Cover
Titel
The Witness as Object. Video Testimony in Memorial Museums


Autor(en)
de Jong, Steffi
Reihe
Museums and Collections 10
Erschienen
Oxford 2018: Berghahn Books
Anzahl Seiten
X, 271 S.
Preis
$ 120.00; £ 85.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ruth Rosenberger, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland

Während die einen anhaltend das Ende des Zeitalters der Zeitzeugen beklagen, widmet sich Steffi de Jong in ihrer aktuellen Publikation der Musealisierung der Zeitzeugen - und gehört damit zu jenen, die das neue Zeitalter des medialen Zeitzeugen bereits sehr gut im Blick haben. Dass sie eine Expertin ist, wird sehr schnell deutlich. Bereits 2012 hat sie zu dieser Thematik ihre PhD-Thesis erfolgreich abgeschlossen.

Ausgangspunkt der Studie de Jongs ist die Beobachtung, dass Zeitzeugen auch in Ausstellungen und Museen immer bedeutender geworden sind, manchmal sogar die gesamte Erzählung bestreiten. Dies sei signifikant vor allem in Gedenkstätten und Holocaust-Museen seit den frühen 2000er-Jahren der Fall (S. 7). „The very moment of remembrance and narrated history” würden so zu „legitimate objects of display” (S. 5). Im Fokus der Analyse steht mithin dieser Prozess der Musealisierung von Zeitzeugeninterviews. De Jong erschließt damit durchaus Neuland; bisherige Studien haben sich zumeist mit Film und Fernsehen oder der Institutionalisierung von Holocaust-Erinnerung beschäftigt.

Die Autorin selbst verortet ihre Analyse im Kontext Assmann’scher Gedächtnistheorien: So seien musealisierte Zeitzeugen ein besonderes Phänomen des kulturellen Gedächtnisses, weil mit ihnen Teile des kommunikativen Gedächtnisses in konservierter Form Bestandteil des kulturellen Gedächtnisses werden (S. 15). De Jong erschließt damit einen anregenden theoretischen Kontext, um eine Zusammenstellung spannender Fallstudien systematisch zu analysieren und ein Bündel von Fragen im Hinblick auf Auswahl, Einsatz, Bearbeitung und Darstellungsart von Zeitzeugen zu reflektieren.

Die Arbeit ist von einem breiten internationalen Blick geprägt. Für ihre Analyse des Musealisierungsprozesses zieht de Jong fünf Fallstudien heran, die sie umfänglich untersucht hat: das Museum zum Zweiten Weltkrieg in Turin, das den Namen „Museo Diffuso della Resistenza, della Deportazione, della Guerra, dei Diritti e della Liberta“ trägt, die Holocaust-Ausstellung im Imperial War Museum in London, das Yad Vashem Holocaust History Museum sowie die KZ-Gedenkstätten Bergen-Belsen und Neuengamme. Alle setzen in ihren Dauerausstellungen Zeitzeugen ein und alle seien, so de Jong, „Memorial Museums“, die die Funktion hätten, an die Toten zu erinnern und zugleich historisches Wissen zu vermitteln. Darüber hinaus hat sie weltweit mehr als zwanzig weitere Museen mit Zeitzeugen besucht, die ebenfalls zu Vergleichen herangezogen werden.

Die Stärke der Arbeit liegt in der konsequenten Fokussierung des Musealisierungsprozesses. Dem entsprechend umfasst der Hauptteil der Arbeit drei Kapitel zu Sammeln, Ausstellen und Vermitteln – den Hauptaufgaben eines Museums. Darin geht es jeweils um die Frage, wie Zeitzeugeninterviews an die Regeln der Institution Museum angepasst wurden. Wie sind Zeitzeugen Teil von Museums-Sammlungen geworden? Wie werden sie ausgestellt? Und welche Aussagen werden durch Zeitzeugen transportiert?

