Die Beziehungen zwischen der DDR und Großbritannien gehören zu einem bisher vernachlässigten Forschungsfeld, das wichtige Einblicke in die außenpolitischen Motive und Prioritäten nicht nur dieser beiden Staaten, sondern auch der Westmächte und der Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg verspricht. Dem Thema war eine im November 2000 von Arnd Bauerkämper organisierte Konferenz gewidmet, die vom Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam, dem German Historical Institute, London, und dem Arbeitskreis Deutsche England-Forschung ausgerichtet wurde. Der vorzustellende Sammelband enthält die Referate in überarbeiteter Form und zusätzlich eine Einleitung von Bauerkämper, in der das Ziel der Tagung als die exemplarische Beleuchtung des ‘Beziehungsverhältnisses zwischen der Außenpolitik und gesellschaftlich-politischen Repräsentationen im Ost-West-Konflikt über die System- und Blockgrenzen hinweg’ angegeben wird (S.31).
Die anspruchsvolle Zielsetzung des Sammelbandes weckt große Erwartungen, die durch die thematische Tiefe weitreichend befriedigt werden. Während die außen- und gesellschaftspolitischen Beziehungen zwischen Großbritannien und der Bundesrepublik ausführlich bearbeitet worden sind, fehlten solche Ansätze bezüglich der DDR-Forschung bisher fast ganz. In der britischen Geschichtswissenschaft gehört Marianne Howarths unveröffentlichte MPhil-These von 1977 zu den wenigen relevanten Studien.1 Zeitlich deutlich weniger entfernt ist Klaus Larres nützlicher Artikel zu den politischen und ökonomischen Beziehungen zwischen der DDR und Großbritannien.2
Der Sammelband stockt damit ein eher karges Wissen beträchtlich auf. Nur in Bezug auf eine zeitlich umfassende Bearbeitung des Themas werden Hoffnungen zum Teil enttäuscht, da schon am Inhaltsverzeichnis deutlich wird, dass die meisten Kapitel sich vor allem mit den fünfziger und sechziger Jahren befassen. Dies ist natürlich auch durch die 30-Jahre Regelung bedingt, die den Zugang zu relevanten Archivalien in Großbritannien und auch zum Material des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten einschränkt, wie Howarth in ihrem Beitrag ausdrücklich bedauert (S.173). Interessanterweise scheinen die meisten Referenten sich auf die Analyse der Materialien in britischen Archiven konzentriert zu haben, obwohl doch auch in den Archiven der ehemaligen DDR vielversprechendes Material vermutet werden kann.
Der Sammelband beinhaltet neun deutsch- und sieben englischsprachige Kapitel. Diese werden drei Sektionen zugeordnet, von denen die erste und größte sich auf die außenpolitischen Interessen und Motive auf Regierungsebene konzentriert. Der zweite Teil befasst sich mit inoffiziellen Beziehungen, die vor allem die DDR für ihre Anerkennungskampagne zu nutzen suchte. Die letzte und kleinste Sektion mit nur drei Beiträgen geht auf gesellschaftliche Wahrnehmungen und damit verbundene Missverständnisse ein. Diese Aufteilung scheint sinnvoll. Die Beziehungen der beiden Länder werden damit auf drei Ebenen und, innerhalb dieser, aus mehreren Positionen heraus beleuchtet. Jeder Beitrag verfügt über ein separates Literaturverzeichnis.
Vor allem im ersten und zweiten Teil ist eine bemerkbare Übereinstimmung in grundlegenden Erkenntnissen der Referenten erkennbar. Leider bewirkt das einen mit der Zeit ermüdenden Wiederholungseffekt. Beschrieben wird die Furcht der britischen Regierungen, wie auch der britischen Bevölkerung, vor der Möglichkeit eines wieder vereinten und damit erstarkten Deutschlands, die trotz der offiziellen Ausrichtung auf eine Vereinigung die Außenpolitik Großbritanniens gegenüber der DDR und Westdeutschlands maßgebend und durchgehend bestimmte. Großbritannien war darauf bedacht, die Nichtanerkennung der DDR, oft auf Verlangen der westdeutschen Regierung hin (Hallstein-Doktrin), aufrecht zu erhalten. Britische Regierungen nutzten dafür auch ihren Einfluss auf ehemalige Kolonien in der Dritten Welt und auf internationale Organisationen, wie zum Beispiel die UNO.
