Cannabis ist ein gesellschaftspolitischer Dauerbrenner. An der Schnittstelle von Medizin, Kriminologie und Lifestyle erregen sich die Gemüter nun seit Jahrzehnten über den richtigen Umgang mit Hanfprodukten. Die einzelnen Diskurse, die sich in den mit gewisser Regelmäßigkeit inszenierten Cannabisdebatten bündeln, bewegen sich dabei meist auf einem schmalen Grat zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und ideologischer Überfrachtung. Dass es sich bei einer historischen Beschäftigung mit dieser dornenreichen Problematik keineswegs um Schnee von gestern handelt, versucht James Mills in seiner Studie über Cannabis im Britischen Empire zu veranschaulichen. Die Renaissance der Empireforschung, die von der gegenwärtigen Auseinandersetzung mit dem Phänomen Globalisierung wesentliche Impulse erhält, erstreckt sich nicht zuletzt auf Fragen kultureller Interaktion zwischen metropolitanem Zentrum und kolonialer Peripherie. Mills untersucht dieses feingesponnene Beziehungsgeflecht am Beispiel der britischen Cannabispolitik, die 1928 in die Verabschiedung massiver Restriktionen mündete.
Im 19. Jahrhundert sorgte Hanf zunächst dafür, dass Britannien groß wurde. Als Ausgangsstoff für Takelage half es mit, der königlichen Navy ihren Weg über die Weltmeere zu bahnen. Zum Problem mutierte Hanf jedoch ebenfalls in einem genuin imperialem Kontext. Die britische Herrschaft in Indien musste sich nämlich mit Problemen befassen, die oft entstanden, wenn der anthropologisch unbedarfte Blick des Kolonisierers Erscheinungen streifte, die aus der Warte der Kolonisierten eine völlig andere Wertigkeit besaßen. Während die Sendboten des Empire den Hanfkonsum auf dem Subkontinent vor allem als fiskalische Herausforderung begriffen, schworen Menschen in vielen Regionen Indiens auf Hanf als traditionelles Stimulans, Schmerzmittel oder Aphrodisiakum. Tief in der Kultur einzelner Landstriche wurzelnd bestimmten Anbau und Ernte von Hanf zudem den Jahreszyklus und den Festkalender verschiedener ethnischer und religiöser Gemeinschaften.
Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts gerieten Hanfprodukte freilich unversehens ins Kreuzfeuer verschiedener Prohibitionsdiskurse. So mehrten sich in Indien selbst Stimmen, die – wenn auch auf der Basis fragwürdiger Statistiken – einen Zusammenhang zwischen Hanfkonsum und Geisteskrankheit konstruierten. In Großbritannien wiederum nahmen Moralreformer den schwunghaften Handel mit indischem Opium unter Beschuss. Da die Regierung in Delhi aber unter keinen Umständen auf diesen Exportschlager verzichten wollte, lenkte sie den Zorn der Rauschgiftgegner auf Hanf ab und setzte 1893 eine Kommission ein, deren Bericht über die einschlägigen Produktionsstrukturen und Konsumgewohnheiten freilich in Rauch aufging. Erst als sich die Vereinigten Staaten ab 1906 aus Sorge um ihre wirtschaftlichen Beziehungen mit China der vertrackten Problematik widmeten und den Opiumhandel mit scharfen Worten missbilligten, wurden die Verantwortlichen in London und Delhi erneut hellhörig. Doch sollte es bis nach dem Ersten Weltkrieg dauern, ehe Großbritannien Restriktionen einführte.
Zwei Entwicklungslinien kreuzten sich in dem 1928 gefassten Beschluss. Zum einen hatte der ägyptische Delegierte Mohammed El Guindy die unter den Auspizien des Völkerbunds veranstaltete Opiumkonferenz von 1924 dazu genutzt, auch für den Handel mit Cannabis Beschränkungen zu fordern. Bis zum Suezdebakel von 1956 blieb die britisch-ägyptische Mesalliance, die mit Gladstones Okkupation des Landes am Nil 1882 begonnen hatte, ein Paradebeispiel für die „Dialektik des Kolonialismus“ (Wolfgang Reinhard). Diese spiegelte sich 1924 in der für London wenig berauschenden Tatsache, dass El Guindy sein leidenschaftliches Plädoyer gegen Cannabis und damit implizit gegen die verhasste Protektoratsmacht auf einen Bericht stützen konnte, den ein britischer Arzt Ende des 19. Jahrhunderts in Kairo zu Papier gebracht hatte. Gleichwohl passten El Guindys Tiraden insgeheim durchaus in das Konzept der Londoner Verantwortlichen, da sie nach wie vor Cannabis als Nebenkriegsschauplatz dem Schlachtfeld Opiumhandel vorzogen.
Zum anderen jagten sich im Großbritannien der frühen zwanziger Jahre reißerische Meldungen über den Missbrauch von Hanfprodukten. Die Polizei warf mangels Expertise Cannabis mit Opium und Kokain in einen Topf, während sich die Presse sensationslüstern auf die bei diversen Razzien ans Tageslicht geförderten Erkenntnisse über die britische Unterwelt stürzte. Als sich dann die ehrwürdigen Repräsentanten der pharmazeutischen Profession auf die Seite der Cannabisgegner schlugen, gab die Regierung schließlich dem seit einem halben Jahrhundert gewachsenen Druck nach und schränkte die Möglichkeit, Cannabis legal zu erwerben und zu konsumieren, radikal ein.
In Mills’ Augen markiert dieses Verdikt den – nur vorläufigen – Endpunkt einer „Geschichte zweifelhafter Wissenschaft, der Fehlurteile und Mißverständnisse“ (S. 219). Er zitiert eine Empfehlung der British Medical Association von 1997, die sich für den therapeutischen Einsatz bestimmter Cannabisprodukte ausspricht, und versteht seine Studie gerade vor diesem Hintergrund als Aufruf zu einem sachlichen Umgang mit einer gesellschaftspolitisch heiklen Thematik. Mills’ Untersuchung präpariert anschaulich jene extrinsischen Faktoren heraus, welche die britische Cannabispolitik im Spannungsfeld imperialer, medizinischer, kommerzieller und sozialer Erwägungen zu einem Spielball widerstreitender Impulse werden ließen. Allerdings läuft Mills seinerseits Gefahr, von diesem plausiblen Befund ohne weiteres auf die Haltlosigkeit etwaiger Bedenken gegen die Lockerung der Restriktionen zu schließen.