U. Lindner u.a. (Hrsg.): New Perspectives on the History of Gender and Empire

Titel
New Perspectives on the History of Gender and Empire. Comparative and Global Approaches


Herausgeber
Lindner, Ulrike; Lerp, Dörte
Erschienen
London 2018: Bloomsbury
Anzahl Seiten
320 S.
Preis
£ 28.99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ulrike von Hirschhausen, Lehrstuhl für Europäische und Neueste Geschichte, Historisches Institut der Universität Rostock

Geschlecht und Empire bilden ein Spannungsverhältnis, das lange unterbelichtet blieb. Die Selbstwahrnehmung der europäischen Expansion als dezidiert maskulines Projekt hat die Historiographie lange Zeit weiter transportiert. Doch inzwischen ist die Frage, wie Geschlecht zum Teil imperialer Herrschaftspraxis wurde, von der angloamerikanischen Forschung intensiv untersucht worden, blieb jedoch oft außerhalb der klassischen Felder der New Imperial History und hat sich empirisch auf die Kolonien des Britischen Empires konzentriert. Mit dem vorliegenden Sammelband legen nun zwei deutsche Historikerinnen von der Universität Köln einen Beitrag zur Debatte vor, der britische Fallbeispiele durch Konstellationen aus dem deutschen Kolonialreich, Russland und den Philippinen ergänzt. In ihrer Einleitung vermessen die Herausgeberinnen sorgfältig den Forschungsstand und plädieren für eine Dezentralisierung der Perspektive, für den Vergleich und für eine geographische und analytische Erweiterung des Handlungsraums imperialer Logiken durch globale Perspektiven. In den Mittelpunkt ihrer Überlegungen stellen Ulrike Lindner und Dörte Lerp den Begriff „gendered imperial formation“ und leiten daraus ihr Ziel ab, Geschlecht enger als bislang mit anderen Kategorien imperialer Herrschaft zu verbinden. Die vier zentralen Themenfelder, auf denen der Band diese spezifische „imperial formation“ durchdekliniert, sind die Regulierung von Heirat als imperiale Strategie, intime Beziehungen innerhalb imperialer Herrschaft, die Beziehungen innerhalb des Hauses in Siedlerkolonien und schließlich Schule und Erziehung.

Aus den vier Themengruppen werden im folgenden ausgewählte Beiträge vorgestellt, an denen sich Erträge und offene Fragen des Bandes aufzeigen lassen. Unter dem Abschnitt „Regulating Marriages and Demarcating Empire“ skizziert Alexis Rappas den Fall deutscher Siedler in der Schwarzmeerregion Russlands. An konkreten Beispielen zeigt er, wie die imperiale Bürokratie in die Heiratsentscheidungen der „Kolonistinnen“ und „Kolonisten“, so der zeitgenössische Sprachgebrauch, eingriff. Hier stieß das imperiale Interesse an der Sesshaftigkeit der neu gewonnenen Siedler mit der staatlichen Gewährung privater Freiheit bei der Eheschließung zusammen. Erhellend macht Rappas klar, wie die imperiale Logik der kolonialen Ökonomie aus vermeintlich individuellen Entscheidungen ein politisches Projekt machte – und nur noch die Heirat innerhalb der lokalen Kolonistengemeinde erlaubte.

Der zweite Abschnitt konzentriert sich auf Konstellationen von „Intimate relationsships and Imperial Encounters“. Ambivalent mutet Bettina Brockmeyers Auftakt an, der die Tagebücher einer deutschen Akteurin in Deutsch-Ostafrika „along the grain“ lesen will. Eine Exekution eines schwarzafrikanischen Kriegers und Häuptlings wird hier in eine sexuelle Affäre zwischen dem afrikanischen Akteur und der Frau des regionalen Kolonialbeamten umgedeutet, was weder von den präsentierten Quellen noch vom analytischen Potential überzeugt. In Jan Severins Beitrag zu gleichgeschlechtlichen Sexualität in Deutsch-Südwest-Afrika wird ein Fall sexueller Übergriffe eines weißen Siedlers auf afrikanische Minderjährige rekonstruiert. Die Tatsache, dass gleichgeschlechtliche Übergriffe und Gewalt im kolonialen Kontext zwar bestraft wurden, doch keinen Skandal auslösten, wie dies im metropolitanen Kaiserreich gleichzeitig der Fall war, begründet der Autor vor allem mit der mangelnden „Bedrohung“ für Staatsbürgerschaft und fehlender Kriminalisierung.

Um „Indigeous Servants and Colonial Homes“ geht es im dritten Abschnitt. Eva Bischoff zeigt am Beispiel von Quäker-Haushalten, wie Frauen zu aktiven Agenten der Kolonisierung werden. Am Beispiel eines Siedler-Haushalts in Hobart, Tasmanien illustriert sie, wie evangelikale Siedler in den 1830er- und 1840er-Jahren das Quäker-Prinzip von „Caring power“ dafür nutzten, Kinder aus Aborigines-Familien von ihren biologischen Eltern zu trennen und als Hausangestellte gleichsam zu assimilieren. Die Tragfähigkeit der neuen Kategorie der „Domesticity“, die in der Einleitung des Bandes nicht vermessen wird, wird in diesem Fallbeispiel deutlich. Von der Vorstellung, die häusliche Sphäre vor Ort sei durch eine unpolitische Rekonstruktion metropolitaner Normen geprägt, gilt es sich zu verabschieden, vielmehr wird gerade die private Sphäre zu einem Feld, in dem Akteurinnen aktiv an der Kolonisierung australischer Aborigines teil hatten.

Im vierten Abschnitt werden „Eduaction and Schooling“ thematisiert. Die Beiträge von Jana Tschurenev und Diviya Kannan heben auf die Konstellation ab, dass die indischen Missionsgesellschaften vor allem unterprivilegierte Frauen an sich binden konnten. Dies ermöglichte einen Diskurs über Rechte, der zwar immer wieder von den Familienangehörigen der Frauen angegriffen wurde, aber dennoch einen Raum schaffen konnte, in dem neue Handlungskompetenz eingeübt wurde, die innerhalb der indigenen Gesellschaft Indiens einen Zuwachs an beruflichem oder kulturellen Kapital ermöglichte.

Der Band von Ulrike Lindner und Dörte Lerp bereichert die gegenwärtige Forschung zu Empire und Geschlecht vor allem dadurch, dass hier nicht auf der diskursiven Ebene verharrt wird, sondern konkrete empirische Fälle verhandelt werden. Obwohl das Niveau der Beiträge unterschiedlich ist, löst der Band sein Versprechen, Geschlecht als eminent politische Handlungskategorie zu rekonstruieren, überzeugend ein. Gerne hätte man noch Beispiele aus dem Französischen Empire und dem Osmanischen Reich gelesen, um die Repräsentativität der Erklärungen empirisch breiter einordnen zu können. Auch hätte die Verschränkung von Geschlecht und Arbeit nahegelegen, zumal Lohnarbeit in vielen Regionen Afrikas und Asiens von allen Mitgliedern eines Haushalts geleistet wurde und die Vielfalt der Arbeitsverhältnisse in kolonialen Kontexten deutlich machen kann. Ungeachtet dessen liegt hier ein innovativer und weiterführender Band zum Verhältnis von Empire und Geschlecht vor, der die politische Dimension von Geschlecht in kolonialen Kontexten überzeugend deutlich macht und mit dazu beiträgt, die lange Zeit geschlechterblinde Empire-Forschung ebenso wie eine oft politikferne Geschlechtergeschichte für Fragen politischer und kultureller Kämpfe zu öffnen.

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