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Titel
A Century of Premiers. Salisbury to Blair


Autor(en)
Leonard, Dick
Erschienen
Basingstoke 2004: Palgrave Macmillan
Anzahl Seiten
380 S.
Preis
£ 18.99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ulrich Schnakenberg, Geschichte Nordamerikas und Großbritanniens, Universität Kassel

Dick Leonard, ehemaliger Labour-Abgeordneter im britischen House of Commons, Publizist und Journalist beim renommierten Economist und dem Observer, hat mit „A Century of Prime Ministers. From Salisbury to Blair” eine gut lesbare Sammlung von Kurzporträts der letzten 20 britischen Premierminister vorgelegt. Bei dem hier besprochenen Buch handelt es sich um das erste von insgesamt drei geplanten Bänden; eine Darstellung der Premierminister des 18. und 19. Jahrhunderts befindet sich in Vorbereitung.

Die (Auto-)Biografie ist im Vereinigten Königreich eine im Vergleich zu Deutschland äußerst beliebte Gattung. In den letzten Jahrzehnten erschienen auf den britischen Inseln mindestens fünf Mal so viele (Auto-)Biografien wie in der Bundesrepublik. Die Premierminister haben dabei naturgemäß als Inhaber des höchsten Wahlamtes Großbritanniens immer besondere Aufmerksamkeit unter den Biografen gefunden. Schon allein angesichts der daraus resultierenden überbordenden Primärliteratur ist Leonards geplante Darstellung aller 50 bisherigen Premierminister und der einen bisherigen Premierministerin ein gewagtes Unterfangen. Im Gegensatz zu Peter Hennessy, der kürzlich einem ähnlichen Ansatz folgend eine Serie von knappen Porträts aller britischen Nachkriegspremiers verfasst hat 1, greift Leonard kaum auf Primärquellen zurück. Allerdings orientiert sich Leonard zuweilen sehr eng an bereits vorliegenden Darstellungen, so etwa bei der Bewertung Bonar Laws.2 In der Skizze Tony Blairs geht dies gar hin bis zur Übernahme einzelner Formulierungen.3 Auch wenn der Verfasser sich zumeist recht gut über den aktuellen Forschungsstand informiert zeigt, richtet sich sein Buch in erster Linie an ein allgemeines Publikum.

Leonard beschränkt sich in seiner Darstellung der 20 Politiker nicht allein auf die Amtstage, sondern schildert recht ausführlich ihren Aufstieg sowie ihren familiären und sozialen Hintergrund. Dabei wird einerseits deutlich, wie stark aristokratische Elemente das britische politische System bis zum heutigen Tage kennzeichnen. Andererseits zeigt Leonard, wie schon zu Beginn des letzten Jahrhunderts aus einfachen bis ärmlichen Verhältnissen stammende Männer wie Asquith, Lloyd George oder MacDonald bis in das höchste gewählte Amt des Staates aufstiegen. Dies kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass wenige exzellente Privatschulen und Universitäten weiterhin die Rekrutierung der politischen Elite monopolisieren. Von den insgesamt 14 Universitätsabsolventen unter den 20 behandelten Politikern besuchten zehn Oxford und drei Cambridge.

Der Hauptteil jeder Einzeldarstellung ist erwartungsgemäß die Amtsperiode. Der Verfasser referiert hier die wichtigsten innen- und außenpolitischen Ereignisse und Gegebenheiten der jeweiligen Ära und zeichnet die Handlungen bzw. Handlungsmöglichkeiten des Premierministers nach. Bekleidete der Politiker nach seinem Auszug aus der Downing Street Nr. 10 weiterhin ministerielle Ämter wie etwa Balfour oder Douglas-Home, wird auch auf diese Zeit eingegangen. Zum Ende eines jeden Porträts bilanziert Leonard die wesentlichen Erfolge und Misserfolge des einzelnen Staatsmannes.

