R. Pröve u.a. (Hgg.): Wissen

Title
Wissen ist Macht. Herrschaft und Kommunikation in Brandenburg-Preußen 1600-1850


Editor(s)
Pröve, Ralf; Norbert Winnige
Series
Schriftenreihe des Forschungsinstituts für die Geschichte Preußens e.V. 2
Published
Extent
256 S.
Price
€ 25.00
Reviewed for H-Soz-Kult by
Rita Gudermann, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Humboldt-Universität zu Berlin

Dass Friedrich der Große sich so häufig persönlich auf die beschwerliche Reise durch sein Reich aufmachte, war nicht etwa die Schrulle eines alternden Monarchen: Es war bittere Notwendigkeit. Denn nur so konnte sich der König über die Zustände in seinem ausgedehnten Herrschaftsgebiet informieren, ohne auf schleppende oder nicht existierende Postverbindungen, desinformierte Beamte und unzuverlässige Boten angewiesen zu sein. "Wissen ist Macht" formulierte um 1600 der Philosoph und Politiker Francis Bacon, und sein Bonmot wird einem Sammelband zum Titel gegeben, der sich mit dem Zusammenwirken von Herrschaft und Kommunikation in Brandenburg-Preußen in der Zeit von 1600 bis 1850 beschäftigt. Der 256 Seiten starke Band fasst in 14 Beiträgen die Ergebnisse einer Tagung zusammen, die im Mai 2000 im Forschungsinstitut für die Geschichte Preußens (FGP) abgehalten wurde. Erklärtes Ziel der Herausgeber ist es, moderne Fragestellungen auf die preußische Geschichte anzuwenden, und dabei auch die kulturalistische Wende in der Geschichtswissenschaft - hin zu Menschen statt Strukturen als Akteure der Geschichte - nachzuvollziehen.

In seiner Einführung nennt der Herausgeber Ralf Pröve die Kommunikationsrevolution eines der wichtigen Forschungsthemen der Gegenwart. Dabei definiert er Kommunikation nach Harry Pross als den "Vorgang der Mitteilung, seine Mittel, seine Aktionen und Reaktionen und die aus ihm notwendig folgenden Wirkungen" (S. 11). Als Akteure werden sowohl die Empfänger als auch die Sender von 'handlungsrelevanten Botschaften' verstanden. Das Themenspektrum bewegt sich im Spannungsfeld von Information, Medium und Öffentlichkeit. Der Begriff der 'Herrschaft' wird mit einer offenen Definition gefasst, ein Herrschaftsbegriff, der "Herrschaft als soziale Praxis auffasst, die vor Ort in direktem Kontakt der unteren Herrschaftsträger mit den zu Beherrschenden täglich neu ausgehandelt wurde." (S. 15) Aus dieser Definition erschließt sich unmittelbar die Notwendigkeit von Information: "Herrschaft konstituierte sich, so die These, erst durch ein funktionierendes Kommunikations- und Verkehrsnetz, das einen dauerhaften und regelmäßigen Austausch von Informationen gewährleistete." (S. 16) Die Stichhaltigkeit der These soll am Beispiel des territorial zersplitterten Staatsgebildes Brandenburg-Preußen, das in besonderem Maße auf Kommunikation angewiesen war, bewiesen werden. Nicht nur der Informationsfluss von Regierten zum Regierendem und zurück, sondern auch der zwischen den Regierten selbst gerät dabei ins Blickfeld. Letzterer konnte auch die Basis für Widersetzlichkeiten sein.

Im ersten Beitrag zieht Esther-Beate Körber die Postverbindungen im jülich-klevischen Erbfolgestreit an der Wende zum 17. Jahrhundert als Beispiel für die Konkurrenz von Mächten heran, die die Notwendigkeit von schnellen und zuverlässigen Nachrichtenverbindungen offensichtlich werden lassen. Nachrichtenverbindungen konnten mit Hilfe persönlich bekannter Boten hergestellt werden oder aber mit Hilfe des Postsystems, das auf dem Nachrichtensystem der Kaufleute, auf billigen Bauernfuhren oder aber auf der Reichspost derer von Thurn und Taxis aufbauen konnte. Die Quellen berichten jedoch überwiegend von Schwierigkeiten und Hindernissen. Die Absender wählten die Kommunikationswege daher je nach Bedarf, im Zweifelsfall nach dem Prinzip: "lieber sicher als schnell" (S. 31).

In seiner Studie über die Post in Brandenburg-Preußen 1646-1713 schildert Joachim Kundler den Streit, der nach dem Westfälischem Frieden zwischen Landesfürsten und Kaiser um die Hoheit über das Postregal ausbrach. Sowohl Friedrich Wilhelm als auch Friedrich I. (III.) glaubten an die Notwendigkeit eines staatlichen Postregals, setzten es konsequent durch und wehrten jede Einmischung von außen ab. Bis 1713 entstanden so in Brandenburg-Preußen 106 Postämter - Grundlage eines gesicherten und ausgezeichnet schnell und sicher funktionierenden Postwesens, das nicht zuletzt auch der Erhöhung der Staatseinnahmen diente. Am Beispiel der Stadt Wesel und dem selbständigen Botenwesen der Städte zeigt Kundler die Konflikte mit den Betreibern von bestehenden Postverbindungen auf.

