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Titel
Bischof Maximilian Kaller 1880–1947. Seelsorger in den Herausforderungen des 20. Jahrhunderts


Autor(en)
Bendel, Rainer; Karp, Hans-Jürgen
Erschienen
Münster 2017: Aschendorff Verlag
Anzahl Seiten
350 S.
Preis
€ 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Klaus Unterburger, Fakultät für Katholische Theologie, Universität Regensburg

Die beiden Verfasser legen erstmals eine wissenschaftliche Monographie zu Maximilian Kaller vor, Ermländer Bischof ab 1930. Dieser wurde in der Zeit nach 1945 zu einer wichtigen Identifikationsfigur der Heimatvertriebenen. Gerade sein Sekretär Gerhard Fittkau (1912–2004) prägte und steuerte die Kaller-Verehrung nach dessen Tod weiter. Zugleich bedingte dies eine für die Forschung ungünstige Archivsituation, da die Apostolischen Visitatoren beziehungsweise die Ermlandfamilie ihre Archivalien nicht in gleichem Maß wie die deutschen Diözesanarchive der Forschung zugänglich machen wollten oder konnten. Wichtige Dokumente aus den Nachlässen im Archiv der Visitatur konnten im anzuzeigenden Werk nunmehr aber verwendet werden.

Kaller wurde in eine Kaufmannsfamilie in Beuthen/Oberschlesien geboren. Der schlesische Katholizismus seiner Studienzeit war geprägt vom autoritär regierenden und für die Integration der Katholiken in die Hohenzollernmonarchie wirkenden Georg Kardinal Kopp, durch eine sich durch historisch-kritische Forschung auszeichnende theologische Fakultät in Breslau und durch Aufbrüche zu einem Sozialkatholizismus gerade in den Industriebezirken. Kaller war kein Intellektueller. Die seelsorglichen Herausforderungen als Pfarradministrator beziehungsweise Pfarrer auf Rügen (1905–1917) zwangen ihn aber zu Improvisationen und Innovationen. Denn dort war er mit einer anfangs kaum existenten katholischen Infrastruktur in einer extremen Diasporasituation und der erst aufzubauenden pastoralen Betreuung der polnischen Erntearbeiter konfrontiert. Der Aufbau sozial-karitativer Angebote war ihm schon deshalb ein Anliegen, um keine Seelen an den kirchenfeindlichen Sozialismus zu verlieren. Kallers ausgesprochen praktisches Organisationstalent kam ihm dann als Pfarrer der Berliner Pfarrei St. Michael (1917–1926) in Kreuzberg zu Hilfe. Dort schienen Bevölkerungswachstum und Modernisierung den Glauben der ständig wachsenden katholischen Minderheit (ca. elf Prozent), die ganz überwiegend den sozialschwachen Schichten angehörte, zu bedrohen, da die Stabilisierung durch ein katholisches Milieu fehlte. Laienmithilfe, Aufbau einer Pfarrkartothek, Religionsunterricht und Jugendseelsorge, karitative Hilfe, Glaubensvertiefung durch Exerzitien und Pressearbeit waren Versuche Kallers, den Glauben zu stabilisieren und ein Abgleiten in den Sozialismus zu verhindern.

Eine neue Herausforderung brachte die Bestellung zum Apostolischen Administrator von Schneidemühl, also jener Dekanate, die nach 1918 von den Bistümern Gnesen-Posen und Kulm beim Deutschen Reich verblieben; erneut zielte er auf eine Modernisierung der Seelsorge durch Pressearbeit, Laienapostolat, Vereins- und Pressearbeit, Jugendseelsorge und Caritas. Hinzu kamen die Unterstützung der Ostsiedlungsbewegung, der Aufbau der Grenzlandvolkshochschule Marienbuchen und die seelsorgliche Betreuung der polnischen Minderheit (ca. zehn Prozent). Kaller stand zwischen den nationalen Ansprüchen von beiden Seiten. Als er 1930 zum Bischof von Ermland (als Wunschkandidat Pacellis) gewählt wurde, also für das gesamte ostpreußische Gebiet mit dem katholischen Kerngebiet des alten Hochstifts und einer ausgedehnten angrenzenden Diaspora, schien er bestens vorbereitet mit seinen Erfahrungen in der Diasporaseelsorge und im Umgang mit einer polnischen Minderheit. Dennoch stieß er vielfach auf Ablehnung, was die Verfasser auf den Aktivismus seiner seelsorglichen Modernisierung zurückführen (S. 144), aber auch in seiner ernsten, geradezu ängstlich romorientierten Frömmigkeit begründet sein dürfte. Kallers Konzept der mobilisierenden Modernisierung der Seelsorge wurde jedenfalls auch auf das ländlich-traditionale Ermland übertragen (zu den Konflikten mit seinem Umfeld vgl. S. 197–201). Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten rief Kaller seine Diözesanen im April 1933 nicht nur zur Mitarbeit an der Erneuerung des deutschen Volkes auf, sondern war auch von deren Radikalität und der Propagierung eines ständestaatlichen Modells fasziniert (S. 177f.). Noch Anfang 1934 machte er ein „herrliches Aufblühen“ aus, auch wenn er in Fragen der Schule und des Sonntagsschutzes bereits schwere Divergenzen anprangern musste. Die Verfasser schließen sich der Aussage ex post des späteren Berliner Generalvikars Walter Adolph (1902–1975) an: Kaller habe diese Aussagen ab Sommer 1934 bereut; er sei vom Berliner Nuntius Cesare Orsenigo zu ihnen gedrängt worden (S. 181f.). Die spätere Historiographie ist den gut lancierten Deutungen Adolphs auch andernorts vielfach gefolgt; man wird aber doch auch dessen Antipathie gegen den Nuntius hier in Anschlag bringen müssen und deshalb hinter solche Aussagen ein Fragezeichen setzen. Bei Kaller selbst war als Disposition ein massiver Antibolschewismus vorhanden; dann war er auch Exponent der Ostsiedlungsbewegung in der Bischofskonferenz, der in dieser Frage gerade auf Franz von Papen größte Hoffnungen setzte (S. 182–185).