Trotzdem wurde das erste Handelsabkommen zwischen den beiden Ländern schon 1953 unterzeichnet. Großbritannien wurde einer der wichtigsten Handelspartner der DDR im nicht-sozialistischen Ausland während der fünfziger und sechziger Jahre. Dementsprechend waren es vor allem die ökonomischen Interessen Großbritanniens, die der Beziehung zur DDR bis zu deren Anerkennung 1972 zugrunde lagen. Interessant ist auch, dass der Bau der Berliner Mauer 1961 die Überzeugung der britischen Regierung, dass die Existenz zweier deutscher Staaten für eine friedliche Koexistenz in Europa unabdingbar sei, eher bestärkte. Abschließend sei noch erwähnt, dass alle Kapitel wiederholt auf die große Bedeutung von bestimmten Persönlichkeiten hinweisen. Die Person Richard Crossmanns scheint dabei nicht nur eine Schlüsselposition eingenommen zu haben, sondern auch auf Aktivitäten der jeweiligen Geheimdienste hinzuweisen, obwohl in diesem Sammelband dazu leider nur wenig Konkretes gesagt wird.
Die Einleitung von Bauerkämper hat die Funktion einer themenübergreifenden Synthese. Seiner zusammenfassenden Beschreibung der drei Sektionen folgt eine weiterführende Analyse des methodologisch-theoretischen Potentials dieses Sammelbandes bezüglich der Kombination von Gesellschaftsgeschichte mit der Geschichte internationaler Beziehungen. Danach setzt sich Martin McCauley, der die Konferenz-Eröffnungsrede hielt, in seinem darauf basierenden Beitrag nicht nur mit der bilateralen Ebene auseinander, sondern auch mit der Rolle der Sowjetunion. Sein Augenmerk liegt hier jedoch vor allem auf den Interessen der britischen Außenpolitik bezüglich der DDR und der europäischen Stabilität.
In der Sektion zum außenpolitischen Verhältnis analysiert Lothar Kettenacker die Absprachen und Motive der Alliierten, die in der Nachkriegszeit zur Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen führten. Er argumentiert, dass vor allem Großbritannien solch eine Aufteilung unterstützte, um „einen Wettlauf um die Besetzung und Beherrschung ganz Deutschlands“ zu verhindern (S. 66). Dem folgt eine Diskussion der sehr zurückhaltenden Reaktion der britischen Regierung auf die Ereignisse des 17. Juni 1953. Yvonne Kipp beschreibt hier die langzeitliche Priorität der britischen Regierung, eine Vereinigung Deutschlands zu verhindern und die Bundesrepublik in das westliche Sicherheitssystem einzubinden, um den Frieden in Europa, die Konsolidierung der freien Welt und die eigene Weltmachtsstellung nicht zu gefährden (S.84).
Daniel Gossel konzentriert sich dann folgerichtig auf die Berlinkrisen 1948/49 und 1958/62 und die jeweilig unterschiedlichen Reaktionen britischer Regierungen, die wiederum grundlegende Fragen zur möglichen Vereinigung Deutschlands stellten, diese Diskussion aber spätestens im Zuge der Berliner Mauer abschlossen. Dem Interesse Großbritanniens an der Existenz zweier deutscher Staaten stand jedoch die Frage der Nichtanerkennung der DDR gegenüber.
Klaus Larres beschreibt in seinem Beitrag, wie sich britische Regierungen bis zur Unterzeichnung des Grundlagenvertrages wiederholt den Forderungen der Bundesrepublik, die Hallstein-Doktrin aufrecht zu erhalten, trotz eines eigenen Interesses an dem Ausbau ökonomischer Beziehungen, beugten. Großbritannien machte dementsprechend wiederholt seine Einflüsse vor allem in der Dritten Welt und in internationalen Organisationen geltend, obwohl auch Kritik an der Bundesrepublik geäußert wurde, die selbst schon frühzeitig weitgehende Handelskontakte zur DDR einging (S. 130).
