Davey, James; Blakemore, Richard (Hrsg.): The Maritime World of Early Modern Britain Amsterdam 2020 : Amsterdam University Press, ISBN 9789463721301 354 S. € 115,00

: The British Civil Wars at Sea, 1638–1653 Rochester 2018 : Boydell & Brewer, ISBN 9781783272297 239 S. £ 65.00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Patrick Schmidt, Historisches Institut, Universität Rostock

Die maritime Geschichte der Frühen Neuzeit wird in Großbritannien bereits seit Jahrzehnten intensiv erforscht. So liegen etwa zur Sozialgeschichte von Seeleuten auf britischen Handelsschiffen des 18. Jahrhunderts zwei neuere Monographien vor.1 Diese werden durch eine Reihe von Sammelbänden ergänzt, die in jüngster Zeit erschienen sind.2 Die Geschichte der frühneuzeitlichen Royal Navy wird in einer ganzen Reihe von Monographien nachgezeichnet.3 Wenn die maritime Geschichte in Großbritannien so floriert, liegt das nicht zuletzt daran, dass Schlagworte wie „Seefahrernation“ und „Seemacht“ jahrhundertelang tragende Säulen der britischen Identität waren. Großbritannien, so lautet eine gängige Geschichtserzählung, sei durch seine Dominanz auf den Ozeanen zur Weltmacht aufgestiegen. Nicht zufällig wird bei der „Last Night of the Proms“ jedes Jahr wieder „Rule, Britannia, Britannia, rule the waves“ angestimmt. Wenn in der Brexit-Debatte Anhänger des Ausstiegs aus der Europäischen Union die Wiederkehr eines englischen „buccaneering spirit“ beschworen, evozierten sie ebenfalls die als ruhmreich aufgefasste maritime Geschichte des Landes.4 Denn der „buccaneering spirit“ bezieht sich auf Korsaren des elisabethanischen Zeitalters wie Francis Drake.

Der Sammelband The Maritime World of Early Modern Britain soll, so machen die Herausgeber in ihrer klugen Einleitung deutlich, diese Geschichtserzählung in Teilen hinterfragen. Konkret geht es ihnen darum, ihr historisches Geworden-Sein und ihren Konstruktionscharakter aufzuzeigen. Diese Zielsetzung erklärt, warum unter den zehn Aufsätzen des Bandes nicht weniger als vier (von Alan James, Claire Jowitt, Rebecca A. Bailey und Philippa Hellawell) einschlägige Diskurse rekonstruieren. Besonders instruktiv ist der Aufsatz von Bailey über „Contemporary Representations of King Charles I and the Ship Money Fleets within the Cultural Imagination of Caroline England“. Denn Karl I. hat wie kein Monarch vor ihm explizit für sein Königreich den Anspruch auf die „Sovereignty of the Sea“ erhoben, ohne diesen in der politischen und militärischen Wirklichkeit ganz einlösen zu können. Der Aufsatz nimmt den zeitgenössischen britischen Seemacht-Diskurs in seiner ganzen Breite in den Blick: von rechtstheoretischen Schriften wie John Seldens Mare clausum (1635), einer Erwiderung auf Hugo Grotius‘ Mare liberum (1609), über Flugschriften, die im Streit über das Ship Money, eine Abgabe zur Finanzierung der Royal Navy, entstanden, und höfische Maskenspiele bis hin zu den Botschaften von Schiffsdekorationen.

The Maritime World of Early Modern Britain demonstriert, wie unterschiedlich die Fragestellungen und methodischen Zugänge der frühneuzeitlichen maritimen Geschichte aussehen können. So nimmt Bernhard Klein in seinem Aufsatz über „The Minion and its Travels“ ein einzelnes Schiff als Ausgangspunkt für eine Mikrogeschichte der englischen Expansion in afrikanischen Gewässern und in der Karibik in der elisabethanischen Zeit. Dagegen präsentieren Craig L. Lambert und Gary P. Baker die Ergebnisse und methodischen Herausforderungen eines quantifizierenden Zugangs zur maritimen Geschichte – einer Ermittlung der Größe und Struktur der englischen Handelsflotte in den Jahren 1571/72. Hinter dem eher trockenen Titel von Claire McLoughlins Aufsatz, „An Evaluation of Scottish Trade with Iberia during the Anglo-Spanish War, 1585–1604“, verbirgt sich eine spannende Lektüre. Es geht darum, wie unter der neutralen schottischen Flagge während dieses Krieges Seehandel getrieben wurde. Zur Sprache kommen Geheimdienstaktivitäten, Reisen unter falscher Flagge und die menschlichen Schicksale derer, die trotz aller Vorsichtsmaßnahmen in Schwierigkeiten gerieten. Cheryl A. Fury untersucht in ihrem Aufsatz über „Capital Trials aboard the Early East India Company Voyages“, wie Kapitäne im frühen 17. Jahrhundert auf monatelangen Reisen um die halbe Welt versuchten, die Disziplin an Bord mit strengen Strafen ebenso wie mit demonstrativer Milde aufrecht zu erhalten. Elaine Murphys Beitrag über „Women and the Navy in the British Civil Wars“ untersucht die Rollen, in denen Frauen in der Zeit des Englischen Bürgerkrieges mit der Marine in Kontakt kommen konnten: Als Offiziersgattinnen und Petitionen schreibende Seemannsfrauen, als Reisende und Flüchtlinge, und – worauf das besondere Augenmerk liegt – als Händlerinnen und Handwerkerinnen, welche die Flotte belieferten. Meredith Greiling verfolgt in ihrem Aufsatz über „Scottish Church Ship Models and the Shipmaster’s Societies of North East Scotland in the Late 17th Century“ einen methodischen Ansatz, der sich mit dem von Bernhard Kleins Beitrag vergleichen lässt. Ähnlich wie Klein ein einzelnes Schiff zum Ausgangspunkt weitreichender Überlegungen macht, verfährt auch Greiling, indem sie, von einem einzelnen Schiffsmodell des späten 17. Jahrhunderts in einer Glasgower Kirche ausgehend, die religiöse Kultur, das Selbstverständnis und die Repräsentationsstrategien schottischer Schiffseigner und Kapitäne rekonstruiert.