Im Sammlungs-Kapitel beschreibt de Jong, wie Zeitzeugen Teil des kulturellen Gedächtnisses wurden. Hier erläutert sie unter anderem die Genese der jeweiligen Interviewbestände in ihren Fallstudien-Häusern. Das ist spannend, zumal keine der Gedenkstätten die Interviews originär für die Ausstellung erstellt hat. Überall jedoch wurden die Zeitzeugen schließlich Teil der Präsentation. Ebenso beschreibt sie Prozesse der kommunikativen und ästhetischen Standardisierung von Zeitzeugeninterviews (S. 107), die kennzeichnend seien für die museale Produktion von Zeitzeugeninterviews und damit ihre Objektwerdung: „talking heads“, dunkler Hintergrund, Konzentration auf nicht-verbale, emotionale Kommunikationselemente.

Im Ausstellungs-Kapitel geht es um Prozesse der Auswahl, Aufbereitung und Präsentation von Zeitzeugen(-Interviews) für Ausstellungen. De Jong beschreibt vier unterschiedliche Arten, wie Zeitzeugenaussagen in Ausstellungen von Memorial Museums eingesetzt werden: Als individuelle Kommentierung ikonischer Ausstellungsinstallationen wie etwa im Fall der aufgehäuften hinterlassenen Schuhe (Yad Vashem, Imperial War Museum, S. 127), als Kontrastierung und Korrektiv einer vermeintlich alltäglichen Situation (Yad Vashem, S. 128), zur „Auratisierung“ von Alltagsgegenständen (Bergen-Belsen, S. 131), als Mittel der Authentifizierung des historischen Orts, an dem nichts Originales erhalten ist (Bergen-Belsen, S. 140), oder zur Authentifizierung der Ausstellungsästhetik, die der Horrorerwartung des Publikums nicht entspricht (Neuengamme, S. 145ff.). Immer geht es um Authentifizierung. Der Zeitzeuge oder die Zeitzeugin bzw. das, was erzählt wird, ist damit unantastbar. De Jong hinterfragt dies nicht grundsätzlich, was für Historikerinnen und Historiker, die der Quellenkritik verpflichtet sind, schwer zu ertragen ist.

Erfrischend schonungslos hingegen erläutert sie die Notwendigkeit, Zeitzeugenaussagen in für den Ausstellungsbesucher verträgliche Einheiten zu verarbeiten – mit Verweis auf frühe Besucherforschungsstudien, die im Schnitt von drei Sekunden Wahrnehmung pro Objekt ausgehen (S. 167). Entsprechend realistisch fällt ihr Fazit aus, wonach das Ausstellen von Zeitzeugen immer ein Kompromiss ist zwischen dem ethisch korrekten Umgang mit den Erzählungen der Zeitzeugen und den Anforderungen einer Ausstellung als Medium (S. 169). An der beobachteten Praxis kritisiert de Jong, dass kein Museum den Produktionsprozess eines Zeitzeugeninterviews in der Ausstellung transparent machte und dass niemand die spezifische Form der Erinnerung thematisieren würde. Sie sieht darin eine mangelnde Sorgfalt der Museen gegenüber dieser neuen Objektgruppe (S. 179).

Besonders im Vermittlungs-Kapitel zeigt sich die Begrenztheit des Ansatzes, sich allein auf Memorial Museums zu konzentrieren. De Jong zeigt auf, dass dort fast nur Opfer als Zeitzeugen zu Wort kommen. Tätererzählungen werden mehr oder weniger systematisch ausgeblendet. Interviews mit der lokalen Bevölkerung gebe es manchmal, sie weisen jedoch andere Präsentationsformen auf und unterliegen zumeist in erster Linie didaktischen und moralischen Ausrichtungen. Eine Übertragung dieser Ergebnisse de Jongs auf Zeitzeugen in historischen Ausstellungen allgemein ist nicht möglich, Memorial Museums zeigen sich hier als Spezialmuseen.

Diesem Hauptteil der Arbeit stellt de Jong zwei Voraussetzungs-Kapitel voran. Im ersten mit dem Titel „The Witness to History“ unternimmt sie eine inspirierende konzeptionelle Klärung des deutschen Begriffs „Zeitzeuge“. Sie unterscheidet dabei zwei zentrale Aspekte: Ein Zeitzeuge kann „witness to the past“ sein, indem er Zeugnis ablegt von historischen Ereignissen, die er oder sie (mit)erlebt hat, und er kann „witness to history“ sein, indem er Zeugnis gegenüber einem Publikum ablegt. Nach de Jong steckt die Kombination aus beidem im deutschen Zeitzeugenbegriff. Im Englischen gibt es keinen äquivalenten Begriff. Hier überwiegt stattdessen der Begriff „video testimonial“, der seine Bedeutung jedoch maßgeblich aus der exemplarischen Zeugenschaft für Holocaust-Erfahrungen bezieht. De Jong plädiert stattdessen dafür, „witness to history“ zu verwenden, was als Conclusio für das Kapitel trotz weiter Ausführungen zu Aspekten der Zeugenschaft vor Gericht und des religiösen Märtyrertums insgesamt doch blass bleibt.