Die Porträts umfassen je nach Amtsdauer und Bedeutung des Premierministers zwischen 15 und 20 Seiten. Dabei ist jedem Kapitel eine Überschrift vorangestellt, die in der Regel einen wesentlichen Charakterzug der behandelten Person wiedergibt oder deren Wirken in einem Satz zusammenfasst. So passend wie diese Überschriften auch sind – einige dieser Kapitelüberschriften lauten beispielsweise: „The Man who Stayed too Long“ (bezogen auf Salisbury), „A family affair“ (Chamberlain), „Idealist into Manipulator“ (Macmillan) – sie lassen sich häufig auf mehr als nur den einen Amtsinhaber anwenden.

Die Überschrift „Family affair” ließe sich ebenso auf mehrere der Protagonisten des Buches anwenden, ja die Häufigkeit familiärer Verbindungen in der Politik und die Existenz von regelrechten politischen Dynastien ist überhaupt ein wichtiges Merkmal der britischen politischen Kultur. Die Chamberlains sind hierfür sicherlich ein herausragendes Beispiel: Während Vater Joseph der neben Salisbury wohl einflussreichste Politiker des Spätviktorianismus war, hätte es schon sein erster Sohn Austen fast zum Premierminister gebracht. Diese Ehre blieb letztendlich Austens Halbbruder Neville vorbehalten. Parallele Familienbiografien lassen sich auch bei anderen Premiers aufzeigen. So waren die Väter von Salisbury, Balfour, Baldwin und Churchill bereits vor ihren Söhnen Unterhausabgeordnete gewesen, Ramsay MacDonald berief seinen Sohn Malcolm in die Regierung, und Macmillan hievte wie kein anderer Premierminister Familienmitglieder in großer Zahl in öffentliche (Regierungs-)Ämter. Diese Tendenz zur Gründung politischer Dynastien ist im Übrigen bis zum heutigen Tage ungebrochen.

Trotz Macmillans exzessiver Strippenzieherei: Bäte man heute in einer Umfrage darum, einem lebenden oder toten Politiker die Überschrift „Idealist into Manipulator“ zuzuordnen, würde sicherlich eine Mehrheit den aktuell amtierenden Tony Blair an erster Stelle nennen. Leonard hebt selbst hervor, welch zentrale Rolle im System Blair der teils ans Manipulative grenzende mediale Verkauf der Regierungspolitik sowie die Kontrolle der öffentlichen und parteiinternen Meinung spielen (S. 357). Die Kapitelüberschriften „Cheerleader for Europe“ und „Labour’s conservative“ treffen dann auf Tony Blair ebenso wie auf Heath bzw. Callaghan zu. Auch wenn sich Leonard über Blairs europäisches Engagement enttäuscht zeigt (S. 359), muss man doch anerkennen, dass sich abgesehen von Heath kein Nachkriegspremier als überzeugterer Europäer gegeben hat. Wilson hatte sich auf diesem Politikfeld sehr wankelmütig gezeigt, Thatcher war für ihre anti-europäischen Ausfälle geradezu berüchtigt (S. 311).

Leonard ist es gelungen, ein überwiegend objektives Bild der insgesamt 19 Männer und einen Frau zu zeichnen, wobei das Porträt Clement Attlees eines der gelungensten Kapitel des Buches ist. Zu Bedauern ist, dass der Autor seine eigenen Erfahrungen als Parlamentarier nur sehr selten in seine Darstellung mit einbringt.4 Trotz dieser Kritik hat Dick Leonard ein notwendiges Werk vorgelegt, das insbesondere Studenten der britischen Geschichte eine verlässliche Handreichung darstellt. Bleibt nur noch dem Verfasser zu wünschen, dass er die Zeit findet, möglichst rasch die zwei Supplementbände fertig zu stellen.

Anmerkungen:
1 Hennessy, Peter, The Prime Minister. The Office and Its Holders Since 1945, London 2000.
2 Wilson, Harold, A Prime Minister on Prime Ministers, London 1977, S. 164f.
3 Die Schilderung des Verhältnisses zwischen Blair und Gordon Brown der S. 348f. orientiert sich sehr stark an Sopel, Jon, Tony Blair. The Moderniser, London 1995, S. 75ff.
4 Ein gegenteiliges Beispiel findet sich auf S. 182.

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