Kaller arbeitete an pastoralen Konzepten, damit die aus dem katholischen Herkunftsmilieu entwurzelten Katholiken der „wandernden Kirche“ nicht vom Glauben abkämen, also erst „diasporaresistent“ würden. Ab 1934 wandte er sich bei Massenwallfahrten und anderen Großereignissen immer wieder gegen glaubensfeindliche Tendenzen im NS-Staat, gegen die Beschränkung der Kirche auf die Sakristei ebenso wie gegen eine religiöse Aufladung ideologischer Begriffe wie „Rasse“ und „Blut“. Vehement kämpfte er für den Einfluss der Kirche auf die Schule. In der Frage der muttersprachlichen Seelsorge an der polnischen Bevölkerung stand er unter staatlichem Druck und musste die Angebote in den späten 1930er-Jahren restringieren. Kallers Seelsorgeschwerpunkt ließ ihn zum Hauptvertreter der „Katholischen Aktion“ nach italienischem Vorbild im Episkopat werden. Diese bündelte die päpstliche Idee eines Apostolats der Laien unter Leitung des Klerus, was in Spannung zum andersgearteten, durch den NS-Staat stark restringierten, deutschen katholischen Vereinsweisen stand und auf eine noch stärkere Bindung der Gläubigen an den Bischof hinauslief. Bei Kriegsausbruch war er nicht überschwänglich, mahnte aber doch zum Gehorsam gegenüber dem Führer, der „mit sicherer Hand die Geschickte unseres Volkes leitet“ (S. 238). Am Ende des Krieges rief er vor allem zu Umkehr und Buße auf; er wurde von der SS aus seiner Diözese ausgewiesen und floh über Danzig nach Erfurt, später nach Frankfurt am Main. Im August 1945 wollte er in seine Diözese zurückkehren. Kardinal Hlond erklärte ihm dort aber, der Papst habe ihm die Jurisdiktion entzogen. In seinen letzten Lebensjahren verstand sich Kaller dann als Anwalt der Vertriebenen, der ihnen in Predigten und Hirtenschreiben Sinnangebote zur Bewältigung von Armut und Not vermittelte und sie vor naiven Rückkehrhoffnungen, Verzweiflung und einem Abgleiten in den Sozialismus bewahren wollte. Da er die Katastrophe als Resultat eines langfristigen Abfalls vom Christentum deutete, wollte er nicht nur materielle Hilfe organisieren, sondern helfen, das Vertriebenenschicksal nach dem Geist der Bergpredigt zu tragen. Noch immer dachte er in der Kategorie, dass Siedlungsland zur Verfügung gestellt werden müsste; in Königstein wollte er eine Ausbildungsstätte für Vertriebenen- und Ostseelsorger errichten. Die westdeutschen Bischöfe setzten hingegen bald andere Schwerpunkte. Sie wollten die Vertriebenen vor allem in die neuen Gemeinden integrieren.

Im Ganzen ist ein ausgewogenes Gesamtbild Kallers entstanden. Gewisse Fragezeichen können an die Vergleiche mit anderen Bischöfen angebracht werden. Wieso sollte Kaller zu den meist gehassten Bischöfen im Dritten Reich gezählt haben (S. 172) und welcher der Bischöfe wurde denn nicht von der Gestapo überwacht? Übersehen wird, dass gerade Kardinal Bertram dem Nationalsozialismus und dem Reichskonkordat bereits 1933 ablehnend-kritisch gegenüberstand und am Zentrums- und Vereinskatholizismus entschieden festhalten wollte (S. 173–175). Insgesamt schält sich aber ein Kaller-Bild heraus, in dem einige Grundkonstanten stets prägend blieben. Sein Seelsorgeaktivismus und seine schlichte, romtreue Frömmigkeit. Diese haben ihn 1942 immerhin dazu geführt, dem Nuntius anzubieten, als Seelsorger für die „Nichtarier“ in die Konzentrationslager zu gehen, was Orsenigo sogleich – wie zu erwarten war – wegen Kallers Aufgaben als Bischof ablehnte (S. 232).

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