C. Cornelißen u.a. (Hrsg.): Weimar und die Welt

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Titel
Weimar und die Welt. Globale Verflechtungen der ersten deutschen Republik


Herausgeber
Cornelißen, Christoph; van Laak, Dirk
Reihe
Schriftenreihe der Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte (17)
Erschienen
Göttingen 2020: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
392 S., 8 Abb., 2 Tab.
Preis
€ 45,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christof Dejung, Historisches Institut, Universität Bern

Seit einigen Jahren richtet sich die europäische Geschichte unter dem Einfluss globalhistorischer bzw. (post-)kolonialer Ansätze neu aus. Zahlreiche Studien zeigen mittlerweile, dass die Geschichte Europas spätestens seit der Frühen Neuzeit wesentlich durch den weltweiten Transfer von Gütern, Menschen und Ideen geprägt war. Während das lange 19. Jahrhundert in der Literatur gemeinhin als eine Epoche der Globalisierung dargestellt wird, herrschte lange Zeit die Ansicht vor, die Zwischenkriegszeit sei eine Phase der Deglobalisierung gewesen. In den letzten Jahren wurde diese schematische Darstellung jedoch hinterfragt, und es wurde angeführt, dass die Zeit nach 1918 eher eine Enteuropäisierung des Globalen mit sich brachte1. Es ist deshalb erfreulich, dass der von Christoph Cornelißen und Dirk van Laak herausgegebene Band nach der Verortung der Weimarer Republik in der Welt fragt.

Allerdings ist es alles andere als trivial zu bestimmen, was unter Globalisierung verstanden wird. Gabriele Lingelbach widmet sich in einem kenntnisreichen Überblickskapitel gesellschaftlichen Feldern wie der Migration, der Wirtschaft oder der Wissenschaft. Sie kommt zum Schluss, dass sich in all diesen Bereichen sowohl Globalisierungs- wie auch Deglobalisierungstendenzen ausmachen ließen. Dies ist jedoch kaum ein Spezifikum der Zwischenkriegszeit; derartig gegenläufige Tendenzen können auch in anderen Epochen beobachtet werden. Auch liegen die Ursachen für die verschiedenen Phänomene auf unterschiedlichen Ebenen. So war die teilweise Isolierung der deutschen Wissenschaft nach 1918 eine Spätfolge des Ersten Weltkrieges, während sich die zunehmende Präsenz amerikanischer Unternehmen wie Ford oder Coca Cola auf dem deutschen Markt aus der Dynamik der amerikanischen Wirtschaft erklärt, die von europäischen Beobachtern bereits im späten 19. Jahrhundert konstatiert wurde.

Wie man unterschiedliche Ausprägungen von Globalisierung analytisch aufeinander beziehen kann, zeigt Jan-Otmar Hesse in einem Aufriss der weltwirtschaftlichen Verflechtung Deutschlands nach 1918. Hesse führt an, dass die Zwischenkriegszeit trotz einer protektionistischen Zollpolitik und den Schwierigkeiten bei der Wiederherstellung des Goldstandards keineswegs als eine Phase der ökonomischen Deglobalisierung angesehen werden könne – so lag die deutsche Exportquote 1928 etwa auf dem Niveau von 1910 und die Auslandsinvestitionen deutscher Unternehmen waren nach 1920 höher als vor dem Ersten Weltkrieg. Gemeinsam mit anderen europäischen Ländern verlor aber Deutschland nach 1918 aufgrund der Industrialisierungsprozesse in Japan, Lateinamerika und den USA an relativer weltwirtschaftlicher Bedeutung.