Im zweiten Kapitel beschreibt de Jong, wie und wodurch die Voraussetzungen geschaffen wurden, um den (Holocaust-)Zeitzeugen als mediale und öffentliche Figur zu kreieren und damit zugleich museumsreif zu machen. Hier gibt die Autorin einen Überblick vom Eichmann-Prozess, über Aktivitäten wichtiger Institutionen wie die des Fortunoff Archivs, der Shoa-Foundation oder Steven Spielbergs, aber auch über mediale und in Europa relevante Akteure wie die BBC oder Claude Lanzmann.

Besonders spannend ist die Studie dort, wo de Jong Ausstellungen und die jeweilige Rolle der Zeitzeugen darin analysiert. Zu ihrer schwächeren Seite gehört, dass sie so stark auf Memorial Museums konzentriert ist. Diesem spezifischen Fokus geschuldet ist wohl auch, dass Multiperspektivität, also die Darstellung von unterschiedlichen Wahrnehmungen eines Ereignisses durch unterschiedliche Menschen, überhaupt nicht als Ziel des Einsatzes von Zeitzeugen in historischen Ausstellungen thematisiert wird. Vielmehr erteilt de Jong bereits der Möglichkeit einer multiperspektivischen Darstellung durch Zeitzeugen eine Absage wegen methodischer Unmöglichkeit: So gehe mit der Transformation vom kommunikativen ins kulturelle Gedächtnis weniger eine Heterogenisierung einher als vielmehr eine Homogenisierung der Vielstimmigkeit (S. 18).

Wenn sich dies in der Standardisierung von Zeitzeugen in Memorial Museums niederschlägt, dann gilt dennoch: Nicht die Form allein bestimmt den Inhalt. Trotz einer nicht zu bestreitenden Formalisierung musealer Zeitzeugeninterviews bleibt doch immer der Eigensinn des oder der Interviewten. Dem, was Zeitzeugen erzählen, widmet de Jong wenig Raum. Ihr geht es weniger um die Inhalte, sondern hauptsächlich um die Form. Ein Blick in andere Zeitzeugenbestände zeigt jedoch: Befragt etwa nach Erinnerungen an den Mauerfall erzählen keineswegs alle Zeitzeugen dieselbe Geschichte, auch wenn sie in ähnlicher Form befragt und präsentiert werden. Genauso gilt: Dort, wo Zeitzeugen in einer Ausstellung nicht von vornherein nur Opfer- oder Repressionsgeschichten erzählen, sind diese Standards durchaus in Bewegung. In unterschiedlichsten historischen Ausstellungen gibt es inzwischen Täter- wie Alltagsgeschichten, es gibt Zeitzeugen in Hochkant-Portrait-Formaten, die fast den ganzen Mensch zeigen, es gibt mediale Installationen mit Zeitzeugen, es gibt Zeitzeugen-Objekt-Ensembles. All diese Aspekte weisen auf eine fortschreitende Entwicklung hin, die sicherlich noch nicht abgeschlossen ist und auch weiterhin Potentiale umfasst. Der von de Jong konstatierte Eindruck für die von ihr untersuchten Memorial Museums jedoch erscheint demgegenüber insgesamt sehr statisch und – abgesehen von Ausnahme-Erscheinungen wie interaktiven 3D-Hologramm-Zeitzeugen – nicht der experimentierfreudigste Ort an der Spitze der Dynamik.

De Jongs Studie ist in großen Teilen bereichernd und anregend. Ihre Stärke liegt in der Kategorisierung, in der Reflexion und darin, die Debatte um Zeitzeugen auf einem neuen Niveau zusammenzufassen. Wer etwas über die Figur des Zeitzeugen im Memorial Museum erfahren möchte, wird an dieser Studie nicht vorbeikommen.

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