Zwei Autor:innen, die an diesem Sammelband beteiligt waren, haben gemeinsam das zweite zu besprechende Buch verfasst. In The British Civil Wars at Sea widmen Richard J. Blakemore und Elaine Murphy sich einem noch eher selten beleuchteten Kapitel der britischen Seekriegsgeschichte. Dass die maritime Seite dieser Konflikte, die in den 1640er- und frühen 1650er-Jahren die britischen Inseln erschütterten, relativ wenig Beachtung gefunden hat, führen sie plausibel darauf zurück, dass dabei keine einzige große Seeschlacht zu verzeichnen war: Marston Moor und Naseby hatten keine Entsprechung auf dem Wasser. Gleichwohl können Blakemore und Murphy nachweisen, dass der Einsatz von Seestreitkräften erheblichen Einfluss auf den Ausgang der Bürgerkriege hatte. Gekämpft wurde zeitgleich in England, Schottland und Irland, woraus sich die Notwendigkeit ergab, Truppen und Material über See zu transportieren; wer dies für die eigene Seite sicherstellen und es der Gegenseite verwehren konnte, war im Vorteil. Auch waren eine Reihe von an der Küste gelegenen Städten und Festungen von strategischer Bedeutung. Erhielten die dort Belagerten Hilfe auf dem Seeweg, konnten sie (länger) standhalten; war dies nicht der Fall, mussten sie (früher) kapitulieren. Beispiele wichtiger Küstenstädte, die dank der Unterstützung der Navy unter Kontrolle der Parlamentspartei blieben, waren Plymouth, Hull und Lyme. Hinzu kam, dass insbesondere die royalistische Kriegspartei stark auf Nachschub vom europäischen Festland angewiesen war, der sich nur auf dem Seeweg bewerkstelligen ließ.

In der Frühen Neuzeit kam es nicht nur an Land, sondern auch auf See zu einer „militärischen Revolution“: Aus dem Staatssäckel finanzierte, unter Kontrolle des jeweiligen Fürsten stehende Kriegsmarinen wurden ausgebaut; reine Kriegsschiffe verdrängten Wasserfahrzeuge, die je nach Erfordernis als Fracht- oder Kampfschiffe eingesetzt wurden; eigenständige Seekriegstaktiken traten an die Stelle von Taktiken des Landkrieges, die einfach auf Seeschlachten übertragen wurden; das Korps der Marineoffiziere entwickelte ein eigenes Profil, das sich sowohl von demjenigen des Führungspersonals auf Handelsschiffen als auch von demjenigen der Armeeoffiziere unterschied. Blakemore und Murphy zeigen, dass sich in den britischen Bürgerkriegen diese Transformationsprozesse nicht nur abzeichneten, sondern durch sie auch verstärkt wurden. So waren auf der einen Seite traditionelle Modi der Seekriegsführung noch sehr präsent, wie etwa der Einsatz von bewaffneten Handelsschiffen als Kriegsschiffe und der Kaperkrieg mit durch privates Kapital finanzierten und staatlich lizensierten Korsarenschiffen. Diese Instrumente spielten vor allem im royalistischen Lager und in demjenigen der irischen „Confederation“ eine große Rolle, die wiederum zeitweise mit dem royalistischen Lager verbündet war. Auf der anderen Seite wurde die staatliche Kriegsflotte, die bei Kriegsbeginn weitgehend in die Hände der Gegner des Königs gefallen war, während der Bürgerkriege massiv ausgebaut, was bei künftigen Konflikten zur See die Notwendigkeit verminderte, auf private Schiffe und privates Kapital zurückzugreifen. Nicht zufällig konnte Oliver Cromwell unmittelbar nach dem Ende der Bürgerkriege eine expansive Außenpolitik betreiben, die sich auf die schlagkräftige Kriegsflotte stützte.

