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Titel
Die Öffnung der Welt. Eine Globalgeschichte des Hellenismus


Autor(en)
Chaniōtēs, Angelos
Erschienen
Darmstadt 2019: Theiss Verlag
Anzahl Seiten
542 S.
Preis
€ 35,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anja Busch, Arbeitsbereich Alte Geschichte, Universität Hamburg

Bei „Die Öffnung der Welt“ handelt es sich um ein Sachbuch, in dem Angelos Chaniotis die „Kulturgeschichte des Hellenismus“ bis weit über die üblicherweise gesetzte Epochengrenze hinaus bis in römische Zeit, genauer bis zum Tod Kaiser Hadrians im Jahr 138 n. Chr., schildert. Das Ende des Hellenismus wird im herkömmlichen Sinn durch Kleopatras Suizid im Jahr 30 v. Chr. und dem damit einhergehenden Ende des letzten Diadochenreiches markiert. Chaniotis fasst den Hellenismus jedoch nicht als ein Phänomen, das allein an politischen Gegebenheiten festzumachen ist, sondern legt überzeugend dar, dass die gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungen mit dem Tod der letzten Königin der Ptolemäerdynastie keine Zäsur erfuhren. Die Hellenisierung von Gesellschaft und Kultur in der östlichen Mittelmeerwelt sowie den östlicheren Regionen der damals bekannten Welt setzt sich weit über die Momente der Unterwerfung der hellenistischen Staaten unter die neue römische Großmacht hinaus fort. Daher weitet Chaniotis den Zeitraum seiner Untersuchung auf die folgenden zwei Jahrhunderte aus.

Erklärung verlangt weniger der Umstand, dass die Untersuchung nicht mit Kleopatras Tod endet, sondern vielmehr, warum als ereignisgeschichtlicher Endpunkt der Tod Hadrians gewählt wird. Denn auch hier erfahren die mit Alexanders des Großen Zug nach Osten und damit dem Beginn des Hellenismus angestoßenen wirtschaftlichen, religiösen und kulturellen Entwicklungen kein abruptes Ende. Chaniotis kann seine Entscheidung gut damit begründen, dass die „Einheit der Griechen eines der übergeordneten Themen dieses Buches“ sei. Mit der Einrichtung des Panhellenions unter Hadrians Herrschaft werde der Kreis geschlossen, „der mit den Bemühungen Philipps II. von Makedonien und seines Sohnes Alexander, alle Griechen zu vereinen [Anm. gemeint ist der Panhellenenbund], seinen Anfang genommen hatte“ (S. 12).

Die 16 Kapitel des Buches folgen aufeinander in einer teils chronologischen, teils thematisch schlüssigen Ordnung, beginnend mit der Ausweitung des von Philipp begründeten Herrschaftsgebietes nach Osten und der Festsetzung seiner Grenzen durch Alexander den Großen sowie der Etablierung der Monarchie nach Alexanders Prägung. Kapitel 2 beschäftigt sich mit der Konsolidierung der hellenistischen Königreiche durch die Diadochen nach dem Zerfall des Alexanderreiches als Folge des Todes Alexanders und dem Ringen ambitionierter Männer – und auch Frauen – um die politische Oberhand. Als Besonderheit des Königstitels, wie ihn die Diadochen und deren Nachfolger seit 306/5 v. Chr. für sich in Anspruch nahmen, stellt Chaniotis fest, dass dieser nicht ethnisch oder geographisch determiniert war, sondern bedeutete, „dass die Diadochen Könige all jener Länder waren, die sie würden erobern und in ihrem Besitz halten können“ (S. 53f.). Daraus erklären sich Bemühungen um Gebietseroberungen, die in der Folge häufig Konfrontationen zwischen Diadochenherrschern untereinander nach sich zogen.

Die Entwicklung des „alten“ Griechenlands im 3. Jahrhundert v. Chr., das von Kriegen unterschiedlichster Art (Konflikten einzelner Poleis untereinander oder mit den makedonischen Machthabern, Invasionen etwa durch Kelten oder Parther unter anderem) geprägt war, ist Gegenstand von Kapitel 3. Kapitel 4 behandelt die Ptolemäerzeit ausgehend von Ptolemaios II. und die zahlreichen Konflikte zwischen den Reichen der Ptolemäer und Seleukiden. Dabei ging es jedoch nicht nur um Gebietserweiterungen des jeweiligen politischen Einflussbereichs, sondern auch um die Legitimierung der Herrschaft der jeweils konkurrierenden Kriegsparteien durch militärische Erfolge (S. 95). Zudem beschränkten sich die Konflikte nicht allein auf die beiden Reiche; weite Teile der hellenistischen Welt wurden in das Kriegsgeschehen hineingezogen, und schließlich trat seit 217 v. Chr. auch Rom als politische Größe im östlichen Mittelmeerraum auf.