Nicht allein auf die staatlich initiierten und genutzten Kommunikationswege fällt das Interesse der Forscher. Mit der Frage, ob die Untertanen in Brandenburg-Preußen zwischen 1600 und 1850 überhaupt lesen und schreiben und damit schriftliche Verlautbarungen von oben wahrnehmen konnten, beschäftigt sich Norbert Winnige. Der Autor übernimmt die von Wolfgang Neugebauer und Jens Bruning aufgestellte These, der zu Folge eine Wirksamkeit staatlicher Schulpolitik im 18. Jahrhundert kaum nachweisbar ist. Nimmt der Alphabetisierungsgrad dennoch zu, muss dies folglich auf lokale Initiativen zurückgehen; die Alphabetisierung erscheint als ein "partiell autonomer Prozess" (S. 64). Tatsächlich ließen sich spürbare Verbesserungen besonders bei der männlichen Bevölkerung nachweisen, während die Väter ihren Töchtern dagegen aus Angst vor Kontrollverlust den Unterricht im Lesen und Schreiben häufig verweigerten.

Mit den innerdörflichen Kommunikationsstrukturen beschäftigt sich Reiner Prass am Beispiel des Fürstentums Minden. Er stellt zunächst fest, dass der Zusammenhang von Schriftlichkeit und Verwaltung keinesfalls als selbstverständlich anzusehen ist, da Herrschaft auch ohne Schriftgebrauch möglich war. Die lokalen Verwaltungen blieben trotz Zunahme der Alphabetisierung auf mündlich zugetragene Informationen angewiesen. Außerdem mussten auch die Beamten erst lernen, das angesammelte Wissen zu verarbeiten - beispielsweise mit Hilfe der Statistik - und ihrerseits schriftliche Kommunikationsformen zwischen den einzelnen Behörden zu entwickeln. In Minden erwiesen sich der Briefverkehr, amtliche Mitteilungen im Intelligenzblatt, sowie von Dorf zu Dorf getragene und von der Kanzel verlesenen Circulare als wichtigste Medien der Kommunikation zwischen Behörden und Pfarrern bzw. Kirchämtern. Allerdings gab es in der Praxis eine Reihe von Problemen, etwa indem nur für Pfarrer gemeinte Informationen durch das Verlesen der Circulare öffentlich bekannt gemacht wurden. Herrschaft war also mit steigendem Alphabetisierungsgrad nicht mehr allein über die Schriftlichkeit zu gewährleisten, wie das noch im Mittelalter der Fall gewesen war. Ganz im Gegenteil mühten sich staatliche Stellen nun darum, bestimmte Informationen vor den Bürgern geheim zu halten.

Eine Reihe von Aufsätzen beschäftigt sich mit der Kommunikation zwischen 'oben' und 'unten', zwischen Herrschaftsträgern und Untertanen: Zur Untersuchung herrschaftlicher Kommunikationsformen und -wege verfolgt Heinrich Kaak den Verbleib einer verlorengegangenen Kaution des Ordensamtes Kollin. Der Fall und das an seinem Beispiel statuierte Exempel zeigt, wie groß die Intention des Königs war, die Fäden der Kommunikationsprozesse in seinem Reich in den Händen zu behalten. In ihrem Beitrag über die Rolle dörflicher Amtsträger im Herzogtum Magdeburg ermittelt Ursula Löffler die Landwirtschaft als gemeinschaftliche Interessenbasis von Herrschenden und Beherrschten. In einem wechselseitigen Prozess von Ausweitung und Zurückdrängung von amtlicher Kontrolle fungierten die Amtsträger ihrer Ansicht nach als eine "Art Informationsbroker" (S. 118).

Stefan Haas leitet seinen Beitrag mit der Geschichte des Hauptmanns von Köpenick ein, dem es mit einer geliehenen Uniform gelang, eine Truppe Bewaffneter zu übernehmen, mit ihnen zum Köpenicker Rathaus zu marschieren und dort die Kasse zu stehlen. Die Uniform wird erkennbar als Symbol, als Medium nonverbaler Kommunikation. Dem war jedoch ein langwieriger Prozess vorausgegangen, während dessen Militäruniformen überhaupt erst einmal hoffähig gemacht werden mussten. Einmal etabliert, zeigten sie jedoch unbestrittene Vorteile, gaben sie ihren Träger doch schon von weitem als Mitglied einer bestimmten Gruppe zu erkennen, die Autorität und Kontrolle beanspruchte. Uniformen füllten das Vakuum, das entstanden war, nachdem die Durchsetzung der bürgerlichen Kleidung das Ende der höfischen Mode und der berufsständischen Trachten eingeleitet hatte.

