Susie Linfield, Journalistik-Professorin an der New York University, beginnt ihr Buch mit einer Anekdote: Auf einer Dinner-Party unter linken jüdischen Intellektuellen fiel der Name eines Schriftstellers, worauf ein Gast einwarf: „Aber er ist ein Zionist!“ (S. 1) Linfield entgegnete, sie sei dies auch und dennoch eine harte Kritikerin der Besatzungspolitik Israels. Darauf rückte die sie umgebende Gruppe von ihr ab. Niemand wollte mehr mit ihr reden, bis das Gespräch auf unverfängliche Themen kam. Bei weiteren Anlässen wurde ihr klargemacht, dass es unter Linken nicht genüge, die israelische Besatzungspolitik und den religiös aufgeladenen Nationalismus vieler Siedler in der Westbank abzulehnen. Nein, die Wurzel allen Übels sei die Existenz Israels selbst. Dieser Staat sei ein kolonialer Siedlerstaat und besonders jüdische Linke könnten nichts Besseres tun, als ihn zu boykottieren – mitsamt seinen Universitäten, deren Professoren, auch wenn sie in der Friedensbewegung Israels aktiv seien, letztlich doch den kolonialen Imperialismus stärkten. Ironisch merkte Linfield an, offenkundig gebe es neben den „armchair Zionists“, amerikanischen Juden, die die Politik der rechten Regierungen Israels vom sicheren Hafen aus befeuerten, auch eine selbsternannte antiimperialistische jüdische Linke, die von New York aus die Terrorattacken der Hamas gegen israelische Zivileinrichtungen als Akte der Befreiung pries.
Sie entschloss sich, dieser Haltung in den Schriften von acht politischen Intellektuellen nachzugehen, die von der akademischen oder kulturellen Linken bis zur Gegenwart häufig zitiert werden und die – von Fred Halliday abgesehen – Juden waren: Hannah Arendt, Arthur Koestler, Maxime Rodinson, Isaac Deutscher, Albert Memmi, Fred Halliday, I.F. Stone und Noam Chomsky. Dabei subsumiert sie unter dem Begriff „links“ alle, die eine demokratische Gesellschaft in sozialer Gerechtigkeit anstreben. Doch selbst dann dürfte es, wie Linfield auch eingesteht, schwerfallen, Hannah Arendt oder gar Arthur Koestler, ungeachtet ihrer Wirkungen auf linke Debatten, unter den „Linken“ einzuordnen.
Hannah Arendt (1906–1975) äußerte sich zum Thema vor allem 1943/44 und 1963 in ihrem Buch Eichmann in Jerusalem. In den frühen Kommentaren sprach sie sich nachdrücklich für eine jüdische Armee im Nahen Osten aus (die es mit dem Palmach und konkurrierenden Rechtsgruppierungen bereits gab), die aber nicht für einen jüdischen Staat, sondern ein jüdisches Siedlungswesen im Rahmen eines britischen oder mediterranen Commonwealth kämpfen sollte. So sehr vor Hitler die Idee eines bi-nationalen Staates in Palästina eine von mehreren politischen Optionen gewesen sei, so irreal seien ihre Commonwealth-Ideen im und nach dem Holocaust gewesen.
Linfield kehrt in ihrer Relektüre von Arendt auch zu der alten Diskussion um die „Fehlurteile“ im Eichmann-Buch zurück: Weder seien die Judenräte im besetzten Polen Kollaborateure noch sei Eichmann in irgendeinem Sinn „banal“ gewesen. Ihr idealistisches Verständnis von Politik habe Arendt die Einsicht versperrt, dass es für Individuen, Gruppen oder Staaten in extremen Konstellationen mitunter nicht möglich ist, den moralischen Prinzipien zu folgen, die ihrem Handeln zugrunde liegen müssten.