Kapitel 5 beschäftigt sich mit dem Phänomen der hellenistischen Monarchien. Legitimierten die Diadochen ihr Königtum durch militärische Erfolge – und nicht etwa durch Herkunft oder ein jährliches Amt1, zählte nach der Etablierung ihrer Dynastien wieder das dynastische Prinzip als Grundlage monarchischer Herrschaft (S. 106–11), ohne dass die Bedeutung des Heeres als Grundlage königlicher Macht verloren gegangen wäre (S. 125–30). Differenziert wird auf die vielfältigen Herausforderungen eingegangen, mit denen sich die Könige der Diadochendynastien in den von ihnen beherrschten Gebieten konfrontiert sahen. Einen konsequenten Anschluss dazu bietet Kapitel 6, das mit dem Fokus auf die Poleis und das Weiterbestehen ihrer Institutionen sowie auf Städtebünde diejenigen politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Strukturen beleuchtet, welche den Alltag des größten Teils der Bevölkerung prägten.

Kapitel 7 nimmt auf, was am Ende von Kapitel 4 quasi als Cliffhanger stehen gelassen wurde: Roms Ausgreifen nach Osten und die damit verbundenen „Verflechtungen“ zwischen römischem Imperium und hellenistischer Staatenwelt.2 Kapitel 8 und 9 handeln von der Provinzialisierung Griechenlands und Kleinasiens durch Rom zum einen, Asiens und Ägyptens zum anderen und damit einhergehend dem Niedergang der jeweils in diesen Gebieten herrschenden hellenistischen Dynastien. Der Einfluss der wachsenden römischen Dominanz auf den Osten und der Aufstieg hier prägend wirkender römischer Persönlichkeiten (Sulla, Pompeius, Julius Caesar, Marcus Antonius und Octavian) ist Gegenstand von Kapitel 10. Kapitel 11 und 12 beleuchten die von hier, parallel zur Einrichtung des Prinzipats unter Augustus, ausgehenden politischen Entwicklungen des griechischen Ostens während der römischen Kaiserzeit bis zum Tod Hadrians. Sozioökonomische sowie gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen im Osten, die vielfach bereits in hellenistischer Zeit angestoßen wurden und sich in römischer Zeit fortsetzten, werden in Kapitel 13 und 14 thematisiert. Hier wird deutlich, dass der Niedergang der hellenistischen Reiche und die Integration Griechenlands und des Ostens in das Römische Reich für die Bevölkerung in vielen Lebensbereichen keinen Umbruch brachten. Kapitel 15 behandelt Religion und religiösen Wandel im „langen hellenistischen Zeitalter“ (S. 397), wobei soziale und politische Faktoren, welche diese zwischen dem 4. Jahrhundert v. Chr. und dem 2. Jahrhundert n. Chr. beeinflussten, berücksichtigt werden. Das Kapitel schließt nach der Betrachtung verschiedener überregional einflussreicher Kulte und religiöser Phänomene mit dem Aufkommen des Christentums und seiner religionsgeschichtlichen Einordnung.

Resümierend betrachtet Chaniotis in Kapitel 16 das Zusammenwachsen der Oikumene aus griechischer Perspektive, in der sich bei Beibehaltung lokaler Traditionen und Charakteristika eine einigermaßen homogene Kultur (nicht zuletzt durch die Verbreitung der griechischen Sprache) entwickelte. Im Anhang des Buches finden sich eine ausführliche Zeittafel, acht übersichtlich gestaltete Karten, Abkürzungs- und thematisch geordnetes Literaturverzeichnis sowie eine allgemeine Bibliographie, ein Verzeichnis der insgesamt 38 Abbildungen im Buch und ein Register.

Chaniotis‘ Darstellung ist durchweg ansprechend. Vergleiche mit politischen und kulturellen Entwicklungen der jüngsten Weltgeschichte tragen dazu bei, die griechisch-römische Antike besser erfahrbar zu machen. Aufgelockert wird die an Informationen dichte Darstellung durch gelegentliche popkulturelle Referenzen: Chaniotis zitiert etwa eine Folge der Serie Star Trek, in der die griechischen Götter sich angesichts der Ausbreitung des Christentums auf den Pollux IV zurückgezogen haben (S. 407). Ein anderes bekanntes Zitat ist die eigentlich rhetorisch intendierte Frage des Anführers der Volksfront von Judäa nach den Leistungen der römischen Besatzer in Monty Pythons Leben des Brian („Was haben die Römer je für uns getan?“) mit den kaum anfechtbaren Antworten seiner Mitstreiter (S. 321). Zu würdigen ist nicht zuletzt auch die Leistung Martin Hallmannseckers. Diesem gebührt Anerkennung für die gut lesbare Übersetzung des englischen Textes ins Deutsche. Mit „Die Öffnung der Welt. Eine Globalgeschichte des Hellenismus“ hat Chaniotis ein Handbuch vorgelegt, das mit seiner inhaltlichen Dichte nicht nur eine höchst informierte, sondern zugleich anregende Lektüre bietet.

Anmerkungen:
1 Zitiert wird Suda, s. v. basileia (Adler B147), wonach die Fähigkeit ein Heer zu führen und kluges Handeln in politischen Angelegenheiten Voraussetzungen für den Erhalt des Königtums sind.
2 Chaniotis bezieht sich dabei auf die Polyb. 1,3,1–4 als symploke beschriebene Entwicklung.

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