affective history“ legen die Autorinnen überzeugend dar, dass gerade das Reisen durch Osteuropa, die unmittelbare _Er_fahrung und damit das persönliche und emotionale Lernen und Wissen Wege sein können, um alternative Karten einer Region hervorzubringen, welche so vielen Stereotypisierungen und Orientalisierungen unterworfen war. Demnach thematisieren diese Beiträge auch Reflexionen zur eigenen Unkenntnis („Because Yugoslavia was under Communist rule and had a language similar to that of Russians, Poles, and Czechs, it seemed to be Eastern European.“ Cvetkovich S. 232) und thematisieren die Fallen einer eindimensionalen Perspektive auf Osteuropa (so etwa Kacandes Begegnung mit einer nichtjüdischen Polin, die ihr als Holocaust-Forscherin vor Augen führt: „the position of a non-Jewish-child in wartime Poland was unfamiliar to me at the time when I met Grazyna” S. 254).

Mit ihrem Blick über nationale und regionale Grenzen hinaus ist den Herausgeberinnen und Beitragenden von „Eastern Europe Unmapped“ ein differenzierter Sammelband gelungen, in welchem (teilweise sehr dichte) Aufsätze neue Überlegungen zum Spannungsfeld zwischen Postsozialismus und Postkolonialismus von Jugoslawien bis zur heutigen osteuropäischen Diaspora in den USA aufwerfen. Wünschenswert wäre es in der Folge, Parallelerscheinungen im globalen Kontext aufzuspüren, um Osteuropa nicht wieder zum Sonderfall zu machen und damit der Gefahr einer, wenn auch reflektierten, Orientalisierung zu entgehen.

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