Auch die Kommunikationsprozesse zwischen Staat und Gemeinden sowie zwischen verschiedenen Staaten werden in dem Sammelband thematisiert: Anne-Margarete Brenker schildert die Kommunikation zwischen Brandenburg-Preußen und der neueroberten Provinzhauptstadt Breslau in den Jahren zwischen 1740 und 1800 aus der Perspektive einer Stadt, die ihre Autonomie nach Möglichkeit zu bewahren sucht. Dabei weist sie nach, dass die Beschneidung der städtischen Autonomie sich bis zur Städtereform 1809 in Form einer behutsamen Anpassung hinzog. Sie bewahrte die Kontinuität der städtischen Verwaltung, die ihre Macht jedoch zunehmend aus der des Territorialstaates ableiten musste.

Die Kommunikation zwischen zwei unterschiedlichen Staaten, nämlich der Diplomatie zwischen Frankreich und Brandenburg-Preußen zur Zeit des Siebenjährigen Krieges betrachtet Sven Externbrink. Er geht von der Frage aus, ob der grundlegenden Neuordnung der Allianzen innerhalb des europäischen Staatensystems ein langfristiger Denk- und Mentalitätswandel zugrunde lag oder aber ein kurzfristiges Gewinnstreben. Dabei interessiert ihn besonders die Konstruktion des wechselseitigen Bildes. Er kommt zu dem Ergebnis, dass Friedrich dem Zweiten und seinen Diplomaten die Denkstrukturen und Arcana der französischen Politik zumeist verschlossen blieben. Vielmehr stand die Marquise de Pompadour im Zentrum einer Vielzahl von Satiren und Schmähschriften. Auch die französische Diplomatie blieb ohne tieferen Einblick in preußische Staatsgeheimnisse, bewahrte sich jedoch einen realistischeren Blick auf die preußischen Staatsverhältnisse.

Andrea Hofmeister beschäftigt sich mit Propaganda und Herrschaft in Preußen zur Zeit der napoleonischen Kriege: Nach dem Frieden von Tilsit waren nicht nur Kriegsschäden und Kontributionen zu beklagen, sondern auch zerstörte und fremdbestimmte Kommunikationsstrukturen. Die Besatzungsmacht setzte ihr Nachrichtenmonopol und ihre Zensur durch, verhielt sich aber großzügig gegenüber jeder Art von 'Systemkritik' von Seiten der Öffentlichkeit. Professionelle Propaganda gab der französischen Publizistik und ihren Werten überlegenen Einfluss auf die öffentliche Meinung in Preußen. Diese Erfahrung führte auch die preußischen Beamten dazu, einen neuen Blick auf das Phänomen der öffentlichen Meinung zu werfen, was sich in ihrem Umgang mit der Öffentlichkeit während des Biedermeier deutlich bemerkbar machte.

Mit den Verkehrswegen als wichtigen Kommunikationsmitteln beschäftigt sich Uwe Müller. Der von der Forschung oft vernachlässigte Chausseebau ist nicht nur wegen der Verbesserung von Post und Fernhandel interessant, sondern auch wegen der Verbesserung der Kommunikation auf lokaler Ebene, etwa bei Kurzstreckentransporten oder den Reisen von Beamten. Hatte noch zu Ende des 18. Jahrhunderts Preußen das hinsichtlich Dichte und Qualität schlechteste Chausseenetz in Mitteleuropa besessen, so folgte während des 19. Jahrhunderts ein reger Ausbau. Er wurde zum Teil von den Einwohnern selbst forciert - ein weiteres Beispiel für den Anteil der Bauern und Handwerker an der Herausbildung einer modernen Welt.

Auch Inga Brandes stellt am Beispiel des Gemeindewegebaus in Landgemeinden der preußischen Rheinprovinz bis 1850 mit einem mikrohistorischen und verwaltungsgeschichtlichen Ansatz die Frage nach Handlungsspielräumen der Akteure vor Ort. Sie weist nach, dass der staatliche Wegebau der Integration der Gemeinden des südlichen Rheinlandes in das preußische Herrschaftsgebilde diente, nicht nur, indem es den Radius vergrößerte, sondern auch, indem es am Beispiel des Straßenbaus Dorfbewohner und Beamte gleichermaßen an Verwaltungsprozesse gewöhnte.

Wolfgang Foit und Rudolf Seising schließlich beschäftigen sich mit der Rolle der Telegrafie für die Herrschaft in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Tatsächlich kam es zum Durchbruch des elektromagnetischen Telegrafen angesichts der Revolution von 1848: Unter dem starken Einfluss Werner von Siemens, aber unbeachtet von der Öffentlichkeit, vollzog sich eine einschneidende Verbesserung der Kommunikationsstrukturen.

Das Themenspektrum des Bandes zeigt, wie fruchtbar es sein kann, moderne Fragestellungen auch und gerade auf einen so gut untersuchten Forschungsgegenstand wie Brandenburg-Preußen anzuwenden. Leider fehlt dem Band ein Fazit, das es ermöglichen würde, die dargestellten Ergebnisse auch in den Kontext der Medien- und Kommunikationsgeschichte einzuordnen. Es bleibt also nur, die nächste Tagung abzuwarten.

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