Die übrigen Beiträge des Bandes thematisieren Globalität auf drei Ebenen. Erstens in Bezug auf das Themenfeld des Kolonialismus. Birthe Kundrus geht der Frage nach, wie einschneidend der Verlust eigener Kolonien für die globale Vernetzung Deutschlands tatsächlich war. Sie kommt zum Schluss, dass dieser Verlust weniger gravierend war, als man es aufgrund der steten Klagen der Koloniallobby vermuten könnte. Viele deutsche Pflanzer erhielten nach 1918 ihre Ländereien zurück und deutsche Handelshäuser und Reedereien konnten wieder im Welthandel tätig sein. Christian Koller zeigt, dass auch kolonialrassistische Stereotypen nach 1918 weiter wirksam waren. Der hohe Anteil afrikanischer Kolonialsoldaten unter den französischen Besatzungstruppen, die bis 1930 im Rheinland stationiert waren, wurde von der nationalistischen Propaganda als „Schwarze Schmach“ bezeichnet und es wurden Ängste vor sexuellen Kontakten zwischen afrikanischen Männern und deutschen Frauen geäußert. Jürgen Dinkel schließlich zeigt, dass kolonialkritische Gruppierungen in der Weimarer Republik sehr aktiv waren, während es zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Deutschland kaum antikoloniale Agitation gegeben hatte.

Eine zweite Ebene globaler Vernetzungen betrifft das Thema der internationalen Organisationen. Dieses wird nicht explizit in Bezug zum Kolonialismus gesetzt, obwohl es hier Verbindungen gäbe. Isabella Löhr untersucht die Diplomatie in der Zwischenkriegszeit am Beispiel des Kolonialrevisionisten Heinrich Schnee. Schnee vertrat Deutschland in der 1931 eingesetzten Lytton-Kommission, die den japanischen Einmarsch in die Mandschurei untersuchte. Verschiedene Mitglieder der Lytton-Konferenz waren zuvor als Kolonialbeamte tätig gewesen. Sie unterteilten die Welt gemäß der imperialen Weltsicht in zivilisierte und weniger zivilisierte Länder, was ein Grund war, weshalb die Aggression des als zivilisiert geltenden japanischen Staates gegen das eher rückständige China nicht klarer verurteilt wurde. Ingrid Scharps Beitrag thematisiert die internationale Frauenbewegung, die Frauen aus den im Ersten Weltkrieg besiegten Nationen Deutschland und Österreich neue Handlungsspielräume eröffneten. Inwiefern dieser weibliche Internationalismus sich auch auf Frauen aus den Kolonien bezog, wird aber leider nicht thematisiert.

Eine dritte Ebene betrifft die intellektuelle und ästhetische Aneignung der Welt. Heidi Hein-Kircher beschreibt, wie die kriegsbedingten Gebietsverluste zu einem verstärkten Interesse für die angeblich missliche Situation von Grenz- und Auslandsdeutschen in Europa sowie in Nordamerika und Australien führten. Diese wurde als Bedrohung des deutschen „Volkskörpers“ interpretiert. Sabine Mangolds-Wills Beitrag thematisiert die in der Weimarer Republik intensiv geführte Diskussion zur geopolitischen Verortung der Türkei. Die Türkei stellte für Deutschland eine Projektionsfläche dar, da sie eine nichtwestliche Modernität verkörperte und so eine Alternative zum Leitbild des siegreichen und zugleich verhassten Westeuropas bot. Lu Seegers untersucht die Bedeutung des Radios in der Weimarer Republik. In diesem wurden unter anderem Sitzungen des Völkerbundes und internationale Sportwettkämpfe übertragen. Da der Rundfunk ab 1924 föderal organisiert war, konservierte er aber letzten Endes die älteren Regionalkulturen. Das Versprechen, die Welt ins Wohnzimmer zu bringen, wurde vom Radio nur teilweise realisiert.

Der intellektuelle Bezug zur Welt konnte politische Implikationen haben. Wolfgang Struck thematisiert Siegfried Kracauers Analyse des Kinos während der Weimarer Zeit. Gemäß Kracauer stellte das filmische Interesse an exotischen Themen ein Bindeglied dar zwischen dem „alten“ imperialen Expansionsstreben des Kaiserreiches und dem „neuen“ des Nationalsozialismus. Andy Hahnemann untersucht, wie in Sachbüchern und Romanen der Zwischenkriegszeit suggestive Topoi wie derjenige der gelben Gefahr verwendet wurden. Diese Diskurse schufen gemäß Hahnemann das intellektuelle Klima für die späteren Expansionspläne des Dritten Reiches. Erhard Schütz dagegen beschreibt die Reiseschilderungen von Arnold Höllriegel und Richard Katz aus Ländern wie Tahiti, Brasilien oder Australien. In diesen finden sich zwar häufig eurozentrische Klischees. Daneben aber auch eine Kritik an der Plantagenwirtschaft und eine Neugier für die Andersartigkeit anderer Kulturen. Derartige Plädoyers gerieten jedoch ab den späten 1920er-Jahre in einen Gegensatz zum immer stärker chauvinistischen Klima in Deutschland.

