F. Axster u.a. (Hrsg.): "Deutsche Arbeit"

Titel
"Deutsche Arbeit". Kritische Perspektiven auf ein ideologisches Selbstbild


Herausgeber
Axster, Felix; Lelle, Nikolas
Reihe
Studien zu Ressentiments in Geschichte und Gegenwart 2
Erschienen
Göttingen 2018: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
287 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dietmar Süß, Philologisch-Historische Fakultät, Universität Augsburg

Als Mohammed El Quahhabi, ein 27-jähriger Germanistik-Student aus Marokko, für ein Praktikum in den Deutschen Bundestag kam, dachte er, wie die ZEIT im Dezember 2018 protokollierte, die Deutschen würden „wie die Maschinen arbeiten“. Doch der betreuende Abgeordnete räumte mit diesem Klischee schnell auf: „Nein, lieber Mohammed“, erklärte er ihm, „wir arbeiten nicht viel, wir arbeiten richtig.“1 Schon bei der Ansprache mag es manchen frösteln. Bemerkenswert war zudem die klare Idee davon, wie „die Deutschen“ tatsächlich arbeiteten – nämlich: „richtig“.

In dieser kleinen Szene steckt viel von dem, worum es in dem Sammelband von Felix Axster und Nikolas Lelle geht: Um die Genese und Entwicklung einer Idee, die etwa Mitte des 19. Jahrhunderts entstand und sich in sehr verschlungenen Windungen bis in die Gegenwart hält: Die Vorstellung einer „deutschen Arbeit“ als gemeinschaftsstiftender Mythos und kulturelles, vielfach auch völkisch-rassistisches Distinktionsmerkmal. Es war insbesondere der Volkskundler Wilhelm Heinrich Riehl mit seinem 1861 erschienenen Buch über „Die Deutsche Arbeit“, dessen Ideen immer wieder als zentrales Referenzsystem antisemitischer und nationalistischer Aufwallungen dienen sollten. Seinen Ausgangspunkt hatte Riehl klar umrissen: „Jedes Volk arbeitet nach seiner Art.“ Dieser Spur folgend machte er sich auf die Suche nach dem „Geist deutscher Arbeit“, ihrem „sittlichen“ Wert, ihrem die Völker prägenden Charakter. „Deutsche Arbeit“ – das sollte sich insbesondere im Kaiserreich und der kolonialen Praxis imperialer Politik zunehmend zu einem wichtigen Bestandteil jener Zivilisierungsmission entwickeln, die auf Herrschaft durch Arbeitserziehung setzte. Die Rede von der „deutschen Arbeit“ – das war, wie Felix Axster in seinem eigenen Beitrag überzeugend zeigt, wichtiger Bestandteil einer Strategie, aus den deutschen Eroberern einen „guten deutschen Kolonisator“ zu machen, der anders als alle anderen Europäer sittlich „rein“ geblieben sei und weniger für den eigenen Vorteil habe arbeiten (lassen), sondern für das große Ganze, den allgemeinen Fortschritt.

Verschiedene Beiträge in diesem insgesamt anregenden Band gehen dieser Spur „deutscher Arbeit“ als Teil kolonialer Diskurse nach: Lisa Eiling am Beispiel des Kieler Nationalökonomen Bernhard Harms, Christine Achinger für das Werk Gustav Freytags Soll und Haben, Minu Haschemi Yekani mit Blick auf die Arbeits- und Rassediskurse in Tansania. Einen zweiten Schwerpunkt bilden Beiträge über den Stellenwert des Begriffs der Arbeit im Nationalsozialismus. Neben Werner Konitzer, Sandra Rokahr und Torben Möbius macht vor allem Michael Wildt präzise auf die semantischen Verschiebungen des Arbeitsbegriffs aufmerksam: auf den Wandel vom Arbeiter zum „Soldaten“, vom Beschäftigten zum „Gefolgsmann“, vom Unternehmer zum „Betriebsführer“, von der Arbeitsmarktpolitik zur „Arbeitsschlacht“. Der Arbeitsbegriff diente auch, wie vor 1933, zur Selbst- und Fremdbeschreibung und er konnte das tun, weil er ohne größere Schwierigkeiten an dessen antisemitischen Deutungsversuche aus Kaiserreich und Weimarer Republik anknüpfte und sie auf radikale Weise rassistisch zuspitzte. Arbeit wurde – neben der Gewalt – zu einem der zentralen nationalsozialistischen Lebenselixiere. Die Zugehörigkeit zur Volksgemeinschaft war in dieser Hinsicht eine Frage des Arbeitseinsatzes, der „deutschen Qualitätsarbeit“, die nicht jeder verrichten konnte oder durfte. Zugleich war der Arbeitsbegriff aufs Engste mit dem nationalsozialistischen Bellizismus verbunden. Arbeit und Krieg: Das bedeutete eben nicht nur, dass sich die Arbeiter als „Soldaten“ fühlen und durch ihrer Hände Arbeit die Schulden der Republik abgetragen werden sollten. Arbeit und Krieg hieß auch, dass Sprache und Produktion gleichermaßen auf Expansion, auf Kriegsmobilisierung eingestellt waren. Arbeit war eben gerade keine Form der individuellen Selbstverwirklichung und ihre „befreiende Kraft“ galt nur im Kontext volksgemeinschaftlicher Erlösung. Es war auch diese volksgemeinschaftliche Integration, die propagandistisch den Wert der Arbeit neu zu bestimmen versuchte.