Die Bürgerkriege auf den britischen Inseln waren nicht nur militärische Auseinandersetzungen, sondern auch politische Kämpfe um die Gestalt des Regierungssystems, um die Kräfteverhältnisse zwischen unterschiedlichen sozialen Gruppen, um die Interpretation von Verfassungsprinzipien und um die „richtige” Religion. Sie mündeten in eine zeitweise Abschaffung der Monarchie, des House of Lords und der Anglikanischen Staatskirche, um nur die einschneidendsten institutionellen Veränderungen zu nennen. Nicht zufällig hat die Forschung noch bis vor wenigen Jahrzehnten von einer „Revolution“ gesprochen, nicht von Bürgerkriegen.5 Solche revolutionären Veränderungen lassen Seestreitkräfte nicht unberührt: Die Französische Revolution beispielsweise erschütterte auch die Marine und sorgte in dieser für mehrere Meutereien.6 Die Novemberrevolution hatte bekanntlich ihren Auslöser in Matrosenaufständen in der kaiserlichen Marine. Insofern verwundert es nicht, dass die britischen Bürgerkriege auch in der ehemals königlichen Marine politische Erschütterungen auslösten. Auch diese werden in The British Civil Wars at Sea behandelt. 1648 formierte sich in der Flotte Protest gegen die zunehmende Dominanz der Armee in der Parlamentspartei und gegen die religiöse Radikalisierung. Dieser fand, ganz typisch für die Frühe Neuzeit, seinen Ausdruck zunächst in einer Petition, der „Declaration of the Navy“. Als das Parlament die darin enthaltenen Forderungen, darunter die nach Verhandlungen mit Karl I. und nach der Zahlung ausstehenden Soldes, nicht erfüllte, übernahmen auf zahlreichen Schiffen meuternde Seeleute das Kommando und liefen niederländische Häfen an, um die Schiffe der Verfügung der Royalisten zu unterstellen. Es kostete die Parlamentspartei einige Monate und erhebliche Bemühungen, diese Schwächung ihrer Seestreitkräfte auszugleichen.

The British Civil Wars at Sea präsentiert sich als methodisch recht konventionelle Studie mit einem hohen Anteil an ereignisgeschichtlicher Darstellung (drei Kapitel sind der Analyse von Strukturen und Prozessen gewidmet, vier der Ereignisgeschichte). Dieser Zugang erscheint hier als durchaus angemessen, wird doch auf diese Weise den Leser:innen ein guter Überblick über ein wenig bekanntes Kapitel der Seekriegsgeschichte und der politischen Geschichte der britischen Inseln zur Verfügung gestellt.

Anmerkungen:
1 Peter Earle, Sailors. English Merchant Seamen 1650–1775, London 1998; Marcus Rediker, Between the Devil and the Deep Blue Sea. Merchant Seamen, Pirates, and the Anglo-American Maritime World, 1700–1750, Cambridge 1987.
2 Cheryl A. Fury (Hrsg.), The Social History of English Seamen, 1485–1649, Woodbridge 2012; Cheryl A. Fury (Hrsg.), The Social History of English Seamen, 1650–1815, Suffolk 2017; Maria Fusaro (Hrsg.), Law, Labour, and Empire. Comparative Perspectives on Seafarers, c. 1500–1800, Houndmills 2015.
3 Beispielsweise: Arthur Nelson, The Tudor Navy. The Ships, Men and Organization, 1485–1603, London 2001; Bernhard Capp, Cromwell’s Navy. The Fleet and the English Revolution, 1648–1660, Oxford 1989; J. David Davies, Pepys’s Navy. The Ships, Men & Warfare 1649–1689, Barnsley 2008; Nicholas Rodger, The Wooden World. An Anatomy of the Georgian Nayy, New York 1986; Brian Lavery, Nelson’s Navy. The Ships, Men and Organization, 1793–1815, London 1989; Nicholas Rodger, The Safeguard of the Sea. A Naval History of Britain 660–1649, London 2004; Nicholas Rodger, The Command of the Ocean. A Naval History of Britain, 1649–1815, London 2006.
4 Robert Saunders, Myths from a Small Island. The Dangers of a Buccaneering View of British History, in: The New Statesman, 9. Oktober 2019, https://www.newstatesman.com/politics/uk/2019/10/myths-small-island-dangers-buccaneering-view-british-history (31.3.2021).
5 So beispielsweise Hans-Christoph Schröder in einer Überblicksdarstellung aus dem Jahr 1986: Hans-Christoph Schröder, Die Revolutionen Englands im 17. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1986.
6 William S. Cormack, Revolution & Political Conflict in the French Navy 1789–1794, Cambridge 1995.

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