Arthur Koestler (1905–1983) bezog im Leben die verschiedensten politischen Positionen. Er war (in dieser Reihenfolge) Liberaler, Zionist, Kommunist, Antikommunist, und ab den 1950er-Jahren entwickelte er ein reges Interesse an der Parapsychologie. Seine jeweiligen Überzeugungen vertrat er stets mit größter Lautstärke. Koestlers kurze Begeisterung für den Zionismus führte ihn von 1926 bis 1930 zur Arbeit auf einen Kibbutz in Palästina. Dort träumte er von einer Verwandlung des geduckten Ghettojuden in einen furchtlosen, kräftigen Pionier. Anders als bei seiner Wendung vom Kommunisten zum Antikommunisten bewahrte sich Koestler nach der Abwendung vom Zionismus seine Sympathien für den schlagkräftigen Kämpfer, der in Palästina Briten und Arabern trotzt – dabei immer voller Verachtung gegenüber dem Juden der Vergangenheit, den er als reine Knechtseele beschrieb. Linfield stellt auch Koestlers (widerlegte) Chasaren-Theorie in diesen Zusammenhang: Demnach stammten die meisten Juden von diesem Turkvolk ab, das im 8. Jahrhundert die jüdische Religion angenommen habe. In Koestlers Abwehr der überlieferten sozio-kulturellen Traditionen der Juden zeigte sich, so Linfields hartes Urteil, ein mit idealisierten Restbeständen des Zionismus vermischter jüdischer Antisemitismus.
Der marxistische Orientalist Maxime Rodinson (1915–2004) verbrachte den Zweiten Weltkrieg im Libanon. Diese lebensrettende Konstellation – seine Eltern wurden Opfer des Holocaust – erweckte sein Interesse für orientalische Sprachen: Er studierte Arabisch, Hebräisch wie auch Altäthiopisch; für das letztgenannte Fach wurde er Professor an der École Pratique des Hautes Études in Paris. Von ihm, einem scharfen Kritiker des Zionismus, stammte der Begriff des „fait colonial“ zur Bezeichnung Israels; seine gleichnamige Schrift trug im Englischen den Titel „Israel: a Colonial Settler State“. In ihrer sehr kritischen Behandlung Rodinsons übersieht Linfield nicht, dass er in scharfen Worten den arabischen Nationalismus, Klerikalismus und den Judenhass islamistischer Ideologen verdammte; der Begriff des „islamischen Faschismus“ ist gleichfalls von ihm. Doch zeichnet sie Rodinson als strikten Befürworter der Assimilation als „Lösung“ des jüdischen „Problems“. Sie übersieht die innere Zerrissenheit, die Rodinsons posthum publizierte Autobiographie bezeugt und die sie ebenso wenig herangezogen hat wie andere Quellen in französischer Sprache.1
Der Trotzki-Biograph Isaac Deutscher (1907–1967) wird oft als „nicht-jüdischer Jude“ bezeichnet; diesen Titel trug einer seiner bekanntesten Essays. Linfield zeigt jedoch, dass er „niemals seine Verbindung mit dem jüdischen Volk aufgeben konnte“ (S. 164). Deutscher habe in anfänglicher Bewunderung wie in späterer Kritik nie geglaubt, dass die Existenz Israels das jüdische Problem lösen könne, da diese Existenz so viele neue Probleme schaffe, wie sie alte beseitigen helfe. Dennoch: Deutscher „wusste, dass die Zerstörung Israels ein die Juden bis ins Letzte erschütterndes Unglück wäre. Seine Hoffnung galt nicht notwendigerweise dem jüdischen Staat, ganz bestimmt aber den Juden.“ (ebd.)
Anders als viele westliche Linke hatte der in Tunis geborene und in Paris lebende Schriftsteller Albert Memmi (geb. 1920) niemals Illusionen über Gewalt und Judenhass unter den verschiedenen arabischen Bevölkerungsgruppen. Selbst unter arabischen Linken existierten starke antijüdische Strömungen, die Ergebnis einer langen fehlgeleiteten Erziehung seien. Es bedürfe Generationen, um sie zu überwinden. Bei aller notwendigen Kritik an Israels Politik bleibe die Unterstützung seiner Existenz daher der Gradmesser für einen wirklichen und nicht nur plakativen Antiimperialismus.