Es hätte sich sicher gelohnt, etwas umfassender die Kontinuitäten und Wandlungen des Begriffs der „deutschen Arbeit“ nach 1945 in den Blick zu nehmen. Nikolas Lelle macht das in seinen Überlegungen für die frühe Bundesrepublik recht knapp an drei unterschiedlichen „Grenzfiguren“, wie er es nennt: der Geschichte der Trümmerfrauen, der Idee des Ordoliberalismus und dem Harzburger Modell, jene die junge Bundesrepublik so prägende Führungskräfte-Akademie, die die Idee der „Betriebsgemeinschaft“ als gleichsam neuesten Clou der Managementausbildung ausgab und damit auf sehr eigene Weise nationalsozialistische Ideen über „Führen und Verantwortung“ in die Ära Adenauer übertrug. Jeder Einzelfall für sich ist lohnend, aber wie die Beispiele zusammenhängen, warum sie überhaupt ausgewählt wurden und wie sie sich in die Geschichte der Bundesrepublik einfügen, bleibt doch insgesamt recht vage.

Das hat auch etwas mit den Grenzen eines Ansatzes zu tun, der den Band über weite Strecken prägt: So wichtig und weiterführend die Kritik des ideologischen Selbstbildes der „deutschen Arbeit“ mit der damit verbundenen diskursgeschichtlichen Fokussierung ist, so blass bleibt doch insgesamt über weite Strecken die „deutsche Arbeit“ selbst – nämlich die Erfahrungswelt derer, die arbeiten, die Praxis der Arbeit, die Selbstdeutungen und Aneignungsprozesse in den unterschiedlich untersuchten Arbeitswelten. Alf Lüdtke hat, wie so oft seiner Zeit voraus, schon vor vielen Jahren hier eine Spur gelegt, der der Band, gerade weil er immer wieder auf ihn verweist, etwas konsequenter hätte folgen können.2 Der generellen These der Herausgeber: „there ist no such thing as deutsche Arbeit“ wird man nach der Lektüre jedenfalls trotzdem unbedingt zustimmen können. Und man wünschte sich, dass auch einige der Abgeordneten, die sich um Studierende aus dem Ausland kümmern, einige Stunden für die Lektüre investierten. Sie würde sich lohnen.

Anmerkungen:
1 „Früher habe ich gedacht, die Deutschen arbeiten wie Maschinen“, in: Die Zeit, 07.12.2018, https://www.zeit.de/arbeit/2018-11/arbeitsmentalitaet-deutschland-job-effizienz-kultur-klischee (06.06. 2019).
2 Alf Lüdtke, “German Work” and “German Workers”. The Impact of Symbols on the Exclusion of Jews in Nazi-Germany. Reflections on Open Questions, in: David Bankier (Hrsg.), Probing the Depths of German Antisemitism, New York 2000, S. 296–311; ders., „Deutsche Qualitätsarbeit“. Ihre Bedeutung für das Mitmachen von Arbeitern und Unternehmern im Nationalsozialismus, in: Aleida Assmann / Frank Hiddemann / Eckhard Schwarzenberger (Hrsg.), Firma Topf & Söhne: Hersteller der Öfen für Auschwitz. Ein Fabrikgelände als Erinnerungsort?, Frankfurt am Main 2002, S. 123–138; ders., War as Work. Aspects of Soldiering in 20th Century Wars, in: ders. / Bernd Weisbrod (Hrsg.), The No Man’s Land of Violence. Extreme Wars in the 20th Century, Göttingen 2006, S. 127–151; ders., „Deutsche Qualitätsarbeit“. Mitmachen und „Eigensinn“ im Nationalsozialismus. Interview mit Marc Buggeln und Michael Wildt, in: Marc Buggeln / Michael Wildt (Hrsg.), Arbeit im Nationalsozialismus, München 2014, S. 373–401.