Auch die Unterhaltungsindustrie war durch die Globalisierung geprägt. Maren Möhring zeigt, wie der 1928 eröffneten Berliner Gastronomiekomplexes „Haus Vaterland“ der Kundschaft die Möglichkeit bot, Fremdes am eigenen Leib zu erleben: Sowohl das Personal als auch die Speisen und Getränke stammten aus der ganzen Welt. Diese weltläufige Ausrichtung war dem Nationalsozialismus ein Dorn im Auge. 1933 erfolgte ein Berufsverbot für schwarze Musikerinnen und Musiker. 1941 wurde die Firma Kempinski, die Betreiberin des Komplexes, „arisiert“. Martin Rempe schließlich vertritt in seinem originellen Beitrag die These, dass es in der Musik einen dialektischen Zusammenhang zwischen zunehmender Internationalität und zunehmender Provinzialität gegeben habe. Zwar sei das Musikleben im Deutschland der 1920er-Jahre immer internationaler geworden, etwa, indem sich der Jazz verbreitete oder Bands wie Stefan Weintraub oder die Comedian Harmonists in den USA Erfolge feierten. Diese Formationen gaben aber international nicht mehr den Takt an, wie vor 1914 etwa die Walzermusik, sondern orientierten sich an ausländischen Vorbildern. Auch in der klassischen Musik verloren deutsche Komponisten an internationaler Bedeutung. Arnold Schönberg wollte mit seiner Zwölfton-Musik an die Erfolge von Bach, Beethoven oder Mozart anschließen, fand aber vor 1945 weder in Deutschland noch im Ausland viel Resonanz.

Der Band vereint eine Reihe von sorgfältig ausgearbeiteten Beiträgen. Er bestätigt eindrücklich die These, dass die Zwischenkriegszeit weniger eine Phase der Deglobalisierung darstellte, sondern eher einen Formwandel der Globalisierung mit sich brachte. In konzeptioneller Hinsicht sollten jedoch in zukünftigen Forschungen drei Aspekte genauer untersucht werden. Erstens sollten Kolonialherrschaft einerseits und soziökonomische bzw. kulturelle Globalisierung andererseits stärker unterschieden werden. Diese beiden Phänomene werden im Band häufig gleichwertig als Aspekte der globalen Verflechtung Deutschlands betrachtet, obwohl sie zum Teil andere Hintergründe hatten und sich auf verschiedene Teile der Welt beziehen konnten. Zweitens sollte durch vergleichende Untersuchungen die Frage geklärt werden, inwiefern es sich bei der Beziehung zwischen Weimar und der Welt um einen europäischen Sonderfall handelte – begründet durch den verlorenen Krieg und den Verlust überseeischer Kolonien –, oder ob Deutschland in der Zwischenkriegszeit eher einen europäischen Normalfall darstellte und wie andere europäische Länderdurch den Aufstieg Japans und der USA und die zunehmende Kritik an der Kolonialherrschaft an globaler Bedeutung verlor. Drittens zeigt sich auch in diesem Buch das Problem, dass der kausale Einfluss globaler Ereignisse auf innergesellschaftliche Transformationen oft einfacher zu behaupten als empirisch zu belegen ist. Dass der Band anregt, über derartige Fragen nachzudenken, ist ein großes Verdienst. Für die künftige Forschung zur Zwischenkriegszeit wird er zweifellos ein Referenzwerk darstellen.

Anmerkung:
1 Vgl. hierzu u.a. Christof Dejung, Deglobalisierung? Oder Enteuropäisierung des Globalen? Überlegungen zur Entwicklung der Weltwirtschaft in der Zwischenkriegszeit, in: Sönke Kunkel / Christoph Meyer (Hrsg.), Die Dezentrierung der Welt. Transnationale Dynamik und globale Rekonfigurationen, 1919–1939, Bielefeld 2012, S. 37–61.

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