Der irische Politikwissenschaftler Fred Halliday (1946–2010) steht für Linfield als Beispiel für den Lernprozess eines Linken, der gerade deshalb seinen Überzeugungen treu blieb. Hatte er zu Beginn seiner akademischen Laufbahn noch vom „Volkskrieg“ der Fedayin gegen die israelischen Besatzer geträumt, so nahm er aufgrund seiner immer besseren Kenntnis der arabischen Welt – er beherrschte Arabisch neben vielen anderen Sprachen – davon immer mehr Abstand. Immer deutlicher mahnte er nicht nur an seiner Lehranstalt, der London School of Economics, nie zu vergessen: In vielen Nahost-Staaten säßen Kommunisten, wenn sie Glück hätten, im Gefängnis, in Israel aber im Parlament.
Die beiden US-Amerikaner Isidor Feinstein Stone (1907–1989) und Noam Chomsky (geb. 1928) stehen, so Linfield, für gegenläufige Entwicklungen in der Linken. In einem Porträt, das nicht frei von sentimentalen Tönen gegenüber ihrem journalistischen Lehrmeister ist, hebt sie hervor, dass I.F. Stone sich gegenüber allen Verführungen des Stalinismus wie des Nationalismus immun gezeigt habe. Damit blendet sie die Ergebnisse der Forschung aus, nach denen Stone in den 1930er-Jahren an Spionageaktivitäten für die Sowjetunion beteiligt war.2 Da er, wie Linfield schreibt, die Politik nie von ihren moralischen Aspekten trennen wollte, neigte er in seinen letzten Lebensjahren – bei Unterstützung des Existenzrechtes Israels – dazu, den „israelischen Militarismus und Ultra-Nationalismus“ auf eine Stufe mit dem „palästinensischen Terror“ (S. 260) zu stellen, habe aber damit die permanenten Gefahren für Israel heruntergespielt. Aus Stones Schriften sei kein Aufruf zur Gewalt abzuleiten.
Noam Chomsky sei hingegen zum Opfer eigener weltfremder Konstrukte geworden. Obwohl er nicht so weit gehe, Boykotte oder gar Terror gegen Israel zu rechtfertigen, würde die rebellische Diktion seiner Bücher zum Nahost-Konflikt seinen zahlreichen Jüngern die Rechtfertigung für ihren Hass auf Israel liefern. Doch machte Chomsky, worauf Linfield hätte hinweisen sollen, als einer der ersten Publizisten auf Folterungen in israelischen Gefängnissen aufmerksam; Folterungen, die freilich von israelischen Gerichten geahndet wurden.
Über manches Urteil der Autorin kann durchaus gestritten werden. Ihrer Feststellung, dass ein in seinen Widersprüchen unbegriffener Antiimperialismus die Ursache für die Verklärung arabischer Volksmassen seitens jüdischer wie nichtjüdischer Linker sei, ist kaum zu widersprechen.
Das Buch bietet insgesamt eine übersichtliche und zudem lesenswerte Zusammenstellung von Standpunkten der hier behandelten Persönlichkeiten zum Themenkomplex Israel-Zionismus-Sozialismus. Die pointierten Urteile fordern zum Nachdenken auf. Kennern der jeweiligen Biographien bietet die Arbeit jedoch wenig Neues. Dies liegt auch daran, dass Susie Linfield lediglich englischsprachige Literatur ausgewertet hat, was neben Rodinson auch Arendt und Koestler in verkürzter Perspektive erscheinen lässt. Arendts Denkweg wie auch die Folgen der Kontroverse um ihr „Eichmann“-Buch sind aber ohne die Kenntnis der deutschsprachigen Debatten kaum voll zu begreifen, ebenso wenig ihre widersprüchlichen politischen Selbstverortungen. Auch Koestlers politischer Weg ist ohne das Wissen um die Auseinandersetzungen im deutschen kommunistischen Exil nach 1933 nur schwer verständlich. Hier zeigt sich, dass die Forschung über transnationale Intellektuelle auf der Quellenbasis in nur einer Sprache an Grenzen stößt – und sei dies auch die Weltsprache Englisch.
Anmerkungen:
1 Maxime Rodinson, Souvenirs d’un marginal, Paris 2005.
2 Vgl. Harvey Klehr / John Earl Hines / Alexander Vassiliev, I.F. Stone. Soviet Agent – Case Closed, in: Commentary, 24. April 2009, S. 40–44.