In einem weiteren Beitrag konzentriert sich Gottfried Niedhart auf die Jahre 1967 bis 1973, um die Anerkennung der DDR und deren Bedeutung im britischen Kontext zu beleuchten. Es wird argumentiert, dass Willy Brandts Ostpolitik aufgrund einer schon lange etablierten de facto Anerkennung der DDR für Großbritannien kein Problem darstellte. Howarth schließt diese Sektion ab, indem sie versucht, über die Anerkennung hinaus auf die bilateralen Beziehungen zwischen Großbritannien und der DDR in den achtziger Jahren zu blicken. Trotz dieser Intention konzentriert sich dieser Beitrag leider hauptsächlich auf die frühere Periode. Ihr Beitrag ermöglicht jedoch den Übergang vom außenpolitischen Fokus auf die verschiedenen politischen und sozialen Gruppen, die ein spezielles Interesse an der DDR zeigten.
Im Bereich der inoffiziellen Beziehungen gibt es interessante Einblicke in das Leben und die Erfahrungswelten bedeutender Persönlichkeiten, die während des Krieges in England im Exil waren und später in die DDR zurückkehrten. Mario Kessler bespricht im Besonderen Jürgen Kuczynski und Alfred Meusel, wobei er sich auf die Exiljahre und deren prägende Wirkung auf die Betroffenen und weniger auf deren Bedeutung für die Außenpolitik der DDR konzentriert.
Die Rolle der Labour-Partei und individueller Labour-Parlamentsmitglieder in Bezug auf die Beziehungen zur DDR werden von Stefan Berger und Darren Lilleker dargestellt. Hier wird betont, dass der DDR die Beziehungen zur Labour-Partei in der Anerkennungs-Kampagne wichtiger erschienen als eine enge Verbindung mit der politisch viel unbedeutenderen britischen kommunistischen Partei.
Der Beitrag von Henning Hoff bildet insofern eine Ausnahme in diesem Sammelband, als er die Sichtweise der DDR thematisiert und deren durchgehendes Bemühen um Anerkennung besonders in Großbritannien, das als die schwache Flanke der Westmächte eingeschätzt wurde. Die DDR setzte hier vor allem auf ökonomische und kulturelle Verbindungen.
Im nächsten Kapitel beschreibt Merrylin Thomas ein Versöhnungsprojekt, das Anfang der sechziger Jahre innerhalb der Städtepartnerschaft Dresden-Coventry organisiert, von der Evangelischen Kirche in Dresden und der Coventry Cathedral getragen und von der höchsten politischen Ebene beider Staaten für die eigenen Ziele benutzt wurde. Die Bedeutung und der Einfluss von Individuen wird auch in diesem Beitrag wieder sehr deutlich. Raymond Stokes zeichnet im letzten Beitrag dieses zweiten Teils des Sammelbandes ökonomische und technologische Beziehungen zwischen beiden Staaten nach. Er fragt vor allem danach, inwieweit die DDR und Großbritannien innerhalb der weltpolitischen Konstellation und aus einer eher praktischen Sicht aufeinander angewiesen waren.
Im letzten Teil des Sammelbandes bespricht Patrick Major die Darstellung der DDR in britischen Spionage-Thrillern. John Sandford behandelt die Kommunikationsschwierigkeiten zwischen der britischen Friedensbewegung und relevanten Ansprechpartnern in der DDR in den achtziger Jahren. Abschließend präsentiert David Childs seine, teilweise sehr persönlichen, Erfahrungen mit der ehemaligen DDR. Hier wird versucht zu erklären, warum Teile der britischen Linken auch nach dem 17. Juni 1953 der DDR lange Zeit noch positiv gegenüberstanden.
Die hier vorgestellten Beiträge bereichern die Forschungslandschaft auf hohem Niveau. Besonders fruchtbar und anregend ist die Kombination britischer und deutscher Ansätze in diesem Sammelband, wobei nationale Unterschiede in der Prioritätensetzung, der methodischen Behandlung und des Stils nicht allein bezüglich des Themas sondern der Geschichtsschreibung im weiteren Sinne erkennbar werden.
Anmerkungen:
1 Bell, Marianne, Britain and East Germany: The Politics of Non-recognition, MPhil thesis, University of Nottingham, 1977. (Bell ist Howarths Mädchenname.)
2 Larres, Klaus, 'Britain and the GDR: Political and Economic Relations, 1949-1989', in: Larres, Klaus; Meehan, Elizabeth, (eds.), Uneasy Allies: British-German Relations and European Integration since 1945, Oxford 2000).